Titel:
Vorläufige Unterbringung: Bekanntgabe des ärztlichen Zeugnisses - Gefahrenprognose
Normenketten:
BayPsychKHG Art. 5 Abs. 1
FamFG § 34 Abs. 2, § 288 Abs. 1, § 319 Abs. 2, § 331 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Für die gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayPsychKHG vorzunehmende Gefahrenprognose sind insbesondere die Persönlichkeit des Betroffenen, sein früheres Verhalten, seine aktuelle Befindlichkeit und die zu erwartenden Lebensumstände maßgeblich. Bei Unberechenbarkeit des Verhaltens einer Person mit einer psychischen Störung ist es ausreichend, wenn mit einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern jederzeit zu rechnen ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Verfahren über die vorläufige Unterbringung genügt es, wenn das gemäß § 331 Abs. 1 Nr. 2 FamFG erforderliche ärztliche Zeugnis zu Beginn der Anhörung übergeben wird und/oder, falls die Umstände dies wegen Einschränkungen oder Beschränkungen (zB Fixierung) des Betroffenen erfordern, anderweitig im Wesentlichen bekannt geben wird. (Rn. 40 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist eine Aushändigung an den Betroffenen oder die eigenständige Lektüre von diesem nicht erwünscht, weil er sich zum eigenständigen Studium nicht in der Lage sieht, ist die eigenständige Lektüre nicht zumutbar oder sachgerecht oder ist die Aushändigung und Lektüre nicht möglich, muss sich trotzdem aus Form und Inhalt der Bekanntgabe die Möglichkeit für den Betroffenen ergeben, das ärztliche Zeugnis kritisch zu prüfen und Einwände gegen seine Begründung zu formulieren. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. In jedem Fall muss spätestens mit dem Beschluss das ärztliche Zeugnis übersendet werden, wenn es nicht bereits anderweitig dem Betroffenen in Ablichtung ausgehändigt wurde. Auch die Erörterung des Ergebnisses des Zeugnisses ist zwingend. Von der Übersendung des ärztlichen Zeugnisses und der Erörterung des Ergebnisses kann daher nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG und § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufige Unterbringung, psychische Störung, Gefahrenprognose, unberechenbares Verhalten, Beeinträchtigung von Rechtsgütern, ärztliches Zeugnis, Bekanntgabe, Erörterung, Anhörungstermin
Vorinstanz:
AG Regensburg, Beschluss vom 21.07.2023 – XIV 871/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24662
Tenor
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts … vom…, Az. XIV 891/23 (L), wird zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Betroffene gegen seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach BayPsychKHG.
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Am 20.7.23 wurde der Betroffene von der Polizei sofortig vorläufig nach Art. 12 BayPsychKHG untergebracht. Der Betroffene habe bei der Einsatzzentrale gemeldet, dass jemand im Anwesen vergewaltigt würde und eine Person eine Schusswaffe habe. Er habe bei Eintreffen apathisch gewirkt und habe verwirrende Angaben gemacht. Er habe per Telepathie erfahren, dass seine nicht näher benannte Freundin im 2. OG vergewaltigt würde, was sich als reine „Erfindung“ rausgestellt habe. Vor Ort sei er völlig orientierungslos und apathisch gewesen. Er habe angegeben aktuell Marihuanna konsumiert zu haben und zwei Tage vorher Amphetamin. Er sei sofort behandlungsbedürftig, da er schizophren wirke.
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Am 21.7.23 beantragte das BKH … mit ärztliche Zeugnis vom gleichen Tag die Unterbringung nach BayPsychKHG:
„Informationen zum Sachverhalt/Umstände der Aufnahme:
Wiederholte stationäre Aufnahme des […] Patienten in polizeilicher Begleitung mit Art 5.1. BayPsychKHG aufgrund akuter Selbstgefährdung bei bekannter Schizophrenie, Amphetaminintoxikation und THC-Missbrauch. Aktuell zeigt sich die Anamneseerhebung äußerst schwierig. [Er] möchte nicht sprechen, sondern in Ruhe gelassen werden, rauchen und runterkommen. Er berichtet THC konsumiert zu haben, Amphetamin sei ihm untergemischt worden.
