Inhalt

LG München I, Endurteil v. 20.07.2023 – 7 O 5416/23
Titel:

Einstweiliger Rechtsschutz gegen ein ausländisches Prozessführungsverbot

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 1
GG Art. 20 Abs. 3
ZPO § 935, § 940
Leitsatz:
Die Beantragung einer Anti-Suit-Injunction vor einem ausländischen Gericht mit dem Ziel, die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen wegen Patentverletzung in Deutschland zu verhindern, stellt eine Beeinträchtigung der eigentumsähnlichen Rechtsposition des Patentinhabers aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Dies gilt auch dann, wenn vor dem ausländischen Gericht nur eine zeitlich befristete und sachlich auf den Unterlassungsanspruch beschränkte Untersagung des Verfolgungsrechts des Patentinhabers erstrebt wird (Anschluss an OLG München, GRUR 2020, 379 Rn. 54 ff. - Anti-Suit Injunction).   (Rn. 46 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Eigentum
Vorinstanz:
LG München I vom 17.05.2023 – 7 O 5416/23
Fundstellen:
MittdtPatA 2024, 83
GRUR 2023, 1683
GRUR-RS 2023, 24701
LSK 2023, 24701

Tenor

I. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 28. April 2023 wird bestätigt.
II. Die Verfügungsbeklagte hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Die Verfügungsklägerinnen nehmen die Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtschutzes auf Unterlassung von Handlungen vor einem US-amerikanischen Gericht in Anspruch, mit denen ihnen in Deutschland die zeitweise Geltendmachung von Rechten gerichtlich untersagt werden soll.
2
Die Verfügungsklägerin zu 1) ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das sich im Bereich der Entwicklung und Herstellung biotechnologischer Produkte, die weltweit vertrieben werden, betätigt.
3
Die Verfügungsklägerin zu 2) ist eine private Hochschule aus Massachusetts, USA.
4
Die Verfügungsklägerinnen haben die Verfügungsbeklagte wegen Verletzung von US-Patenten vor dem United States District Court for the District of Delaware unter dem dortigen Aktenzeichen … in Anspruch genommen. Dieses Verfahren war bis zur Verkündung dieses Urteils noch nicht beendet.
5
Nach Erhebung der Klage in den USA haben die Verfügungsklägerinnen die Verfügungsbeklagte (Az. 7 O 2693/22) sowie ihre deutsche Tochtergesellschaft (7 O 5812/22) vor dem Landgericht München I wegen behaupteter Verletzung des Europäischen Patents … B1 durch die von den Beklagten vertriebenen Produkte „…“, dazu gehöriger Nachweisreagenzien und dazugehöriger Decodersonden in Anspruch genommen.
6
Die Verfügungsklägerinnen haben am 14.02.2023 einen Vertrag geschlossen, wonach die Verfügungsklägerin zu 2) der Verfügungsklägerin zu 1) unter anderem ein Nutzungsrecht an dem Streitpatent einräumt. Weiterhin ist der Verfügungsklägerin zu 1) in dem Vertrag eine Prozessführungsbefugnis (Ziffer 3, Absatz 2) erteilt worden. Über die Wirksamkeit und Reichweite dieser Vereinbarung streiten die Parteien in dem vorgenannten Patentverletzungsverfahren vor der Kammer.
7
Das Landgericht München I hat über beide Verfahren am 23.03.2023 mündlich verhandelt und Termin zu Verkündung einer Entscheidung ursprünglich auf den 04.05.2023 bestimmt.
8
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hatten die Beklagten Gelegenheit zu neuem tatsächlichem Vortrag der Klägerinnen bis zum 13.04.2023 Stellung zu nehmen. Diese Gelegenheit haben sie in Anspruch genommen.
9
Am 27.04.2023 hat die Verfügungsbeklagte einen weiteren, nicht nachgelassenen Schriftsatz bei Gericht eingereicht, in dem sie die Aufhebung des Verkündungstermins und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Zur Begründung führte sie aus, sie sei aufgrund des dilatorischen Verhaltens der Verfügungsklägerin zu 2) im US-Verfahren erst jetzt in den Besitz wesentlicher Unterlagen gekommen, die die Unbegründetheit der deutschen Verletzungsklagen belegten.
