Titel:
Popularklage einer Gemeinde gegen eine Vorschrift im Zweckentfremdungsgesetz
Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1
BV Art. 3 Abs. 1, Art. 11 Abs. 2 S. 2, Art. 98 S. 4, Art. 103 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1
ZwEWG Art. 1 S. 1
VfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Mangels ausreichender Grundrechtsrüge unzulässige Popularklage einer Gemeinde gegen eine Vorschrift im Zweckentfremdungsgesetz, die die Voraussetzungen der Genehmigungsfähigkeit einer Zweckentfremdung näher regelt. (Rn. 34 – 38)
2. Das Zweckentfremdungsgesetz räumt mit der Satzungsermächtigung des Art. 1 Satz 1 ZwEWG und der damit verbundenen – verfassungsrechtlich erforderlichen – näheren Ausgestaltung der Genehmigungsvoraussetzungen gemäß Art. 2 ZwEWG den Gemeinden mit Wohnraummangel erst die erforderlichen Handlungsoptionen ein, durch den Erlass eigener Zweckentfremdungssatzungen das Gesamtwohnraumangebot zu erhalten. Es beschränkt somit keine Kompetenzen, über die die Gemeinden kraft ihres Selbstverwaltungsrechts gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV bereits vor seinem Erlass verfügt hätten. (Rn. 55 – 61)
3. Zu den Darlegungsanforderungen, wenn in der Sache ein gesetzgeberisches Unterlassen gerügt wird. (Rn. 62 – 63)
Schlagworte:
Zweckentfremdung, Wohnraum, Wohnraumknappheit, Gesamtwohnraumangebot, Popularklage einer Gemeinde, Selbstverwaltungsrecht, Grundrechtsfähigkeit, juristische Personen des öffentlichen Recht, gesetzgeberisches Unterlassen, Ersatzwohnraum
Fundstellen:
BayVBl 2023, 804
WuM 2023, 673
LSK 2023, 24576
BeckRS 2023, 24576
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
1
Die Antragstellerin, die Landeshauptstadt München, wendet sich mit ihrer Popularklage gegen Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl S. 864, BayRS 2330-11-B), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl S. 182). Sie beantragt die Feststellung, dass diese Regelung nur mit einer bestimmten Auslegung verfassungsgemäß ist, hilfsweise rügt sie die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift.
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1. Nach Art. 1 Satz 1 ZwEWG können die Gemeinden für Gebiete, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, durch Satzung mit einer Geltungsdauer von höchstens fünf Jahren bestimmen, dass Wohnraum nur mit ihrer Genehmigung überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt werden darf, wenn sie dem Wohnraummangel nicht auf andere Weise mit zumutbaren Mitteln und in angemessener Zeit abhelfen können. Eine Zweckentfremdung liegt nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere vor, wenn der Wohnraum (1.) zu mehr als 50% der Gesamtfläche für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird, (2.) baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist, (3.) mehr als insgesamt acht Wochen im Kalenderjahr für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird, (4.) länger als drei Monate leer steht oder (5.) beseitigt wird.
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Die Genehmigung ist nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZwEWG zu erteilen, wenn vorrangige öffentliche Interessen oder schutzwürdige private Interessen das Interesse an der Erhaltung des Wohnraums überwiegen. Unter den Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZwEWG (vgl. sogleich) kann die Genehmigung erteilt werden. Über einen Antrag auf Erteilung der Genehmigung entscheidet die Gemeinde grundsätzlich innerhalb einer Frist von drei Monaten; nach Ablauf der Frist gilt die Genehmigung als erteilt (Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZwEWG).
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Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZwEWG hat folgenden Wortlaut:
2. kann im Übrigen erteilt werden, wenn dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch Ausgleichsmaßnahmen in verlässlicher und angemessener Weise Rechnung getragen wird; dies kann durch Bereitstellung von Ersatzwohnraum oder durch eine Ausgleichszahlung geschehen.
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2. Auf der Grundlage von Art. 1 ZwEWG erließ die Antragstellerin mit Stadtratsbeschluss vom 23. November 2017 die Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS), die am 15. Dezember 2017 in Kraft trat (MüABl S. 494) und zuletzt mit Wirkung vom 1. Januar 2020 geändert wurde (MüABl 2019 S. 452) sowie in der Folge mit Ablauf des 31. August 2021 außer Kraft trat (§ 15 Abs. 1 ZeS vom 1.9.2021, MüABl S. 495). Nach dem damaligen § 5 Abs. 1 ZeS durfte Wohnraum nur mit Genehmigung anderen als Wohnzwecken zugeführt werden, wobei eine Genehmigung nach § 5 Abs. 2 ZeS zu erteilen war, wenn vorrangige öffentliche Interessen oder schutzwürdige private Interessen das Interesse an der Erhaltung des betroffenen Wohnraums überwogen. Nach § 5 Abs. 3 ZeS konnte eine Genehmigung erteilt werden, wenn dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch die Schaffung von Ersatzwohnraum oder durch die Entrichtung einer Ausgleichszahlung Rechnung getragen wurde. § 7 ZeS bestimmte, welche Anforderungen an ein Angebot zur Errichtung von Ersatzwohnraum gestellt werden durften, damit die Zweckentfremdung genehmigungsfähig war. Der Ersatzwohnraum war dabei nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 ZeS in der Regel im selben Stadtbezirk wie der zweckzuentfremdende Wohnraum oder in vergleichbarer räumlicher Nähe zum zweckzuentfremdenden Wohnraum zu schaffen. § 7 Abs. 2 Nr. 5 Satz 1 ZeS enthielt die Vorgabe, dass der Ersatzwohnraum dem allgemeinen Wohnungsmarkt so zur Verfügung stehen musste wie vorher der zweckzuentfremdende Wohnraum. Diese Anforderung wurde durch die Sätze 2 bis 4 der Regelung dahingehend konkretisiert, dass vermieteter Wohnraum nur durch Mietwohnraum ersetzt werden durfte (Satz 2), die Miethöhe sich dabei an der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem jeweils gültigen Mietspiegel für München zu orientieren hatte (Satz 3) und familiengerechter Wohnraum nur durch ebensolchen ersetzt werden durfte (Satz 4).
