Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 26.01.2023 – B 7 S 23.30047
Titel:

Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit bei Abschiebehaft

Normenketten:
VwGO § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 1, § 83 S. 1
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
AsylG § 56, § 71 Abs. 4, § 80
BGB § 7 Abs. 1
Leitsatz:
Seinen Wohnsitz hat jemand dort, wo er sich ständig dh dauerhaft niederlässt, was bei bei einer Abschiebungshaft, die auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, nicht gegeben ist und es zudem bei einer Inhaftierung an dem erforderlichen Domizilwillen fehlt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Örtliche Zuständigkeit bei Abschiebehaft, Fehlen einer behördlichen „Zuweisungsentscheidung“, Ausländerrechtliche Sachbearbeitung durch die Bundespolizei, Eilrechtsschutz, Asylrecht, Syrien, Abschiebehaft, örtliche Gerichtszuständigkeit, Wohnsitz, Dauerhaftigkeit, Domizilwille
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2467

Tenor

Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist die Streitsache an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach.

Gründe

1
Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth ist für den vorliegenden Rechtsstreit örtlich nicht zuständig und verweist den Rechtsstreit deshalb nach Anhörung der Beteiligten an das örtlich zuständige Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).
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1. Nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach § 52 Nr. 3 VwGO (vgl. § 52 Nr. 2 Satz 3, Hs. 2 VwGO). Gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist bei Anfechtungsklagen gegen einen Verwaltungsakt, der von einer Behörde erlassen worden ist, deren örtliche Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Wohnsitz hat. Fehlt ein solcher Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Behörde, so bestimmt sich die Zuständigkeit gemäß § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO nach § 52 Nr. 5 VwGO, wonach in allen anderen Fällen das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte.
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2. Nach diesen Regelungen ist für den vorliegenden Rechtsstreit das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zuständig.
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a) Der Antragsteller hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Antragseingangs bei Gericht keine Pflicht nach dem Asylgesetz, seinen Aufenthalt in O. zu nehmen. Er wurde am 19.12.2022 in I., Landkreis D., Regierungsbezirk N. von der Polizeiinspektion D. aufgegriffen, der Bundespolizeiinspektion P. übergeben und in die Abschiebehafteinrichtung nach H. verbracht. Den Asylantrag stellte er am 05.01.2023 aus der Abschiebungshaft heraus. Eine asylrechtliche „Zuweisungsentscheidung“ für den Antragsteller liegt nicht vor.
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b) Angesichts des klaren gesetzlichen Wortlautes des § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO, wonach es für die gerichtliche Zuständigkeit darauf ankommt, in welchem Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat, ist schon fraglich, ob bei einer Inhaftierung des Asylbewerbers unmittelbar nach dessen Einreise – und ohne dass jemals eine behördliche „Zuweisungsentscheidung“ ergangen ist – in § 56 AsylG eine „Aufenthaltsbestimmung“ i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO gesehen werden kann. Bestimmungen über die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung bestimmen nämlich schon ihrer Natur nach nicht positiv, wo ein Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat, sondern regeln nur negativ, wo er dies nicht tun darf (VG Frankfurt/Oder, B.v. 26.10.2022 – 6 K 178/20.A – juris – Rn. 17).
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Selbst wenn man in § 56 Abs. 1 AsylG eine Aufenthaltsbestimmungsregelung nach dem Asylgesetz i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO sieht, folgt aus § 56 AsylG inhaltlich keine Aufenthaltsbestimmung dergestalt, dass der Antragsteller nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt in O. zu nehmen hat. Nach § 56 Abs. 1 AsylG ist die Aufenthaltsgestattung räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Antragstellung mangelt es jedenfalls an einer zuständigen Aufnahmeeinrichtung in O.. Es steht keineswegs fest, dass der Antragsteller, der in N. aufgegriffen wurde, bei einem „Hinwegdenken“ der Abschiebehaft, der bzw. einer Aufnahmeeinrichtung in O. „zugewiesen“ worden wäre. Er wurde bei keiner Aufnahmeeinrichtung vorstellig bzw. „vorgemerkt“. Aus der – wohl vorsorglich erstellten – Anlaufbescheinigung der Bundespolizeiinspektion P. vom 20.12.2022 (Bl. 17 der Behördenakte) ergibt sich ebenfalls keine für den Antragsteller zuständige Aufnahmeeinrichtung. Eine solche folgt auch nicht zwingend aus dem Umstand, dass die Anhörung des Antragstellers im Asylverfahren in der Haftanstalt durch die Außenstelle des BAMF in B. durchgeführt wurde. Die Bestimmung der für den jeweiligen Asylbewerber zuständigen Aufnahmeeinrichtung hängt vielmehr von einer Vielzahl von Faktoren ab, insbesondere ob die Aufnahmeeinrichtung, bei der sich der Asylsuchende gemeldet hat, über einen Unterbringungsplatz im Rahmen der Quote nach § 45 AsylG verfügt und ob die ihr zugeordnete Außenstelle des Bundesamtes Asylanträge aus dem Herkunftsland des Ausländers bearbeitet (vgl. § 46 AsylG und die landesrechtlichen „Umsetzungen“, insbesondere durch §§ 44, 50 AsylG i.V.m. Art. 2 ff. AufnG und §§ 2ff. DVAsyl).
