Titel:
Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten, Terminsgebühr bei telefonischer Unterredung, Kundgabe der Abhilfe vor inhaltlicher Erörterung der Sache, „Non liquet“-Situation, Anwaltliche Versicherung, Beweislast im Verwaltungsprozess
Normenketten:
VwGO § 165
VwGO § 151
VwGO § 108 Abs. 1
VwGO § 86
VV-RVG Nr. 3100
Vorb. 3 Abs. 3 zu Teil 3 VV-RVG
Schlagworte:
Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten, Terminsgebühr bei telefonischer Unterredung, Kundgabe der Abhilfe vor inhaltlicher Erörterung der Sache, „Non liquet“-Situation, Anwaltliche Versicherung, Beweislast im Verwaltungsprozess
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2466
Tenor
1. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.07.2022 wird zurückgewiesen.
2. Der Erinnerungsführer hat die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Erinnerungsführer wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.07.2022, soweit die Festsetzung der beantragten Terminsgebühr abgelehnt wurde.
2
Mit Beschluss vom 04.05.2022 stellte das Gericht das infektionsschutzrechtliche Klageverfahren (§§ 56 ff. IfSG) ein, legte – aufgrund einer Kostenübernahmeerklärung – die Kosten des Verfahrens dem Erinnerungsgegner auf und setzte den Streitwert auf 19.059,81 EUR fest.
3
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 24.05.2022 machte der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers unter Zugrundelegung des vorgenannten Streitwerts eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG in Höhe von 1.068,60 €, eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG in Höhe von 986,40 €, eine 1,0 Erledigungsgebühr nach Nrn. 1003, 1002 VV-RVG in Höhe von 822,00 €, die Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VV-RVG in Höhe von 20 € sowie 19% Umsatzsteuer auf diese Beträge nach Nr. 7008 VV-RVG, mithin insgesamt 3.447,43 € geltend.
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Zur Begründung der geltend gemachten Termins- und Erledigungsgebühr wurde im Wesentlichen ausgeführt, auf den Anruf des Vertreters des Erinnerungsgegners vom Morgen des 26.04.2022 sei am Mittag durch den Bevollmächtigen des Erinnerungsführers ein Rückruf erfolgt. Der Vertreter des Erinnerungsgegners habe um einstweilige Zurückstellung des Akteneinsichtsgesuchs gebeten, dem gefolgt worden sei. Zudem sei über die Parallelität mit dem Verfahren der Ehefrau des Erinnerungsführers und den dort erlassenen Abhilfebescheid gesprochen worden. Seitens des Erinnerungsgegners habe man auch im hiesigen Verfahren die Prüfung einer solchen Abhilfe in Aussicht gestellt. Der Vertreter des Erinnerungsgegners habe darauf hingewiesen, dass er a) niemandem vorgreifen wolle und b) im Unterschied zum Fall der Ehefrau hier keine explizite Quarantäneanordnung betreffend den Erinnerungsführer bei den Akten sei. Es sei übereinstimmend festgestellt worden, dass der Erinnerungsführer aber in der Auflistung des Landratsamtes zu den von der Quarantäne Betroffenen namentlich aufgelistet sei. Der Vertreter des Erinnerungsgegners habe hieraufhin intern prüfen wollen, ob die namentliche Erwähnung in der bei den Akten befindlichen Auflistung aller quarantänebetroffenen Praxismitarbeiter vorliegend ausreichend sei. Er, der Bevollmächtige des Erinnerungsführers, habe im Nachgang zum Telefonat die Quarantäneverfügung mit E-Mail vom 26.04.2022 beim Erinnerungsführer angefordert. Namentlich mit Änderungsbescheid vom 27.04.2022 sei dann die Verdienstausfallentschädigung, wie zuletzt beantragt, gewährt und das Klageverfahren sodann in der Hauptsache für erledigt erklärt worden.