10
Ebenfalls am 27.04.2023 stellte die Verfügungsbeklagte in dem US-Verfahren vor dem United States District Court for the District of Delaware einen Antrag, den Verfügungsklägerinnen in dem dortigen Verfahren aufzugeben, den in dem deutschen Verfahren 7 O 2693/22 verfolgten Unterlassungsanspruch für einen Zeitraum von 90 Tagen nicht weiterzuverfolgen und/oder ein entsprechendes Unterlassungsurteil nicht zu vollstrecken. Die Verfügungsbeklagte führte aus:
Defendant … Inc. … respectfully moves the Court for entry of a temporary restraining order and preliminary injunction enjoining … Inc. and … (collectively, the „Plaintiffs“) from continuing to pursue or enforcing a potential injunction in a related patent infringement suit (File Ref. 7 O 2693/22) in Germany, due to issue on May 4, 2023, for ninety days to permit discovery and investigation of this serious issue.
11
Der von der Verfügungsbeklagten für das Gericht vorformulierte Antrag hatte folgenden Wortlaut:
1. Plaintiffs …, their respective officers, agents, privies, servants, employees, attorneys, and all those persons or entities aiding, abetting, or acting in concert or participation with them who receive actual notice of this order by personal service or otherwise, are temporarily restrained and enjoined from pursuing an injunction in the proceeding (File Ref. 7 O 2693/22) between the Parties in front of the District Court of Munich I, or enforcing any resulting injunctions until the expiration of ninety days or further order of the Court.
2. … shall post a bond in an amount which the Court deems reasonable and proper.
12
Am 28.04.2023 haben die Verfügungsklägerinnen den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, die es der Verfügungsbeklagten verbieten soll, den am 27.04.2023 beim United States District Court for the District of Delaware gestellten Antrag auf Erlass eines zeitlich beschränkten Prozessführungsverbots weiterzuführen bzw. ihr aufgeben soll, diesen zurückzunehmen.
13
Die Kammer hat die einstweilige Verfügung am selben Tag erlassen.
14
Mit Schriftsätzen vom 02.05.2023 und 10.05.2023 hat die Verfügungsbeklagte in dem Patentverletzungsverfahren 7 O 2693/22 mit weiterem Vortrag eine Aufhebung des Verkündungstermins sowie die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt.
15
Das Landgericht München I hat den Verkündungstermin am 02.05.2023 auf den 17.05.2023 verlegt.
16
Mit Endurteil vom 17.05.2023 hat die Kammer beide Beklagte wegen Patentverletzung zu Unterlassung und Folgeansprüchen verurteilt. Dabei hat sie hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs eine Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin zu 1) aufgrund der im Vertrag vom 14.02.2023 erteilten gewillkürten Prozessführungsbefugnis angenommen.
17
Gegen die einstweilige Verfügung hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 21.06.2023 Widerspruch eingelegt, über den die Kammer am 20.07.2023 mit den Parteien mündlich verhandelt hat.
18
Die Verfügungsklägerinen tragen vor, die Voraussetzungen für den Erlass der erlassenen einstweiligen Verfügung lägen vor, weswegen diese zu bestätigen sei. Der Vorwurf der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerinnen hätten in ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung inkorrekt zum Umfang der beantragten ASI/AEI vorgetragen und verschwiegen, dass im US-Verfahren die Unterlassung der Durchsetzung des inländischen Unterlassungsanspruchs für nur 90 Tage beantragt wurde, sei seinerseits unrichtig. Die Verfügungsklägerinnen hätten den relevanten Sachverhalt vollständig und zutreffend vorgetragen.
19
Ein nicht gerechtfertigter Eingriff in die aus dem Patent erwachsene eigentumsähnliche Rechtsposition liege bereits in einer zeitweiligen Behinderung des eigentumsähnlichen Ausschließlichkeitsrechts und des hiermit verbundenen Justizgewährungsanspruchs. Es stehe dem Rechtsinhaber frei, selbst zu entscheiden, wann er sein Ausschließlichkeitsrecht geltend machen möchte. Ein Ausschluss des Justizgewährungsanspruchs für 90 Tage würde in der vorliegenden Konstellation zudem mit einer nicht unerheblichen Aushöhlung des im Verletzungsverfahren klagegegenständlichen Patents für seine Restlaufzeit einhergehen.
20
Die Verfügungsbeklagte räume der Aufklärung vermeintlicher Tatsachen und eines vermeintlichen Lizenzanspruchs im Rahmen des US-Verfahrens den Vorrang vor dem eigentumsähnlichen Ausschließlichkeitsrecht der Verfügungsklägerinnen und dem damit einhergehenden Justizgewährungsanspruch in Deutschland ein. Sie missachte die hiesigen Verfahrensregeln, in deren Rahmen sie ihre Einreden und Einwendung vorzubringen habe.