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3. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 20. Januar 2021 Az. 12 N 20.1706 (BayVBl 2021, 378) erklärte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Normenkontrollverfahren § 7 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 sowie Nr. 5 Sätze 2 und 3 ZeS a. F. für unwirksam. Im Hinblick auf § 7 Abs. 2 Nr. 5 Satz 4 ZeS a. F. wurde der Normenkontrollantrag als unzulässig verworfen, weil die Norm bereits Bestandteil der Vorgängerregelung war.
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Die in § 7 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 ZeS a. F. normierte „Näheklausel“ sowie die in § 7 Abs. 2 Nr. 5 Sätze 2 und 3 ZeS a. F. angeordneten Regelungen, wonach vermieteter Wohnraum nur durch Mietwohnungen ersetzt werden dürfe, deren Miethöhe sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem jeweils gültigen Mietspiegel für München zu orientieren habe, seien wegen Verstoßes gegen Art. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZwEWG unwirksam. Das Zweckentfremdungsverbot erschöpfe sich im Bestandsschutz von Wohnraum. Auch die in der Landeshauptstadt herrschende Marktsituation rechtfertige hinsichtlich der Schaffung von Ersatzwohnraum keine Differenzierung zwischen Miet- und selbstgenutzten Wohnungen. Unzulässig seien auch eine Mietpreisregelung und eine bestimmte Lokalisierung des Ersatzwohnraums. Das Zweckentfremdungsverbot schütze den Wohnungsbestand nicht um seiner selbst willen. Verhindert werden solle vielmehr eine Verschlechterung oder zusätzliche Gefährdung der Versorgungslage der Bevölkerung. Das Zweckentfremdungsverbot gestatte keine Wohnraumbewirtschaftung; es belasse dem Eigentümer in den allein durch die Widmung des Wohnraums zu Wohnzwecken gezogenen Grenzen sowohl die Verfügungsbefugnis als auch die Privatautonomie. Für örtliche Einschränkungen der Verfügungsbefugnis und Vertragsfreiheit biete es keine gesetzliche Grundlage. Das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum solle weder vermietete Wohnungen zugunsten der jeweiligen Mieter erhalten noch den Mietpreis zugunsten des allgemeinen Wohnungsmarkts festschreiben. Es diene vielmehr allein dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des verbotsgeschützten Wohnraums für den örtlichen Markt. Werde das öffentliche Interesse nicht berührt, weil der Eigentümer gleichwertigen Ersatzwohnraum geschaffen habe oder verlässlich anbiete, müsse die Zweckentfremdungsgenehmigung von Rechts wegen uneingeschränkt erteilt werden. Der Genehmigungsvorbehalt dürfe insbesondere nicht als Mittel eingesetzt werden, um „allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen“ auf dem Wohnungsmarkt zu unterbinden. Genügt sei dem Erfordernis neugeschaffenen gleichwertigen Ersatzwohnraums deshalb auch dann, wenn der vom Zweckentfremdungsverbot belastete Eigentümer den Abriss seines Wohngebäudes mit veralteten Mietwohnungen durch einen Neubau mit Eigentumswohnungen ausgleiche. Dies stelle deren Gleichwertigkeit im Sinn des Zweckentfremdungsrechts nicht infrage. Zu welchen Bedingungen der Eigentümer den anstelle abgebrochenen, veralteten Wohnraums neugeschaffenen Ersatzwohnraum vermieten könne, bestimme allein der Markt.
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Mit ihrer am 11. Juni 2021 erhobenen Popularklage beantragt die Antragstellerin, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG nur in der Auslegung für verfassungsgemäß zu erklären, dass Ersatzwohnraum für Mietwohnraum nur anderer, hinsichtlich der Miethöhe vergleichbarer Wohnraum ist (im Folgenden: Hauptantrag); hilfsweise, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 BV „hinsichtlich der unterlassenen Regelung zur Konkretisierung des Ersatzwohnraums“ für verfassungswidrig zu erklären (im Folgenden: Hilfsantrag).
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1. Die Popularklage sei zulässig. Die Antragstellerin sei als juristische Person des öffentlichen Rechts gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG antragsberechtigt. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG verletze Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV (Recht der kommunalen Selbstverwaltung), Art. 103 Abs. 2 BV (Sozialbindung des Eigentums) und Art. 106 Abs. 1 BV (Anspruch auf eine angemessene Wohnung) sowie – hinsichtlich des Hilfsantrags – Art. 3 Abs. 1 BV (Rechtsstaatsprinzip).
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2. Die Popularklage sei begründet. Die fehlende Möglichkeit der Bestandssicherung von bezahlbarem Mietwohnraum verstoße gegen das Recht der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV, das als grundrechtsähnliches Recht die eigenverantwortliche Erfüllung der öffentlichen Aufgaben in der örtlichen Gemeinschaft ermöglichen solle. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV schließe die Befugnis der Gemeinden ein, im eigenen Wirkungskreis die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbstständig zu regeln. Im Rahmen des Schutzes des vorhandenen Wohnungsbestands müsse es der Kommune möglich sein, vorhandenen Mietwohnraum auf der Grundlage des Zweckentfremdungsgesetzes bestandssichernd zu erhalten. Der erforderliche Gestaltungsspielraum werde durch die unzureichende Auslegungsmöglichkeit der Rechtsgrundlage unverhältnismäßig eingeschränkt. In der Beseitigung vorhandenen Mietwohnraums durch Abbruch liege ein erhebliches Verdrängungspotenzial, dem die Kommune im Rahmen ihrer Selbstverwaltung auch mit Mitteln des Zweckentfremdungsrechts begegnen können müsse. Mit der nicht vorhandenen Gestaltungsfreiheit bei der Bestandssicherung von Wohnraum werde in den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts eingegriffen. Das Zweckentfremdungsrecht sei ein wesentlicher Bestandteil der Wohnraumfürsorge für die gemeindliche Bevölkerung.