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Am Entstehen einer Termingebühr infolge der am 26.04.2022 fernmündlich geführten Unterhaltung der beiden Parteivertreter bestünden keine Zweifel. Entscheidend sei weder die zeitliche Dauer des Gesprächs, noch dessen Veranlassung oder Ergebnis. Entscheidend sei gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG neben ihren Teilnehmern allein der Inhalt einer solchen Besprechung. Insbesondere da der Erinnerungsgegner nur die Prüfung einer Abhilfe in Aussicht gestellt, nicht jedoch diese zugesagt habe, sei der Gebührentatbestand ausgelöst worden.
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Der Erinnerungsgegner führte zum Kostenfestsetzungsantrag mit Schriftsatz vom 01.06.2022 im Wesentlichen aus, es bestünden keine Einwände gegen die Festsetzung einer Erledigungsgebühr, allerdings werde der Festsetzung einer Terminsgebühr widersprochen. Zutreffend habe ein Telefonat am 26.04.2022 stattgefunden. Bei diesem Telefonat habe der Vertreter des Erinnerungsgegners jedoch lediglich mitgeteilt, dass dem Klagebegehren abgeholfen und daher keine Aktenvorlage an das Gericht erfolgen werde, womit sich der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers einverstanden erklärte habe. Anlass für den Anruf sei ausschließlich der Umstand gewesen, dass in der Klageschrift vom 20.04.2022 über das Gericht um Gewährung von Einsicht in die Behördenakten ersucht worden sei, um eine Klagebegründung fertigen zu können. Angesichts der behördenintern bereits angestoßenen Abhilfeprüfung habe der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers lediglich darüber in Kenntnis gesetzt werden sollen, dass dieser nichts weiter veranlassen müsse und sich auch nicht darüber verwundern solle, wenn ihm durch das Gericht keine Akteneinsicht gewährt werde. Dieses Vorgehen entspreche der üblichen Praxis im Falle einer bereits behördenintern angestoßenen Abhilfeprüfung mit der Intention der Reduzierung des Bearbeitungsaufwandes. Das Telefonat habe zudem ausweislich eines Screenshots des Diensthandys nur zwei Minuten gedauert. Angesichts der Kürze des Telefonats sowie der lediglich informatorischen, einseitigen Mitteilung der veranlassten Abhilfe sei keine Terminsgebühr angefallen. Das Telefonat sei vielmehr schon durch die allgemeine Verfahrensgebühr, jedenfalls aber durch die zugestandene Erledigungsgebühr, abgegolten.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.07.2022 setzte der Urkundsbeamte – unter Ablehnung der Terminsgebühr – die Kosten auf 2.273,61 € fest.
8
In der Begründung führte der Urkundsbeamte aus, eine Erweiterung der Terminsgebühr auf Besprechungen der Verfahrensbeteiligten untereinander werde nur honoriert, wenn die Kausalität der Mitwirkungshandlung des Rechtsanwaltes für eine unstreitige Erledigung des Rechtsstreits vorliege. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, da die Initiative des Gesprächs eindeutig vom Erinnerungsgegner ausgegangen sei. Das Gespräch habe nach Darlegung des Erinnerungsgegners ausschließlich die Zielsetzung gehabt, darüber zu informieren, dass in dieser Angelegenheit keine Aktenvorlage an das Gericht erfolgen werde, da eine Abhilfe beabsichtigt sei. Dies sei insbesondere deshalb auch glaubhaft, da ein anderer Anlass für das Telefonat nicht erkennbar sei. Dass mögliche Unterschiede des Verfahrens im Vergleich zum Parallelverfahren der Ehefrau zur Sprache gekommen seien, vermöge hieran nichts zu ändern. Selbst wenn der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers – was der Akte nicht entnehmbar sei – die förmliche Quarantäneanordnung erhalten und an den Erinnerungsgegner weitergeleitet habe, sei dies der allgemeinen Verfahrensförderung zuzurechnen gewesen und somit durch die festgesetzte Verfahrensgebühr abgegolten.