Aktuell keine akute Suizidalität, Fremdgefährdung bei starker Agitiertheit kann nicht ausgeschlossen werden.
Psychopathologischer Befund:
PPB: Pat. wach und bewusstseinsklar. Formalgedanklich beschleunigt, sprunghaft, logorrhoeisch.
Keine Ich-Störungen, Stimmung gehoben und affektiv gereizt, Psychotisch (seine Frau sei hier seit 3 Jahren eingesperrt und er müsse sie retten). Psychomotorisch zeigen sich Hyperkinesien. Aktuell keine akute Suizidalität sowie eine akute Fremdgefährdung kann aktuell nicht ausgeschlossen zu werden.
Bei der betroffenen Person wurde folgende psychische Störung bzw. psychische Erkrankung festgestellt: F20.0 Schizophrenie
F12.1 Schädlicher Gebrauch von Cannabinoiden
F15.1 Schädlicher Gebrauch von Amphetaminen“
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Es liege eine erheblich beeinträchtigte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit vor, er sei nicht in der Lage seinen freien Willen zu bilden und kundzutun. Das beruhe auf der Krankheit.
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Zur Gefährdung führt das ärztliche Zeugnis aus:
„Erhebliche Selbstgefährdung durch der Pat. zeigt sich aktuell bei bekannter Schizophrenie und nach Amphetamineinnahme und THC-Konsum akut psychotisch, denkzerfahren, logorrhoeisch sowie affektiv gereizt. Ein ausführliches Gespräch ist aufgrund des stark getriebenen Zustands zu keiner Zeit möglich. Zudem zeigen sich psychomotorisch ausgeprägte Hyperkinesen. Ausgeprägte Realitätsverkennung, formale und inhaltliche Denkstörungen, distanzlos im Kontakt.
Erhebliche Fremdgefährdung von Rechtsgütern anderer durch arg gereizten Zustand mit vordergründig verbaler Aggression, Beleidigung und Distanzminderung. Auch kommt der Patient bei Gesprächsversuchen dem Personal wiederholt körperlich sehr nahe, dabei bedrohlich. Läuft ununterbrochen im Stationsbereich umher, spricht dabei überwiegend mit sich selbst. Auf Ansprache reagiert er stark gereizt. Bedroht auch Mitpatientin, welche sich vor dem Patienten teilweise fürchten.
Im Falle einer Entlassen gehen wir von einer akuten Selbst und Fremdgefährdung bei gänzlich fehlender Krankheitseinsichts- und Steuerungsfähigkeit aus.“
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Die Unterbringung sei bis zum 1.9.23 erforderlich.
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Mit Beschluss vom 21.7.23 ordnete das Amtsgericht … die vorläufige Unterbringung bis zum 31.8.23 an und bestellte den Verfahrenspfleger.
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Am gleichen Tat später hörte das Amtsgericht den Betroffenen in Abwesenheit und ohne Information des Verfahrenspflegers an. Auf den Anhörungsvermerk wird verwiesen.
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Am 26.7.23 nahm der Verfahrenspfleger schriftlich Stellung.
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Am 31.7.23 (Eingang am 2.8.23) legte der Betroffene „Einspruch“ gegen die illegale Unterbringung im BKH ein. Er habe nur Leben der möglichen Unterdrückung aller Frauen versucht zu schützen. Er sei niemals verwirrt. Der Sachverhalt der Polizei sei nur teilweise richtig und er fordere seine sofortige Entlassung.
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Mit Beschluss vom 1.8.23 half das Amtsgericht der Beschwerde nicht ab und legte die Akten der Kammer vor.