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In Ballungszentren wie der Landeshauptstadt verstoße die unzureichende Auslegungsmöglichkeit der angegriffenen Norm zudem gegen den Anspruch der Bevölkerung auf Versorgung mit angemessenem Wohnraum, Art. 106 Abs. 1 BV. Die Regelung habe zwar nicht den Charakter eines (sozialen) Grundrechts; sie verpflichte den Gesetzgeber jedoch objektiv-rechtlich, im Rahmen eines bestehenden Erfüllungsspielraums für ausreichenden Wohnraum zu sorgen. Eine derartige Erfüllungsmöglichkeit und -verpflichtung sei auch im Rahmen des Zweckentfremdungsgesetzes erforderlich. Die Antragstellerin sei insoweit zwar nicht unmittelbar grundrechtsberechtigt. Da sie die gesetzlichen Vorgaben umsetze, befinde sie sich jedoch als juristische Person des öffentlichen Rechts, die auf der Grundlage des Zweckentfremdungsgesetzes eine Satzung zu erlassen habe, in einem Grundrechtsgefährdungsverhältnis. Sie habe sich insoweit schützend vor die Grundrechte ihrer Einwohner zu stellen.
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Die Wohnraumversorgung könne nur durch gleichwertigen Ersatzwohnraum gesichert werden. Hierzu müsse der Ersatzwohnraum dem allgemeinen Wohnungsmarkt so zur Verfügung stehen wie zuvor der zweckentfremdete Wohnraum. Durch die Beseitigung (Abbruch) von bestehendem Wohnraum werde dem Wohnungsmarkt einfacher und zumeist preisgünstiger Wohnraum entzogen und dieser durch hochwertige und hochpreisige Neubauten, oft teure Eigentumswohnungen, ersetzt. Aufgrund des sehr angespannten Wohnungsmarkts komme der Sicherstellung von bezahlbarem (Miet-)Wohnraum beim Abbruch bestehenden Wohnraums und der darauffolgenden Errichtung eines Neubaus eine hohe Bedeutung zu. In Gebieten mit erhöhtem Wohnraumbedarf müsse für vermieteten Wohnraum grundsätzlich wieder Mietwohnraum als Ersatz geschaffen werden. Dies sei vom Ermächtigungszweck und der Zielsetzung des Zweckentfremdungsgesetzes gedeckt, wonach die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen sichergestellt werden solle. Durch den Bau teurer Eigentumswohnungen als Ersatz für abgebrochenen Mietwohnraum nehme der bereits knappe Mietwohnraum immer weiter ab. Der Ersatzwohnraum stehe dem allgemeinen Wohnungsmarkt nur dann wieder so zur Verfügung wie abgebrochener Mietwohnraum, wenn er ebenfalls vermietet werden könne. Eigentumswohnungen trügen nicht in gleicher Weise zur Erhaltung des Gesamtwohnraumangebots bei und seien damit nicht als gleichwertig zu betrachten. Die mit der Gesetzesregelung angestrebte ausreichende Versorgung mit Wohnraum bedeute auch die Sicherstellung eines annähernden Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage. Die herrschende Marktsituation, wonach der Mietwohnungsmarkt zunehmend stärker angespannt sei als der Eigentumswohnungsmarkt, rechtfertige deshalb eine Differenzierung zwischen Mietwohnungen und selbstgenutzten Wohnungen.
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Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum „Berliner Mietendeckel“ und der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung zum Volksbegehren „6 Jahre Mietenstopp“ die Auffassung vertreten, dass der Bundesgesetzgeber durch die in §§ 556 d ff. BGB enthaltenen Regelungen zur Miethöhe von der ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht erschöpfend Gebrauch gemacht habe. Die Antragstellerin sehe aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters „der Auslegung im Rahmen der Zweckentfremdungssatzung“ jedoch keinen Widerspruch zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Eine entsprechende Auslegung des Zweckentfremdungsgesetzes stehe nicht im Widerspruch zu mietrechtlichen Vorschriften, da es sich insoweit nicht um eine mietrechtliche Regelung im Sinn einer sog. „Mietpreisbremse“, sondern um eine Regelung des öffentlichen Rechts handle, die allein gewährleisten solle, dass der Ersatzwohnraum dem allgemeinen Wohnungsmarkt so zur Verfügung stehe wie zuvor der zweckentfremdete Wohnraum. Entscheidend sei der öffentlich-rechtliche Charakter des Auslegungszwecks. Zudem beziehe sich die Auslegung des Zweckentfremdungsgesetzes nicht unmittelbar auf das Mietvertragsverhältnis im Sinn der §§ 535 ff. BGB, sondern verfolge Zwecke, die über die Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien eines Mietvertrags hinausreichten. Das Zweckentfremdungsrecht schütze nicht den individuellen Mieter, sondern die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen.