21
Entgegen den Ausführungen der Verfügungsbeklagten sei vorliegend zunächst eine Entscheidung im Beschlusswege gemäß § 937 Abs. 2 ZPO ohne vorherige Anhörung der Verfügungsbeklagten wegen besonderer Dringlichkeit geboten gewesen, da nur auf diese Weise die Rechte der Verfügungsklägerinnen hätten gesichert werden können. Die Verfügungsbeklagte habe den als Anlage BP 6 vorliegenden Antrag am 27. April 2023 eingereicht und darin deutlich gemacht, dass eine eilige Entscheidung bis zum 3. Mai 2023 dringend erforderlich sei, da das Landgericht München I den Verkündungstermin im Verletzungsverfahren 7 O 2693/22 auf den 4. Mai 2023 bestimmt habe. Das US-Gericht sei daher gehalten gewesen, seinerseits schnell, jedenfalls vor dem 4. Mai 2023 über den Antrag der Verfügungsbeklagten zu entscheiden. Zu berücksichtigen sei auch, dass der 1. Mai in Deutschland ein Feiertag sei und der 29. und 30. April 2023 die beiden Wochenendtage Samstag und Sonntag gewesen seien, an denen die deutschen Gerichte nicht geöffnet hätten.
22
Schließlich falle auch die Interessenabwägung zugunsten der Verfügungsklägerinnen aus. Zugunsten der Verfügungsklägerinnen stritten deren grundrechtlich geschütztes eigentumsähnliches Recht an dem Patent in Gestalt der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des aus dem Patent resultierenden Ausschließlichkeitsrechts gegenüber jedermann, insbesondere gegenüber der Verfügungsbeklagten. Die Argumente der Verfügungsbeklagten, wie etwa ein angeblicher Lizenzgewährungsanspruch sowie ein vermeintliches Zurückhalten hierauf bezogener Informationen durch die Verfügungsklägerinnen, könnten demgegenüber nicht überzeugen und seien für die Interessenabwägung auch irrelevant.
23
Die Verfügungsklägerinnen beantragen:
wie tenoriert.
24
Die Verfügungsbeklagte beantragt,

I.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I, Az. 7 O 5416/23 vom 28.04.2023 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen;

höchst hilfsweise

die einstweilige Verfügung wie folgt zu ergänzen:

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München, Az. 7 O 5416/23 vom 28.04.2023 darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von mindestens €1.000.000 vollzogen werden.

II.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

25
Die Verfügungsbeklagte trägt vor, die einstweilige Verfügung sei aufzuheben und der Antrag auf deren Erlass zurückzuweisen, da es sowohl an einem Verfügungsanspruch als auch an einem Verfügungsgrund fehle.
26
Es sei kein Verfügungsanspruch gegeben, weil kein rechtswidriger Eingriff in das klägerische Patent vorliege. Der Antrag der Verfügungsbeklagten vor dem US-Gericht in Delaware sei zeitlich auf 90 Tage und sachlich auf den Unterlassungsanspruch begrenzt gewesen. Das stelle keinen rechtswidrigen Eingriff dar.
27
Die Rechtsprechung insbesondere des Landgerichts München I zu (A)ASI’s bzw. (A)AEI’s sei deswegen vorliegend nicht anzuwenden. Die hiesige Situation sei auch deswegen nicht mit der üblichen Konstellation in ASI-Fällen vergleichbar, weil das zwischen den Parteien in den USA anhängige Verfahren bereits geraume Zeit vor den deutschen Verfahren anhängig gemacht worden sei. Es sei also nicht extra nach Klageerhebung in Deutschland von der (Verfügungs-)Beklagten ein Verfahren in den USA initiiert worden, um sodann eine ASI oder AEI zu beantragen. Ferner weise auch der deutsche Verfahrenskomplex engste Beziehungen zu den USA auf, da die Parteien von dort stammten und sich wesentliche Fragen, wie etwa die der Lizenzreinräumungspflicht der Verfügungsklägerin zu 2) dort entschieden würden.
28
Auch handele es sich bei der Antragstellerin des 90-Tage-Moratoriums-Antrags nicht um eine Implementerin eines standardessentiellen Patents, wie sonst in ASI-Konstellationen. Die Verfügungsbeklagte sei lizenzwillig und habe noch am 24.04.2023 die Verfügungsklägerin zu 2) um ein Lizenzangebot gebeten. Dieses sie ihr von der Verfügungsklägerin zu 2) unter Verweis auf die bereits erfolgte Exklusivlizensierung an die Verfügungsklägerin zu 1) am 26.04.2023 verwehrt worden. Auch diese Situation sei nicht typisch für einen (A)ASI-Fall.