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Am 28.7.23 beantragte das BKH … die Genehmigung des Einschluss im Time-Out-Raum: „Der Patient ist nach Art. 5.1 bayerisch PsychKHG auf der besch. Station 21A untergebracht. Er war heute bereits zweimal entwichen und wurde von Polizei wieder die Station gebracht. Im Anschluss war er zunehmend angespannt und erregt. Er geriet in massiven Erregungs- und Anspannungszustand, war massiv gereizt bedrohlich. Versuche ihn zu begrenzen reagierte zunehmend fremdaggressiv. Er war psychomotorisch massiv unruhig. Er verbal nicht auslenkbar, nicht erreichbar und steuerungsfähig. Daher war die Verbringung in den Zimmereinschluss bzw. Time-Out-Raum unumgänglich.“ Er sei schizophren und aktuell floride wahnhaft und regelhaft verkennend.
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Am 2.8.23 ergänzte das BKH wie folgt: „in Ergänzung unseres gestrigen Schreibens teilen wir mit, dass o.g. Patient heute Mittag erneut für die Dauer von knapp 90 Minuten im Time-out-Raum der Station war und beantragen hiermit die Genehmigung dieser unterbringungsähnlichen Maßnahme (Time-out-Raum) für die Dauer von 4 Wochen. Anlass für die Verbringung des Patienten in den Time-out-Raum war heute – wie bereits am 28.7. und am 31.7. – bedrohliches Verhalten – gegenüber Mitpatienten und Personal: Der Patient beschimpfte und beleidigte Mitpatienten grundlos, ging in als bedrohlich empfundener Manier sehr nahe an diese heran und schrie „wirres Zeug“ auf diese ein, was gemeinhin als angsteinflößend, in hohem Maße belästigend und bedrohlich erlebt wird und erfahrungsgemäß körperliche Abwehrreaktionen (auch reflektorischer Art) provoziert. Bei der Verbringung in den Time-out-Raum warf der Patient seinen Reisepass auf eine Krankenschwester und traf diese am Kopf.
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Der Patient hat sich im Time-out-Raum, zwar schnell beruhigt und konnte nach weniger als 90 Minuten wieder herausgenommen werden, es ist aber mit ähnlichen Vorkommnissen vergleichbarer Art zu rechnen, weswegen wir um die Genehmigung dieser unterbringungsähnlichen Maßnahme (für die Dauer von 4 Wochen) bitten. In diesem Zusammenhang sollte unserer Meinung nach auch bedacht werden, dass die Absonderung des Patienten im Time-out-Raum nicht nur der Verhinderung körperlich aggressiven Verhaltens durch räumliche Trennung von anderen Personen dient, sondern – manchmal sogar in erster Linie – der Reizabschirmung, worunter (krankheitsbedingt reizüberflutete) Patienten dann in der Regel schnell zur Ruhe kommen und insofern auch einen therapeutischen und fürsorglichen Charakter hat.“
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Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 2.8.23 wurde der Einschluss in den Time-Out-Raum genehmigt.
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Am 9.8.23 übertrug die Kammer nach Anhörung der Beteiligten das Verfahren dem Einzelrichter zu Entscheidung.
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Dieser hörte den Betroffenen am 2.8.23 in Anwesenheit des Verfahrenspflegers und einer Vertreterin der Stadt … an. Auf den Anhörungsvermerk wird verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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1. Die öffentlich-rechtliche Unterbringung kann grundsätzlich nur auf Antrag der Kreisverwaltungsbehörde erfolgen, Art. 15 und 16 BayPsychKHG und gilt auch für die auf die sofortige vorläufige Unterbringung folgende vorläufige gerichtliche Unterbringung.