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Die unzureichende Auslegungsmöglichkeit hinsichtlich der Anforderungen an einen angemessenen Ersatzwohnraum für verloren gehenden Mietwohnraum stelle zudem eine Nichtbeachtung der Gemeinwohlklausel in Art. 103 Abs. 2 BV dar. Danach sei die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, insbesondere die besondere Situationsgebundenheit des Grundeigentums zu beachten. Die verfassungsrechtliche Forderung nach einer am Gemeinwohl ausgerichteten Nutzung des Privateigentums umfasse das Gebot der Rücksichtnahme auf die Belange derjenigen Mitbürger, die auf die Nutzung der betreffenden „Eigentumsgegenstände“ angewiesen seien. Vor allem in Ballungszentren seien große Teile der Bevölkerung nicht in der Lage, aus eigener Kraft Wohnraum für sich zu schaffen. Sie seien deshalb unausweichlich auf Mietwohnraum angewiesen. Wenn die Versorgung mit Wohnraum besonders gefährdet sei, weil es für eine Vielzahl von Menschen kein ausreichendes Angebot an Mietwohnraum gebe, sei es eine im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG sachgerechte und am Gemeinwohl orientierte Maßnahme, die Zweckbestimmung des vorhandenen (Miet-)Wohnraums dadurch zu erhalten, dass an seiner Stelle wieder Mietwohnraum gefordert werde. Die hohe Bedeutung der Sicherstellung von bezahlbarem (Miet-)Wohnraum bei Abbruch von bestehendem Wohnraum und der nachfolgenden Errichtung eines Neubaus werde durch eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung bestätigt, in der Umzugsbewegungen in den Großstädten Bremen, Köln, Nürnberg und Leipzig untersucht worden seien, um die durch Neubau ausgelösten Umzugsketten, d. h. den sog. Sickereffekt, nachzuvollziehen. In Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt rissen demnach durch Neubau ausgelöste Umzugsketten schnell ab oder spielten sich nur in einem höheren Preissegment ab, verbesserten also nicht die Situation bei dem dringend benötigten günstigen Wohnraum, d. h. ein Sickereffekt komme nicht zum Tragen.
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Hilfsweise werde die Verfassungswidrigkeit von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, Art. 3 Abs. 1 BV, gerügt. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlange vom Gesetzgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit entsprechen. Die Voraussetzungen, unter denen dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums in angemessener Weise, insbesondere durch die Bereitstellung von Ersatzwohnraum, Rechnung getragen werde könne, seien in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG nicht bestimmt und nach dem Gesetzeswortlaut auch nicht bestimmbar. Die Gesetzesformulierung führe zu einer mangelnden Vorhersehbarkeit, wann die Voraussetzungen für angemessenen Ersatzwohnraum erfüllt seien. Auch die amtliche Begründung enthalte keine Ausführungen dazu, welche Anforderungen der Ersatzwohnraum im Einzelnen zu erfüllen habe. Laut Gesetzesbegründung regle der (vormalige) Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG den Fall, dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch einen Antragsteller überkompensiert werden könne. Die Vorschrift nenne dafür beispielhaft die Schaffung von Ersatzwohnraum; die Entscheidung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Gemeinde. Durch den Verzicht auf jegliche Konkretisierung der Voraussetzungen und Anforderungen, wann durch Ersatzwohnraum dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums in angemessener Weise Rechnung getragen werde, verletze der Gesetzgeber das Gebot der Normenbestimmtheit.
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1. Der Bayerische Landtag hält den auf eine bestimmte Auslegung des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG gerichteten Hauptantrag für unzulässig, den Antrag insgesamt in jedem Fall für unbegründet.
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Der Hauptantrag sei bereits unzulässig. Eine verfassungskonforme Wunschauslegung des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG setze voraus, dass die Norm mehrere mögliche Bedeutungen habe, von denen eine oder mehrere mit der Verfassung nicht übereinstimmten.
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Eine mögliche Rechtsverletzung ergäbe sich aber nur dann, wenn bereits der (zu) weite Wortlaut der Norm unmittelbar, d. h. ohne weitere Konkretisierung, die Rechtsstellung der Antragstellerin berühre. Das sei ersichtlich nicht der Fall, da das Problem insoweit allenfalls in der Anwendung, nicht in der Fassung der Norm liege.
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Die Popularklage sei jedenfalls unbegründet. Die von der Antragstellerin begehrte Auslegung der angegriffenen Norm überdehne die Möglichkeiten einer Auslegung, weil sie bereits dem Wortlaut der Norm widerspreche. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG spreche von der Bereitstellung von Ersatzwohnraum. Wohnraum sei nach dem Sprachverständnis der Rechtsunterworfenen eindeutig und unmissverständlich sowohl Miet- als auch Eigentumswohnraum. Was das Gegenteil von Wohnraum sei, zeigten die Hauptanwendungsfälle, nämlich die Zweckentfremdung hin zu gewerblichen Nutzungen wie Büros, Arztpraxen, Laboren, Gewerbebetrieben aller Art. Nichts anderes folge aus der historischen Auslegung. Auch nach Sinn und Zweck des Zweckentfremdungsrechts könne es nur um den Erhalt der Gesamt-Wohnungsbilanz in einer Gemeinde gehen. Dies ergebe sich aus der amtlichen Begründung, in der von der Erhaltung des Gesamtwohnraumangebots gesprochen werde. Teleologisch könne ebenfalls nichts anderes gelten, zumal in Bezug auf Miet- und Eigentumswohnungen mittlerweile andere rechtliche Möglichkeiten wie das zum 1. Juli 2021 in Kraft getretene Baulandmobilisierungsgesetz vorhanden seien.
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Schließlich stünden der geltend gemachten Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts erhebliche Einwendungen und Grundrechte der Wohnungseigentümer gegenüber. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht erfahre bereits eine Einschränkung durch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV, weil es nur „im Rahmen der Gesetze“, also nur nach Maßgabe des Zweckentfremdungsgesetzes, gewährt werde. Art. 106 Abs. 1 BV sei lediglich eine Staatszielbestimmung und verpflichte den Gesetzgeber, im Rahmen eines bestehenden Erfüllungsspielraums für ausreichend Wohnraum zu sorgen. Diesen Erfüllungsspielraum habe der Gesetzgeber erst jüngst wieder ausgefüllt durch die zum 1. Februar 2021 in Kraft getretene Novelle der Bayerischen Bauordnung mit dem Ziel, schneller und einfacher mehr Wohnraum zu schaffen. Der Gemeinwohlklausel in Art. 103 Abs. 2 BV stehe die Eigentumsgarantie des Art. 103 Abs. 1 BV gegenüber.
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2. Die Bayerische Staatsregierung äußert Bedenken gegen die Zulässigkeit der Popularklage und hält diese jedenfalls für unbegründet.
