Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.09.2023 – 10 CE 23.796
Titel:

Überwiegend erfolgloser Eilantrag der bayerischen AfD gegen die Beobachtung der Gesamtpartei durch den bayerischen Verfassungsschutz und deren öffentliche Bekanntgabe

Normenketten:
GG Art. 21 Abs. 1, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b, Art 87 Abs. 1 S. 2
BVerfSchG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 S. 1 lit. a, Abs. 2
BayVSG Art. 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, S. 2, Art. 3 S. 1, Art. 4 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
Bei der Alternative für Deutschland (AfD) bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die eine Beobachtung der Gesamtpartei durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigen. (Rn. 69 – 152)
1. Maßgebliche Sach- und Rechtslage für einen gegen die Beobachtung einer politischen Partei geltend gemachten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. (Rn. 70 – 72) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Grundgesetz weist den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern (in gemeinsamer Zusammenarbeit) innerhalb des Abwehrmechanismus der wehrhaften bzw. streitbaren Demokratie die (notwendige) Funktion eines analytischen Informationsdienstleisters für diejenigen Stellen zu, die wie das Bundesverfassungsgericht über die entsprechenden Befugnisse verfügen, um gegen die so identifizierten Gefahren zu intervenieren. (Rn. 84) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich können als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Landesverbands einer Partei auch einschlägige Verhaltensweisen, insbesondere Meinungsäußerungen und Aktivitäten, von Repräsentanten, Funktionsträgern und Gremien sowohl des Bundesverbands einer Partei als auch anderer Landesverbände der Partei und deren Untergliederungen, wobei davon auch Mitglieder von Fraktionen in Volksvertretungen auf Bundes- und Landesebene umfasst sind, herangezogen und verwertet werden. (Rn. 88 – 98) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beobachtung einer Partei (AfD-Gesamtpartei) durch den Verfassungsschutz, Beschwerde, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Antragsbefugnis des Landesverbands der Partei (Betroffenheit), Rechtsschutzbedürfnis für Unterlassungsbegehren, (Anordnungs-)Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung, maßgeblicher Zeitpunkt, öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, Eingriff in die Parteifreiheit, Rechtswidrigkeit des Eingriffs (hier verneint), Anwendbarkeit der Bestimmungen des BayVSG auf politische Parteien, hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen (hier bejaht), Verwertbarkeit einschlägiger Verhaltensweisen der Bundespartei und anderer Landesverbände bzw. deren Untergliederungen, Berücksichtigung von Meinungsäußerungen, quantitativ und qualitativ hinreichende Tatsachenbasis der maßgeblichen Beobachtungserklärung der Verfassungsschutzbehörde, Einfluss der Sammlungsbewegung „Der, Flügel“ und der Jugendorganisation „Junge, Alternative“ auf die inhaltliche bzw. ideologische Ausrichtung der Gesamtpartei, Umsturzphantasien innerhalb der Partei, Missachtung der Menschenwürde von Muslimen, ordnungsgemäße Ermessensausübung, Verhältnismäßigkeit der Beobachtung, öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung, konkrete Presseerklärung, überschießende Fehletikettierung als gesichert extremistisch, Verfassungsschutz, AfD, politische Partei, Gesamtpartei, Beobachtung, freiheitlich-demokratische Grundordnung, hinreichende Anhaltspunkte, Verhältnismäßigkeit, Ermessen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 17.04.2023 – M 30 E 22.4913
Fundstellen:
BeckRS 2023, 24631
LSK 2023, 24631
NVwZ 2024, 1368

Tenor

I. In Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. April 2023 wird der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, es zu unterlassen, die unter https://www...bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/halbjahresinformationen-verfassungs-schutz-bayern-2022/ veröffentlichte Pressemitteilung vom 8. September 2022 weiter zu veröffentlichen oder zu verbreiten, soweit dabei in der Überschrift und dem Einleitungssatz die Formulierung „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ verwendet wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. April 2023 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller, der Landesverband Bayern der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. April 2023, mit dem das Verwaltungsgericht seine im Wesentlichen gegen die Beobachtung der AfD (Gesamtpartei) durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: BayLfV) und die öffentliche Berichterstattung über diese Beobachtung gerichteten einstweiligen Rechtsschutzanträge nach § 123 Abs. 1 VwGO abgelehnt hat.
2
Mit vom Präsidenten des BayLfV unterzeichnetem Aktenvermerk vom 21. Juni 2022 wurde die „Alternative für Deutschland“ (AfD) zum Beobachtungsobjekt des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz erklärt. Das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vom 22. Februar 2021 komme auf der Grundlage der Erkenntnisse des Bundesamtes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz zu dem Ergebnis, dass die Alternative für Deutschland (AfD) als Gesamtpartei als Verdachtsfall zu beobachten sei. Diese Beurteilung werde durch das noch nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 bestätigt. Der Landesverband Bayern der AfD sei organisatorisch uneingeschränkt in die AfD als Gesamtpartei integriert, wirke an der Meinungsbildung der Gesamtpartei mit und teile die politische Ausrichtung der Partei. Seine Mitglieder äußerten sich zum Teil ebenfalls in zurechenbarer Weise extremistisch. Gleiches gelte für die Junge Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD. Dem BfV lägen Erkenntnisse vor, dass der zum 30. April 2020 formal aufgelöste „Flügel“, eine 2015 gegründete Sammlungsbewegung innerhalb der AfD, weiterhin als Personenzusammenschluss im Bundesgebiet aktiv sei; Aussagen von dem formal aufgelösten „Flügel“ angehörenden Personen seien der AfD zurechenbar, soweit diese in der Partei weiter aktiv seien. Aufgrund vorliegender Erkenntnisse über verschiedene Aktivitäten (werden sodann im Einzelnen ausgeführt) lägen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die für einen Fortbestand des formal aufgelösten „Flügels“ als Personenzusammenschluss in Bayern sowie im Bundesgebiet sprächen. Sowohl dem BfV als auch den Landesämtern für Verfassungsschutz lägen Erkenntnisse vor, dass in der Gesamtpartei ein mit der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) unvereinbarer ethnisch-völkischer Volksbegriff vertreten bzw. politisch motiviert angestrebt werde. Weiter lägen Erkenntnisse über bundesweite Aussagen auf verschiedenen Ebenen der Gesamtpartei AfD zu Umsturzphantasien vor. In Bayern lägen Erkenntnisse über Aussagen (werden näher ausgeführt) vor, die der verfassungsschutzrechtlich relevanten Islamfeindlichkeit unterfielen bzw. antisemitisch seien. Bundesweite Aussagen der JA würden mit einem ethnischen Volksbegriff einhergehen und Zweifel begründen, dass sich die Jugendorganisation vorbehaltlos zum zentralen Wertesystem des Grundgesetzes bekenne. Durch verschiedene Aussagen von Angehörigen des inzwischen aufgelösten „Flügels“ würden wesentliche Teile der verfassungsmäßigen Ordnung und damit auch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip infrage gestellt; insbesondere beträfen diese das Mehrparteienprinzip und die Funktion der Presse. Damit lägen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung hinsichtlich der AfD als Gesamtpartei vor. Aufgrund der bundesweiten Erkenntnisse des BfV und der Landesämter für Verfassungsschutz über die AfD als Gesamtpartei sei auch in Bayern der Beobachtungsauftrag gemäß Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG (in der bis 31.7.2023 geltenden Fassung – a.F.) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 BVerfSchG eröffnet. Die Beobachtung erfolge zu dem Zweck, festzustellen, welchen (nennenswerten) Einfluss Extremisten innerhalb der AfD als Gesamtpartei hätten und in welche Richtung sich die Partei letztlich entwickle. Dass bundesweit die Beobachtung der Partei nur als Verdachtsfall erfolge, führe dazu, dass die Beobachtung in Bayern einem strengeren Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu unterwerfen sei. Bezüglich verfassungsfeindlicher Bestrebungen einzelner Personen in der AfD in Bayern, verfassungsfeindlicher Bestrebungen der AfD in Bayern sowie von Teilorganisationen der AfD in Bayern (JA sowie „Flügel“) sei aufzuklären, welchen Einfluss diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen für die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei hätten. Die Beobachtung der AfD erfolge aus offenen Informationsquellen und auch mittels Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel, der jedoch gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17) nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig sei. Die öffentliche Berichterstattung über die Beobachtung der AfD sei zulässig, jedoch nur in der Form, dass deutlich werde, dass noch keine gesicherten Erkenntnisse für eine extremistische Bestrebung vorlägen.
3
Hierzu veröffentlichte der Antragsgegner am 8. September 2022 anlässlich der Vorstellung der bayerischen Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 eine Pressemitteilung unter der Überschrift: „He.: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen“ und der darunter befindlichen Passage: „Bayerns Innenminister Jo. He. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“. Weiter heißt es in der Pressemitteilung hierzu: „Wie He. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer gerückt. Aufgrund der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtung der Gesamtpartei aufgenommen. Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder der AfD-Landtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien […].“. Die Pressemitteilung ist auch derzeit noch auf der Seite des BayLfV unter https://www...bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/halbjahresinformationen-verfassungs-schutz-bayern-2022/ abrufbar.
4
Der Antragsteller nahm hierauf mit einem an das BayLfV gerichteten und als „Abmahnung“ bezeichneten Schreiben vom 22. September 2022 zur Rechtswidrigkeit der einzelnen Maßnahmen Stellung und forderte das unverzügliche Abstellen der Handlungen, die Löschung diesbezüglicher (öffentlicher) Mitteilungen, die Abgabe entsprechender (in die Zukunft gerichteter) Unterlassungserklärungen und das Einräumen der Rechtswidrigkeit der Handlungen mittels öffentlicher Richtigstellungen. Das BayLfV lehnte dieses Begehren mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 unter Wiederholung der für die Beobachtung maßgeblichen Erwägungen ab.
5
Am 5. Oktober 2022 hat der Antragsteller gegen seine Beobachtung sowie die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben (M 30 K 22.4912).
6
Gleichzeitig hat er einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit den (der Sache nach gestellten) Anträgen, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache jeweils unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000 Euro zu verpflichten, es zu unterlassen, ihn als Beobachtungsobjekt zu führen und ihn zu beobachten, es weiter zu unterlassen, öffentlich bekannt zu geben, dass er als Beobachtungsobjekt geführt und beobachtet wird, und die Pressemitteilung vom 8. September 2022 unter Nennung der AfD weiter zu verbreiten bzw. zu veröffentlichen, sowie richtigzustellen, dass diese Handlungen rechtswidrig waren.
7
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 hat das Verwaltungsgericht auf Antrag des Antragstellers im Wege einer Zwischenentscheidung dem Antragsgegner bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 5. Oktober 2022 vorläufig untersagt, gegenüber dem Antragsteller nachrichtendienstliche Mittel im Sinne von Art. 8 Abs. 1 BayVSG (a.F.) und Art. 9 bis Art. 19a BayVSG (a.F.) anzuwenden und den Antragsteller betreffende Informationsmaßnahmen auf Basis des Art. 26 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BayVSG (a.F.) vorzunehmen sowie im Übrigen den Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses abgelehnt. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
8
Mit Beschluss vom 17. April 2023 hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers vom 5. Oktober 2022 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit den oben aufgeführten (sinngemäßen) Anträgen abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag nach § 123 VwGO sei statthaft und der Antragsteller auch analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Zwar sei nicht der Antragsteller, sondern die Gesamtpartei AfD „Beobachtungsobjekt“ des Antragsgegners. Der Antragsteller sei jedoch ausweislich der gültigen Bundessatzung der AfD eine organisatorische Untergliederung und damit Bestandteil der Gesamtpartei und werde auch in örtlicher Hinsicht von der streitigen Maßnahme erfasst, da die Gesamtpartei insoweit beobachtet werde, als ihre Verhaltensweisen Berührungspunkte zum Freistaat Bayern aufwiesen. Bezüglich des geltend gemachten Anordnungsanspruchs sei jedoch die hier zu entscheidende Frage (lediglich), ob die Beobachtung des Antragstellers durch den Antragsgegner rechtmäßig sei und dabei insbesondere, ob bzw. inwieweit dem Antragsteller Aussagen anderer Untergliederungen der Gesamtpartei bzw. von deren Mitgliedern zugerechnet werden könnten. Nicht verfahrensgegenständlich sei somit die Frage, inwieweit der Antragsgegner berechtigt sei, die Gesamtpartei zu beobachten.
9
Das für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers bestehe jedoch nur in Bezug auf die noch andauernde offene Beobachtung. In Bezug auf den (ebenfalls geltend gemachten) Anspruch auf einstweilige Unterlassung einer Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln fehle dem Antragsteller das für die Zulässigkeit der in der Hauptsache zu erhebenden vorbeugenden Unterlassungsklage erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse. Nach Aktenlage sowie den Einlassungen des Antragsgegners im Verfahren sei nicht davon auszugehen, dass derzeit eine Beobachtung des Antragstellers mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfolge. Demgemäß wäre in der Hauptsache (nur) eine vorbeugende Unterlassungsklage statthaft. Das dafür erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse liege aber nicht vor, weil nach den Äußerungen des Antragsgegners der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bei der Beobachtung in naher Zukunft nicht bevorstehe. Zudem sei aktuell nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zu übersehen, welche konkreten Maßnahmen diesbezüglich drohten und unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sie überhaupt ergehen könnten.
10
Der Antrag nach 123 Abs. 1 VwGO sei – soweit zulässig – unbegründet, weil es bezüglich sämtlicher (Rechtsschutz-)Anträge an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs fehle. Die Voraussetzungen des geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs lägen in Bezug auf die Beobachtung des Antragstellers durch den Antragsgegner mit offenen Mitteln nicht vor. Zwar stelle die Beobachtung einen Eingriff in das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG) und das Recht auf Betätigungsfreiheit als politische Partei (Art. 21 Abs. 1 GG) dar. Dieser Eingriff sei jedoch (voraussichtlich) gerechtfertigt, da die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Beobachtung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG (a.F.) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a), Abs. 2 BVerfSchG vorlägen und die Beobachtung ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig sei. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers seien die genannten Rechtsgrundlagen des BayVSG auf politische Parteien anwendbar und stellten zulässige und verfassungsmäßige Schranken insbesondere auch des Rechts auf Betätigungsfreiheit als politische Partei dar.
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Die für die (rechtmäßige) Beobachtung durch den Verfassungsschutz erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, lägen bei wertender Gesamtbetrachtung der vorgelegten Belege vor. Es bestünden tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Verhaltensweisen der AfD darauf gerichtet seien, die durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde von Muslimen außer Geltung zu setzen. Zwar reichten für eine derartige Annahme die Ausführungen im Grundsatzprogramm der AfD noch nicht aus. Diesbezügliche tatsächliche Anhaltspunkte ergäben sich jedoch aus Äußerungen von einzelnen Untergliederungen der AfD und deren Mitgliedern (Äußerungen werden im Folgenden näher ausgeführt). Durch die dargestellten Äußerungen werde die Menschenwürde von Muslimen verletzt, da diese wegen ihrer Religionszugehörigkeit systematisch, anhaltend und wiederholt pauschalierend auf polemische Art und Weise herabgesetzt, ausgegrenzt und als kriminelle, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt würden. Weiter ergäben sich tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen aus einer fortgesetzten Agitation gegen Institutionen und Repräsentanten des Staats und gegen die demokratischen Parteien, die auf das Außer-Geltung-Setzen des Demokratieprinzips und des davon mit umfassten Mehrparteiensystems gerichtet seien. Bereits das Grundsatzprogramm der AfD zeige, dass es Bestandteil und Ziel ihrer Politik sei, bei den Bürgerinnen und Bürgern Misstrauen gegenüber der Funktionsfähigkeit der Demokratie zu säen (wird näher ausgeführt). Tatsächliche Anhaltspunkte für gegen das Demokratieprinzip gerichtete Bestrebungen ergäben sich aus einer Vielzahl von Äußerungen von Mitgliedern und Repräsentanten der Partei (werden im Folgenden näher ausgeführt). Diese Aussagen reichten in ihrer quantitativen Dichte und inhaltlichen Bedeutsamkeit aus, um hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen anzunehmen. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei gerade auch im Fall eines Richtungsstreits innerhalb einer Vereinigung gerechtfertigt. In Bezug auf die AfD diene die Beobachtung durch das BayLfV der Klärung der derzeitigen Ausrichtung und Entwicklung der Partei, da die betreffenden Äußerungen Ausdruck noch offener, parteiinterner Meinungsunterschiede und Richtungskämpfe seien. Gegenteilige bzw. entlastende Gesichtspunkte, die die dargelegten Äußerungen entkräften und gegen das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen sprechen könnten, lägen nicht vor. Die dargestellten Äußerungen seien dem Antragsteller mangels Distanzierung auch zurechenbar (werden weiter ausgeführt). Durch den Antragsteller eingeleitete Ordnungsmaßnahmen gegen einzelne Mitglieder bzw. Funktionsträger könnten zwar grundsätzlich als Indiz für eine Distanzierung gewertet werden, reichten jedoch im konkreten Fall nicht aus, um das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte verneinen zu können.