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Mit Schriftsatz vom 12.08.2022 stellte der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers
Antrag auf gerichtliche Entscheidung/Erinnerung
gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Rechtsauffassung des Urkundsbeamten, dass keine Terminsgebühr festzusetzen gewesen sei, sei verfehlt. Zum einen stelle dieser zu Unrecht darauf ab, von welcher Seite die Initiative ausgegangen sei und dass es auf eine Kausalität der anwaltlichen Mitwirkungshandlung ankomme. Darüber hinaus sei auch die Bemühung des Bevollmächtigten des Erinnerungsführers, die Quarantäneanordnung vom Erinnerungsführer zu erhalten, zu Unrecht als bloße allgemeine Verfahrensförderung qualifiziert worden. Vom Urkundsbeamten sei völlig übersehen worden, dass seit der Neufassung des RVG zum 01.01.2021 klargestellt werde, dass eine sog. fiktive Terminsgebühr auch dann anfalle, wenn keine Einigung getroffen worden sei. Dabei sei es der gesetzgeberische Wille gewesen, bei Rechtsanwälten verstärkt einen Anreiz dafür zu schaffen, dass sie zur Vermeidung oder Erledigung von Rechtsstreitigkeiten beitragen und damit dem Gericht Aufwand ersparten. Daher komme es gerade nicht darauf an, aus welchen Motiven eine außergerichtliche Besprechung geführt werde oder ob diese zum Erfolg führe. Vielmehr sei die Terminsgebühr bereits dann verdient, wenn der Rechtsanwalt an einer auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts mitwirke. Es seien lediglich ernsthafte Bemühungen eines Prozessbevollmächtigten um einen Abschluss des Verfahrens ohne Beteiligung des Gerichts verlangt. Da man sowohl vor als auch nach dem Telefonat mit der Behörde in Kontakt gestanden habe um das Verwaltungsverfahren zu beenden, bestünde nach geltendem RVG-Recht kein Zweifel am Anspruch auf Festsetzung und Erstattung auch und gerade einer Terminsgebühr.
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Der Prozessbevollmächtigte des Erinnerungsgegners schloss sich mit Schriftsatz vom 18.08.2022 den Ausführungen des Urkundsbeamten im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.07.2022 an.
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Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte diese mit Schreiben vom 25.08.2022 dem Gericht zur Entscheidung vor.
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Mit Schriftsatz vom 27.12.2022 verwies der Prozessbevollmächtigte des Erinnerungsgegners auf den Beschluss des HessVGH vom 04.08.2022 (5 E 400/22), wonach es am Entstehen einer Terminsgebühr fehle, wenn das Telefonat geführt werde, nachdem ein Beteiligter die Absicht zur vollumfänglichen Aufhebung des Bescheids zuvor schon klar bekundet habe.
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Der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers hielt mit Schriftsatz vom 03.01.2023 an seiner Auffassung fest, insbesondere ändere das Urteil des VGH Kassel am Anfall der Terminsgebühr nichts, da kein Telefonat geführt worden sei, nachdem ein Beteiligter die Absicht zur vollumfänglichen Aufhebung des Bescheids zuvor schon klar bekundet habe.
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Im Übrigen wird auf die Gerichtsakten der Verfahren B 7 M 22.797 und B 7 K 22.417 sowie auf die Behördenakte Bezug genommen.
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1. Das Gericht entscheidet über die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Gerichts in der Besetzung, in der die zugrundeliegende Kostenlastentscheidung (Ziffer 2 des Einstellungsbeschlusses vom 04.05.2022) getroffen wurde, vorliegend also durch den Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 29.12.2004 – 9 KSt. 6/04 – juris Rn. 3).
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2. Die zulässige Erinnerung (vgl. § 165 VwGO i.V.m. § 151 VwGO entsprechend) hat keinen Erfolg. Der Erinnerungsführer hat keinen Anspruch auf Festsetzung der beantragten Terminsgebühr.