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Allerdings ist die Verständigung des Gerichts durch die fachlichen Leitung der Einrichtung der Kreisverwaltungsbehörde zuzurechnen und ersetzt deren Antrag, wenn sie sich die Kreisverwaltungsbehörde nicht äußert: „Die Verständigung des Gerichts durch die Polizei oder die fachliche Leitung der Einrichtung (Art. 14 Abs. 1) ist der Kreisverwaltungsbehörde zuzurechnen (BayObLGZ 1990, 350, 355) und ersetzt, auch wenn sich diese nicht geäußert hat, deren Antrag (BayObLG, NJW 1992, 2709).“ (Lt-Drs. 17/2157, S. 41)
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Vorliegend wurde ausweislich der Akte die Stadt … von der Polizei informiert und anschließend durch die Übermittlung des Beschlusses nebst ärztlichem Zeugnis. Eine Äußerung ist zunächst nicht eingegangen. Die Stadt hat aber an der Anhörung teilgenommen und die Fortdauer der Unterbringung befürwortet.
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2. Wer auf Grund einer psychischen Störung, insbesondere Erkrankung, sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährdet, kann ohne oder gegen seinen Willen untergebracht werden, es sei denn seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist nicht erheblich beeinträchtigt, Art. 5 I BayPsychKHG.
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Dabei ist der Gesetzestext insofern einschränkend auszulegen, dass die Unterbringung nur möglich ist, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist. Dazu der BGH: „Eine öffentlich-rechtliche. Unterbringung nach Art. 5 I 1 BayPsychKHG setzt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift voraus, dass die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist.“ (BGH NJW 2021, 2582)
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Zum Begriff der erheblichen Gefahr des § 1 UnterbrG hat das BayObLG und weiterhin gültig zutreffend ausgeführt: „Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist in erheblichem Maß gefährdet, wenn mit der Beeinträchtigung eines entsprechenden Rechtsguts mit hoher Wahrscheinlichkeit und jederzeit zu rechnen ist und die Schutzwürdigkeit des gefährdeten Rechtsguts der Schwere des mit einer Unterbringung verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit entspricht (BayObLGZ 1999, 216 [218] = NJW 2000, 881).“ (BayObLG NJW-RR 2002, 795)
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Dieser Gefahrbegriff ist weiter aktuell, wie sich aus den Ausführungen des Gesetzgebers ergibt: „Da es sich um eine Befugnisvorschrift handelt, ist unter dem Gefahrenbegriff eine konkrete Gefahr zu verstehen. Unter einer konkreten Gefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der in Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter führt. Bei Eingriffen in die Freiheit der Person ist der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus verfassungsrechtlichen Gründen besonders sorgsam zu prüfen. Je bedeutsamer das gefährdete Rechtsgut ist und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Nach dieser Maßgabe gilt Folgendes: Eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern muss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
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Die Feststellung einer hundertprozentig sicheren Prognose ist nicht erforderlich. Für die Gefahrenprognose maßgeblich sind insbesondere die Persönlichkeit der betroffenen Person, ihr früheres Verhalten, ihre aktuelle Befindlichkeit und die zu erwartenden Lebensumstände. Bei Unberechenbarkeit des Verhaltens einer Person mit einer psychischen Störung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 ist es ausreichend, wenn mit einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern jederzeit zu rechnen ist.
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Durch die Gesetzesformulierung „erheblich“ wird vorausgesetzt, dass die Gefahr von erheblichem Gewicht sein muss. Die Schutzwürdigkeit der gefährdeten Rechtsgüter muss der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit entsprechen.“ (LT-Drs. 17/21573, S. 31).
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Diese Gefahr liegt vor.
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Der Beschwerdeführer gefährdet sich jedenfalls selbst. Der Beschwerdeführer ist, wie sich aus dem ärztlichen Zeugnis ergibt, psychotisch, denkzerfahren und leidet unter einer ausgeprägten Realitätsverkennung. Ausweislich der in Anwesenheit des Beschwerdeführers insoweit ergänzenden Ausführungen des behandelnden Arztes ist der Betroffene in diesem aktuell noch andauernden, wenn auch gebessertem Zustand, nicht in der Lage sich selbst zu versorgen, zu ernähren und zu pflegen. Er würde im Falle einer Entlassung sofort seine Medikation, die er in der Unterbringung einnimmt, absetzen und der Zustand, wie er bei der Aufnahme bestanden hat, wäre schnell wieder erreicht.