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Einer weitergehenden Auseinandersetzung mit der Vielzahl von in das Verfahren eingeführten Äußerungen, die das BfV und das BayLfV als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werteten, bedürfe es folglich nicht mehr. Ermessensfehler im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO seien ebenso wenig feststellbar wie eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Beobachtung des Antragstellers mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung. Letzteres gelte insbesondere auch unter Berücksichtigung der Betätigungsfreiheit und Chancengleichheit politischer Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) sowie des Parteienprivilegs (Art. 21 Abs. 2 und 4 GG).
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Demgemäß stehe dem Antragsteller weder ein Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung noch ein Anspruch auf „Richtigstellung“ der Rechtswidrigkeit der Beobachtung zu. Somit komme auch nicht die beantragte Androhung von Ordnungsgeld in Betracht.
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Schließlich bestünden auch der geltend gemachte Unterlassungsanspruch hinsichtlich einer öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung des Antragstellers sowie ein Unterlassungsanspruch in Bezug auf die veröffentlichte Pressemitteilung des BayLfV nicht. Der durch die Berichterstattung bedingte Eingriff in grundgesetzlich geschützte Positionen des Antragstellers sei rechtmäßig, weil die Voraussetzungen für die streitbefangene Information der Öffentlichkeit nach dem auch auf politische Parteien anwendbaren Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 3 BayVSG (a.F.) vorlägen. Insbesondere liege diesbezüglich keine unzulässige sogenannte Verdachtsberichterstattung vor. Sowohl zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressemitteilung als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seien hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Art. 26 BayVSG (a.F.) gegeben. Eine vorherige Anhörung des Antragstellers sei insoweit nicht erforderlich. Weder das Gebot der inhaltlichen Richtigkeit noch die Gebote der Sachlichkeit sowie der Neutralität seien verletzt. Die Aussage „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ bewege sich noch im Bereich des sachlich zurückhaltend Zulässigen, weil für den durchschnittlich verständigen Leser erkennbar sei, dass eine Beobachtung gerade dahingehend stattfinden solle, inwieweit der Antragsteller ein Teil dieser Szene sei, was auch im folgenden Text so erläutert werde.
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Zur Begründung der durch den Antragsteller gegen diesen Beschluss am 25. April 2023 eingelegten Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt:
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Das Verwaltungsgericht habe rechtsfehlerhaft den erforderlichen Anordnungsanspruch verneint. Es habe bei der Prüfung und Bejahung der tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des Art. 4, 5 BayVSG (a.F.) i.V.m. §§ 3, 4 BVerfSchG im Wesentlichen an falsche und vorliegend nicht relevante Umstände angeknüpft, weil bei den vom Verwaltungsgericht benannten Einzelfällen eine Zurechnung zulasten des Antragstellers nicht zulässig sei. Dabei verkenne das Verwaltungsgericht die Satzungsautonomie des Antragstellers und berücksichtige besondere Umstände wie Austritt, Parteiausschluss, Tod u.a. nicht in der gebotenen Weise. Vorgenommene Distanzierungen erkenne das Verwaltungsgericht fehlerhaft nicht als entlastende Umstände an. Bei richtiger Betrachtung sei vom Antragsgegner bis heute nicht dargelegt oder sonst ersichtlich, warum und auf welcher tatsächlichen Basis der unter den Schutz des Art. 21 Abs. 1 GG fallende Antragsteller in Bayern ein Beobachtungsobjekt sein könne.
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Äußerungen von Personen aus anderen Landesverbänden oder dem Bundesverband (werden im Folgenden konkret benannt) seien mangels örtlichen Bezugs dem Antragsteller nicht zurechenbar. Bei den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Äußerungen von Personen, bei denen eine Zurechnung zum Landesverband theoretisch denkbar erscheine, handle es sich um vereinzelte Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger, die tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beobachtung nicht begründen könnten. Teils seien diese Äußerungen bereits überholt bzw. veraltet, in einem Fall sei das betreffende Mitglied zudem bereits verstorben, auch habe sich der Antragsteller in mehreren Fällen von den jeweiligen Aussagen klar und eindeutig distanziert, indem er Parteiordnungsmaßnahmen eingeleitet habe. In zwei Fällen hätten sich die betreffenden Personen von ihren Äußerungen und deren Deutung durch den Verfassungsschutz distanziert. Im Übrigen seien die wenigen vereinzelten Äußerungen, die über einen zulässigen Aussagegehalt hinausgingen, weder nach Quantität noch Qualität hinreichend, um tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründen zu können. Nur weil der Bundesverband aufgrund einer kumulativen Betrachtung aller Landesverbände als Verdachtsfall eingestuft worden sei, führe dies nicht automatisch zu einer entsprechenden Einstufung aller Landesverbände.
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Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zum fehlenden besonderen Rechtsschutzinteresse bezüglich des Antrags auf Unterlassung einer Beobachtung des Antragstellers mit nachrichtendienstlichen Mitteln sei verfehlt. Der Antragsgegner habe nie erklärt, den Antragsteller nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Vielmehr werde in der Beobachtungserklärung des BayLfV ausdrücklich von einer Beobachtung „… auch mittels Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel“ gesprochen. Der diesbezügliche Antrag des Antragstellers sei somit nicht nur zulässig, sondern darüber hinaus auch begründet, weil schon die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beobachtung mangels tatsächlicher Anhaltspunkte nicht vorlägen und demgemäß der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erst recht unzulässig wäre.
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Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung zudem die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verkannt; danach dürften Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich nur berücksichtigt werden, wenn sich darin tatsächliche Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung manifestierten. Auch habe das Gericht den Umfang und die Grenzen des Schutzes von Art. 21 GG nicht beachtet. Danach seien die Regelungen des BayVSG wegen des sogenannten Parteienprivilegs nach Art. 21 Abs. 1 GG generell nicht auf politische Parteien anzuwenden (wird im Folgenden ausgeführt). Etwas Anderes möge allenfalls gelten, wenn auch ein Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2, 4 und 5 GG in Betracht komme. Art. 31 GG stehe der Anwendung der landesgesetzlichen Vorschriften des BayVSG auf politische Parteien im Sinne von Art. 21 GG ebenfalls entgegen, weil Art. 71 GG insoweit eine ausschließliche Bundeskompetenz begründe.
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Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Zurechnung von Aussagen von Mitgliedern und Funktionären verschiedener Landesverbände sowie des Bundesverbands berücksichtige nicht die (Satzungs-)Autonomie des Antragstellers als rechtlich und organisatorisch selbständiger Verein.
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Rechtsirrig gehe das Verwaltungsgericht schließlich davon aus, dass die Beobachtungserklärung auf einer ermessensfehlerfreien Entscheidung des BayLfV beruhe; vielmehr lägen dieser Entscheidung sachfremde Erwägungen zu Grunde, weil es Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen in Bayern weder gegeben habe noch gebe. Die systematische Beobachtung des Antragstellers stelle einen sehr schwerwiegenden Eingriff in seine verfassungsmäßigen Rechte als politische Partei und ihrer Mitglieder dar. Mangels zeitlicher Obergrenze für die Beobachtung und damit für die Verwertung von Erkenntnissen sei diese jedenfalls unverhältnismäßig.
22
Die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung und Beobachtung des Antragstellers sei rechtswidrig, weil es schon an hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkten im Sinne von Art. 26 BayVSG (a.F.) fehle. Zudem habe das Verwaltungsgericht den rechtswidrigen konkreten Inhalt der betreffenden Pressemitteilung verkannt. Auch mangele es an der diesbezüglich erforderlichen vorherigen Anhörung.
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Weiter habe das Verwaltungsgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Antragsgegner keine Behördenakte an- und im Verfahren vorgelegt habe. Dies stelle einen Verstoß gegen elementare rechtsstaatliche Grundsätze dar.
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Schließlich verkenne die angefochtene Entscheidung, dass bezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts zwischen dem auf die Vergangenheit gerichteten Richtigstellungsanspruch und dem auf die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch hätte differenziert werden müssen.
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Im Ergebnis stehe dem Antragsteller sowohl ein Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung und deren öffentlicher Bekanntgabe als auch ein Anspruch auf Richtigstellung, dass die Beobachtung rechtswidrig gewesen sei, jeweils verbunden mit der Androhung von Ordnungsmitteln, zu.
26
Der Antragsteller beantragt der Sache nach,
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unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. April 2023 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten,
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1. es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung
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a) zu unterlassen, den Antragsteller als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“ einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen,
30
b) zu unterlassen, öffentlich bekanntzugeben, dass der Antragsteller als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall` eingeordnet, beobachtet, behandelt, geprüft und/oder geführt wird;
31
2. bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung
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die in der unter der URL https://www...bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/halbjahresinformationen-verfassungs-schutz-bayern-2022/ veröffentlichten Pressemitteilung enthaltenen Aussagen in Bezug auf die Antragstellerin, nämlich (soweit nachfolgend unterstrichen)
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„He.: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen Bayerns Innenminister Jo. He. stellt Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022 vor: Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtunqsobjekt aufgenommen
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„Extremisten lieben Krisen!" Auf diese Formel brachte Bayerns Innenminister Jo. He. die aktuellen Entwicklungen bei der Vorstellung der Verfassungsschutzinformationen für das erste Halbjahr 2022. Nach dem Abflauen der Coronaproteste bestimme nunmehr der russische Angriffskrieg und seine Folgen auch in den extremistischen Szenen die Dynamik. Die steigende Inflation, Sorgen vor Einschränkungen bei der Energieversorgung und einem möglichen wirtschaftlichen Abschwung verunsicherten die Bevölkerung. „Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung endlich langfristige Lösungen entwickelt und eine funktionierende und bezahlbare Energieversorgung sicherstellt“, mahnte He. Problematisch sei insbesondere auch, dass Extremisten bei ihren Mobilisierungsversuchen bewusst 'unverdächtig' auftreten, um so möglichst unbemerkt ihren Einfluss in breitere Gesellschaftsschichten auszubauen. „Die Menschen dürfen sich nicht täuschen lassen und den Extremisten auf den Leim gehen“, rät He. „Unsere Verfassungsschützer sind jedenfalls höchst wachsam.“
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Wie He. weiter erklärte, ist nunmehr auch die AfD noch stärker in den Fokus der Verfassungsschützer qerückt. „Aufgrund der Entscheidunq des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD als Verdachtsfall zu führen, hat auch das Bayerische Landesamt die Beobachtunq der Gesamtpartei aufgenommen.“ Hierdurch soll aufgeklärt werden, inwieweit Bestrebungen in der AfD als Gesamtpartei vorliegen, die den Kernbestand der Verfassunq zu beeinträchtigen oder zu besei-tiqen versuchen. Nicht unter Beobachtung stünden jedoch die Mitglieder AfD-Landtagsfraktion, da hierfür die höchstrichterlichen Anforderungen nicht erfüllt seien. (…)"
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zu löschen und es zu unterlassen, diese Berichterstattung in jedweder Form erneut zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen und/oder dies durch Dritte vornehmen zu lassen;
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3. binnen drei Werktagen nach Zugang des Beschlusses richtig zu stellen,
a) dass die Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung des Antragstellers als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, rechtswidrig war;
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b) dass die öffentliche Bekanntgabe der Einordnung, Beobachtung, Behandlung, Prüfung und/oder Führung des Antragstellers als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sog. „Verdachtsfall“, rechtswidrig war;
39
c) dass die in der unter der URL https://www...bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/halbjahresinformationen-verfassungs-schutz-bayern-2022/ veröffentlichten Pressemitteilung enthaltenen Aussagen in Bezug auf den Antragsteller, nämlich (soweit nachfolgend unterstrichen) – Text siehe oben Nr. 2. – rechtswidrig waren.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht habe die Eilanträge des Antragstellers zu Recht und im Einklang mit der verfassungsschutzrechtlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgelehnt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sei das BayVSG auch auf politische Parteien anwendbar; dies sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungs- als auch des Bundesverfassungsgerichts nicht zweifelhaft. Auch Art. 31, Art. 21 Abs. 5 GG und die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Parteien stünden dem nicht entgegen. Die Verfassungsschutzgesetze der Länder hätten nämlich gerade keine parteispezifischen Regelungen zum Gegenstand, sondern bestimmten die Beobachtung von (verfassungsfeindlichen) Bestrebungen, worunter auch Parteien zu subsumieren seien, sofern sie den gesetzlichen Bestrebungsbegriff erfüllten.
43
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit werde nicht dadurch verletzt, dass das BayLfV als Grundlage für die Beobachtung an die Inhalte von Meinungsäußerungen angeknüpft habe, die Ausdruck des Bestrebens seien, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Der Verfassungsschutz dürfe nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2022 (1 BvR 98/21 – NJW 2022, 3727) aus Meinungsäußerungen und weiteren Aktivitäten Schlüsse ziehen und damit auch eine Vereinigung beobachten, um – wie hier – festzustellen, in welche Richtung sich die Partei entwickle. Hinzu komme im Übrigen, dass sich die aktiv-kämpferische Haltung von Teilen der AfD hinsichtlich der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bereits aus den vorgelegten Beweismitteln ergebe.
44
Das Verwaltungsgericht habe auch ohne Rechtsfehler entschieden, dass dem Antragsteller als bayerischem Landesverband Äußerungen anderer Landesverbände und insbesondere auch des Bundesverbandes der AfD zugerechnet werden könnten. Das BayLfV beobachte die AfD als Gesamtpartei und nicht nur den bayerischen Landesverband und zwar in dem Umfang, in dem die Verhaltensweisen der Gesamtpartei Berührungspunkte zum Freistaat Bayern und damit zur örtlichen Zuständigkeit des BayLfV aufwiesen. Die einzelnen Landesverbände der Gesamtpartei AfD seien ausweislich der Bundessatzung kein aliud zur Bundes- bzw. Gesamtpartei, sondern ein Teil derselben. Die Satzung des Landesverbandes Bayern der AfD knüpfe an diese Bundessatzung in vielerlei Hinsicht an. Zudem verfüge der Bundesverband über maßgebliche Einflussmöglichkeiten auf die Landesverbände. Demgemäß sei die Zurechenbarkeit von Äußerungen im Rahmen der politischen Willensbildung zwischen Bundes- und Landesverbänden gegeben. Soweit es im Übrigen um die Zurechnung des Handelns des Landesverbands Thüringen der AfD und dessen Landes- und Fraktionsvorsitzenden Bj. Hö. gehe, sei darauf hinzuweisen, dass dieser bereits mehrfach und auch in jüngerer Zeit zu (Partei-)Veranstaltungen in Bayern eingeladen – z.B. am 17. Juni 2023 in Mödlareuth oder am 25. Juni 2023 in Unterfranken – und dabei mit dessen Teilnahme geworben worden sei.
45
Nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine Zurechnung der Äußerungen von Parteimitgliedern der AfD trotz geltend gemachter Distanzierung und Parteiordnungsmaßnahmen zulässig. Der Antragsteller selbst habe sich von diesen Aussagen in keiner Weise distanziert, ganz abgesehen von der Frage, inwieweit die vorgetragenen Distanzierungen lediglich aus prozesstaktischen Gründen erfolgt seien. Auch ein (abgeschlossenes) Parteiausschlussverfahren und das Ausscheiden der betreffenden Person aus der Partei nach der entsprechenden Äußerung stünden einer Zurechnung nicht entgegen.