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Bedenken bestünden bereits im Hinblick auf die Antragsberechtigung der Antragstellerin. Eine Antragsberechtigung liege bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts wie etwa Kommunen oder Landkreisen nur vor, sofern sich die juristische Person in einer Schutzsituation befinde, in der sie der Ausübung der Staatsgewalt in derselben Weise unterworfen sei wie eine natürliche Person. Entscheidend sei, ob das als verletzt gerügte Grundrecht bzw. grundrechtsgleiche Recht seinem Wesen nach auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar sei.
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Auch habe die Antragstellerin nicht substanziiert dargelegt, dass durch die angegriffene Bestimmung des Zweckentfremdungsgesetzes durch die Verfassung verbürgte Grundrechte bzw. grundrechtsgleiche Rechte verletzt seien. Art. 106 Abs. 1 BV begründe keine Grundrechts- bzw. grundrechtsgleiche Position, sondern verpflichte den Gesetzgeber dazu, im Rahmen eines Erfüllungsspielraums für ausreichenden Wohnraum zu sorgen. Die Antragstellerin könne sich daher nicht in einer vergleichbaren Schutzsituation wie ein Privater befinden. Eine Antragsberechtigung ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung einer etwaigen Schutzpflicht der Antragstellerin für die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger. Eine solche könne nur bei Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Positionen vorliegen. Eine für die Antragsberechtigung notwendige vergleichbare Schutzsituation fehle ebenfalls im Rahmen der geltend gemachten Gemeinwohlklausel des Art. 103 Abs. 2 BV. Diese Vorschrift verbürge kein Grundrecht, sondern sei eine Direktive an den Gesetzgeber, im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung das Ziel der Sozialpflichtigkeit allen Eigentums zu verfolgen. Eine eigene Grundrechtsbetroffenheit könne hier also ebenfalls nicht vorliegen, da die Antragstellerin gerade keine Verstöße gegen ein ihr gegebenenfalls zustehendes Grundrecht gerügt habe. Eine Antragsberechtigung unter dem Gesichtspunkt einer Schutzpflicht für ein Grundrecht scheide auch insoweit aus, da keine Verletzung eines Grundrechts im Raum stehe.
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Die Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 BV), den die Antragstellerin hilfsweise und isoliert geltend mache, sei für sich genommen kein tauglicher Gegenstand für eine Antragsberechtigung im Rahmen der Popularklage.
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Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) sei zwar ein grundrechtsgleiches Recht, dessen verfassungswidrige Einschränkung von der Gemeinde im Rahmen der Popularklage geltend gemacht werden könne. Die Antragstellerin habe jedoch nicht ansatzweise dargetan, inwieweit das Recht der kommunalen Selbstverwaltung eine Auslegung der angegriffenen Norm oder gar den Erlass einer Norm in der gewünschten Weise gebieten könne. Dies gelte bereits deshalb, weil die Antragstellerin eine Regelung begehre, die dem Landesgesetzgeber schon aus kompetenzrechtlichen Gründen verwehrt wäre.
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Die von der Antragstellerin begehrte Feststellung, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG sei nur in der Auslegung verfassungsgemäß, dass Ersatzwohnraum für Mietwohnraum nur anderer, hinsichtlich der Miethöhe vergleichbarer Mietwohnraum sei, sei ein untauglicher Antragsgegenstand. Eine solche Feststellung könne der Verfassungsgerichtshof nur dann aussprechen, wenn alle anderen im Rahmen der objektiven Auslegung der angegriffenen Norm gewonnenen Auslegungsergebnisse verfassungswidrig seien. Vorliegend bleibe schon kein Raum für unterschiedliche Auslegungen der angegriffenen Norm. Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Regelung habe sich der Gesetzgeber ausdrücklich mit der Schaffung von Ersatzwohnraum begnügt, ohne diesen näher zu spezifizieren. Dies habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 20. Januar 2021 (BayVBl 2021, 378) bestätigt. Das Gesetz lasse daher keine unterschiedlichen Deutungsspielräume zu.
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Soweit hilfsweise beantragt werde, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 BV für verfassungswidrig zu erklären, habe die Antragstellerin nicht dargelegt, dass sich aus der Verfassung eine Verpflichtung des Gesetzgebers ergebe, die angegriffene Norm mit einem bestimmten, von der Antragstellerin gewünschten Inhalt zu erlassen. Voraussetzung hierfür wäre, dass entweder ein ausdrücklicher Auftrag der Bayerischen Verfassung bestehe, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenze, oder der Normgeber einen Sachverhalt gleichheitswidrig ungeregelt gelassen habe und eine dem Gleichheitssatz genügende Regelung nur in einem bestimmten Sinn ausfallen könne. Eine solche Pflicht des Gesetzgebers bestehe nicht. Die in Art. 103 Abs. 2 BV und Art. 106 Abs. 1 BV normierten Aufträge an den Gesetzgeber seien inhaltlich nicht so klar umgrenzt, dass der notwendige Ersatzwohnraum im Rahmen der Genehmigung nach dem Zweckentfremdungsgesetz qualitativ dem zu beseitigenden Wohnraum entsprechen müsse.
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Die Popularklage erweise sich jedenfalls als unbegründet. Die angegriffene Regelung verstoße nicht gegen das Bestimmtheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 BV. Vorliegend lasse sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen. Nach der Gesetzesbegründung stellten die Regelungen über die Zweckentfremdung „wie bisher auch“ grundsätzlich keine Instrumentarien zur Einflussnahme auf den Wohnungsmarkt, insbesondere auf die Miet- und Immobilienpreisentwicklung zur Verfügung. Mit der Formulierung „wie bisher auch“ werde auf die abgelöste bundesrechtliche Regelung in Art. 6 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (MietRVerbG) Bezug genommen. Diese bundesrechtliche Regelung mit der Auslegung, dass sie sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“ erschöpfe, sei insbesondere durch zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen konkretisiert worden. Art. 2 ZwEWG sei dementsprechend auszulegen wie die abgelöste bundesrechtliche Regelung in Art. 6 MietRVerbG.