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Dem schließt sich die Kammer aufgrund das persönlichen Eindrucks in der Anhörung an. Der Betroffene redet pausenlos eindeutig wahnhaft gefärbte Inhalte auch mit Beziehungsfantasien. Er nimmt zwar Geprächsinhalte noch auf, antwortet dann aber meist mit einer Gegenfrage. Es ist unmöglich ihn dazu zu bringen kurz nicht zu sprechen. Er ist desorganisiert und sprunghaft, hat zum Beispiel den übergebenen Beschluss über die Übertragung auf den Einzelrichter zerrissen, wollte gehen, stand auf und setzte sich dann doch sofort wieder hin. Aufgrund der Realitätsverkennung ist daher ein eigenständiges Leben derzeit nicht möglich.
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Offen bleiben kann, ob daneben eine erhebliche Fremdgefährdung vorliegt. Denn beide Gefährdungen beruhen auf demselben Defekt und mit Besserung des Zustands fallen auch beide zeitgleich weg. Auch für die Frage der Verhältnismäßigkeit ist aktuell davon unbeeinflusst.
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Diese Gefahr ist auch eine erhebliche im oben dargestellten Sinn. Zwar ist aktuell in der Unterbringung und aufgrund der Medikation eine gewisse Beruhigung des Beschwerdeführers eingetreten, die Wahninhalte und Symptome sind allerdings weiterhin präsent und es ist keinesfalls damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer nach Entlassung freiwillig Medikamente einnehmen würde. Nur mit der Einnahme solcher Medikamente aber kann die Gefahr unter die Schwelle der Erheblichkeit gesenkt werden. Auch im aktuellen Zustand ist jederzeit damit zu rechnen, dass der Beschwerdeführer in Freiheit sein Leben nicht mehr eigenverantwortlich führen kann und ungesteuerte Handlungen gegenüber Dritten mit entsprechenden Reaktion oder im Straßenverkehr durchführt. Auch kann er sich keinesfalls selbst versorgen. Das Zeugnis ist insoweit weiter aktuell und wurde in der Anhörung mündlich ergänzt.
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Angesichts der bedrohten körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers ist die Unterbringung auch verhältnismäßig angesichts des Freiheitsrechts der Beschwerdeführerin.
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Das gilt auch für die derzeit genehmigte Unterbringungsdauer. Die Unterbringung ist noch für weitere 3 Wochen genehmigt. Der behandelnde Arzt hat insoweit ausgeführt, eine Verlegung auf eine offene Station wird in einigen Wochen möglich sein. Die Gesamtdauer von 6 Wochen ist daher weiterhin zutreffend und angesichts der starken psychopathologischen Auffälligkeiten auch nachvollziehbar.
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Diese Gefahr beruht auf der sachverständig festgestellten Schizophrenie. Die Symptome waren auch in der Anhörung durch die Kammer deutlich vorhanden und der Beschwerdeführer wäre ohne diesen Zustand natürlich nicht selbstgefährdet.
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Der freie Wille des Beschwerdeführers ist vollständig aufgehoben. Der freie Wille bezieht sich nach Ansicht der Kammer auf die Möglichkeit des Beschwerdeführers seine eigene Gefährdung zu erkennen oder zu steuern. Der Beschwerdeführer kann nicht erkennen, dass er aktuell in Freiheit nicht alleine zurechtkäme und sich durch unvorhersehbare Handlungen gefährdet. Er hat dies und seine Diagnose in der Anhörung in Abrede gestellt. Da er das nicht zu erkennen vermag, fehlt ihm daher der freie Wille. Dass das ärztliche Attest insoweit nur von einer erheblichen Beeinträchtigung ausgeht ist unschädlich und wiederholt nur den Gesetzestext. Es handelt sich um eine Rechtsfrage, die das Gericht auf Basis der sachverständig festgestellten Tatsachen selbst zu prüfen hat.