46
Aus dem Vortrag des Antragstellers ergebe sich nicht, dass das BayLfV nachrichtendienstliche Mittel gegen ihn einsetze.
47
Art. 26 BayVSG (a.F.) stelle eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Information der Öffentlichkeit auch außerhalb von Verfassungsschutzberichten dar.
48
Entgegen dem Beschwerdevorbringen habe der Antragsgegner im Verfahren die für die gerichtliche Auswertung und Entscheidung erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Das vorgelegte Material sei auch ausreichend, die vom Gericht bestätigte Beobachtungserklärung zu tragen.
49
Im Übrigen lägen weitere Erkenntnisse aus jüngerer Zeit vor, aus denen sich (zusätzliche) tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen des Antragstellers ergäben, die im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen seien; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (wird ausgeführt).
50
Mit Wirkung zum 1. August 2023 ist das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) vom 12. Juli 2016 durch § 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes vom 24. Juli 2023 (GVBl. S. 374) geändert worden (im Folgenden: BayVSG n.F.).
51
Ergänzend wird auf die weiteren, ihre jeweiligen Ausführungen vertiefenden Schriftsätze der Beteiligten und die vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten verwiesen.
II.
52
Der Senat sieht keinen Grund, die Entscheidung bei gegebener Spruchreife entsprechend der Anregung des Antragstellers im Schriftsatz vom 20. August 2023 bis „nach der bevorstehenden Landtagswahl“ in Bayern am 8. Oktober 2023 zurückzustellen. Weder das von Antragstellerseite diesbezüglich angeführte Gebot der „Zurückhaltung staatlicher Institutionen“ im Vorfeld dieser Wahl noch die „Chancengleichheit der (politischen) Parteien“ geben Veranlassung dazu.
53
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist hinsichtlich seines auf die Berichterstattung des Antragsgegners in Form der Presseerklärung vom 8. September 2022 bezogenen Unterlassungsbegehrens begründet, soweit in der Überschrift und dem Einleitungssatz dieser Presseerklärung die Formulierung „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ verwendet wird. Die vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen es demgemäß lediglich, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts im tenorierten Umfang abzuändern. Im Übrigen ist die Beschwerde zurückzuweisen.
54
A) Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nur teilweise zulässig.
55
1. Das Rechtsschutzbegehren, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes zu unterlassen, ihn (Antragsteller, nicht die Gesamtpartei AfD) als „Beobachtungsobjekt“, insbesondere als sogenannten „Verdachtsfall“, einzuordnen, zu beobachten, zu behandeln, zu prüfen und/oder zu führen, versteht der Senat entsprechend dem von Amts wegen nach § 88 VwGO zu ermittelnden wirklichen Rechtsschutzziel (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 88 Rn. 8 m.w.N.) ungeachtet der im Antrag vorgenommenen Differenzierung dahingehend, dass damit einheitlich und umfassend die (künftige) Unterlassung der Beobachtung des Antragstellers durch das Landesamt für Verfassungsschutz im Sinne von Art. 5a BayVSG n.F. (Sammlung und Auswertung von Informationen) bzw. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG a.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Abs. 2 BVerfSchG erreicht werden soll. Der Antragsteller differenziert bei diesem Rechtsschutzbegehren auch nicht bezüglich einer Beobachtung aus allgemein bzw. öffentlich zugänglichen (Informations-)Quellen und der Beobachtung unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel (vgl. Art. 8 BayVSG n.F. und a.F.)
56
1.1. Bezüglich dieses Unterlassungsbegehrens ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Der Begriff des Beobachtens wird durch die Tätigkeiten der Sammlung und Auswertung von Informationen konkretisiert (vgl. Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F., Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG a.F.; zum Begriff vgl. auch Aicher in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 15.4.2023, BayVSG Art. 3 Rn. 10). Demgemäß stellt die Beobachtung keinen Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, sondern einen Realakt dar. Richtige Klageart in der Hauptsache ist damit eine auf Unterlassung der künftigen Beobachtung gerichtete Leistungsklage (s. § 43 Abs. 2 VwGO).
57
1.2. Der Antragsteller ist nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, weil er geltend machen kann, infolge des Handelns des Antragsgegners (Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde) möglicherweise in seinen subjektiven Rechten verletzt zu werden. Der Antragsteller ist, wovon das Verwaltungsgericht zurecht ausgegangen ist, zwar nicht ausdrückliches „Beobachtungsobjekt“ des Antragsgegners. Denn aus der Beobachtungserklärung des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 21. Juni 2022 ergibt sich eindeutig, dass die AfD als Gesamtpartei und nicht (nur) der Landesverband Bayern dieser Partei zum Beobachtungsobjekt erklärt wird (Beobachtungserklärung Teil 2 Nr. 2.1, S. 14; Nr. 2.2.1 Erklärung der AfD zum Beobachtungsobjekt, S. 15 f.; Nr. 2.2.3 Aufklärungsinteresse und Beobachtungsbedürftigkeit der AfD, S. 17 f.). Deshalb kann das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nach seinem wirklichen Rechtsschutzziel (§ 88 VwGO) auch nur darauf gerichtet sein, dass die Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das Landesamt für Verfassungsschutz insoweit unterlassen wird, als der Antragsteller als Landesverband dieser Partei im Zusammenhang mit der Beobachtung der Gesamtpartei zwangsläufig (mit) betroffen ist.
58
Diese (Mit-)Betroffenheit des Antragstellers ergibt sich aus folgenden Gründen: Der Antragsteller ist als Landesverband Bayern der AfD eine (jedenfalls insoweit unselbständige) Teilorganisation der Gesamtpartei (vgl. § 1 Satz 3, § 9 Abs. 1, 4 Bundessatzung der AfD vom 29.11.2015, zuletzt geändert am 19.6.2022). Der Antragsgegner hat im Laufe des Verfahrens mehrfach ausdrücklich klargestellt, dass die Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das Landesamt für Verfassungsschutz in dem Umfang erfolgt, in dem die Verhaltensweisen der Gesamtpartei Berührungspunkte zum Freistaat Bayern und damit zur örtlichen Zuständigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz aufweisen (vgl. zuletzt Beschwerdeerwiderung des Antragsgegners vom 11.7.2023, S. 5). Das Aufklärungsinteresse bei der Beobachtung der AfD als Gesamtpartei hat das BayLfV in seiner Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 dahingehend näher umschrieben, dass bezüglich verfassungsfeindlicher Bestrebungen einzelner Personen in der AfD in Bayern, verfassungsfeindlicher Bestrebungen der AfD in Bayern sowie von Teilorganisationen innerhalb der AfD in Bayern (JA und zwischenzeitlich formal aufgelöster „Flügel“) aufzuklären sei, welchen Einfluss diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen für die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei hätten (Nr. 2.2.3 der Beobachtungserklärung, S. 17). Schließlich ist die Staatsaufgabe des Verfassungsschutzes (s. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. c) und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) und damit auch der Beobachtungsauftrag nicht zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, sondern beiden zur gemeinsamen Erfüllung zugewiesen, d. h. die Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern bestehen nebeneinander, wenn die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen ihres Handelns vorliegen (vgl. Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BVerfSchG § 5 Rn. 2 ff. m.w.N.). Wenn ein Landesamt für Verfassungsschutz zuständig ist, beschränkt sich sein Beobachtungsauftrag nicht auf diejenigen Teile der Organisation bzw. Betätigung, die in dem betreffenden Land vorhanden sind bzw. ausgeübt werden, sondern umfasst eine Gesamtbetrachtung des Beobachtungsobjektes, weil eine sachgerechte Beurteilung und Einschätzung sonst nicht möglich ist (vgl. Roth, a.a.O., § 5 Rn. 6). Demgemäß lässt auch eine Zuständigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz die originäre Zuständigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz zu einer Gesamtbetrachtung des Beobachtungsobjektes, allerdings mit besonderem Fokus auf Berührungspunkte zum Freistaat Bayern (s.o.), unberührt (vgl. Roth, a.a.O., § 5 Rn. 3 m.w.N.). Diese Zuständigkeit ist nicht orts-, sondern aufgabenbezogen. Die Landesämter für Verfassungsschutz sind für die Sammlung und Auswertung von Informationen zuständig, wenn dies zur Erfüllung einer ihrer in § 3 Abs. 1 und 2 BVerfSchG definierten Aufgaben erforderlich ist (vgl. Roth, a.a.O., § 5 Rn. 4).
59
Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze ist die Gesamtpartei AfD zulässiges Beobachtungsobjekt (auch) des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz und der Landesverband Bayern der AfD als Teilorganisation der Gesamtpartei durch die Beobachtung (mit) betroffen.
60
1.3. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 34) für das auf die (künftige) Unterlassung der Beobachtung des Antragstellers durch das Landesamt für Verfassungsschutz gerichtete vorläufige Rechtsschutzbegehren besteht. Denn die Beobachtung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz dauert weiter an.
61
Soweit das Verwaltungsgericht bezüglich der Beobachtung unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel (vgl. Art. 8 BayVSG n.F. und a.F.) das besondere Rechtsschutzinteresse verneint hat, weil jedenfalls momentan bei der Beobachtung (noch) nicht mit dem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel zu rechnen sei, greift das Beschwerdevorbringen des Antragstellers durch. Nachdem die Bindungswirkung der durch das Verwaltungsgericht getroffenen Zwischenregelung bezüglich des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel durch Beschluss vom 25. Oktober 2022 mit der Ablehnung des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO durch das Verwaltungsgericht endete und der Antragsgegner diesbezüglich auch keine Unterlassungserklärung oder verbindliche Klarstellung abgegeben hat, kommt es entscheidend auf die Beobachtungserklärung des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 21. Juni 2022 an. Darin wird der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bei der beabsichtigten Beobachtung der AfD nicht nur mehrfach thematisiert (vgl. Nr. 2.2.3 Aufklärungsinteresse und Beobachtungsbedürftigkeit, S. 17; Nr. 2.2.4.1 Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, S. 18), sondern ausdrücklich als – in den Grenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17) – zulässiges nachrichtendienstliches Mittel der Beobachtung bezeichnet.
62
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in Kapitel 1 des BayVSG die allgemeinen Befugnisse sowie die Befugnis für die Beobachtung (Art. 5a BayVSG n.F.) geregelt sind, während im Kapitel 2 (Art. 8 bis Art. 20 BayVSG n.F.) der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel durch das Landesamt für Verfassungsschutz speziell normiert ist. Art. 8 BayVSG n.F. enthält dabei die allgemeine Befugnisnorm für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel, steht selbst jedoch unter dem Vorbehalt, dass nicht die Art. 9 bis Art. 19a BayVSG n.F. die Anwendung (nachrichtendienstlicher Mittel) besonders regeln. Ungeachtet des Umstands, dass ein vorläufiger vorbeugender Rechtsschutz von vornherein nicht in Betracht käme, soweit der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach den Befugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG n.F. einer richterlichen Anordnung (des zuständigen Amtsgerichts, s. Art. 29 BayVSG n.F.) gemäß Art. 11 BayVSG n.F. bedarf und Maßnahmen, die eine höhere verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle (vgl. dazu Art. 4 Abs. 2 BayVSG n.F.) voraussetzen, vorliegend nicht in Rede stehen, ist bisher weder von Antragstellerseite behauptet noch sonst ersichtlich, dass in Art. 9 ff. BayVSG n.F. besonders geregelte Maßnahmen der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel dem Antragsteller konkret drohten. Dementsprechend hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren klargestellt, dass es ihm „nicht um einen pauschalen Unterlassungsanspruch künftiger allfälliger Maßnahmen“ (des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel) geht, sondern dass (auch) nachrichtendienstliche Mittel unzulässig und damit zu unterlassen sind, weil „die (Mindest-)Voraussetzungen (tatsächliche Anhaltspunkte) gerade nicht hinreichend vorliegen“ (S. 26 der Beschwerdebegründung). Dieses (zulässige) Rechtsschutzbegehren korrespondiert mit der gesetzlichen Systematik, wonach ein Rückgriff auf die allgemeine Befugnisnorm des Art. 8 BayVSG n.F. bei fehlender Anwendbarkeit der Spezialbefugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG n.F. möglich ist, und bei dessen Anwendung die Mindestvoraussetzung einer beobachtungsbedürftigen Bestrebung oder Tätigkeit (s. auch Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F.) vorliegen muss (vgl. dazu: Lindner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 15.4.2023, BayVSG Art. 5 Rn. 11 ff.).
63
Nach alledem kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz insoweit, als die Mindestvoraussetzung für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG n.F. – eine beobachtungsbedürftige Bestrebung oder Tätigkeit – in Streit steht, nicht verneint werden.
64
Im Übrigen, d.h. wenn es (auch) um den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach den speziellen Befugnisnormen der Art. 9 ff. BayVSG n.F. ginge, wäre das für Begehren um vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse dagegen zu verneinen, weil eine etwaige zukünftige Beobachtung mittels Einsatzes solcher nachrichtendienstlicher Mittel nach ihrem konkreten Inhalt und ihren jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen auch aktuell, also zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats, nicht soweit bestimmt oder zumindest absehbar ist, dass eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch die Gerichte möglich wäre (vgl. dazu BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 10 ZB 15.1085 – juris Rn. 6 m.w. Rsprnachweis).
65
2. Die auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung (des Antragstellers) sowie Unterlassung der Berichterstattung in Form der (konkreten) Presseerklärung vom 8. September 2022 (jedoch begrenzt auf die dort beanstandeten Formulierungen) gerichteten Rechtsschutzbegehren sind nach Maßgabe der oben (unter 1.) dargelegten Grundsätze zulässig.
66
3. Dagegen sind die auf vorläufige Richtigstellung der Rechtswidrigkeit der Handlungen des Antragsgegners (der Beobachtung des Antragstellers, der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung und der konkreten Berichterstattung in Form der Presseerklärung vom 8.9.2022) gerichteten Rechtsschutzbegehren unzulässig.
67
Unabhängig davon, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nur (unrichtige) Tatsachenbehauptungen einem Widerruf oder einer Richtigstellung zugänglich sind, nicht hingegen Werturteile oder die (rechtliche) Würdigung durch einen Hoheitsträger (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 29.6.2022 – 6 C 11.20 – juris Rn. 34 ff.), würde die beantragte „vorläufige“ Richtigstellung letztlich eine Vorwegnahme der Hauptsache zugunsten des Antragstellers bedeuten, die weder zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes noch aufgrund anderweitig zwingender Gründe oder für den Antragsteller drohender Unzumutbarkeit ausnahmsweise geboten wäre (zu den Ausnahmen vom Vorwegnahmeverbot vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO, § 123 Rn. 142 ff. m.w.N.). Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann im Übrigen nur dazu dienen, ein Recht zu sichern oder eine vorläufige Regelung eines Rechtsverhältnisses vorzunehmen, nicht jedoch nachträglich die Klärung oder Feststellung der Rechtswidrigkeit der betreffenden Handlungen des Antragsgegners herbeizuführen. Insofern beanspruchen die Gründe, aus denen im einstweiligen Anordnungsverfahren ein Fortsetzungsfeststellungsantrag als unzulässig angesehen wird (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO § 123 Rn. 36 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, zuletzt B.v.19.9.2022 – 10 CE 22.1939 – juris Rn. 14), hier entsprechend Geltung.
68
B) Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist – soweit zulässig – nur zu einem geringen Teil hinsichtlich seines auf die Berichterstattung des Antragsgegners in der konkreten Form der Presseerklärung vom 8. September 2022 bezogenen Unterlassungsbegehrens begründet (s. 3.). Im Übrigen fehlt es am erforderlichen Anordnungsanspruch des Antragstellers.
