Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 16.01.2023 – B 3 K 22.30305
Titel:

Ausschluss vom subsidiären Schutz wegen „schwerer Straftat”

Normenkette:
AsylG § 4 Abs. 2, § 73b Abs. 3
Leitsatz:
Dem Ausschluss vom subsidiären Schutz hat eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorausgehen, was dem automatischen Erlass einer Entscheidung entgegensteht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rücknahme subsidiären Schutzes wegen Drogendelikten, Asylrecht, Ausländer, subsidiärer Schutz, Rücknahme, Drogendelikte
Fundstelle:
BeckRS 2023, 2462

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger, kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, wurde am 24.06.2016 als subsidiär schutzberechtigt anerkannt. Er hatte zur Begründung seines Asylgesuchs vorgetragen, dass er vor dem IS habe fliehen müssen.
2
Am 14.03.2019 wurde der Kläger wegen Veränderns amtlicher Ausweise zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 21.11.2019 erfolgte eine Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in 2 Fällen. Am 05.02.2020 prüfte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) daher, ob ein Widerrufsverfahren gegen den Kläger durchführt werden solle.
3
Am 06.04.2020 erfolgte eine weitere Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Am 12.05.2021 wurde der Kläger wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 2 Fällen in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 5 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Haftstrafe von 7 Jahren und 4 Monaten verurteilt.
4
Mit Schreiben vom 19.11.2021 wurde der Kläger vom Bundesamt zur beabsichtigten Rücknahme seines subsidiären Schutzstatus angehört. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht.
5
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20.01.2022 wurde der subsidiäre Schutzstatus des Klägers zurückgenommen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Zur Begründung führte der Bescheid aus, ein Ausländer sei von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen würden, dass der Ausländer eine schwere Straftat begangen hat. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen bewaffneten Drogenhandels stehe fest, dass dieser eine schwere Straftat begangen habe. Bei den §§ 29a und 30a BtMG handele es sich um Verbrechen. Betäubungsmittelkriminalität richte sich gegen Gesundheit und Leben Dritter. Der Kläger sei zudem in Besitz mehrerer Waffen gewesen. Er stelle auch eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Der Kläger sei bereits zuvor einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Weder die diesbezüglichen Verurteilungen, noch eine Hausdurchsuchung hätten ihn von weiteren Taten abhalten können. Auch die Unterbringung des Klägers in eine Entziehungsanstalt führe nicht zu einer anderen Beurteilung.
6
Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Ein drohender ernsthafter Schaden durch einen bewaffneten innerstaatlichen Konflikt sei derzeit in der Heimatregion Kirkuk des Klägers nicht gegeben. Der fast 26-jährige Kläger habe bis zu seinem 18. Lebensjahr im Irak gelebt und sei dort sozialisiert. Er sei auch arbeitsfähig. In Deutschland habe er 2 Jahre lang in der Lebensmittelherstellung gearbeitet. Auch während seines Gefängnisaufenthaltes habe er nun Zeit, weitere Arbeitserfahrung zu sammeln. Der Bescheid wurde dem Kläger am 02.02.2022 zugestellt.
7
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 14.02.2022 erhob der Kläger Klage zum bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach. Er beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.1.2022, Az. … aufzuheben.
8
Eine Begründung der Klage erfolgte nicht.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
11
Mit Beschluss vom 25.03.2022 wurde die Streitsache zuständigkeitshalber an das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth verwiesen.
12
Mit Beschluss vom 12.09.2022 wurde der Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Mit Schreiben vom 30.09.2022 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid angehört. Die Beteiligten äußerten sich hierzu nicht. Mit Gerichtsbescheid vom 31.10.2022 wurde die Klage abgewiesen. Der Kläger beantragte hiergegen mündliche Verhandlung.
13
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 13.1.2023 verzichtete der Kläger auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 13.1.2023 ebenfalls auf mündliche Verhandlung.
14
Ergänzend wird hinsichtlich des Sachverhalts auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

15
1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 20.1.2022.
16
Gem. § 73 b Abs. 3 AsylG ist die Gewährung des subsidiären Schutzes zurückzunehmen, wenn der Ausländer nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist oder eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen oder die Verwendung gefälschter Dokumente für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend war. Gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat. Das Gesetz definiert dabei nicht, wann eine solche „schwere Straftat“ gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des EuGHs muss vielmehr bei jeder Entscheidung, eine Person von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls vorausgehen, was dem automatischen Erlass einer Entscheidung entgegensteht. Diese Rechtsprechung ist auch auf die Entscheidung zum subsidiären Schutzstatus zu übertragen. Wie bei den Gründen für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling liegt der Zweck der Gründe für den Ausschluss vom subsidiären Schutz nämlich darin, Personen auszuschließen, die als des sich aus ihm ergebenden Schutzes unwürdig angesehen werden, und die Glaubwürdigkeit des gemeinsamen europäischen Asylsystems zu erhalten, das sowohl die Annäherung der Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft als auch die Maßnahmen über die Formen des subsidiären Schutzes umfasst, die einer Person, die eines solchen Schutzes bedarf, einen angemessenen Status verleihen (EuGH, U. v. 13.9.2018 – C-369/17 – Rn. 49ff., juris).
17
Vorliegend führt die Würdigung aller Umstände des Falles des Klägers zu dem Ergebnis, dass schwerwiegende Gründe für die Annahme bestehen, dass der Kläger sich einer schweren Straftat schuldig gemacht hat und sich als der Gewährung subsidiären Schutzes unwürdig erwiesen hat. Der Kläger wurde mit Urteil vom 21.5.2021 wegen mehrerer (unter anderem bewaffneter) Delikte im Bereich des Drogenhandels (Metamphetamin, Kokain, Marihuana, Haschisch) zu einer Gesamtstrafe von 7 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt. Kriminalität im Bereich des Drogenhandels wird in unserer Rechtsordnung, wie in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert. Der Kläger war zudem im Besitz einer Schusswaffe und scharfer Munition.
18
Der Kläger wurde auch bereits zuvor wegen anderer Drogendelikte strafrechtlich verurteilt. Er stellt nach Einschätzung des Gerichtes aufgrund seiner begangenen Straftaten und der Fortsetzung seines strafbaren Verhaltens auch nach den vorangegangenen Verurteilungen, sowie aufgrund der Tatsache, dass er in Besitz einer Schusswaffe, sowie scharfer Munition gewesen ist, eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
19
Der Kläger ist daher von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen.
20
Ergänzend wird zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid auch zum Nicht-Vorliegen von Abschiebungsverboten Bezug genommen, denen das Gericht folgt § 77 Abs. 2 AsylG. Dem Gericht liegen keine Informationen vor, die (inzwischen) zu einer anderen Einschätzung der Lage in der Heimatregion des Klägers führen würden. Solche wurden auch vom Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger hat zudem entsprechend der Auskunftslage als Kurde die Möglichkeit, sich in der Autonomen Region Kurdistan (z.B. in Sulaimaniya) niederzulassen, wo, nach seinen Angaben im Asylverfahren, auch seine Familie lebt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Irak, 2.3.2022, S. 166 f.). Der Kläger ist gesund und arbeitsfähig und hat auch bereits vor seiner Ausreise aus dem Irak dort als (ungelernter) Frisör gearbeitet.
21
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.