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3. Die Kammer hat die Anhörung wiederholt, weil sich aus der Akte nicht ergeben hat, dass die Anhörung in erster Instanz verfahrensfehlerfrei (stRspr vgl. nur BGH NJW 2013, 691 Rn. 10) erfolgt war und daher von ihrer Wiederholung nicht abgesehen werden konnte. Auf die Frage, ob von einer erneuten Anhörung neue Erkenntnisse zu erwarten sind, kommt es dabei nicht an. Denn die Voraussetzungen der verfahrensfehlerfreien Anhörung und der Erwartung, dass keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden können, müssen nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG kumulativ vorliegen.
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Aus der Akte ergibt sich nicht, dass bei der persönlichen Anhörung in ausreichendem Maß rechtliches Gehör gewährt wurde.
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Zwar wurde dem Betroffenen das ärztliche Zeugnis des BKH und der Polizeibericht mit dem Beschluss vom 21.7.23 übersendet. In der Anhörung wenig später am selben Tag konnte dem Betroffenen dieses ärztliche Zeugnis noch nicht vorgelegen haben, weil der Beschluss mit der Post übersendet wurde.
40
Nach § 319 Abs. 2 FamFG ist das rechtzeitig vor der Anhörung übermittelte Gutachten mit dem Betroffenen in der Anhörung zu erörtern (BGH Beschl. v. 22.3.2023 – XII ZB 498/22, BeckRS 2023, 11895 Rn. 4). Ein Gutachten ist zwar hier nach § 331 Abs. 1 Nr. 2 FamFG nicht erforderlich. An dessen Stelle tritt ein ärztliches Zeugnis. Damit gilt § 319 FamFG insoweit, als an die Stelle des Gutachtens das Zeugnis tritt. In der Anhörung ist daher das Ergebnis des Zeugnisses zu erörtern, wobei die Bekanntgabe der Diagnose nicht genügen kann. Vielmehr sind die Diagnose, die Gefahrenprognose und Erörterungen zum fehlenden freien Willen sowie zur voraussichtlichen Unterbringungsdauer erforderlich.
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Das Gesetz geht dabei in Umsetzung o.g. BGH-Rechtsprechung davon aus, dass das Gutachten vorher übermittelt wurde. Das ist typischerweise im Verfahren über die vorläufige Unterbringung nicht möglich. Das darf aber nicht dazu führen, dass rechtliches Gehör zum ärztlichen Zeugnis nicht in ausreichendem Maß gewährt wird. Den Anforderungen des Verfahrens über die einstweilige Anordnung ist aber natürlich Rechnung zu tragen.
42
Es genügt daher, wenn das ärztliche Zeugnis zu Beginn der Anhörung übergeben wird und/oder, falls die Umstände dies wegen Einschränkungen oder Beschränkungen (zB Fixierung) des Betroffenen erfordern, anderweitig im Wesentlichen bekannt geben wird. Dabei wird dem Betroffenen zu Beginn der Anhörung jedenfalls anzubieten sein, das ärztliche Zeugnis in Ablichtung zu überlassen und auch die Möglichkeit der Lektüre zu geben sein. Im Idealfall wird dazu Gelegenheit unter vier Augen mit dem Verfahrenspfleger zu geben sein. Selbstverständlich kann sich das Gericht für die Aushändigung des ärztlichen Zeugnisses dabei auch des Verfahrenspflegers als Boten bedienen, wenn es den Verfahrenspfleger damit beauftragt und dieser den Betroffenen vorher aufsucht. Auch kommt etwa in Betracht, dass durch die das Zeugnis ausstellende Stelle das Zeugnis nach Antragsstellung an den Betroffenen ausgehändigt wird und sich das Gericht davon in der Anhörung überzeugt.