69
1. Der Antragsteller hat im dafür maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (1.1.) keinen Anspruch auf (künftige) Unterlassung der Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das BayLfV, soweit er durch diese Maßnahme (mit) betroffen ist. Zwar bewirkt die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde einen fortdauernden Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Antragstellers, insbesondere sein Recht auf Betätigungsfreiheit als politische Partei nach Art. 21 Abs. 1 GG (1.2.). Dieser Eingriff ist mit hoher Wahrscheinlichkeit aber nicht rechtswidrig, weil die (Mindest-)Voraussetzungen für eine Beobachtung gemäß Art. 5a Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG n.F. vorliegen (1.3.), die Beobachtung den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung (vgl. Lindner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 15.4.2023, BayVSG Art. 5 Rn. 40) entspricht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG n.F.) gewahrt ist (1.4.).
70
1.1. Maßgebliche Sach- und Rechtslage für den geltend gemachten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch bezüglich der noch andauernden Beobachtung des Antragstellers ist nach zutreffender Ansicht des Verwaltungsgerichts der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (BA S. 63 Rn. 180; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 10 ZB 15.1085 – juris Rn. 7; VG Köln, B.v. 10.3.2022 – 13 L 104/21 – juris Rn. 59).
71
Zwar haben das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 14.12.2020 – 6 C 11.18 – juris Rn. 24) und ihm folgend der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 31.5.2023 – 1 S 3351/21 – juris Rn. 32) entschieden, dass eine Beobachtung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Grundlage unzureichender tatsächlicher Anhaltspunkte vorgenommen hat, nicht nachträglich mit erst während der Beobachtung gewonnenen Erkenntnissen gerechtfertigt werden kann bzw. dass die Beobachtung nur auf solche Tatsachen in Gestalt von tatsächlichen Anhaltspunkten gestützt werden darf, die dem Landesamt für Verfassungsschutz – sofern sie nicht offenkundig sind – bei Beginn der jeweiligen Beobachtung ausweislich der Verwaltungsvorgänge bekannt sind. Jedoch betrafen diese beiden Verfahren Feststellungsklagen bezüglich der Rechtswidrigkeit einer bereits in der Vergangenheit erfolgten und abgeschlossenen Beobachtung durch den Verfassungsschutz, während es vorliegend um die vorläufige Sicherung des Rechts des Antragstellers geht, künftig nicht im Zuge der Beobachtung der Gesamtpartei als Landesverband mit betroffen zu werden.
72
Aus diesem Grund ist in der vorliegenden Konstellation auch die ständige Rechtsprechung des Senats, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung für eine Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht vorliegen bzw. vorlagen, die Sach- und Rechtslage bei Vornahme der Maßnahme, also der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts, ist (vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 22 f.), nicht einschlägig.
73
1.2. Der geltend gemachte Anspruch auf (künftige) Unterlassung der Beobachtung der Gesamtpartei AfD durch das Landesamt für Verfassungsschutz, soweit er durch diese Maßnahme (mit) betroffen ist (vgl. dazu oben A) 1.2.), steht dem Antragsteller nicht zu.
74
Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen droht. Die Grundrechte schützen den Grundrechtsträger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, so dass er, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweilige Grundrecht Unterlassung verlangen kann (vgl. BayVGH, U.v. 6.7.2017 – 10 BV 16.1237 – juris Rn. 16; U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 28). Entsprechendes gilt für rechtswidrige Eingriffe in die grundgesetzlich geschützte Rechtsposition politischer Parteien aus Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 GG (BVerwG, B.v. 24.3.2016 – 6 B 4.16 – juris Rn. 5).
75
Der Antragsteller wird durch die Beobachtung der Gesamtpartei der AfD mit dem Fokus auf Berührungspunkte zum Freistaat Bayern (s. oben A) 1.2.) durch das BayLfV jedenfalls in seiner grundgesetzlich geschützten Rechtsposition aus Art. 21 Abs. 1 GG betroffen. Als Landesverband (s. § 3 Satz 2 PartG) der Partei AfD (s. § 1 Satz 3, § 9 Abs. 1 Bundessatzung der AfD) kann sich der Antragsteller auf die Parteifreiheit berufen, die die Gründungs-, Betätigungs-, Programm-, Wettbewerbs- und Finanzierungsfreiheit umfasst (vgl. Kluth in BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, Stand 15.5.2023, GG Art. 21 Rn. 109; BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 29). Unter der Betätigungsfreiheit werden alle Maßnahmen verstanden, die die innere Ordnung (Organisation und interne Meinungs- und Willensbildung, Programmatik) sowie das Auftreten nach außen gegenüber dem Bürger und der Öffentlichkeit (Meinungsäußerung und Selbstdarstellung), den Staatsorganen (insbesondere Wahlteilnahme, Nutzung von Einrichtungen, Finanzierung), den Rundfunkanstalten (Wahlwerbung) und den anderen Parteien (Wettbewerbsverhältnis) betreffen (Kluth in BeckOK Grundgesetz, a.a.O., Rn. 111 m.w.N.). Auch wenn die (geheime) Beobachtung der Gesamtpartei der AfD und damit auch ihres bayerischen Teilverbands durch das BayLfV aus öffentlich zugänglichen Quellen und unter Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel als solche keine Außenwirkung entfaltet, kann sie, wenn sie wie im vorliegenden Fall bekannt und in der Öffentlichkeit und Presse breit diskutiert wird, sowohl Abschreckungs- und Stigmatisierungswirkung bezüglich der Allgemeinheit entfalten als auch Einfluss auf die Meinungsäußerung und Selbstdarstellung nach außen sowie das Wettbewerbsverhältnis zu anderen Parteien nehmen. Bereits die Beobachtung stellt damit eine den Antragsteller belastende Maßnahme dar, die (auch) ihm gegenüber Warnfunktion hat und zugleich seine Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigen kann (vgl. auch BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 29 zur Bezeichnung eines Landesverbands einer Partei als „verfassungsschutzrechtlich islamfeindlich“; vgl. auch VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 126/21 – juris Rn. 948 ff.). Dahinstehen kann daher, ob sich der geltend gemachte Unterlassungsanspruch daneben auch aus einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Antragstellers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) sowie das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) stützen ließe (vgl. dazu auch BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 8), da sich daraus jedenfalls kein strengerer Maßstab für die Rechtfertigung eines Eingriffs ergäbe.
76
1.3. Dieser Eingriff ist nach zutreffender Bewertung des Verwaltungsgerichts voraussichtlich aber nicht rechtswidrig, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die (Mindest-)Voraussetzungen für eine Beobachtung, nunmehr gemäß den neu gefassten Befugnisnormen des Art. 5a Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG n.F., vorliegen.
77
Die im Beschwerdeverfahren vertiefte Rüge des Antragstellers einer mangelnden „Vorlage einer (vollständigen) Behördenakte oder ähnlich umfassender Verwaltungsvorgänge“ (vgl. insbesondere S. 80 der Beschwerdebegründung und S. 28 der ergänzenden Stellungnahme vom 16.8.2023) rechtfertigt nicht etwa die Annahme der formellen Rechtswidrigkeit der Beobachtungsentscheidung. Denn die Verwaltungsgerichte sind von Amts wegen zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet (§ 86 Abs. 1 VwGO), so dass selbst eine – unterstellt – mangelhafte Aktenführung der Behörde im gerichtlichen Verfahren kompensiert werden kann; lassen sich Umstände infolge unzureichender behördlicher Dokumentation nicht aufklären, trägt die Verwaltung die materielle Beweislast für die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen sie ihr günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2022 – 6 A 7.19 – juris Rn. 42 m.w.N.). Dass im vorliegenden Fall das vom Antragsgegner vorgelegte umfangreiche Material, das der Beobachtungsentscheidung zugrunde liegt, im dargelegten Sinn zur Aufklärung des Sachverhalts „unzureichend“ wäre, wird von Antragstellerseite lediglich behauptet, aber nicht dargelegt.
78
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der – zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung noch gültigen – auch auf politische Parteien anwendbaren (1.3.1.) allgemeinen Befugnisnorm für eine Beobachtung (d.h. Sammlung und Auswertung von Informationen) gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2, Art. 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayVSG (a.F.) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a), Abs. 2 BVerfSchG vorliegen (1.3.2.). Danach war insbesondere nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG a.F. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen (Beobachtung) durch den Verfassungsschutz, dass tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen.
79
Die bisher im Wesentlichen in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG a.F. geregelte Befugnis und Voraussetzung für die Beobachtung hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 1. August 2023 unter Beibehaltung der verfassungsschutzspezifischen Eingriffsschwelle für diese Überwachungsmaßnahme (zu dieser Eingriffsschwelle vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 185 ff.) in die Befugnisnorm des Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F. übernommen bzw. verschoben und nunmehr bei der Neuregelung den schon bisher etablierten Begriff der „Beobachtung“ verwendet. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen (Beobachtung) nach Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F. ist demgemäß, dass tatsächliche Anhaltspunkte für beobachtungsbedürftige Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Art. 4 Abs. 2 vorliegen. Beobachtungsbedürftig sind dabei nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG n.F. unter anderem Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG, also – wie bisher – insbesondere Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind.
80
1.3.1. Das Verwaltungsgericht ist mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, davon ausgegangen, dass die maßgeblichen Bestimmungen des BayVSG auf politische Parteien im Sinne des Art. 21 GG anwendbar sind und der Anwendung insbesondere auch das sogenannte Parteienprivileg (s. Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG) nicht entgegensteht.
81
Das Bundesverfassungsgericht hat die Beobachtung einer politischen Partei durch die Verfassungsschutzbehörden mehrfach ausdrücklich gebilligt (B.v. 18.3.2003 – 2 BvB 1/01 u.a. – juris Rn. 77 f.; U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 418; vgl. auch B.v. 20.2.2013 – 2 BvE 11/12 – juris Rn. 24) und in seinem Urteil zum Antrag auf Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) Folgendes ausgeführt (U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 418): „Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der „streitbaren“ oder „wehrhaften Demokratie“, das vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankert ist und gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören (vgl. BVerfGE 2, 1 <11 ff.>; 5, 85 <138 f.>; 28, 36 <48>; 30, 1 <18 f.>; 40, 287 <292>; 134, 141 <179 ff. Rn. 109-117>). Eine Beobachtung – auch unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz – ist daher in einem laufenden Verbotsverfahren grundsätzlich zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> Senatsminderheit; 134, 141 <179 ff. Rn. 109-117>; BVerwGE 110, 126 <130 ff.>) sowie die rechtsstaatlichen Gebote der Staatsfreiheit und des fairen Verfahrens nicht außer Acht lässt.“
82
Weiter hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Art. 21 GG es zwar dann (bei fehlender hinreichender Mächtigkeit im Sinne einer Potentialität) ausschließe, diese Partei zu verbieten, es aber dem Verfassungsschutz nicht untersage, über Vereinigungen zu berichten, die mit ihr kooperieren (BVerfG, B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 17).
83
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Vorschriften der § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Beobachtung von Abgeordneten durch Verfassungsschutzbehörden darstellen (BVerfG, B.v. 17.9.2013 – 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10 – juris Rn. 133).
84
Wenn, wie dargelegt, die Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen Ausfluss des vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankerten Prinzips der wehrhaften Demokratie ist, geht der argumentative Ansatz des Antragstellers, Art. 21 GG und Art. 31 GG stünden als „abschließende Regelung für politische Parteien“ der Heranziehung der Verfassungsschutzgesetze insbesondere der Länder entgegen (vgl. zuletzt die Erwiderung der Antragstellerseite vom 16.8.2023, S. 2 f.), schon systematisch fehl. Vielmehr weisen Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b), Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern (in gemeinsamer Zusammenarbeit) innerhalb des Abwehrmechanismus der wehrhaften bzw. streitbaren Demokratie (vgl. dazu BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 150) die (notwendige) Funktion eines analytischen Informationsdienstleisters für diejenigen Stellen zu, die wie das Bundesverfassungsgericht über die entsprechenden Befugnisse (vgl. z.B. Art. 18 Satz 2, Art. 21 Abs. 4 GG) verfügen, um gegen die so identifizierten Gefahren zu intervenieren (vgl. Lindner/Unterreitmeier, Grundlagen einer Dogmatik des Nachrichtendienstrechts, DÖV 2019,165/168).
85
Vor diesem Hintergrund bestehen für den Senat auch unter Berücksichtigung des umfangreichen diesbezüglichen Beschwerdevorbringens des Antragstellers (S. 36 – 45 der Beschwerdebegründung sowie Schriftsatz vom 16.8.2023) keine ernsthaften Zweifel an der Anwendbarkeit der maßgeblichen Vorschriften des BayVSG.
86
1.3.2. Das Verwaltungsgericht ist auf der Grundlage der maßgeblichen Befugnisnormen des BayVSG und der dadurch bestimmten Eingriffsschwelle für die Beobachtung durch das BayLfV (1.3.2.1.) im Ergebnis zu Recht zu der Überzeugung gelangt, dass bei einer wertenden Gesamtbetrachtung der im Verfahren vorgelegten und sowohl bezüglich der Bundespartei der AfD als auch anderer AfD-Landesverbände und deren Untergliederungen verwertbaren (1.3.2.2) Belege hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD-Gesamtpartei vorliegen (1.3.2.3.).
87
1.3.2.1. Die hier gemäß Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F. maßgebliche verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle beobachtungsbedürftiger Bestrebungen nach Art. 4 Abs. 2 setzt hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass eine beobachtungsbedürftige Bestrebung besteht und dass die ergriffene Maßnahme im Einzelfall zur Aufklärung geboten ist (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 182). Der Begriff und Schutzumfang der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ ist in der Rechtsprechung ebenso geklärt wie die Voraussetzung der „tatsächlichen Anhaltspunkte“ in Form „konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis“ für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen (vgl. BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 184 ff.; B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 14 f.; BVerwG, U.v. 14.12.2020 – 6C 11.18 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, zuletzt B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 23). Dass das Verwaltungsgericht die damit umschriebene verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle für die Beobachtung nicht verkannt und seiner Prüfung zu Recht zugrunde gelegt hat, wird auch mit der Beschwerde nicht bestritten (vgl. S. 2 der Beschwerdebegründung).
88
1.3.2.2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers können in dem vorliegenden Verfahren auch einschlägige Verhaltensweisen, insbesondere Meinungsäußerungen und Aktivitäten, von Repräsentanten, Funktionsträgern und Gremien sowohl der AfD-Bundespartei als auch anderer Landesverbände der AfD und deren Untergliederungen, wobei davon auch Mitglieder der AfD-Fraktionen in Volksvertretungen auf Bundes- und Landesebene umfasst sind, als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen und verwertet werden. Die Verwertung stellt insbesondere keine unzulässige Zurechnung von Verhalten „Dritter“ dar, wie der Antragsteller umfangreich argumentiert.
89
Dass eine Partei laut ihrer Satzung in Gebietsverbände, also Landesverbände sowie gegebenenfalls noch weiter in Bezirks- und Kreisverbände, untergliedert ist (s. § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der AfD-Bundessatzung), steht einer solchen Verwertung nicht entgegen. Die Untergliederung einer Partei ist zunächst Ausdruck ihrer organisatorischen Verfestigung. Die Ausgestaltung der Organisation, bei der unter anderem Einheiten (Landesverbände) bestimmt und gebildet werden, dient der Einflussnahme auf die politische Willensbildung auf jener Ebene, der Mitwirkung an der entsprechenden Volksvertretung und damit der effektiven Durchsetzung der verfolgten politischen Ziele insgesamt.
90
Untergliedert sich eine politische Partei, verbleibt es bei der einen persönlichen Mitgliedschaft des Mitglieds, die sich auf alle Ebenen erstreckt („gestufte Mehrfachmitgliedschaft“). Tritt eine Person einer politischen Partei bei, so wird sie aufgrund der vertikalen Untergliederung zugleich Mitglied der Gesamtpartei und jeder Ebene, der sie angehört (vgl. Ipsen in Ipsen, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2018, § 7 Rn. 11 u. § 16 Rn. 6; vgl. bereits: BGH, U.v. 5.10.1978 – II ZR 177/76 – juris Rn. 14). Dazu gibt es auch in Bezug auf die Organe mannigfaltige Rückkopplungen. So entsenden in der Regel die Landesverbände Delegierte zu dem Parteitag der Bundespartei. Dies ist auch nach § 11 Abs. 3 Satz 1 der AfD-Bundessatzung der Fall, wonach der Bundesparteitag unter anderem aus 600 von den Landesverbänden entsandten Delegierten besteht. Damit korrespondiert § 6 Abs. 1 der Satzung des Antragstellers, wonach der Landesverband Bayern Delegierte für den Bundesparteitag entsendet.