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Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergebe sich aus Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV keine verfassungsrechtliche Pflicht, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG so auszulegen, dass Ersatzwohnraum für Mietwohnraum nur anderer, hinsichtlich der Miethöhe vergleichbarer Mietwohnraum sei. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht gewährleiste den Gemeinden das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten. Dies bedeute, dass sich die Gemeinden beim Erlass von Satzungen nach dem Zweckentfremdungsgesetz innerhalb des Spielraums bewegen müssten, der durch die Ermächtigungsgrundlage des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 ZwEWG eröffnet sei.
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Der Gesetzesvorbehalt beziehe sich einerseits auf den Aufgabenkreis der Gemeinde – das Gesetz dürfe diesen näher umschreiben und im Einzelnen festlegen –, andererseits auch auf die Art und Weise der Aufgabenerfüllung. Der Landesgesetzgeber habe die Voraussetzungen, unter denen die Gemeinden eine Zweckentfremdungsgenehmigung erteilen könnten, im Interesse hinreichender Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit für den Einzelnen in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZwEWG abschließend geregelt. Ein Aushöhlen des Selbstverwaltungsrechts sei durch das Zweckentfremdungsgesetz nicht gegeben. Vielmehr biete es der Antragstellerin erst die Grundlage für eine satzungsmäßige Regelung zum Verbot der Zweckentfremdung. Die vorgenannte Auslegung sei dabei als „Festlegung zur Art und Weise der Aufgabenerfüllung“ anzusehen.
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Aus dem Wohnraumversorgungsgebot nach Art. 106 Abs. 1 BV lasse sich keine dem Antrag entsprechende Handlungsverpflichtung der Legislative ableiten. Ein verfassungsprozessual durchsetzbarer Anspruch auf Schaffung von Wohnraum folge aus Art. 106 Abs. 1 BV nicht. Es handle sich um ein Staatsziel, das sich primär an die Gesetzgebung richte. Die Regelungen in Art. 2 ZwEWG bewegten sich innerhalb des weiten gesetzgeberischen Spielraums, die aus Art. 106 Abs. 1 und 2 BV folgende Schutz- und Förderpflicht zu erfüllen.
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Die Gemeinwohlklausel des Art. 103 Abs. 2 BV, auf die sich die Antragstellerin zur Begründung ihres Antrags beziehe, entspreche inhaltlich Art. 14 Abs. 2 GG. Dieser stelle eine Direktive an den Gesetzgeber dar, im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG das Ziel der Sozialpflichtigkeit allen Eigentums zu verfolgen. Die Sozialbindung des Eigentums werde im Zweckentfremdungsgesetz berücksichtigt. Der Landesgesetzgeber habe bei Erlass dieses Gesetzes eine Abwägung der Eigentumsinteressen mit den Interessen der Allgemeinheit an verfügbarem Wohnraum vorgenommen. Die Gemeinwohlklausel führe nicht dazu, dass im Rahmen des Zweckentfremdungsrechts nur Mietwohnraum als Ersatzwohnraum anerkannt werden dürfe. Auch die Schaffung von Eigentumswohnungen diene der Erhaltung der Gesamtbilanz des verfügbaren Wohnraums.
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Die beantragte Auslegung zur Miethöhe wäre mit der bereits vom Bund in Anspruch genommenen konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nicht zu vereinbaren und würde daher eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV darstellen. Aufgrund der insoweit abschließenden bundesrechtlichen Regelungen sei es unzulässig, durch eine kommunale Satzung mietpreisbegrenzende Vorgaben für den Wohnungsneubau zu machen.
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Die Popularklage ist im Haupt- und Hilfsantrag unzulässig.
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1. Nach Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG), somit auch Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG.
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2. Als juristische Person des öffentlichen Rechts ist die Antragstellerin zwar grundsätzlich antragsberechtigt (Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 14). Da die Popularklage verfassungsgerichtlichen Grundrechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen gewähren soll, juristische Personen des öffentlichen Rechts aber als Teil der Staatsgewalt selbst nur in eingeschränktem Umfang Träger von Grundrechten sein können, muss das als verletzt gerügte Grundrecht jedoch seinem Wesen nach auf die juristische Person des öffentlichen Rechts anwendbar sein. Dies ist dann der Fall, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts dem Staat in einer grundrechtstypischen Lage gegenübersteht, die sie ebenso schutzwürdig erscheinen lässt wie den einzelnen Bürger (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 2.3.2001 VerfGHE 54, 1/5 f.; vom 24.8.2009 VerfGHE 62, 167/172, jeweils m. w. N.; Müller in Meder/ Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 98 Satz 4 Rn. 8; Knöpfle in Nawiasky/Leusser/Schweiger/Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Satz 4 Rn. 19, 22 f.).
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Demnach ist eine Grundrechtsfähigkeit für solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzunehmen, die von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind oder kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören.
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Zumindest mit Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV beruft sich die Antragstellerin auf ein grundrechtsähnliches Recht, das nach seinem Wesen auf sie anwendbar ist (VerfGHE 62, 167/172 m. w. N.).
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3. Einen Grundrechtsverstoß legt die Antragstellerin jedoch nicht hinreichend dar.
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a) Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Die Popularklage ist unzulässig, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt. Sie ist weiter unzulässig, wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung der entsprechenden Norm nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil beispielsweise der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird. Dabei liegt eine ausreichende Grundrechtsrüge nicht schon dann vor, wenn der Antragsteller nur behauptet, dass die Rechtsvorschrift gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnormen berührt ist. Die zur Überprüfung gestellten Tatsachen und Vorgänge müssen dies zumindest als möglich erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.5.2012 VerfGHE 65, 73/81; vom 29.10.2020 BayVBl 2021, 83 Rn. 19; vom 7.12.2021 BayVBl 2022, 152 Rn. 46 f.; vom 28.6.2022 BayVBl 2022, 625 Rn. 39 m. w. N.).