29
Weiterhin müsse berücksichtigt werden, dass die Verfügungsbeklagte allein wegen des – nun auch von dem US-amerikanischen Gericht in seinem Memorandum vom 10. Juli 2023 (Anlage BP9) festgestellten – verzögernden Verhaltens in die Lage versetzt worden sei, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in den beiden deutschen Verletzungsverfahren vor dem Landgericht München I in den Besitz wichtiger, ihre Argumentation erheblich stützender Unterlagen gekommen sei. Deswegen habe sie es nicht mehr vermocht, die Kammer von der Richtigkeit ihrer Auffassung vor der Urteilsverkündung zu überzeugen.
30
Ein Verfügungsgrund sei ebenfalls nicht gegeben, weil die durchzuführende Interessenabwägung eindeutig zugunsten der Verfügungsbeklagten ausfalle. Insoweit spreche das verzögernde Verhalten der Verfügungsklägerin zu 2) im US-Verfahren zu deren Ungunsten und zugunsten der Verfügungsbeklagten. Die Verfügungsklägerin zu 2) sei infolge dieses Vorgehens nicht als schutzwürdig anzusehen.
31
Abgesehen von einem individualvertraglichen Anspruch der Verfügungsbeklagten auf Einräumung einer Lizenz habe das US-Gericht in seinem Memorandum vom 10. Juli 2023 alle anderen Anträge der Verfügungsbeklagten zugelassen, darunter auch die auf ein kartellrechtswidriges Verhalten der Verfügungsklägerin zu 1) sowie deren „Unclean-Hands“ bezogenen.
32
Die von der Verfügungsbeklagten beabsichtigte 3-monatige Pause in dem deutschen Verfahren führe bei den Verfügungsklägerinnen nicht zu unzumutbaren Nachteilen, wohingegen die Vollstreckung der ausgeurteilten Unterlassungsansprüche in den beiden Münchner Verfahren 7 O 2693/22 und 7 O 5812/22 die Verfügungsbeklagte völlig unverhältnismäßig belaste, weil ihr Marktchancen entgingen.
33
Die Verfügungsklägerin zu 1) habe eine Bitte der Verfügungsbeklagten um eine Pause in den deutschen Verfahren im Hinblick auf die erst im April zugänglichen Dokumente abgelehnt. Nicht den Verfügungsklägerinnen, sondern der Verfügungsbeklagte stehe ein Notwehrrecht zu.
34
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.07.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

35
Die einstweilige Verfügung vom 28.04.2023 ist aufrechtzuerhalten, weil auch nach dem Vorbringen der Verfügungsbeklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens die Kammer weiterhin davon überzeugt ist, dass ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund glaubhaft gemacht sind.
36
Zusammengefasst lässt sich der Fall wie folgt darstellen:
Die Verfügungsbeklagte ist Beklagte in einem deutschen Patentverletzungsverfahren. Sie befürchtete, in diesem Verfahren wegen Patentverletzung zur Unterlassung verurteilt zu werden, obwohl sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung in den Besitz von Unterlagen gekommen sein will, die ihrer Ansicht nach die Abweisung der Klage klar begründen. Deswegen hat sie sich eines außerhalb der deutschen Rechtsordnung (be-)stehenden Mittels einer außereuropäischen Rechtsordnung bedient, um mit diesem das deutsche Verfahren zu beeinflussen. Damit kann sie nicht durchdringen.
Im Einzelnen:
A.
37
Ein Verfügungsanspruch ist von den Verfügungsklägerinnen glaubhaft gemacht worden.
38
Der Antrag der Verfügungsbeklagten beeinträchtigt die Verfügungsklägerinnen in ihren Rechten, die sich, wie die Verfügungsklägerinnen zurecht ausführen, auf den Justizgewährungsanspruch berufen können (I.). Die Beeinträchtigung ist rechtswidrig (II.) und die Gefahr einer erneuten Beeinträchtigung besteht fort (III.).
I.
39
1. Der Antrag der Verfügungsbeklagten war gerichtet auf die zeitliche Beschränkung und Untersagung der Verfolgung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs („are temporarily restrained and enjoined from pursuing an injunction in the proceeding (File Ref. 7 O 2693/22) between the Parties in front of the District Court of Munich I (…)“) bzw. die Vollstreckung eines etwaig ausgeurteilten Unterlassungstitels („(…) or enforcing any resulting injunctions until the expiration of ninety days or further order of the Court.“).
40
Dieser Antrag stellt eine Beeinträchtigung Rechtspositionen der Verfügungsklägerinnen dar.
41
2. Die Verfügungsklägerin zu 1) ist – obwohl nicht Patentinhaberin – in ihrer verfassungsgemäß geschützten Rechtsposition verletzt.