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Aus § 56 Abs. 2 AsylG folgt ebenfalls keine Aufenthaltsbestimmung für O., da kein „Aufenthaltswechsel“ in den Bezirk einer anderen Ausländerbehörde erfolgt ist. Der Antragsteller war nämlich vor der Inhaftierung keiner „Ausländerbehörde“ bzw. keinem Bezirk einer Ausländerbehörde zugeordnet. Vielmehr wurde – im Übrigen auch nach der Inhaftierung – die ausländerrechtliche Sachbearbeitung mangels (zuständiger) Ausländerbehörde von der Bundespolizeiinspektion P. durchgeführt. Insoweit unterscheidet § 71 Abs. 4 AsylG auch zwischen Ausländerbehörden und der Bundespolizei, selbst wenn dieser materiell-rechtlich die ausländerrechtliche Sachbearbeitung obliegt.
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Soweit in Teilen der Rechtsprechung (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 18.1.2001 – 21 S 00.32364 – juris) angenommen wurde, der Asylantragsteller habe durch eine gerichtlich angeordnete Inhaftierung einen behördlich bestimmten Aufenthalt, führt dies nach Auffassung des hiesigen Gerichts im Falle der hier vorliegenden Abschiebehaft in H. nicht dazu, dass das Verwaltungsgericht Bayreuth nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Hs. 1 VwGO analog örtlich zuständig wäre. Für eine analoge Anwendung des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO – da ja der Aufenthalt in H. gerade nicht nach den Vorschriften des Asylgesetzes angeordnet wurde (vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2001 – 21 S 00.32364 – juris Rn. 8) – bedürfte es zunächst einer planwidrigen Regelungslücke, die angesichts des „ausgefeilten Systems“ der örtlichen Zuständigkeit in § 52 VwGO schon nicht erkennbar ist (vgl. hierzu umfassend: VG Frankfurt/Oder, B.v. 26.10.2022 – 6 K 178/20.A – juris – Rn. 4 ff.). Gestützt wurde die damalige Auffassung des BayVGH auf die inzwischen ersatzlos aufgehobene Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, der bestimmte, dass in den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG, also wenn sich der Asylbewerber in Haft befunden hatte, sich die Aufenthaltsgestattung räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, in dem sich der (inhaftierte) Ausländer aufhält (vgl. hierzu: VG Frankfurt, B.v. 26.10.2022 – 6 K 178/20.A – juris Rn. 9 u. 10; VG Bayreuth, B.v. 19.1.2023 – B 3 K 23.30031).
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Der Antragsteller war damit nicht nach dem Asylgesetz verpflichtet, seinen Aufenthalt im Bezirk des Verwaltungsgerichts Bayreuth zu nehmen. Der Antragsteller war zwar verpflichtet, sich in der Abschiebehafteinrichtung H. aufzuhalten, diese Pflicht folgte aber nicht aus dem Asylgesetz, sondern beruhte auf einem richterlichen Beschluss.
10
c) Nachdem die Vorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO nicht anwendbar ist, ist § 52 Nr. 3 Satz 1 und 2 VwGO einschlägig. Da es sich bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge um eine Behörde handelt, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, ist maßgeblich, ob der Antragsteller einen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Verwaltungsgerichts Bayreuth hat. Der Antragsteller hatte hier jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt des Antragseingangs keinen Wohnsitz im Sinne des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO. Seinen Wohnsitz hat jemand nach § 7 Abs. 1 BGB dort, wo er sich ständig niederlässt. Die danach für die Begründung eines Wohnsitzes jedenfalls notwendige Dauerhaftigkeit ist bei einer Abschiebungshaft, welche nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, nicht gegeben. Im Übrigen fehlt bei einer Inhaftierung der für die Begründung eines Wohnsitzes erforderliche Domizilwille (vgl. VG Frankfurt, B.v. 26.10.2022 – 6 K 178/20.A – juris Rn. 23). Dass der Antragsteller andernorts einen Wohnsitz nach § 7 BGB in Deutschland begründet hat, ist nicht ersichtlich.
11
d) Die örtliche Zuständigkeit richtet sich damit gemäß § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO nach § 52 Nr. 5 VwGO. Danach ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte (hier die Antragsgegnerin) seinen Sitz hat. Dies ist hier der Behördensitz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in N.. N. liegt im Regierungsbezirk M., weshalb das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach zuständig ist (Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 BayAGVwGO). Daran ändert auch nichts, dass der Antragsteller am 24.01.2023 aus der Abschiebehaft entlassen wurde. Maßgeblich ist die gerichtliche Zuständigkeit im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar § 80 AsylG.