91
Die von § 7 PartG vorgeschriebene Untergliederung einer Partei bedeutet entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht, dass ein Landesverband gegenüber der Bundespartei oder gegenüber den übrigen Landesverbänden im Rahmen einer verfassungsschutzrechtlichen Prüfung jeweils als „Dritter“ anzusehen ist, sondern im Gegenteil, dass er insoweit integrierter Teil des Ganzen ist. Dies gilt insbesondere auch für die inhaltliche und programmatische Ausrichtung in Bezug auf die gesetzten politischen Ziele (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 15.795 − juris Rn. 17: „Äußerungen von Repräsentanten auf Bundesebene derselben Partei entgegenhalten lassen“; B.v. 7.10.1993 – 5 CE 93.2327 − juris Rn. 21; OVG Berlin-Bbg., U.v. 6.4.2006 – OVG 3 B 3.99 – juris Rn. 47: „erstreckt sich auch auf Handlungen, Presseerzeugnisse, Verlautbarungen und Äußerungen der Bundespartei, anderer Landesverbände und deren Untergliederungen sowie der Mitglieder der genannten Verbände“; NdsOVG, U.v. 19.10.2000 – 11 L 87/00 − juris Rn. 22: „auch solche anderer Landesverbände und der Partei auf Bundesebene“; OVG RhPf, U.v. 10.9.1999 – 2 A 11774/98 − juris Rn. 21: „… weil er Landesverband einer bundesweit organisierten Partei ist, ebenso auf die Partei auf Bundesebene und auf die anderen Landesverbände“; VG Berlin, U.v. 31.8.1998 – 26 A 623.97 − juris Rn. 30: „nicht nur Äußerungen des betreffenden Landesverbandes verwertet werden, sondern auch solche anderer Landesverbände und der Partei auf Bundesebene“; VG München, U.v. 16.10.2014 – M 22 K 14.1663 − juris Rn. 41; vgl. Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007, S. 179; Ipsen in Ipsen, Parteiengesetz, 2. Aufl. 2018, § 16 Rn. 2: „werden Bekundungen von Organen eines Gebietsverbandes regelmäßig der Partei zugerechnet“; Roth in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 4 Rn. 107: „auch Anhaltspunkte aus anderen Personenzusammenschlüssen einzubeziehen … Dies gilt insbesondere für Über- oder Untergliederungen [Bundes-, Landes-, Kreis- oder Ortsverbände] mit teilidentischem Mitgliederkreis“).
92
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind einer Partei grundsätzlich Verhaltensweisen ihrer Organe, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre, zuzurechnen. Dabei sind einschlägige Verhaltensweisen von Akteuren auf der Ebene der Landesverbände der Bundespartei ohne Weiteres zuzurechnen (vgl. zur Zurechnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen i.S.d. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 − juris Rn. 562 f., 658, 659, 682, 702, 716, 730, 732, 746, 748, 751, 754, 775, 781, 789, 791, 799, 812, 815, 836 ff.).
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Nichts anderes ergibt sich, wenn man betrachtet, wie im Verhältnis von AfD-Bundespartei und den AfD-Landesverbänden die Kompetenzen verteilt und die Prozesse festgelegt sind. Maßgeblich sind insofern die Einflussnahmemöglichkeiten der Bundespartei auf die einzelnen Landesverbände (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 15.795 − juris Rn. 18), worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat (vgl. BA S. 61).
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Fehl geht insofern der Verweis des Antragstellers auf die in § 6 Abs. 1 Satz 2 PartG verbürgte Satzungs- und Personalautonomie der Landesverbände. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 der AfD-Bundessatzung haben die Landesverbände auch Satzungsautonomie. Der Antragsteller blendet dabei allerdings aus, dass nach § 6 Abs. 1 Satz 2 PartG die Gebietsverbände ihre Angelegenheiten durch eigene Satzungen regeln, soweit die Satzung des jeweils nächsthöheren Gebietsverbandes hierüber keine Vorschriften enthält. Der Satzungsautonomie des § 9 Abs. 1 Satz 3 der AfD-Bundessatzung steht § 9 Abs. 4 der AfD-Bundessatzung gegenüber, wonach die Satzung untergeordneter Gebietsverbände den Satzungen übergeordneter Verbände nicht widersprechen darf. Ein Landesverband kann sich damit zwar eine Satzung geben, inhaltlich kann sie jedoch nur innerhalb der von der AfD-Bundessatzung gesetzten Grenzen bestehen. Zudem erlaubt § 8 der AfD-Bundessatzung umfassende Ordnungsmaßnahmen gegen Landesverbände und Landesverbandsvorstände.
95
Auch insoweit erweist sich der Antragsteller – ebenso wie die übrigen Landesverbände − als unselbständiger Teil des Ganzen, der Gesamtpartei. Er ist, wie der Antragsgegner in der zugrundeliegenden Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 festgestellt hat, „uneingeschränkt in die AfD als Gesamtpartei integriert“ (vgl. BayLfV, Beobachtungserklärung v. 21.6.2022, S. 1).
96
Schließlich führt auch der Hinweis des Antragstellers auf seine Partei- und Rechtsfähigkeit nach § 3 ParteiG nicht weiter. Diese Einordnung ist im Rahmen der hier maßgeblichen verfassungsschutzrechtlichen Fragen gemäß Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F. und Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG n.F. in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG und § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) BVerfSchG beziehungsweise Art. 4 Abs. 1 BayVSG n.F. und § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) BVerfSchG nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich ist insofern das Tatbestandsmerkmal „in einem Personenzusammenschluss“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) BVerfSchG. Beobachtungsobjekt des Antragsgegners ist im vorliegenden Fall die AfD-Bundespartei. Diese ist der zu betrachtende Personenzusammenschluss gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) BVerfSchG. Der Antragsteller sowie die übrigen Landesverbände sind Teile der AfD-Bundespartei.
97
Die – an Sachlichkeit und weltanschaulich-politische Neutralität gebundene – Verfassungsschutzbehörde darf auch mit Blick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) Meinungsäußerungen berücksichtigen und daran anknüpfend Schlüsse auf verfassungsfeindliche Bestrebungen ziehen, wenn sich darin tatsächliche Bestrebungen manifestieren, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 31.5.2022 – 1 BvR 98/21 – juris Rn. 16 m.w.N.). Ausreichend ist dabei, dass die Gesamtschau aller tatsächlichen Anhaltspunkte auf entsprechende Bestrebungen hindeutet, mag auch jeder für sich genommen nicht genügen (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 C 19.2517 – juris Rn. 23 m. Rsprnachweisen). Bei Äußerungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe (vgl. zur Zurechnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen i.S.d. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 − juris Rn. 562 f., 658, 659, 682, 702, 716, 730, 732, 746, 748, 751, 754, 775, 781, 789, 791, 799, 812, 815, 836 ff.).
98
Zu Recht verweist der Antragsteller in diesem Zusammenhang zwar darauf, dass sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG spezifische Anforderungen nicht nur an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte tatrichterliche Interpretation umstrittener Äußerungen ergeben. Auch bei der Berücksichtigung von Meinungsäußerungen durch die Verfassungsschutzbehörde muss daher grundsätzlich die für jede rechtliche Würdigung einer in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallenden Äußerung geltende Voraussetzung erfüllt sein, dass der Sinn der Äußerung zutreffend erfasst worden ist. (vgl. zu § 14 OBG NRW i.V.m. § 130 StGB: BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8.21 – juris Rn. 29). Zutreffend ist auch der Hinweis, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung demgemäß bei mehrdeutigen Äußerungen Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen haben, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen, und dass bei mehrdeutig bleibenden Äußerungen, weil sich nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten nicht als fernliegend ausschließen lassen, diejenige Variante zugrundezulegen ist, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist (BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8.21 – juris Rn. 30 unter Verweis auf stRspr des BVerfG). Die daran anknüpfende pauschale Kritik des Antragstellers, der Antragsgegner – und ihm folgend das Verwaltungsgericht – habe bei der Sammlung und Auswertung von (einschlägigen) Informationen Äußerungen „ohne ersichtlichen und plausiblen Maßstab“ als verfassungsfeindlich ausgelegt, „ohne andere Deutungsvarianten in Betracht zu ziehen und/oder auszuschließen“, blendet zum einen schon aus, dass es vorliegend nicht etwa um die Strafbarkeit, ein strafrechtliches Vorgehen oder das Verbot der betreffenden Äußerungen, sondern um nachrichtendienstliche Gefahrerforschung geht. Verfassungsschutzbehörden haben die Aufgabe, Aufklärung im Vorfeld von Gefährdungslagen zu betreiben; sie haben mannigfaltige Bestrebungen auf ihr Gefahrenpotenzial hin allgemein zu beobachten und sie gerade auch unabhängig von konkreten Gefahren in den Blick zu nehmen (BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 154 m.w.N.). Zum anderen wird das Fehlen eines ersichtlichen und plausiblen Maßstabs bei der Berücksichtigung von Meinungsäußerungen gerügt, ohne im Einzelnen auch nur ansatzweise darzulegen, welche nicht als fernliegend ausschließbare Deutungsalternativen bestanden hätten, bei denen sich keine tatsächlichen Bestrebungen manifestieren, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen.
99
1.3.2.3. Wie das Verwaltungsgericht kommt auch der Senat bei einer wertenden Gesamtbetrachtung der im Verfahren vorgelegten Belege zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD-Gesamtpartei vorliegen. Die der maßgeblichen Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 als Tatsachenbasis zugrunde gelegten konkreten Umstände und Anknüpfungspunkte rechtfertigen auch nach Auffassung des Senats die Annahme bzw. Schlussfolgerung, dass verfassungsschutzrechtlich relevante verfassungsfeindliche Bestrebungen „hinsichtlich der AfD als Gesamtpartei“ (s. Nr. 2.2.1, S. 15 f. der Beobachtungserklärung) vorliegen.
100
Eine quantitativ und qualitativ hinreichende Tatsachenbasis in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen (BVerfG, U.v. 26.4.2022 – 1 BvR 1619/17 – juris Rn. 189) ergeben sich zur Überzeugung des Senats bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aus den Feststellungen in der Beobachtungserklärung (und deren verfassungsschutzrechtlicher Bewertung) zum Einfluss der Sammlungsbewegung innerhalb der AfD „Der Flügel“ (nachfolgend a) und der Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative“ (JA; nachfolgend b) auf die inhaltliche bzw. ideologische Ausrichtung der Gesamtpartei, den Feststellungen zu Umsturzphantasien innerhalb der Gesamtpartei (nachfolgend c) und den Feststellungen zu Aussagen aus der Gesamtpartei und dem bayerischen Landesverband, die darauf hindeuten, die Partei missachte die Menschenwürde von Muslimen in verfassungsschutzrechtlich relevanter Weise (nachfolgend d).
101
a) Konkrete und hinreichend verdichtete Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG n.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG ergeben sich nach der nicht zu beanstandenden Bewertung des BayLfV daraus, dass Personen, die der formal aufgelösten Sammlungsbewegung bzw. Strömung „Der Flügel“ angehörten, weiterhin Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Gesamtpartei nehmen.
102
Die Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 (S. 3 ff. der Beobachtungserklärung) geht unter Angabe zahlreicher Quellen und unter konkreter Bezugnahme auf entsprechende Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln (U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 544 ff.) davon aus, dass die Personen, die dem – in Folge eines Beschlusses des AfD-Bundesvorstandes vom 20. März 2020 formal aufgelösten – Flügel angehörten, im Wesentlichen nach wie vor der Partei angehören und erheblichen Einfluss innerhalb der Partei ausüben. Neben dem als Führungsfigur des Flügels geltenden derzeitigen Sprecher des Landesverbandes Thüringen und Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag Bj. Hö. nennt die Beobachtungserklärung dabei insbesondere die drei auf dem bayerischen Landesparteitag am 16. und 17. Oktober 2021 in Greding in den Landesvorstand gewählten Er. Br., Ge. Ho. und Be. No. sowie Paul Traxl als Ansprechpartner für organisatorische Angelegenheiten des Flügels in Bayern. Ebenfalls unter Angabe verschiedener Quellen zeigt die Beobachtungserklärung insbesondere anhand von Äußerungen von Bj. Hö., aber auch von Mitgliedern des Antragstellers in nachvollziehbarer Weise auf, dass die Anhänger des Flügels nach dessen formaler Auflösung in der Partei verblieben sind und ihre inhaltlichen Auffassungen weiter vertreten und propagieren. Sie verweist insbesondere darauf, dass ein am 3. Oktober 2020 abgehaltenes Familienfest des Landesverbandes Thüringen in den Kontext der früheren Kyffhäusertreffen des Flügels gestellt worden sei (S. 4 der Beobachtungserklärung). Insofern bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme des Antragsgegners, Mitglieder des formal aufgelösten Flügels übten sowohl in der Gesamtpartei als auch innerhalb des Antragstellers einen programmatischen Einfluss aus.
103
Alledem ist der Antragsteller im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht substantiiert entgegengetreten. Er verweist zwar darauf, dass der Flügel formell und tatsächlich aufgelöst sei, hält der Erwägung, die maßgeblichen Akteure seien weiter in der Partei aktiv und verbreiteten ihre Auffassung weiter, aber lediglich entgegen, Bj. Hö. und Andreas Kalbitz spielten für Bayern keine Rolle, zumal letzterer mittlerweile aus der Partei ausgeschlossen sei (vgl. S. 15 f. der Klage- und Antragsschrift vom 5.10.2022 bzw. S. 17 ff. des Schriftsatzes vom 14.11.2022, S. 15 ff. des Schriftsatzes vom 30.11.2022 und S. 9 f. des Schriftsatzes vom 25.1.2023). Abgesehen davon, dass diese rein auf Bayern bezogene Sichtweise bereits im Ansatz verkennt, dass der Antragsgegner die Gesamtpartei als Beobachtungsobjekt ansieht, gehen diese Ausführungen an dem Umstand vorbei, dass die Beobachtungserklärung des Antragsgegners mehrere dem Landesvorstand des Antragsgegners angehörende Parteimitglieder nennt, die dem ehemaligen Flügel zugerechnet werden. Den diesbezüglichen Einwand des Antragstellers, die Beobachtungserklärung nenne in Bezug auf ehemalige Flügelangehörige in Bayern keine konkreten Namen (vgl. S. 20 des Schriftsatzes vom 14.11.2022), kann der Senat nicht nachvollziehen. Soweit der Antragsteller in anderem Zusammenhang darauf verweist, dass gegen die Parteimitglieder Ge. Ho. und Be. No. Parteiordnungsmaßnahmen eingeleitet worden seien (S. 17 der Klage- und Antragsschrift vom 5.10.2022) und Ge. Ho. für seine „Äußerung im Bayern-Chat“ eine Ordnungsmaßnahme erhalten habe (S. 21 des Schriftsatzes vom 30.11.2022), bleibt dieser Vortrag unbehelflich. Da beide Personen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch immer Mitglieder des Landesvorstandes sind, sind diese Verfahren offensichtlich nicht geeignet, die Annahme eines fortwährenden Einflusses auf Gesamtpartei und Landesverband durchgreifend in Frage zu stellen. Die weiteren erstinstanzlichen Schriftsätze vom 12. Oktober 2022, 17. Oktober 2022, 19. Oktober 2022, 24. Oktober 2022 und 14. Dezember 2022 des Antragstellers enthalten zum Einfluss von Personen, die dem aufgelösten Flügel angehörten, auf Gesamtpartei und Landesverband keine substantiellen Ausführungen. Die Beschwerdebegründung widmet sich dem Flügel gar nicht, Bj. Hö. nur mit dem – wie dargestellt im Ansatz verfehlten – Einwand, dessen Äußerungen seien dem Antragsteller nicht zuzurechnen, weil er dem Landesverband Thüringen angehöre (vgl. S. 5 f. der Beschwerdebegründung und S. 15 der Erwiderung vom 16.8.2023). Die Replik auf die Beschwerdeerwiderung macht im Hinblick auf eine Veranstaltung am 25. Juni 2023 in Würzburg lediglich geltend, es sei nicht dargelegt, dass Hö. gerade wegen seiner dort geäußerten Auffassung eingeladen worden sei (S. 15 f. des Schriftsatzes vom 16. August 2023). Mit alledem wird der vom LfV plausibel und nachvollziehbar dargestellte nicht unerhebliche Einfluss Hö.s und der ehemaligen Angehörigen des Flügels auf Gesamtpartei und Landesverband nicht durchgreifend in Frage gestellt.