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Ist eine Aushändigung an den Betroffenen oder die eigenständige Lektüre von diesem nicht erwünscht, weil er sich zum eigenständigen Studium nicht in der Lage sieht, ist die eigenständige Lektüre nicht zumutbar oder sachgerecht oder ist die Aushändigung und Lektüre nicht möglich, muss sich trotzdem aus Form und Inhalt der Bekanntgabe die Möglichkeit für den Betroffenen ergeben, das ärztliche Zeugnis kritisch zu prüfen. Damit kann die fehlende Vorbereitungszeit des Betroffenen kompensiert werden. Es müssen also Unterbringungsanlass, Psychopathologie und Symptome so dargelegt werden, dass der Betroffene Einwände gegen die Begründung des ärztlichen Zeugnisses formulieren kann. Von der Bekanntgabe dieser wesentlichen Inhalte kann allerdings abgesehen werden, wenn der Betroffene explizit darauf verzichtet, unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG analog (wenn zusätzlich der Verfahrenspfleger mit der Besprechung des Attestes beauftragt wird) oder, wenn der Betroffene nach § 34 Abs. 2 FamFG gar keinen (auch nicht natürlichen) Willen mehr kundtun kann. Es kommt hierbei nicht auf die Fähigkeit zur Bildung und Kundgabe eines rechtsgeschäftlichen Willens an, entscheidend ist der natürliche Wille. Eine Unfähigkeit, einen natürlichen Willen kundzutun, kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn der Beteiligte überhaupt keinen Willen mehr äußern kann (BeckOK FamFG/Burschel/Perleberg-Kölbel, 47. Ed. 1.8.2023, FamFG § 34 Rn. 11). Es genügt nicht, dass der Betroffenen keinen freien Willen mehr hat, denn er ist auch dann verfahrensfähig nach § 316 FamFG.
44
In jedem Fall muss spätestens mit dem Beschluss das ärztliche Zeugnis übersendet werden, wenn es nicht bereits anderweitig dem Betroffenen in Ablichtung ausgehändigt wurde. Auch die Erörterung des Ergebnisses des Zeugnisses ist zwingend. Von der Übersendung des ärztlichen Zeugnisses und der Erörterung des Ergebnisses kann daher nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG und § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden.
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Ist die Erörterung des Ergebnisses des Zeugnisses wegen des Verhaltens des Betroffenen nicht möglich, sind die Gründe dafür im Beschluss oder im Anhörungsvermerk darzulegen. Dabei kann es nicht genügen, wenn der Betroffene wie hier, zwar logorrhoisch ununterbrochen spricht, aber auf die bekanntgegeben Inhalte noch eingeht. Vielmehr muss offensichtlich sein, dass der Betroffene die vorgetragenen Inhalte überhaupt nicht wahrnehmen kann oder will. Dazu wird aber zumindest zu versuchen sein, mit der Erörterung des Ergebnisses zu beginnen.
46
Ist das vorgelegte ärztliche Zeugnis ergänzungsbedürftig und findet dazu ein Gespräch mit einem Arzt statt oder will sich das Gericht generell auf zusätzliche Angaben des Arztes stützen, ist der Inhalt dieses Gesprächs dem Betroffenen und dem Verfahrenspfleger in der Anhörung zur Kenntnis zu bringen (LG Stuttgart Beschl. v. 10.2.2022 – 19 T 46/22, BeckRS 2022, 1869 Rn. 39) oder idealerweise findet die Befragung des Arztes in Anwesenheit des Betroffenen statt und es wird die Gelegenheit zur Befragung gegeben.
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Die Beachtung dieser Formalitäten muss sich aus der Akte ergeben, etwa aus dem Beschluss oder Anhörungsvermerk. Ausnahmsweise kann die Kammer dies auch im Freibeweis feststellen, was jedoch angesichts der Vielzahl der Verfahren der Amtsrichter nachvollziehbar oftmals scheitert.