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b) Gemessen hieran entspricht die Popularklage im Hauptantrag nicht den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG. Den Ausführungen der Antragstellerin sind bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte, hinsichtlich derer die Antragstellerin antragsberechtigt ist, verletzt sein könnten, wenn Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG nicht ausschließlich mit dem von ihr aufgezeigten Inhalt auszulegen ist. Daneben kann offenbleiben, ob der Hauptantrag, der nicht auf Normverwerfung, sondern auf Normbestätigung in einer bestimmten Auslegung gerichtet ist, im Popularklageverfahren zulässig ist (vgl. dazu in einem Verfahren der Meinungsverschiedenheit VerfGH vom 28.8.2021 BayVBl 2021, 808 Rn. 70 f.).
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aa) Auf eine mögliche Verletzung von Art. 106 Abs. 1 BV kann die Antragstellerin ihren Hauptantrag von vornherein nicht mit Erfolg stützen, da diese Verfassungsnorm kein subjektives Recht gewährleistet.
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Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs verbürgt Art. 106 Abs. 1
BV kein Grundrecht des Einzelnen, sondern begründet in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BV für den Staat und die Gemeinden die Verpflichtung, den Wohnungsbau mit dem Ziel zu fördern, dass alle Bewohner Bayerns angemessene Wohnungen erhalten können (VerfGH vom 12.7.1962 VerfGHE 15, 49/55 ff.; vom 22.4.2005 VerfGHE 58, 94/104; vom 13.7.2009 VerfGHE 62, 156/164; vom 16.7.2020 NVwZ 2020, 1429 Rn. 76; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 106 Rn. 3 f.; a. A. Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 106 Rn. 1 ff., der eine Grundrechtsverbürgung bejaht).
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Der Begründungsansatz der Antragstellerin, sie befinde sich bei der Anwendung von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG in einem Grundrechtsgefährdungsverhältnis, weil sie sich insoweit schützend vor die Grundrechte ihrer Einwohner stellen müsse, geht bereits deshalb ins Leere, weil Art. 106 Abs. 1 BV auch für den Einzelnen kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht verbürgt. Im Übrigen zeigt sie mit dieser Argumentation nicht auf, dass sie als juristische Person des öffentlichen Rechts dem Staat in einer grundrechtstypischen Lage gegenüberstehe, die sie ebenso schutzwürdig erscheinen ließe wie den einzelnen Bürger. Die angegriffene Norm betrifft die Reichweite der Ermächtigung der Antragstellerin zum Satzungserlass und damit deren Tätigkeit als Teil der öffentlichen Gewalt im Bereich der (materiellen) Gesetzgebung. Besteht die Funktion der juristischen Person des öffentlichen Rechts in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so befindet sie sich nicht in einer Situation, die typischerweise von den Grundrechten geschützt wird, und ist insoweit nicht grundrechtsfähig (vgl. VerfGHE 54, 1/5 f.).
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bb) Mit der Behauptung der Nichtbeachtung der Gemeinwohlklausel des Art. 103 Abs. 2 BV wird ebenfalls schon kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht als verletzt gerügt.
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Art. 103 Abs. 2 BV (und Art. 158 BV) eröffnen, indem sie die Sozialbindung des Eigentums statuieren, die gesetzgeberische Befugnis zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (vgl. VerfGH vom 9.5.2016 VerfGHE 69, 125/164 Rn. 145; Funke in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 103 Rn. 18). Das Gebot sozialgerechter Eigentumsnutzung ist nicht nur auf das Verhalten des Eigentümers bezogen, sondern auch und vor allem Richtschnur für den Gesetzgeber (VerfGH vom 2.7.1973 VerfGHE 26, 69/86; vom 29.2.2012 VerfGHE 65, 54/60, jeweils m. w. N.; NVwZ 2020, 1429 Rn. 57; vom 26.4.2022 BayVBl 2022, 475, vgl. Rn. 96 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt). Art. 103 Abs. 2 BV ist demnach für sich genommen kein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht, sondern Direktive für gesetzgeberisches Handeln. Die Rüge einer Verletzung dieser Norm kann zwar grundsätzlich in Verbindung mit der Rüge einer Verletzung des durch Art. 103 Abs. 1 BV als Grundrecht gewährleisteten Eigentumsrechts relevant sein. Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 BV macht die Antragstellerin aber schon nicht geltend; im Übrigen könnte sie sich auch insoweit aus den eben unter aa) genannten Gründen nicht erfolgreich darauf berufen, sich schützend vor die Grundrechte ihrer Einwohner stellen zu wollen.
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cc) Der behauptete Verstoß gegen das grundrechtsähnliche Recht der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV in seinem Kernbereich kann zwar von der Antragstellerin als Gemeinde grundsätzlich im Popularklageverfahren geltend gemacht werden (ständige Rechtsprechung; vgl. nur VerfGH vom 18.4.1996 VerfGHE 49, 37/49 f.; vom 6.2.2007 VerfGHE 60, 30/34). Insoweit kommt sie aber den Substanziierungsanforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG nicht nach. Die dafür erforderliche Darlegung einer möglichen Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie und damit zugleich einer potenziellen eigenen Rechtsbetroffenheit (vgl. VerfGH vom 28.11.2007 VerfGHE 60, 184/210; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Satz 4 Rn. 18 m. w. N.; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 36) ist unterblieben. Die Antragstellerin zeigt nicht substanziiert auf, dass eine verfassungswidrige Einschränkung von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV überhaupt möglich ist, wenn Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG nicht zwingend so auszulegen ist, wie sie es für einzig verfassungsgemäß ansieht.
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(1) Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV haben die Gemeinden das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten.