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a) Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 zu Teil 3 und Nr. 3104 VV-RVG entsteht die Terminsgebühr u.a. für die Mitwirkung an außergerichtlichen Besprechungen, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtet sind. Zwar reicht für die Entstehung der Terminsgebühr auch eine lediglich telefonische Besprechung aus. Voraussetzung für die Entstehung der Gebühr ist jedoch, dass es überhaupt zu einer inhaltlichen Ausrichtung auf eine Verfahrenserledigung kommt, wozu etwa Vergleichsgespräche im eigentlichen Sinne oder die Entgegennahme eines gegnerischen Vergleichsvorschlags zum Zwecke der Prüfung gehören. Der Gebührentatbestand setzt mithin voraus, dass der Rechtsanwalt an einer Besprechung mitgewirkt hat, die objektiv auf die Vermeidung oder – hier beansprucht – Erledigung des Verfahrens gerichtet gewesen ist. Am Gebührentatbestand fehlt es hingegen, wenn das Telefonat geführt wird, nachdem ein Beteiligter die Absicht zur vollumfänglichen Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zuvor schon klar bekundet hat (vgl. zum Ganzen: HessVGH, B.v. 4.8.2022 – 5 E 400/22 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.). Entsprechendes gilt nach Auffassung des Gerichts, wenn die Absicht zur Abhilfe nicht gesondert vorab bekundet wurde, sondern (erst) im Rahmen des Telefonats vor inhaltlichen Erörterungen in der Sache, d.h. in der Regel schon zu Beginn des Gespräches, die beabsichtigte Abhilfe klar bekundet wurde.
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Der Prozessvertreter des Erinnerungsgegners erklärte insoweit im Kostenfestsetzungsverfahren, er habe lediglich beim Bevollmächtigten angerufen, um mitzuteilen, dass keine Aktenvorlage erfolge, da dem Klagebegehren abgeholfen werde. Nach dem Vortrag des Bevollmächtigten des Erinnerungsführens habe der Prozessvertreter des Erinnerungsgegners dagegen (nur) die Prüfung einer solchen Abhilfe in Aussicht gestellt und darauf verwiesen, dass er niemandem vorgreifen wolle sowie, dass keine explizite Quarantäneanordnung betreffend den Erinnerungsführer bei den Akten sei. Damit existieren widersprüchliche Angaben darüber, ob – und ggf. wann – im Rahmen des Telefonates eine klare Bekundung der Abhilfe durch den Prozessvertreter des Erinnerungsführers erfolgt ist. Die unterschiedlichen Schilderungen dahingehend, ob der Prozessvertreter des Erinnerungsgegners im Telefonat am 26.04.2022, ggf. vor einer materiell-inhaltlichen „Besprechung“, die Absicht zur Abhilfe klar bekundet hat – d.h. mitgeteilt hat, dass der Entscheidung in der Sache keine Zweifel mehr entgegenstehen und eine Prüfung der möglichen Abhilfe positiv abgeschlossen wurde, ist jedoch entscheidungserheblich für die Frage, ob die Terminsgebühr „ausgelöst“ wurde.