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Aus dem Anhörungsvermerk des Amtsgerichts ergibt sich vorliegend nur, dass der „Anhörungsgegenstand“ bekannt gegeben wurde, also wohl, das Thema der Anhörung die Prüfung der Unterbringung ist, und dass der Polizeibericht in Kopie zur Verfügung gestellt wurde auf Wunsch des Betroffenen. Aus dem Vermerk ergibt sich weder, dass das Ergebnis des ärztliche Zeugnis erörtert wurde, noch dass dem Betroffenen der wesentliche Inhalt des ärztlichen Zeugnisses oder eine Kopie übergeben wurde. Das aber wäre, wie dargestellt für eine verfahrensfehlerfreie Anhörung notwendig gewesen.
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Im Betreuungs- und Unterbringungsverfahren findet das rechtliche Gehör in der persönlichen Anhörung statt. In dieser müssen die verfahrensrelevanten Beweismittel auf die sich das Gericht stützen will, dem Betroffenen und dem Verfahrenspfleger bekannt sein, § 37 Abs. 2 FamFG und Art. 103 Abs. 1 GG (für ein Gutachten BGH Beschl. v. 22.3.2023 – XII ZB 498/22, BeckRS 2023, 11895 Rn. 4) Das lässt sich vorliegend nicht feststellen.
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4. Die Kammer hat die Anhörung zudem wiederholt, weil vorliegend der Verfahrenspfleger keine Gelegenheit hatte an der Anhörung teilzunehmen. Er wurde zwar mit dem Beschluss bestellt, hat aber vom Gericht keine Informationen darüber erhalten, wann die Anhörung stattfinden soll. Angesichts einer Beschlussfassung um 13 : 32 Uhr an einem Wochentag wäre einer Verständigung des Verfahrenspflegers von der Anhörung auch nicht von vornherein fruchtlos gewesen.
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5. Offen bleiben kann, ob die Voraussetzungen des § 333 FamFG vorlagen, was fraglich ist.
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Der Betroffene befand sich bereits bei Beschlussfassung im BKH und hätte dort noch bis Ablauf des Tages nach Art. 15 Abs. 6 BayPsychKHG festgehalten werden dürfen. Es ist daher fraglich, ob eine Beschlussfassung vor der Anhörung und ohne Beteiligung des Verfahrenspflegers offensichtlich nur kurze Zeit später notwendig gewesen ist.
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Die Anhörung wäre auch noch dann unverzüglich gewesen, wenn das Amtsgericht den Verfahrenspfleger informiert hätte und anschließend nach Erledigung sämtlicher anderer dringender Dienstgeschäfte die Anhörung erfolgt wäre.
„Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239 [249] = NJW 2002, 3161; Gusy in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 104 Rn. 48). Nicht vermeidbar sind zum Beispiel die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung oder ein renitentes Verhalten des Betroffenen bedingt sind (vgl. BVerfGE 105, 239 [249] = NJW 2002, 3161; BVerfGK 7, 87 [99] = NVwZ 2006, 579; Gusy in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 104 Rn. 48).
Sachliche Gründe, die eine Verzögerung der richterlichen Entscheidung rechtfertigen, können sich auch aus der Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Vorkehrungen ergeben, die dem Schutz des Betroffenen dienen. Im Unterbringungsverfahren ist der Betroffene persönlich anzuhören (§ 319 FamFG). Es ist grundsätzlich der Verfahrenspfleger zu beteiligen (§ 315 II FamFG).“ (BVerfG NJW 2018, 2619 Rn. 99, 100)“
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Die Kammer hat die Anhörung in Anwesenheit des Verfahrenspflegers wiederholt, so dass sich diese Frage für die Frage, ob die Unterbringung aktuell noch rechtmäßig ist, nicht stellt.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 26 Abs. 2 GNotKG.