104
Der Einfluss von Angehörigen des ehemaligen Flügels auf die Gesamtpartei dürfte bereits angesichts ihrer Zahl sowohl in der Gesamtpartei als auch im bayerischen Landesverband (dem Antragsteller) auch nicht unerheblich sein. Während der Verfassungsschutzbericht Bayern 2021 (S. 127) für das Jahr 2020 von potenziell 130 Flügel-Angehörigen in Bayern ausging, war die vom Bundesamt für Verfassungsschutz zunächst geschätzte Zahl von 7.000 Flügelangehörigen innerhalb der Gesamtpartei Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen (vgl. VG Köln, B.v. 10.3.2022 – 13 L 104/21 – juris einerseits und OVG Berlin-Bbg, B.v. 19.6.2020 – OVG 1 S 56/20 – juris Rn. 44 ff. sowie VG Wiesbaden, B.v. 13.1.2021 – 6 L 1337/20.WI – juris anderseits). Selbst wenn man lediglich die vom ehemaligen Sprecher der Bundespartei Jö. Me. geschätzten „nicht einmal 20 Prozent“ (vgl. VG Köln, B.v. 10.3.2022 – 13 L 104/21 – juris Rn. 113 m.w.N.) zugrunde legte, ergäbe sich keine unerhebliche Strömung innerhalb der Gesamtpartei. Diese Annahme wird zudem gestützt von der herausgehobenen Stellung der in der Beobachtungserklärung aufgeführten Personen in der Gesamtpartei und im Landesverband Bayern.
105
Zu Recht sieht das BayLfV bei den weiterhin in der Partei aktiven Mitgliedern des aufgelösten Flügels gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die Behörde schildert in ihrer Beobachtungserklärung, es lägen Erkenntnisse vor, wonach Äußerungen von Angehörigen des Flügels mit einem ethnokulturellen Volksbegriff einhergingen (S. 12 ff. der Beobachtungserklärung). Hierfür zitiert die Beobachtungserklärung insbesondere Äußerungen von Bj. Hö. (aus einer Rede am 4.5.2019 in Greding und aus in einem Interview des COMPACT-Magazins 6/2019) und verweist auf weitere konkrete, vom Verwaltungsgericht Köln (U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 556 ff. und 743) angeführte Äußerungen Hö.s. Die in diesen Äußerungen verwendeten Formulierungen und Begriffe („Umvolkung“, Europa als „wirtschaftstechnokratisches Siedlungs- und Ausbeutungsgebiet für alle Menschen dieser Welt“, „autochthone Völker“, „gewachsene Völker“, „Volkstod“, „Austausch des Volkes“ usw.) werden vom BayLfV als zentrale Begriffe eines ethnokulturellen Volksverständnisses bewertet. Diese Bewertung ist für den Senat jedenfalls in der Gesamtschau von Quantität und Qualität der herangezogenen Äußerungen nachvollziehbar und einleuchtend (vgl. zu einer entsprechenden Einordnung solcher und ähnlicher Begriffe BVerfG, U.v. 17.1.2017 – BVerfGE 144, 20 – juris 637 ff.). Die Verschwörungserzählungen vom „Ethnopluralismus“ und vom „Großen Austausch“ gehen von einer vorgeblich vorherrschenden „ethnokulturellen Identität“ der europäischen Völker aus, die durch die Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei (vgl. BayVGH, B.v. 28.2.2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 17) und legen damit einen dem Volksbegriff des Grundgesetzes und der Menschenwürdegarantie widersprechenden ethnokulturellen Volksbegriff zu Grunde (für den Flügel ebenso OVG Berlin-Bbg, B.v. 23.6.2021 – OVG 1 N 96/20 – juris Rn. 9 f.; VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 656). Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, wird das „Volk“, von dem gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, „von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen“ gebildet. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Die Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Voraussetzung für den gleichen staatsbürgerlichen Status, der einerseits gleiche Pflichten, zum anderen auch die Rechte begründet, durch deren Ausübung die Staatsgewalt in der Demokratie ihre Legitimation erfährt (BVerfG, U.v. 31.10.1990 – 2 BvF 2/89, 2 BvF 6/89 – juris Rn. 54; BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 690). Ein ausschließlich aus ethnischen bzw. ethnokulturellen Kategorien gebildeter („völkischer“) Volksbegriff widerspricht jedoch dem Volksbegriff des Grundgesetzes und der Menschenwürdegarantie, denn die Menschenwürde im Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, ungeachtet aller tatsächlich bestehenden Unterschiede; ein rechtlich abgewerteter Status aller, die der so verstandenen Volksgemeinschaft abstammungsmäßig nicht angehören, ist damit nicht vereinbar (BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – juris Rn. 688; ebenso VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 217 ff; siehe auch S. 15 der Beobachtungserklärung).
106
Der Antragsteller hat im vorliegenden Verfahren weder die vom Antragsgegner herangezogenen Äußerungen noch deren Deutung im Sinne eines ethnokulturellen Volksbegriffs substantiiert in Zweifel gezogen. Der Antragsteller befasst sich allenfalls mit dem Redebeitrag von Be. No. am 4. Mai 2019 in Greding. Zu den zahlreichen Äußerungen von Bj. Hö., dessen zentrale Rolle innerhalb des Flügels er nicht in Frage stellt, verweist er lediglich pauschal auf das Vorbringen im Schriftsatz vom 17. Juni 2021 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln. Der entsprechende Schriftsatz (S. 553 bis 670) beschäftigt sich dabei auch mit Äußerungen Hö.s, nicht jedoch mit denen, die der Antragsgegner angeführt bzw. auf die er Bezug genommen hat und erst Recht nicht mit dem Gesamtbild, das diese Äußerungen der zentralen Führungsperson des Flügels im Hinblick auf dessen Volksverständnis vermitteln.
107
Auf die Frage, ob auch die vom Antragsgegner angeführten, von Bj. Hö. bei einer Rede am 14. Februar 2020 in Kulmbach verwandten Begriffe der „Selbstbefreundung“ und der „Schleusenzeit“ (vgl. ausführlich Antwort der Staatsregierung auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Graupner vom 20.11.2020, LT-Drs. 18/10298: „Selbstbefreundung“ als „verharmlosende Umschreibung der Absicht, ein ethnisch homogenes Volk zu schaffen“ und „Schleusenzeit“ als der „diagnostizierte Niedergang des Staates (…) verbunden mit dem Aufbruch zu etwas Neuem, das sich gegen die vermeintliche Auflösung des deutschen Volks richtet“; im gleichen Sinne auch Verfassungsschutzbericht Bayern 2020, S. 153 f.) bzw. die Äußerungen von Be. No. am 4. Mai 2019 in Greding auf einen solchen Volksbegriff hinweisen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich an, da sich hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein verfassungsfeindliches Volksverständnis bereits aus den anderen genannten Äußerungen ergeben.
108
Eine nachhaltige und glaubhafte Distanzierung der Gesamtpartei von dem von Mitgliedern des ehemaligen Flügels und insbesondere von Bj. Hö. vertretenen Volksbegriff ist nicht erkennbar. Vielmehr verweist die Beobachtungserklärung (S. 8 f.) des BayLfV auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln (U.v. 8.3.2022 a.a.O. Rn. 857 bis 861, 864) zum Parteiprogramm der Gesamtpartei vom 24. Februar 2022 und insbesondere zu Äußerungen von Partei, Parteiorganen und einflussreichen Mitgliedern (z.B. Bundesvorstand, Gesamtpartei, Alice Weidel und Alexander Gauland zu „Passdeutschen“ bzw. „Austausch“ oder „Veränderung“ des Volkes durch Zuwanderung), die jedenfalls tendenziell auf einen verfassungsfeindlichen ethnisch-kulturellen oder ethnisch-biologischen Volksbegriff hindeuten. Schließlich distanziert sich auch der Antragsteller selbst in keiner Form von den Äußerungen Bj. Hö.s. So ist das Mitglied des Landesvorstandes Ge. Ho. nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren am 7. Juni 2023 gemeinsam mit ihm in Mödlareuth/Thüringen aufgetreten. Zudem wurde Bj. Hö. vom Bezirksverband Unterfranken zu einer Veranstaltung am 25. Juni 2023 in Würzburg eingeladen. Darauf, ob Bj. Hö. eingeladen wurde, gerade weil er verfassungsfeindliche Äußerungen tätigt bzw. Redebeiträge liefert, und inwieweit von einem „Zu-Eigenmachen“ dieser Aussagen durch die Zuhörer ausgegangen werden kann (vgl. Erwiderung der Antragstellerseite vom 16.8.2023, S. 16), kommt es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht entscheidungserheblich an. Nach der Rechtsprechung des Senats kann es bereits ein tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen sein, wenn einem Redner, der einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, die Möglichkeit eröffnet wird, verfassungsfeindliche Positionen zu verbreiten und dafür Werbung zu machen, ohne dass es dabei auf den konkreten Inhalt des Vortrags ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2020 – 10 ZB 18.2223 – juris Rn. 11). Dies kann im Zusammenhang mit einer in Frage stehenden Distanzierung von verfassungsfeindlichen Auffassungen dahinstehen. Die Einladung Bj. Hö.s – aus welchem Grund auch immer – spricht jedenfalls deutlich gegen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit und Distanzierung von den Ansichten Hö.s und den Mitgliedern des ehemaligen Flügels.
109
b) Konkrete und hinreichend verdichtete Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei der AfD i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG n.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG sieht das BayLfV weiter zu Recht darin, dass auch die Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative“ (JA) ein verfassungsfeindliches ethno-kulturelles bzw. ethnobiologisches Volksverständnis vertritt.
110
Soweit der Antragsteller in erster Instanz geltend gemacht hat, die JA habe in Bayern keinen Einfluss auf den Landesverband, ist dem entgegenzuhalten, dass es – wie ausgeführt – nicht nur auf die Verhältnisse in Bayern ankommt – und der Einwand bezogen auf die Gesamtpartei nicht glaubhaft ist, da derzeit etwa der Bundesvorsitzende der JA Ha. Gn. für die AfD ein Bundestagsmandat innehat. Ungeachtet dessen hat der Antragsgegner in der Beobachtungserklärung ausgeführt, dass es in Bayern rund 100 Anhänger der JA gebe und am 16./17. Oktober 2021 mit Michael Strauch ein Kandidat, den der Landesvorstand der JA am 17. Oktober 2021 öffentlich als „Kandidaten der JA“ bezeichnete, in den bayerischen Landesvorstand gewählt wurde. Ein jedenfalls nicht unerheblicher Einfluss der JA auf die Gesamtpartei liegt daher ungeachtet der vom Antragsteller geschilderten (landes-)satzungsrechtlichen Verhältnisse nahe.
111
Zu den materiellen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen der JA zitiert die Beobachtungserklärung den „Deutschlandplan“ der JA vom Februar 2019, wonach die JA den „kulturellen und ethnischen Erhalt des deutschen Volkes“ an „erste Stelle“ ihrer Migrationspolitik setzt und eine „Assimilation“ von Einwandern am Maßstab des „authochthone(n) Deutsche(n)“ verlangt. Darüber hinaus verweist die Beobachtungserklärung auf zahlreiche vom Verwaltungsgericht Köln (U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 240 ff.) zitierte Äußerungen von ehemaligen (Da. Lo. sowie Ma. T. Ne.) und amtierenden (Ni. Har.) Mitgliedern des Bundesvorstands der JA sowie von mehreren Landesverbänden der JA. Auch hier deuten die häufig und systematisch verwandten Begriffe („Umvolkung“, „Großer Austausch“ „autochthone Deutsche“ „ethnisches Experiment“ usw.) in ihrer Gesamtheit auf ein prägendes ethnokulturelles bzw. ethnobiologisches Volksverständnis hin.
112
Vor diesem Hintergrund ergibt sich im Übrigen auch keine andere Einschätzung daraus, dass das nach der Beobachtungserklärung des BayLfV verabschiedete Papier „Programm & Leitlinien“ der JA vom 15./16. Oktober 2022 bei der Forderung nach einer „Assimilation“ von Einwanderern nicht mehr ausdrücklich auf den Begriff der „Ethnie“ Bezug nimmt. Dass damit eine inhaltliche Aufgabe eines verfassungsfeindlichen ethnokulturellen bzw. ethnobiologischen Volksverständnisses verbunden wäre, kann der Senat nicht erkennen. Hiergegen spräche etwa auch, dass zeitgleich Ha. Gn., der seit 2021 vom Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD) als Rechtsextremist eingestuft wird und selbst das Narrativ vom „Bevölkerungsaustausch“ verbreitet (wie etwa bei einer öffentlichen Rede am 17.4.2023 in Prenzlau, vgl. https://www...de/nachrichten/deutschland/politik/analyse-junge-alternative-afd-rechtsextrem-100.html), zum neuen Vorstandsvorsitzenden der JA gewählt wurde.
113
Angesichts der eindeutigen Tatsachenbasis für einen verfassungsfeindlichen Volksbegriff der JA kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, wie die in der Beobachtungserklärung des Antragsgegners ebenfalls zitierte Äußerung eines nicht namentlich benannten Mitglieds des bayerischen Landesvorstands der JA vom 2. Mai 2021 zu verstehen ist.
114
c) Konkrete und hinreichend verdichtete Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei der AfD i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG n.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG sieht das BayLfV zutreffend auch in „Umsturzphantasien“ auf verschiedenen Parteiebenen innerhalb der AfD als Gesamtpartei und vor allem diesbezüglichen Aussagen von an der geschlossenen Telegram-Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ teilnehmenden Personen.
115
Die Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 (S. 9 f.) bezieht sich bei den tatsächlichen Feststellungen zu Umsturzphantasien innerhalb der AfD als Gesamtpartei und ihrer verfassungsschutzrechtlichen Würdigung unter Bezugnahme auf entsprechende Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln (Urteil vom 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 915 ff.) vor allem auf Aussagen des (damaligen) stellvertretenden Vorsitzenden des AfD-Kreisverbandes La., Pe. A. Geb., und Äußerungen einzelner am Chat der Telegram-Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ teilnehmender Personen. Pe. A. Geb. habe am 5.1.2021 auf Facebook suggeriert, im Fall der Machtübernahme politische Gegner an die Wand stellen zu wollen: „Wir werden längere Wände als 1989 in Rumänien brauchen – Freiwillige für die Pelotons dürften aber kein Problem sein …“. Eine gleichnamige Person sei dem BayLfV im Zusammenhang mit der geschlossenen Telegram-Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ bekannt, innerhalb derer einzelne am Chat beteiligte Personen ebenfalls durch Aussagen nicht nur die Ablehnung der Demokratie und des Rechtsstaats, sondern auch ein damit einhergehendes Widerstandsgepräge mit Umsturzphantasien nahelegten.
116
Zu den am 1. Dezember 2021 durch Presseberichterstattung (zuerst des Bayerischen Rundfunks) bekannt gewordenen internen Chats der geschlossenen Telegram-Gruppe wird in der Beobachtungserklärung auf Erkenntnisse und Feststellungen entsprechender Auswertungsberichte des BayLfV vom 13. Dezember 2021 und 24. Februar 2022 (Gz. 197-S-800103.1/35/11 und 197-S-800103.1/35/63) verwiesen. Danach handelte es sich bei der nach bundesweiter Medienberichterstattung am 7. Dezember 2021 gelöschten internen Chat-Gruppe um eine u.a. vom Landeschef und Bundestagsabgeordneten der AfD St. Pr. administrierte geschlossene Gruppe unter Beteiligung von rund 200 bayerischen AfD-Mitgliedern, darunter Landtags- (13 von 16) und Bundestagsabgeordnete (11 von 12), einfache Parteimitglieder, Kreisvorsitzende und Landesvorstandsmitglieder mit mehr als 160.000 Nachrichten aus dem Zeitraum von Ende 2017 bis Mitte 2021.