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b) Das Gericht ist bei Würdigung und Abwägung aller für die Feststellung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts erheblichen Tatsachen weder zu der Überzeugung i.S.d. § 108 VwGO gelangt, dass im Rahmen des streitgegenständlichen Telefonats eine Abhilfeentscheidung rechtzeitig und deutlich bekundet wurde, noch, dass materiell-rechtliche Erörterungen in der Sache erfolgt sind und eine Prüfung der Abhilfe (nur) in Aussicht gestellt wurde. Vorliegend ist vielmehr eine sog. „non liquet“-Situation gegeben. Eine formelle Beweislast in dem Sinne, dass ein Beteiligter – wie etwa im Zivilprozess – einen Beweis für einen behaupteten Umstand zu führen hat, existiert im Verwaltungsprozess infolge des hier geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht. Dagegen gilt auch im Verwaltungsprozess der Grundsatz der materiellen Beweislast, wonach derjenige die nachteiligen Folgen der Unerweislichkeit („non liquet“) eines Sachverhalts trägt, dessen Anspruch oder Einwendung die streitige Tatsache zur Voraussetzung hat. Wer aus einer Norm eine ihm günstige Rechtsfolge ableitet, trägt damit die (materielle) Beweislast, wenn das Gericht in Erfüllung seiner Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zu seiner vollen Überzeugungsgewissheit („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“) weder feststellen noch ausschließen kann (vgl. BVerwG, U.v. 6.5.2021 – 2 C 10/20 – juris Rn. 19; OVG Bremen, B.v. 12.1.2023 – 2 LA 140/22 – juris Rn. 19 ff.; BayVGH, B.v. 4.6.2020 – 6 ZB 20.647 – juris Rn. 5 ff.).
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Aufgrund der Unerweislichkeit des (genauen) Gesprächsverlaufes vom 26.04.2022 geht daher die materielle Beweislast zu Lasten des Erinnerungsführers, der den gebührenrelevanten Sachverhalt behauptet (vgl. v. Seltmann in: BeckOK RVG, Vorb. 3 VV-RVG Rn. 8; OVG Koblenz, B.v. 8.6.2005 – 14 W 366/05 – juris Rn. 10; FG Sachsen-Anhalt, B.v. 14.1.2014 – 3 KO 987/13 – juris Rn. 38).
22
aa) Kein maßgebliches Indiz für den Inhalt und den Verlauf des Telefonats ist die unstreitig kurze Dauer von weniger als drei Minuten. Auch in dieser Zeit wäre es unproblematisch möglich gewesen, sich über einen materiell noch nicht erledigten Rechtsstreit „in der Sache“ zu besprechen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Gesetzesreform zum 01. Januar 2021 verbietet es sich, auch nur kurze Gespräche von der Terminsgebühr auszunehmen, soweit diese tatsächlich eine Besprechung i.S.d. Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 zu Teil 3 VV-RVG darstellen.
23
bb) Das Gericht sieht in der vom Bevollmächtigten an den Erinnerungsführer gerichteten E-Mail vom 26.04.2022, 15:07 Uhr (Bl. 23 des Kostenakts), mit der dieser sich nach einer individuellen Quarantäneanordnung für den Erinnerungsführer erkundigt, keinen hinreichenden Beleg dafür, dass der Erinnerungsgegner die Abhilfe nur in Aussicht gestellt hat. Zwar findet sich dort u.a. die Formulierung, die … „prüft nämlich aktuell auf unsere direkt und außergerichtlich erfolgten Ausführungen hin die Möglichkeit einer Abhilfeentscheidung – noch ganz ohne den entsprechenden richterlichen Hinweis“. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die E-Mail unmittelbar im Anschluss an das Telefonat (26.04.2022, 14:52 Uhr) – also zu einem Zeitpunkt, in dem Gesprächsinhalte meist noch besonders präsent sind – verfasst wurde. Gleichwohl wird durch den Wortlaut der E-Mail nur die Interpretation des Telefonats durch den Bevollmächtigten des Erinnerungsführers deutlich, die vom Erinnerungsgegner gerade „bestritten“ wird.