42
Die Verfügungsklägerin zu 1) ist als einfache Lizenznehmerin der Verfügungsklägerin zu 2) aufgrund der im Vertrag vom 14.02.2023 zusätzlich erteilten Prozessführungsbefugnis (Ziffer 3, Absatz 2) als gewillkürte Prozessstandschafterin zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs berechtigt (Kühnen, a.a.O., Rn. 327 ff.).
43
Als mit einer Prozessführungsbefugnis ausgestattete einfache Lizenznehmerin ist die Verfügungsklägerin zu 1) prozessual berechtigt, das betreffende Recht – hier den Unterlassungsanspruch aus dem Verfügungspatent – gerichtlich geltend zu machen. Diese prozessuale Berechtigung ist – wenn die Voraussetzungen erfüllt sind – nicht beliebig, sondern unabdingbar. Denn sie ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips und genauer des Justizgewährungsanspruchs. Der Justizgewährungsanspruch ist die Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols, welches wiederum eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ist. Dem Rechteinhaber ist es untersagt, sich gegen Rechtsverletzungen mit eigenen Zwangsmitteln außerhalb der Gerichtsbarkeit zu wehren. Die Selbstjustiz ist durch das Gewaltmonopol des Staates verdrängt. Lediglich in eng begrenzten Fällen ist eine Selbsthilfe zulässig (§§ 227-229, 562b Abs. 1, 859, 904, 962 BGB). Damit der Rechtsinhaber aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols seine Rechte dennoch gegen Beeinträchtigungen wirksam durchsetzen kann, hat er einen Anspruch gegen den Staat, ihn unter zumutbaren Voraussetzungen dabei zu unterstützen. Dies erfolgt durch die Gerichte und ihre Prozessordnungen. Der Staat ist damit gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, jedem Rechtssuchenden Zugang zu Gericht und damit Rechtsschutz zu gewähren (Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, Einleitung Rn. 6).
44
Das Rechtsstaatsprinzip in Form des Justizgewährungsanspruchs gewährleistet darüber hinaus nicht nur die Existenz einer Gerichtsbarkeit und den Zugang zu ihr. Es hat auch den Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz zum Inhalt, durch den grundsätzlich eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes und eine verbindliche Entscheidung durch einen unabhängigen Richter sichergestellt ist (Musielak, ebd.). Der allgemeine Justizgewährungsanspruch bezweckt daher nicht nur formalen, sondern auch effektiven Rechtsschutz. Er gewährleistet das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende Prüfung des Streitgegenstands in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in einem förmlichen Verfahren sowie eine verbindliche Entscheidung durch ein Gericht in angemessener Zeit. Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG setzt auch der allgemeine Justizgewährungsanspruch voraus, dass der Einzelne die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend machen kann, das ihm die Rechtsordnung gewährt (so Voßkuhle/Kaiser JuS 2014, 312, 313).
45
Droht nun durch eine ausländische Gerichtsentscheidung eine unmittelbare oder mittelbare Beeinträchtigung dieses von der Bundesrepublik zu gewährenden Justizgewährungsanspruchs, ist diese durch ihre Gerichte dazu aufgefordert, dem entgegenzuwirken. Der Rechtssuchende hat einen Anspruch, dass wirksame Mittel ergriffen werden, den ihm als Ausgleich zum staatlichen Gewaltmonopol eröffneten Zugang zu Gericht jederzeit eröffnet zu halten und die Durchführung eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens zu garantieren (vgl. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Werkstand: 62. EL Januar 2022, § 90 Rn. 275).
46
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Landgerichts München I stellt die Beantragung einer Anti-Suit-Injunction (ASI) vor einem ausländischen Gericht mit dem Ziel, die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen wegen Patentverletzung in Deutschland zu verhindern, eine Beeinträchtigung der eigentumsähnlichen Rechtsposition des Patentinhabers dar; § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (OLG München GRUR 2020, 379; LG München I GRUR-RS 2021, 3995 Rn. 68; BeckRS 2019, 25536 Rn. 52; Werner in: Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Auflage 2020, Vor § 139 Rn. 4, 85).
47
Die Rechteinhaber können sich nach der Auffassung des Oberlandesgerichts München zudem auf das Notwehrrecht gem. § 227 Abs. 1 BGB berufen (OLG München GRUR 2020, 379 Rn. 75).