117
Nach einem durch das BayLfV ausgewerteten Chat-Verlauf (message139652; s. Auswertebericht vom 13.12.2021, S. 7 f.) hat der ehemalige Kreisvorsitzende und Landratskandidat der AfD (bei den Wahlen 2020) im Landkreis Mi., Al. Os., der nach einem Pressebericht vom 2. Dezember 2021 mit Wirkung vom 30. November 2021 sein Parteiamt niedergelegt und die AfD verlassen hat, am 4. Dezember 2020 in einem auszugsweise bekannt gewordenen Chat offensichtlich Sympathien für eine Revolution und einen Systemwechsel wie folgt ausgedrückt: „Manchmal denk ich mir das ganze System (Politik Medien Justiz …) hier im Bananenland ist derart korrupt, kriminell … das nur noch eine Revolution hilft. Auf welche Art und Weise immer. Diese regierenden Verbrecher, mit den meisten deutschen Schlafschafen ja simpel zu realisieren, werden uns derart zum Absturz bringen, in eine gewaltige Katastrophe treiben die seinesgleichen erst mal gefunden werden muss. Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr. Der Abgrund ist nahe. Wahlen helfen hierzu ohnehin nicht mehr.“
118
Die Chat-Teilnehmerin mit dem Klarnamen An. Cy. (seit November 2018 für die AfD Mitglied des Bayerischen Landtages) hat nach der Chat-Auswertung anschließend geäußert: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten – hat auch Tucholsky schon gesagt. Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr herauskommen werden. Denn wenn die Mehrheit der Bevölkerung Widerstand leisten wird und das wird sie, wenn die Politik so weitermacht, wird man Polizei und Militär gegen uns in Stellung bringen.“
119
Es folgt im Chat-Verlauf die Äußerung des Chat-Teilnehmers Ge. Ho. (Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Kulmbach und Beisitzer im bayerischen AfD-Landesvorstand): „Absolute Zustimmung.“
120
Außerhalb dieses konkreten Chat-Verlaufs hat Al. Os. nach den Feststellungen des BayLfV zudem geäußert: „Wir brauchen die totale Revolution.“
121
Ge. Ho. hat nach den Feststellungen des BayLfV zudem zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt „im Januar“ in einem Chat dieser Gruppe auf die Forderung eines namentlich nicht genannten früheren oberbayerischen Landtagskandidaten, „Die AfD muss auch endlich offen die Systemfrage stellen. Im bestehenden System wird sich nichts zum Besseren ändern.“, mit der Aussage reagiert: „Zustimmung insbesondere zum Stellen der Systemfrage“.
122
Weiter habe Ge. Ho. in einem Chat der Gruppe zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt „im Juni“ Mandatsträger der AfD dazu aufgerufen: „Bekämpft bitte (oder auch gefälligst) mit dem vielen Geld dass ihr 4 lange, weitere Jahre, egal in welcher Partei bekommt das Deutschland meuchelnde System. Das erwarten unsere Wähler. Der Widerstand der Straße würde es euch danken.“
123
Schließlich verweist die Beobachtungserklärung auf weitere Äußerungen des Pe. A. Geb. In einem Chat an 29. August 2020 habe er sich zum sogenannten Reichstagssturm am gleichen Tag in Berlin geäußert: „Meine Anerkennung gilt den Aktivisten, die die Absperrungen vor dem Reichstag überwanden!“ und „Florian, Symbolcharakter! Denn diese Bilder gehen um die Welt und werden zeigen, dass unser Land kurz vor einer Explosion steht – so wie in anderen vorrevolutionären Nationen. Und das ist das entscheidende. Und wenn es nur zur Abschreckung gegen illegale Einwanderer hilft …“.
124
In einem Chat an 30. August 2020 habe er geschrieben: „Florian, viele von uns haben sich in der AfD engagiert, um genau die Gefahr von gewaltsamem Widerstand erst gar nicht aufflammen zu lassen, indem sie auf demokratischem Weg über Argumente & Wahlen Änderungen herbeiführen. Dies ist aber weder bisher gelungen – noch wird es auf absehbare Zeit gelingen. Macht aber auch nichts mehr: …“.
125
Die Äußerung vom 30. August 2020 erfolgte im Kontext mit Beiträgen anderer Angehöriger der Chat-Gruppe, unter anderem der Äußerung eines Teilnehmers: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“.
126
Zu Recht sieht das BayLfV in den angeführten Äußerungen nicht nur eine Ablehnung der Demokratie und des Rechtsstaats und damit konstitutiver und unverzichtbarer Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes (vgl. dazu BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BVB 1/13 – juris Rn. 530 ff.), sondern auch „ein damit einhergehendes Widerstandsgepräge mit Umsturzphantasien“, worin sich offensichtlich und eindeutig tatsächliche Bestrebungen manifestieren, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen.
127
Die Antragstellerseite hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Wesentlichen dagegen eingewandt, die Äußerungen zum sogenannten „Bayern-Chat“ könnten keine tatsächlichen Anhaltspunkte oder gar hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte begründen, weil die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen alle drei Beteiligten (Al. Os., Dr. An. Cy. und Ge. Ho.) inzwischen eingestellt worden seien. Denn in keinem der Fälle habe der behauptete Sachverhalt „mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit“ (Ho.) belegt werden können. Im Falle Dr. Cy. habe schon nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachvollzogen werden können, dass die ihr zugeschriebene Äußerung tatsächlich auch von ihr herrühre. Könne die Staatsanwaltschaft mit ihren polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen die entsprechenden Vorwürfe nicht belegen, dürfe sie der Verfassungsschutz auch nicht als Verdachtsmomente oder tatsächliche Anhaltspunkte heranziehen. Gegen die Parteimitglieder Cy. und Ho. seien im Übrigen vorsorgliche Parteiordnungsmaßnahmen eingeleitet worden, was die Distanz des Antragstellers zu den behaupteten Äußerungen belege. Al. Os. sei kein Mitglied des Antragstellers mehr, gleiches gelte für Pe. A. Geb.
128
Diese Einwände sind jedoch nicht geeignet, die Annahme konkreter und hinreichend verdichteter Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei der AfD durchgreifend in Zweifel zu ziehen. Die Beobachtung eines Beobachtungsobjekts durch die Verfassungsschutzbehörde, also die Sammlung und Auswertung von Informationen (s. Art. 5a Abs. 1 BayVSG n.F.), ist eine Maßnahme der Gefahrerforschung, d.h. eine Maßnahme zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Vorfeld konkreter Gefahren, und damit schon von Zielrichtung und Zweck etwas völlig anderes als die Verfolgung von Straftaten durch die Strafverfolgungsbehörden. Demgemäß genügen für die verfassungsschutzspezifische Eingriffsschwelle – wie oben dargelegt – bereits Anhaltspunkte in Form konkreter und hinreichend verdichteter Umstände als Tatsachenbasis, die geeignet sind, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu begründen. Die Feststellung eines hinreichenden Tatverdachts einer Straftat ist weder Zweck noch Voraussetzung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
129
Soweit die Antragstellerseite mit ihrem Einwand bezüglich des Chat-Beitrags von An. Cy. suggeriert, sie habe eine entsprechende Äußerung gar nicht getätigt, wird dies durch die im Auswertungsbericht des BayLfV vom 13. Dezember 2021 ebenfalls angeführte Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung vom 3. Dezember 2021 widerlegt: „Cy. sagte nach der Enthüllung, sie habe gar nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen, sondern davor gewarnt: „Meine Befürchtungen gehen durchaus in die Richtung, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt zu dieser Destabilisierung kommen könnte, wenn Grundrechte (…) temporär oder auf Dauer außer Kraft gesetzt werden.“ Der volle Chat-Beitrag, der der SZ vorliegt, zeigt aber im Nachsatz von Cy., man wird „Polizei und Militär gegen uns in Stellung bringen“.“
130
Die von Cy. damit angesprochene Deutung ihres Chat-Beitrags als „Warnung“ sieht der Senat gerade unter Berücksichtigung des Kontextes des Chats als fernliegend und bloßen Rechtfertigungsversuch an.
131
Der nicht näher substantiierte Hinweis des Antragstellers, „vorsorglich Parteiordnungsmaßnahmen gegen die Parteimitglieder Cy. und Ho.“ eingeleitet zu haben, belegt unabhängig davon, dass die „vorsorglichen Parteiordnungsmaßnahmen“ offensichtlich erst nachträglich infolge der bundesweiten Medienberichterstattung eingeleitet worden sind und deren Ausgang unbekannt bleibt, weder eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit und nachhaltige Distanzierung von den geäußerten Ansichten dieser Personen. Da An. Cy. zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch für die AfD Mitglied des Bayerischen Landtages und Ho. nach wie vor Beirat des AfD-Landesvorstandes ist, sind mit Blick auf den maßgeblichen Einfluss dieser Personen auf die weitere Entwicklung des Landesverbandes Bayern und die Gesamtpartei der AfD solche „vorsorglichen Parteiordnungsmaßnahmen“ offensichtlich ungeeignet, die Verwertung dieser Äußerungen und Annahme hinreichend verdichteter Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei der AfD durchgreifend in Frage zu stellen. Denn Beobachtungszweck und demgemäß Aufklärungsinteresse der streitgegenständlichen Beobachtung der AfD-Gesamtpartei mit Fokus auf Berührungspunkte zum Freistaat Bayern ist – wie dargelegt – gerade auch, aufzuklären, welchen Einfluss verfassungsrechtliche Bestrebungen für die künftige Entwicklung der AfD in Bayern und damit auch der AfD als Gesamtpartei haben und in welche Richtung sich die Partei letztlich entwickelt.
132
Der lapidare Hinweis des Antragstellers, Al. Os. und Pe. A. Gebhardt seien keine Mitglieder des Landesverbands Bayern der AfD (mehr), vermag die Verwertung dieser Äußerungen und die Annahme hinreichend verdichteter Anknüpfungspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei der AfD ebenfalls nicht durchgreifend infrage zu stellen. Zum einen hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf verwiesen (BA S. 63 Rn. 179), dass unabhängig davon, aus welchen Gründen die betreffenden Personen inzwischen nicht mehr Mitglied der Partei sind, Äußerungen gerade mit Blick auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als Gefahrerforschungsmaßnahme jedenfalls dann zugerechnet und verwertet werden können, wenn sie wie hier zum Zeitpunkt der Äußerung (noch) als Parteifunktionär bzw. Parteimitglied abgegeben wurden. Dies gilt erst recht, wenn solche Äußerungen in entsprechenden Foren wie der Telegram-Chat Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ (mit der oben beschriebenen Zusammensetzung) gemacht wurden.
133
Ob entsprechend der Beschwerdeerwiderung des Antragsgegners (S. 10) der ehemalige Kreisvorsitzende und Landratskandidat der AfD Pe. A. Geb. weiterhin auf Twitter mit AfD-Symbolik auftritt und demgemäß weiter dem Umfeld der AfD zugerechnet werden kann, ist nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich.
134
d) Weitere konkrete und hinreichend verdichtete Anknüpfungspunkte als Tatsachenbasis für die Annahme verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Gesamtpartei der AfD i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Nr. 1 BayVSG n.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG sieht das BayLfV zu Recht in Aussagen aus der Gesamtpartei und dem bayerischen Landesverband der AfD, die in ihrer Gesamtheit darauf hindeuten, die Partei missachte die Menschenwürde von Muslimen in verfassungsschutzrechtlich relevanter Weise.
135
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Menschenwürde egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Mit der Menschenwürde unvereinbar sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen (BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 – juris Rn. 541). Ein Politikkonzept, das auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gerichtet ist, ist mit der Menschenwürde unvereinbar (BVerfG, a.a.O. Rn. 635).
136
Die vom BayLfV (S. 10 f. der Beobachtungserklärung) genannten Äußerungen von Er. Br. sowie Äußerungen von Mitgliedern und Funktionären der Partei, auf die das BayLfV durch Bezugnahme auf das Gutachten des BfV und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 verweist (s. insbesondere S. 1 der Beobachtungserklärung), hat das Verwaltungsgericht zu Recht als in ihrer Gesamtheit auf solch ein menschenwürdefeindliches Politikkonzept hindeutend bewertet. Dabei mögen einzelne Äußerungen für sich genommen die Grenze der Missachtung der Menschenwürde nicht überschreiten. Die Vielzahl der diffamierenden und die menschliche Würde missachtenden Positionierungen dokumentieren in der Gesamtschau aber, dass es sich nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine verfassungsschutzrechtlich relevante Tendenz handelt (ähnlich BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 – juris Rn. 635).
137
Das Verwaltungsgericht hat u.a. die im Gutachten des BfV aufgeführten konkreten Äußerungen u.a. von Er. Br. („moslemische Invasionswelle“, „irgendwelche Muslims“, „moslemische Horden“), Ma. He. („Es gibt nur einen Islam und keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus.“), Ha. Me. („Wir müssen uns nur darüber im klaren werden, dass der Islam erstens keine Religion ist und zweitens keinen Frieden und Barmherzigkeit beinhaltet. Egal wo der Islam weltweit ist gibt es Angst, Frauenverachtung, Morde und Terror.“) aus dem Landesverband des Antragstellers, daneben von La. Sch. („Muslime sind nicht integrierbar“), Ni. Hö. („(A)lle nicht durch Kopftuch Gekennzeichneten sind ergo freigegeben, zum Belästigen, zum Vergewaltigen und zum Töten“) und dem AfD-Kreisverband Vorpommern-Rügen („Islamfaschismus“ über eine friedliche Zusammenkunft von 400 Muslimen) zugrunde gelegt und ist zu der Auffassung gelangt, dadurch würden Muslime wegen ihrer Religionszugehörigkeit systematisch, anhaltend und wiederholt pauschalisierend auf polemische Art und Weise herabgesetzt, ausgegrenzt und als kriminelle, nicht integrierbare Menschen zweiter Klasse dargestellt (BA S. 29 ff. Rn. 74 ff. und S. 36 Rn. 101).
138
Hinzu kommen weitere, vom Verwaltungsgericht Köln (U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21) zitierte Äußerungen von Mitgliedern, Funktionsträgern und Organisationen der AfD (z.B. Bj. Hö. [Rn. 701]: „Kein Asyl für Muslime in Deutschland!“, sowie [Rn. 698]: „Langfristig (…) stehen die Auflösung der Parallelgesellschaften sowie die Re-Migrationsprogramme, die natürlich De-Islamisierungsprogramme inkludieren, auf der Tagesordnung.“) oder Christina Baum [Rn. 805]: „Die bewußte Entscheidung der vorwiegend muslimischen Migranten für Deutschland kann deshalb nur eines bedeuten: wir sollen unterwandert und unterworfen werden“), auf die das BayLfV in der Beobachtungserklärung weiter Bezug nimmt. Schließlich verweist die Beobachtungserklärung (S. 9) auf zwei weitere Äußerungen von Gerhard Brucker (Auswertungsbericht vom 24.2.2022, S. 5: Islam als „klerikal faschistisches System, welches sich als Religion tarnt“ sowie Auswertungsbericht vom 13.12.2021, S. 26: Islam als „ansteckende Krankheit“).
139
Damit liegen Äußerungen sowohl aus der Bundespartei als auch aus dem Landesverband Bayern vor, die aufgrund ihrer Qualität und Quantität auf ein menschenwürdefeindliches Politikkonzept in nicht unerheblichen Teilen der Partei hindeuten.
140
Wenn der Antragsteller sich im Beschwerdeverfahren ausschließlich mit den Mitgliedern seines Landesverbandes befasst (S. 12 ff. der Beschwerdebegründung) und insofern einwendet, Ma. He. sei mittlerweile verstorben, Er. Br. und Ha. Me. hätten sich von ihren Äußerungen mit Erklärungen vom 8. Mai 2023 bzw. vom 4. Mai 2023 distanziert und die Beiträge seien – soweit möglich – mittlerweile gelöscht, verkennt er zunächst einmal mehr, dass das BayLfV die Gesamtpartei als Beobachtungsobjekt behandelt (s. oben 1.2.) und demzufolge auch Äußerungen von Mitgliedern, Funktionsträgern, Gremien und Unterorganisationen der AfD in den Blick nehmen und verwerten konnte, die nicht unmittelbar dem Landesverband Bayern angehören oder für diesen tätig sind.