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cc) Aufgrund der vorstehend zitierten E-Mail gelangt das Gericht auch nicht zur Überzeugung, dass die Vorlage einer individuellen Quarantäneanordnung für die Abhilfeentscheidung zwingend notwendig gewesen ist und daher die Abhilfe im Zeitpunkt des Telefonats noch nicht feststehen konnte. Der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers bezieht sich in der E-Mail auf eine „fernmündliche Rückmeldung der …“, bei der „aufgefallen“ ist, dass sich „bislang noch keine förmliche Quarantäneanordnung bei den Akten befindet.“ Es bleibt aber letztlich unklar, warum sich der Bevollmächtigte beim Erinnerungsführer nach einer Quarantäneanordnung erkundigt hat, insbesondere, ob dies auf Bitten/Verlangen des Vertreters des Erinnerungsgegners im besagten Telefonat erfolgt ist. Zwar könnte die Bezugnahme auf das Telefonat bzw. der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Telefonat und der E-Mail an den Erinnerungsführer für ein Verlangen bzw. eine Bitte des Erinnerungsgegners – und damit für eine konstitutive Voraussetzung einer Abhilfeentscheidung – sprechen. Andererseits ist nach Aktenlage dem Erinnerungsgegner die individuelle Quarantäneanordnung offensichtlich niemals – jedenfalls nicht vor Erlass des Abhilfebescheids am 27.04.2022 – vorgelegt worden, so dass der Erinnerungsgegner trotz des Fehlens der Quarantäneanordnung eine Sachentscheidung in Form des Abhilfebescheids getroffen hat. Dafür, dass die Vorlage der Quarantäneanordnung in gegenwärtigen Fall gerade keine zwingende Voraussetzung für die Abhilfeentscheidung war, spricht – neben der Tatsache, dass diese dem Erinnerungsführer offensichtlich bis heute nicht vorliegt – auch der Umstand, dass in anderen zeitgleichen Quarantänefallen in der Praxis des Erinnerungsführers ebenfalls Sachentscheidungen über die Erstattungsanträge allein aufgrund der tabellarischen Auflistung der betroffenen Mitarbeiter durch das Gesundheitsamt (vgl. Bl. 12/13 sowie Bl. 81 der Behördenakte und Bl. 36 der Gerichtsakte) und ohne Vorlage der jeweiligen Individualanordnungen ergangen sind.
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dd) Letztlich spricht – neben dem Aspekt, dass der (schriftliche) Abhilfebescheid schon einen Tag nach dem Telefonat erlassen wurde – auch der Inhalt der Behördenakte ab Bl. 68 dafür, dass die Abhilfeentscheidung zum Zeitpunkt des Telefonates bereits feststand. Nach Bl. 68 der Behördenakte hat der Prozessvertreter des Erinnerungsgegners schon unmittelbar nach Eingang der Klageschrift, nämlich am 22.04.2022, über seine „Assistenzkraft“ das intern zuständige Sachgebiet 55.2 per E-Mail gebeten, einen „Abhilfebescheid zwecks Weitergabe ans das Gericht und Abgabe einer Erledigterklärung“ zu übersenden. Der zuständige Verantwortliche im Sachgebiet 55.2 hat offensichtlich daraufhin – noch vor dem Telefonat – die zuständige Sachbearbeiterin informiert, die wiederum bereits am 26.04.2022 um 11:13 Uhr – und damit ebenfalls vor dem Telefonat – die Entschädigungsberechnung intern übermittelte (vgl. Bl. 81 der Behördenakte).
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ee) Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass sowohl Indizien für und gegen den Anfall der Terminsgebühr vorliegen. Das Gericht kann jedoch die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für den Anfall der Terminsgebühr zu seiner vollen Überzeugungsgewissheit weder feststellen noch ausschließen, so dass die Unerweislichkeit zu Lasten des Erinnerungsführers geht. Dem steht auch die „anwaltliche Versicherung sämtlicher Voraussetzungen der beantragten Terminsgebühr“ (vgl. Bl. 20 der Gerichtsakte) nicht entgegen. Eine anwaltliche Versicherung entbindet das Gericht nämlich nicht von der freien Würdigung des gesamten Vorbringens im Sinne von § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Gelsenkirchen, B.v. 17.9.2018 – 8 L 1655/18 – juris Rn. 22), insbesondere wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten (BayVGH, B.v. 19.2.2018 – 20 ZB 18.30175 – juris Rn. 1).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wobei das Verfahren nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gerichtsgebührenfrei ist.