48
Die Verfügungsklägerin zu 2) wird daher als Patentinhaberin in ihrer eigentumsähnlichen Rechtsposition gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB beeinträchtigt, weil der Antrag der Verfügungsbeklagten darauf gerichtet ist, ihr durch ein ausländisches Gericht zu verbieten, ihr Eigentumsrecht in der Bundesrepublik gerichtlich durchzusetzen (st. Rspr. der LG München I, vgl. Zigann/Schacht, in: Picht/Cotter/Habich, FRAND: German Case Law and Global Perspectives, 2023, im Erscheinen).
49
Wie die Verfügungsklägerin zu 1) ist sie zusätzlich in ihrem Justizgewährungsanspruch verletzt. Ob es insoweit notwendig ist, auf das Selbsthilferecht zurückzugreifen, wie es das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung aus 2019 (GRUR 2020, 379) getan hat, kann daher dahinstehen.
II.
50
Die Einwände der Verfügungsbeklagten verfangen demgegenüber nicht. Die Beeinträchtigung ist rechtswidrig.
51
a) Die von der Verfügungsbeklagten beantragte, auf 90 Tage zeitlich beschränkte Durchsetzung der Rechte der Verfügungsklägerinnen verletzt diese gleichwohl in ihrem Justizgewährungsanspruch bzw. in ihrem Recht aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB.
52
Das Landgericht München I und ihm nachfolgend das Oberlandesgericht München haben bereits 2019 in ihren jeweiligen Urteilen entschieden, dass auch eine „temporary restrainig order“ einen rechtswidrigen deliktischen Eingriff in das Patentrecht darstellt (LG München I BeckRS 2019, 25536 Rn. 11; OLG München GRUR 2020, 379 Rn. 61, 63, 70).
53
Eine auch nur zeitliche Beschränkung des Justizgewährungsanspruch stellt gleichwohl einen Eingriff in dieses Recht dar. Dies gilt umso mehr im Bereich der technischen Schutzrechte, deren Laufzeit und damit Durchsetzbarkeit zeitlich beschränkt ist.
54
Dass die deutsche Rechtsordnung eine zeitliche Beschränkung des Justizgewährungsanspruchs nicht kennt zeigt sich auch daran, dass die Verjährungsvorschriften keinen Hemmungstatbestand aufgrund eines (ausländischen) Prozessführungsverbots anführen. Ein solcher wäre jedoch erforderlich, wenn man – wie die Verfügungsbeklagte – eine zeitliche Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs zulassen wollte. Andernfalls handelte es sich um eine teilweise rechtsvernichtende Anordnung eines ausländischen Gerichts, da das technische Schutzrecht in seiner Laufzeit faktisch um die Dauer des Prozessführungsverbots verkürzt würde.
55
b) Die von der Verfügungsbeklagten zur Rechtsfertigung ebenfalls angeführte Beschränkung auf den Unterlassungsanspruch ändert die rechtliche Einordnung ebenfalls nicht. Im Gegenteil: der Unterlassungsanspruch ist der Teil des zeitlich nur beschränkt geltenden, immateriellen technischen Schutzrechts, der diesem die größte Wirkung verleiht. Gerade eine Beschränkung in diesem Bereich greift in den Kernbereich des immateriellen Schutzrechts besonders ein.
56
c) Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten sind die Erfolgsaussichten der Verletzungsklage der Verfügungsklägerinnen gegen die Verfügungsbeklagte vor dem Landgericht München I für die Frage der Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung ohne Belang.
57
Aus dem Justizgewährungsanspruch folgt, dass jeder, der meint in seinem Recht verletzt zu sein, ein Recht darauf hat, einen entsprechenden Anspruch gerichtlich durchzusetzen. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ist dann zu klären, ob der behauptete Anspruch besteht. Keinesfalls ist das grundsätzliche Recht eine Klage im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu erheben von dessen Erfolgsaussichten abhängig. Zwar ist die Prozesskostenhilfe gemäß § 114 Abs. 1 ZPO unter anderem von den Erfolgsaussichten der zu unterstützenden Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung abhängig. Indes sind die Anforderungen hieran bewusst niedrig angesetzt und zudem die Einschränkungen dadurch gerechtfertigt, dass die Prozesskostenhilfe durch Steuergelder finanziert wird. Diese gerechtfertigte, ausnahmsweise Einschränkung bestätigt daher das Recht auf Klageerhebung und Klagedurchführung ohne grundsätzliche Ansehung der Erfolgsaussichten.
58
Dass eine Beschneidung des Zugangs zu Gericht und der dortigen Rechtsverfolgung auch auf europäischer Ebene sehr enge Grenzen gesetzt sind, zeigt ferner Art. 9 des Entwurfs der Europäischen Kommission vom 27.04.2022 (COM(2022) 177 final) zum Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („Anti-SLAPP-Directive“). Danach sind offensichtlich missbräuchliche Klagen nicht per se unzulässig, sondern sollen lediglich vereinfacht als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden können.