141
Unabhängig davon sind die Erklärungen von Er. Br. und Ha. Me. nicht geeignet, eine glaubhafte Distanzierung zu vermitteln. Er. Br. gibt an, er habe mit seinen Äußerungen („moslemische Invasionswelle“, „irgendwelche Muslims“, „moslemische Horden“) lediglich das „Phänomen der unkontrollierten Einwanderung thematisieren“ und „den politischen Islam (…) kritisieren“ wollen. Ha. Me. erklärt, er habe mit seiner Äußerung („Wir müssen uns nur darüber im klaren werden, dass der Islam erstens keine Religion ist und zweitens keinen Frieden und Barmherzigkeit beinhaltet. Egal wo der Islam weltweit ist gibt es Angst, Frauenverachtung, Morde und Terror.“) „keine Kausalität darstellen (wollen), sondern eine Korrelation zwischen den (politischen) Verhältnissen in einigen Ländern und dem Islam, der dort als politisches Instrument genutzt wird“.
142
Abgesehen davon, dass diese „Distanzierungen“ erst erfolgten, nachdem das Verwaltungsgericht die ursprünglichen Erklärungen als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen herangezogen hatte und damit eine verfahrenstaktische Motivation naheliegt (zur Glaubhaftigkeit einer Distanzierung, die erst während eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt: BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 – juris Rn. 656) laufen der Wortlaut und das, was die Äußernden angeblich gemeint haben, jeweils in einer Weise auseinander, dass die „Distanzierungen“ völlig unglaubhaft erscheinen. Zudem sind die beiden Erklärungen nach Form und Inhalt teilidentisch, wodurch der Eindruck entsteht, sie seien den Erklärenden bereits ausformuliert vorgelegt worden.
143
Schließlich weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass es darauf angekommen wäre, dass sich der Antragsteller selbst von diesen Äußerungen distanziert (zur Bedeutung der Distanzierung durch die Partei selbst: BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 – juris Rn. 563). Dem hält der Antragsteller in seiner Replik (S. 20 des Schriftsatzes vom 16.8.2023) zu Unrecht entgegen, er habe sich diese Distanzierungen „evident“ zu eigen gemacht, indem er diese förmlich in das Verfahren eingebracht habe. Eine glaubhafte Distanzierung von öffentlichen Äußerungen hätte zeitnah (dazu BVerfG, U.v. 17.1.2017 – 2 BvB 1/13 – BVerfGE 144, 20 – juris Rn. 673, 724) und öffentlich erfolgen müssen und nicht nach langer Zeit in einem Beschlussverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Gegen eine nachhaltige Distanzierung von den Äußerungen spricht zudem, dass Er. Br. noch immer Mitglied des Landesvorstandes des Antragstellers ist und H Me auf Listenplatz 2 der Bezirksliste Oberfranken für die Landtagswahl in Bayern nominiert wurde.
144
Der Frage, ob die Äußerung des mittlerweile verstorbenen Ma. He. nach dessen Tod und/oder aufgrund Zeitablaufs noch berücksichtigt werden kann, kommt angesichts der Vielzahl eindeutiger Belege für ein die Menschenwürde von Muslimen verletzendes Politikkonzept der AfD keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
145
e) Schon die dargelegten Feststellungen zum Einfluss der Sammlungsbewegung innerhalb der AfD „Der Flügel“ auf die inhaltliche bzw. ideologische Ausrichtung der Gesamtpartei sowie die Feststellungen zu Umsturzphantasien innerhalb der AfD-Gesamtpartei rechtfertigen jeweils für sich bereits die Annahme hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD-Gesamtpartei. Umso mehr gilt dies bei einer wertenden Gesamtbetrachtung sämtlicher unter a) bis d) als Tatsachenbasis aufgeführter hinreichend gewichtiger Anknüpfungspunkte.
146
1.4. Die streitgegenständliche Beobachtung entspricht nach zutreffender Bewertung des Verwaltungsgerichts den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung (1.4.1.) und wahrt insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG n.F.; 1.4.2.).
147
1.4.1. Dahinstehen kann, ob bei Vorliegen beobachtungsbedürftiger Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne von Art. 5a Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 BayVSG n.F. die (förmliche) Entscheidung zur Beobachtung nach dieser allgemeinen Befugnisnorm (s. auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 BayVSG a.F.) im Ermessen der Verfassungsschutzbehörde steht (in diesem Sinne differenzierend zwischen Aufgabenerfüllung nach Art. 3 BayVSG und Gebrauchmachen von der Befugnis zur Beobachtung: Lindner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 15.4.2023, BayVSG Art. 5 Rn. 40) oder ob wegen der im Grundgesetz verbindlich angelegten Funktion des Verfassungsschutzes als Instrument der „wehrhaften Demokratie“ (s. oben B) 1.3.1) bei Vorliegen von dem Beobachtungsauftrag unterliegenden Bestrebungen die verfassungsrechtliche Pflicht zur Beobachtung (Legalitätsprinzip) besteht (so Lindner/Unterreitmeier, DVBl 2019, 819/822 und 825: „…steht nicht im Ermessen der Verfassungsschutzbehörde“; vgl. dazu auch VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 946).
148
Denn die in der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 getroffene Beobachtungsentscheidung entspricht jedenfalls den Anforderungen ordnungsgemäßer Ermessensausübung.
149
Die im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände des Antragstellers, der Antragsgegner habe allein wegen der Einstufung des Bundesverbands durch das BfV und der (noch) nicht rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln eine Beobachtung in Bayern begonnen, qualitativ oder quantitativ hinreichende Anhaltspunkte in Bayern gebe es nicht, greifen aus den oben dargelegten Gründen nicht durch. Der Antragsteller verkennt nicht nur die oben (unter A) 1.2.) dargelegte Staatsaufgabe des Verfassungsschutzes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. c) und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG und das Beobachtungsobjekt AfD-Gesamtpartei, sondern vor allem auch die aufgeführten hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD-Gesamtpartei.
150
1.4.2. Die Beobachtung der AfD-Gesamtpartei durch das BayLfV in dem Umfang, wie er der Beschreibung des Beobachtungsobjekts, der angenommenen Beschränkungen bei Abgeordneten und Mandatsträgern der AfD sowie dem konkret beschriebenen Aufklärungsinteresse in Teil 2 „Bewertung“ der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 (S. 14 ff.) zu entnehmen ist, wahrt die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 6 BayVSG n.F.). Da im vorliegenden Fall – wie oben dargelegt – auch die Mindestvoraussetzungen für die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel bei der Erhebung von Informationen zur Aufklärung einer beobachtungsbedürftigen Bestrebung oder Tätigkeit gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG n.F. vorliegen, durfte das BayLfV grundsätzlich auch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel unter Beachtung der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 (1 BvR 1619/17) zu entnehmenden Maßgaben, die der Gesetzgeber inzwischen mit der Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes durch § 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes vom 24. Juli 2023 (GVBl. S. 374) umgesetzt hat, als rechtlich mögliche und geeignete Maßnahme zur Informationsbeschaffung ansehen (vgl. Nr. 2.2.4.1 der Beobachtungserklärung, S. 18).
151
Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Bewertung entgegen dem Beschwerdevorbringen weder das Gewicht der vorliegenden hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen einerseits und des durch die Beobachtung bewirkten Eingriffs in grundgesetzlich garantierte Rechte des Antragstellers (insbesondere Art. 21 Abs. 1 GG) andererseits noch etwa den zulässigen zeitlichen Rahmen der Beobachtung verkannt (zu den zeitlichen Grenzen der Beobachtung vgl. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 sowie allgemein Art. 6 Abs. 3 BayVSG n.F.).
152
Im Ergebnis wiegt hier auch nach Auffassung des Senats der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung jedenfalls schwerer als der Eingriff in die Rechte des Antragstellers.
153
2. Der Antragsteller hat im dafür maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats aller Voraussicht nach auch keinen (Anordnungs-)Anspruch auf Unterlassung der öffentlichen Bekanntgabe der Beobachtung (des Antragstellers). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass es für einen derartigen Unterlassungsanspruch an der erforderlichen rechtswidrigen Beeinträchtigung durch die öffentliche Bekanntgabe der Beobachtung fehlt (BA S. 76 ff.).
154
Der im Beschwerdeverfahren auch insofern erhobene Einwand, es fehle vorliegend schon an den für eine Beobachtung erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkten in qualitativer und quantitativer Hinsicht und damit erst recht an hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkten nach Art. 26 BayVSG a.F., greift aus den unter 1. dargelegten Gründen nicht durch. Auch wenn die tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen „hinreichend gewichtig“ sein müssen, um gemäß Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG a.F. bzw. jetzt Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 BayVSG n.F. – auch außerhalb der Berichterstattung durch den Verfassungsschutzbericht (s. Abs. 2) – die Öffentlichkeit über die Erklärung zum Beobachtungsobjekt und den Umstand der Beobachtung zu informieren, und die Anforderungen an die Berichterstattung damit höher sind als diejenigen an die nachrichtendienstliche Beobachtung selbst (vgl. dazu Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Möstl/Schwabenbauer, Stand 15.4.2023, BayVSG Art. 26 Rn. 20 ff. m.w.N.), liegen nach den Feststellungen der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 zur Überzeugung des Senats tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen vor, die auch diese erhöhten Anforderungen erfüllen. Die im Beschwerdeverfahren wiederholte Einlassung, es handle sich hier nur „um einige wenige Äußerungen von einigen wenigen Personen“, von denen der Antragsteller auch nicht Kenntnis gehabt haben müsse, ist nicht nur eine Verharmlosung der vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte, sondern sachlich unzutreffend. Im Übrigen besagt der Umstand, dass tatsächliche Anhaltspunkte bzw. Belege dafür einer mehr oder weniger großen Zahl unverfänglicher Sachverhalte scheinbar untergeordnet sind, allein nichts über ihre Aussagekraft (vgl. BVerwG, B.v. 24.3.2016 – 6 B 5.16 – juris Rn. 9).
155
Der weiter erhobene Einwand der fehlenden Anhörung greift aus den zutreffenden Gründen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (BA S. 80 f.) nicht durch.
156
3. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist hinsichtlich seines auf die Berichterstattung des Antragsgegners in Form der Presseerklärung vom 8. September 2022 bezogenen Unterlassungsbegehrens dagegen insoweit begründet, als in der Überschrift und dem Einleitungssatz dieser Presseerklärung die Formulierung „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen – AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ verwendet wird.
157
Denn insoweit wird die auch im Veröffentlichungszeitpunkt der Presseerklärung im Übrigen rechtlich nicht zu beanstandende öffentliche Berichterstattung über die Beobachtung der AfD (s.o. unter 2.) schon den in der Beobachtungserklärung vom 21. Juni 2022 selbst beschriebenen Grenzen (vgl. Nr. 2.2.4.3, S. 19 und insbes. 20), wonach aus der öffentlichen Berichterstattung deutlich werden müsse, dass noch keine gesicherten Erkenntnisse für eine extremistische Bestrebung (der AfD-Gesamtpartei) vorliegen, und dadurch „eine überschießende Fehletikettierung der AfD als geschlossen/erwiesen extremistisch vermieden werden“ soll, nicht gerecht. Diese Einschränkung ergibt sich im Übrigen zwingend aus der nach der Beobachtungserklärung des BayLfV vom 21. Juni 2022 auch für Bayern geltenden „zentralen Aufklärungsfrage …, ob sich der Verdacht der verfassungsfeindlichen Bestrebungen dergestalt erhärtet und bestätigt, dass in der gesamten Partei eine die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnende Grundtendenz festgestellt werden kann.“ (Nr. 2.2.3, S. 18). Auch der für die Art und Weise der Berichterstattung nach Art. 27 BayVSG n.F. geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt grundsätzlich, unterschiedlich dichte und belastbare Erkenntnislagen in der Berichterstattung entsprechend kenntlich zu machen (vgl. dazu Meermagen in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, a.a.O., Art. 26 BayVSG Rn. 30 f. unter Verweis auf BVerfG, B.v. 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 – juris Rn. 82 f.; vgl. auch BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 10 B 15.1320 – juris Rn. 97).
158
Diesen Anforderungen genügt nach Auffassung des Senats die vom Antragsteller (unter anderem) beanstandete Formulierung in der Überschrift und dem Einleitungssatz der Presseerklärung vom 8. September 2022 nicht. Die im Beschwerdeverfahren wiederholte Rüge des Antragstellers, nach dem dafür maßgeblichen Empfängerhorizont sei diese Formulierung so zu verstehen, dass der Antragsteller der „extremistischen Szene“ zugehörig sei, ist berechtigt.
159
Für die Ermittlung des Erklärungsinhalts ist entscheidend darauf abzustellen, wie der (durchschnittliche) Empfänger die Äußerung entsprechend der auch im öffentlichen Recht geltenden Regeln der §§ 133, 157 BGB bei objektiver Würdigung verstehen kann. Auch wenn die in der Formulierung nach dem Gedankenstrich verwendete Aussage „AfD als Beobachtungsobjekt aufgenommen“ eine zutreffende Tatsache enthält, so wird dem durchschnittlichen Adressaten bzw. Leser der Pressemitteilung durch den Zusammenhang mit dem ersten Teil der Formulierung „Krisen idealer Nährboden für extremistische Szenen“ vermittelt, die AfD und damit auch der bayerische Landesverband der Partei sei Teil dieser extremistischen Szene. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung, ein durchschnittlich verständiger Leser würde die Aussage so verstehen, dass eine Beobachtung dahingehend stattfinden soll, inwieweit der Antragsteller ein Teil dieser Szene ist, ist nach Auffassung des Senats eher fernliegend.
160
Eine Veranlassung dafür, auf den Antrag des Antragstellers hin insoweit nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 928, 890 ZPO (zur Unanwendbarkeit des § 172 VwGO bei Vollstreckung gegen die öffentliche Hand in allen Fällen des Unterlassens vgl. Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 172 Rn. 2 m.w.N.) ein Ordnungsgeld anzudrohen, sieht der Senat mangels diesbezüglichen Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers nicht. Es bestehen unabhängig von der materiellen Rechtskraftwirkung der Entscheidung des Senats und der Bindung des Antragsgegners an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) keine Anhaltspunkte dafür und es ist für den Senat auch sonst nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner der ihm insoweit durch den Senat auferlegten Unterlassungsverpflichtung nicht umgehend nach Bekanntgabe dieser Entscheidung nachkommen wird (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.11.2021 – 1 S 121/21 – juris Rn. 28). Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner im bisherigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren der ihm durch Zwischenentscheidung des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 auferlegten Verpflichtung, bis zu dessen Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig keine nachrichtendienstlichen Mittel im Sinne von Art. 8 BayVSG und Art. 9 bis Art. 19a BayVSG a.F. anzuwenden, offensichtlich nachgekommen ist und dagegen keine Beschwerde eingelegt hat.
161
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, weil der Antragsgegner unter Berücksichtigung sämtlicher Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nur zu einem unbedeutenden Rest unterliegt.
162
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 63 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG. Bei der Bemessung des Streitwerts der Anträge zu 1. a) und b), 2. und 3. hat sich der Senat bezüglich der Bedeutung der Sache für den Antragsteller nicht an der Höhe der jeweils beantragten maximalen Ordnungsgeldhöhe (§ 52 Abs. 1 GKG) orientiert (so VG Köln, U.v. 8.3.2022 – 13 K 326/21 – juris Rn. 1001), sondern jeweils den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zugrunde gelegt. Da die Entscheidung die Hauptsache jedenfalls in zeitlicher Hinsicht im Wesentlichen vorwegnimmt, ist der anzusetzende Auffangwert in Höhe von 5.000 Euro je Streitgegenstand nicht gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.
163
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).