59
Selbst wenn man mit der Verfügungsbeklagten die Erfolgsaussichten zu einem gewissen Grad mit in die Überlegungen einbezöge, rechtfertigten diese keine andere Entscheidung. Denn auch in diesem Fall wäre eine Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs – wie bei der Prozesskostenhilfe – auf ganz offensichtlich aussichtslose, willkürliche Rechtsverfolgungen beschränkt. Um eine solche offensichtlich aussichtslose Rechtsverfolgung handelt es sich bei der von den Verfügungsklägerinnen vor dem Landgericht München I initiierten Klage 7 O 3162/22 aber nicht. Zum einen hat die dortige Beklagte und hiesige Verfügungsbeklagte die offensichtlich aussichtslose Rechtsverfolgung dort gar nicht behauptet – wie die Kammer, die dieses Verfahren verhandelt hat, aus eigener Anschauung weiß. Zum anderen ist der dortigen Klage stattgegeben worden, was die Vermutung zulässt, dass die Klage nicht willkürlich war und nicht vollständig aussichtslos war.
III.
60
Durch die Beantragung des zeitlichen Prozessführungsverbots vor dem US-amerikanischen Gericht hat die Verfügungsbeklagte nicht nur eine Erstbegehungsgefahr begründet (OLG München GRUR 2020, 379 Rn. 55 f.), sondern auch eine Wiederholungsgefahr.
61
Sie hat ihren Antrag aufgrund der hiesigen einstweiligen Verfügungen mittlerweile wieder zurückgezogen. Es besteht indes weiterhin die Gefahr, dass sie erneut einen Antrag auf ein Prozessführungsverbot stellt. Die Verfügungsbeklagte hat sich in diesem Verfahren gegen die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung zur Wehr gesetzt und keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Diese Gefahr war daher bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt, weswegen ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Justizgewährungsanspruch besteht.
B.
62
Ein Verfügungsgrund ist gleichfalls glaubhaft gemacht.
I.
63
Die zeitliche Dringlichkeit wurde eingehalten, weil die Verfügungsklägerinnen glaubhaft gemacht haben, innerhalb der im Bezirk des Oberlandesgerichts München geltenden Monatsfrist die einstweilige Verfügung beantragt zu haben. Tatsächlich ist zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht und im Übrigen unstreitig, dass die Verfügungsbeklagte den Antrag auf ein 90-tägiges Prozessführungsverbot am 27.04.2023 beim United States District Court for the District of Delaware eingereicht hat. Den Antrag auf Erlass der hier bestätigten Verfügung haben die Verfügungsklägerinnen am 28.04.2023 bei Gericht einreicht.
II.
64
Die Dringlichkeit in sachlicher Hinsicht ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Der Antrag der Verfügungsbeklagten vom 27.04.2023 war auf eine rasche Beschlussfassung des US-Gerichts gerichtet, damit der Beschluss dem von der Verfügungsbeklagten befürchteten Endurteil des Landgerichts München I, welche zu dem damaligen Zeitpunkt noch auf den 04.05.2023 terminiert war, zuvorkommt. Eine ebenso rasche gerichtliche Entscheidung des hiesigen Gerichts war daher notwendig, um den Verfügungsklägerinnen ihr verfassungsmäßiges Recht auf effektiven Zugang zu Gericht zu bewahren.
65
Daher war trotz der stets zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von ex-parte-Verfügungen (zuletzt BVerfG GRUR 2023, 1064) aufgrund der vorliegend besonderen Dringlichkeit, insbesondere der nicht unerheblichen Gefahr, dass eine Anhörung der Verfügungsbeklagten den Erlass einer Anordnung in den USA eher beschleunigen könnte und damit die hiesige einstweilige Verfügung obsolet machte, die einseitig ergangene einstweilige Verfügung vom 28.04.2023 ausnahmsweise sachgerecht.
III.
66
Auch die Interessenabwägung fällt zugunsten der Verfügungsklägerinnen aus.
67
1. Die Verfügungsklägerinnen haben vor dem Landgericht München I ein Hauptsacheverfahren wegen Patentverletzung unter anderem gegen die Verfügungsbeklagte initiiert (Az. 7 O 2693/22). Die Verfügungsbeklagte hat dort von ihrem Recht auf rechtliches Gehör Gebrauch macht und sich – ebenso wie die Verfügungsklägerinnen – umfangreich eingelassen. Die Parteien hatten zudem Gelegenheit, ihre Argumente in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2023 dem Gericht persönlich vorzutragen. Auch diese Gelegenheit hat die Verfügungsbeklagte genutzt.
68
Die Verfügungsbeklagte hat weiterhin im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 23.03.2023 einen nachgelassenen sowie mehrere nicht nachgelassene Schriftsätze eingereicht und darin ihre Rechtsposition weiterhin, erneut und zusätzlich deutlich gemacht. Diese wurden von der Kammer auch inhaltlich zur Kenntnis genommen.
69
Die Verfügungsbeklagte hat die Einreichung der nicht nachgelassenen Schriftsätze mit neuen, ihr erst seit kurzem zugänglichen Erkenntnissen aus dem parallelen US-Verfahren begründet. Sie hat hierzu weiter ausgeführt, sie sei aufgrund des verzögernden Prozessverhaltens der (Verfügungs-)Klägerinnen im US-Verfahren zuvor gehindert gewesen sei, diese Erkenntnisse im deutschen Verfahren einzuführen. Die Verfügungsbeklagte hat deswegen unter anderem gemäß § 156 ZPO beantragt, die Verhandlung wiederzueröffnen und erneut und insbesondere über die neu gewonnen Erkenntnisse aus dem US-amerikanischen Verfahren zu verhandeln. Das Landgericht München I hat infolge der neuen Schriftsätze den ursprünglich auf den 04.05.2023 anberaumten Verkündungstermin verlegt, unter anderem, um ausreichend Gelegenheit zu haben, das neue Vorbringen zu prüfen.
70
Die anwaltlich vertretene Verfügungsbeklagte wusste bzw. konnte zumutbar wissen, dass ihr gegen ein zu ihren Lasten ergangenes erstinstanzliches Urteil das Rechtsmittel der Berufung zu dem auf Patentsachen spezialisierten 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München zusteht, an dessen Zulässigkeit – abgesehen von form- und fristgerechter Einreichung einer Berufungsschrift sowie Zahlung einer Gebühr – keine besonderen Anforderungen gestellt werden.
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Die anwaltlich vertretene Verfügungsbeklagte wusste oder konnte zumutbar außerdem wissen, dass ihr gegen eine drohende Zwangsvollstreckung des erstinstanzlichen Urteils der Rechtsbehelf nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO ebenfalls zum auf Patentsachen spezialisierten 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München zusteht.
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2. Gleichwohl hat es die Verfügungsbeklagte vorgezogen, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen im deutschen Verfahren eines Mittels zu bedienen, das außerhalb der deutschen Rechtsordnung steht, nämlich eines Antrags auf ein Prozessführungsverbot bei einem US-Gericht. Dabei musste ihr aufgrund der veröffentlichen Rechtsprechung bekannt sein, dass derartige Anträge von den Münchener Gerichten sanktioniert werden.
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Obgleich sie eine Berufung gegen das Urteil in der Sache 7 O 2693/22 bereits eingelegt hat, hat sie auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in dieser Sache keinen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gestellt. Dabei sind die Anforderungen an die Begründetheit eines solchen Antrags derart, dass sie nach dem Vorbringen der Verfügungsbeklagten im hiesigen Verfahren, nämlich der offensichtlichen Aussichtslosigkeit und Willkür des (verfügungs-)klägerischen Begehrens im Klageverfahren, unproblematisch erfüllt wären. Ein unredliches und prozessverzögerndes Verhalten der Verfügungsklägerinnen im US-amerikanischen Verfahren könnte sie daher in einem Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung vorbringen. Sie könnte auf diesem, von der deutschen Rechtsordnung vorgesehenen und für Fälle, wie sie die Verfügungsbeklagte behauptet, geradezu prädestinierten Wege am sichersten einen Vollstreckungsschutz erlangen (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122, 124, wo das Gericht sogar für den Fall, dass das Erstgericht über relevante Fragen in seinem Urteil nicht entschieden hat, eine Entscheidung zugunsten der Beklagten getroffen hat). Die Verfügungsbeklagte hat mithin ihre von der deutschen Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe noch nicht einmal ausgeschöpft.
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Vor diesem Hintergrund besteht aus Sicht der Kammer keinerlei schutzwürdiges Interesse der Verfügungsbeklagten gegenüber dem grundgesetzlich geschützten Justizgewährungsanspruch der Verfügungsklägerinnen.
C.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Wegen der Natur der einstweiligen Verfügungsverfahrens bedarfs es auch für die bestätigende Entscheidung über den Wiederspruch keines gesonderten Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit (Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 43. Auflage 2022, § 925 Rn. 2).