Dieses Selbstverwaltungsrecht garantiert ein grundrechtsähnliches Recht (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 13.7.1976 VerfGHE 29, 105/121 ff.; vom 6.2.2007 VerfGHE 60, 30/34; vom 17.7.2018 VerfGHE 71, 161 Rn. 56). Das Selbstverwaltungsrecht sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich. Kennzeichnend ist die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden in jedem einzelnen Tätigkeitsbereich des eigenen Wirkungskreises (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 29.8.1997 VerfGHE 50, 181/203; vom 15.7.2002 VerfGHE 55, 98/ 121; vom 9.5.2016 BayVBl 2016, 625 Rn. 165 f.; VerfGHE 71, 161 Rn. 56).
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Das Selbstverwaltungsrecht ist gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Die Ausgestaltung von Inhalt und Umfang dieses Rechts unterliegt der Entscheidung des Gesetzgebers; diesem steht dabei ein weiter normativer Ermessensspielraum zu. Die äußersten Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit ergeben sich daraus, dass das Selbstverwaltungsrecht in seinem Wesensgehalt und Kernbereich unangetastet bleiben muss (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 55, 98/121; VerfGHE 71, 161 Rn. 57). Das Selbstverwaltungsrecht stellt in erster Linie ein Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen dar (so schon BayVGH vom 15.2.1989 VGHE 42, 52/53; Wollenschläger in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 11 Rn. 15; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 11 Rn. 34).
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(2) Zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde gehören nach Art. 83 Abs. 1 BV insbesondere die Ortsplanung, der Wohnungsbau und die Wohnungsaufsicht. Die Zuständigkeit für Wohnungsbau und Wohnungsaufsicht räumt in erster Linie Befugnisse fürsorgerechtlicher Art ein (Wollenschläger, a. a. O., Art. 83 Rn. 12; Wolff, a. a. O., Art. 83 Rn. 28). Der Gesichtspunkt der Wohnungsfürsorge steht dabei in enger Beziehung zu dem in Art. 106 Abs. 2 BV enthaltenen objektiv-rechtlichen Programmsatz, den Bau preiswerten und auch für Menschen mit weniger Mitteln erschwinglichen Wohnraums öffentlich zu fördern. Vom Selbstverwaltungsrecht erfasst ist somit auch ein wohnungspolitischer Gestaltungsspielraum der Gemeinde.
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(3) Ohne die Regelungen des Zweckentfremdungsgesetzes wäre die Antragstellerin jedoch nicht befugt, insoweit ihren vom Selbstverwaltungsrecht umfassten wohnungspolitischen Gestaltungsspielraum eigenverantwortlich auszuschöpfen.
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Mit dem Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (MietRVerbG) vom 4. November 1971 (BGBl I S. 1745), das zuletzt durch Art. 209 Abs. 5 des Gesetzes vom 19. April 2006 (BGBl I S. 866) geändert worden ist, versuchte der Bundesgesetzgeber seinerzeit, durch ein Bündel von Vorschriften auf verschiedenen Rechtsgebieten Missständen abzuhelfen, die sich nach seiner Auffassung auf dem Wohnungsmarkt ergeben hatten. Einer der Schwerpunkte war das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum durch Art. 6 des Gesetzes. Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 MietRVerbG ermächtigt(e) die Landesregierungen, für Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Wohnraum anderen als Wohnzwecken nur mit Genehmigung der von der Landesregierung bestimmten Stelle zugeführt werden darf.
53
Im Zuge der Föderalismusreform wurde die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum auf die Länder übertragen. Mit dem am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Zweckentfremdungsgesetz machte der bayerische Gesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch. Die bundesrechtliche Regelung in Art. 6 MietRVerbG wurde abgelöst und mit dem Zweckentfremdungsgesetz ein Instrument geschaffen, das bayerischen Gemeinden mit Wohnraummangel ermöglicht, unter verbesserten Rahmenbedingungen der örtlich bestehenden Wohnraumknappheit selbst gezielt entgegenzuwirken. Gemeinden, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, haben durch die Regelungen des Zweckentfremdungsgesetzes seither die Befugnis, selbst durch Erlass einer Zweckentfremdungssatzung zu bestimmen, dass Wohnraum nur mit ihrer Genehmigung überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt werden darf.
54
Mit dem Erlass des Zweckentfremdungsgesetzes ist eine Kommunalisierung des Zweckentfremdungsrechts einhergegangen. Die Gemeinden können ohne rechtliche Verpflichtung bei Vorliegen von Wohnraummangel nach eigenen wohnungspolitischen Vorstellungen im Vollzug des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts tätig werden. Das Gesetz berücksichtigt auf diese Weise auch die Bedürfnisse und regionalen Unterschiede der Wohnungsmärkte (vgl. LT-Drs. 15/8369 S. 6). Ohne die landesrechtlichen Regelungen des Zweckentfremdungsgesetzes wäre in Bayern gemäß Art. 125 a Abs. 1 GG die bisherige bundesrechtliche Regelung weiterhin anwendbar. Dies hätte für die bayerischen Gemeinden zur Konsequenz, dass es weiterhin in der Hand der Staatsregierung läge, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, in welchen Gemeinden Wohnraum nur mit Genehmigung der von der Staatsregierung bestimmten Stelle anderen als Wohnzwecken zugeführt werden dürfte (vgl. Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 MietRVerbG i. V. m. der Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum – ZwEV – vom 28.7.1992, GVBl S. 278, BayRS 2330-11-I, zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.7.2001, GVBl S. 366, nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 ZwEWG außer Kraft getreten mit Ablauf des 31.12.2008).
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Das Zweckentfremdungsgesetz beschränkt somit nicht Kompetenzen, über die die Gemeinden kraft ihres Selbstverwaltungsrechts (bereits) verfügt hätten. Vielmehr haben Gemeinden mit Wohnraummangel erst durch Art. 1 Satz 1 ZwEWG die Befugnis erhalten, Satzungsnormen zur Regelung eines Verbots der Zweckentfremdung von Wohnraum zu erlassen. Die mit dem Erlass dieser Satzungen und deren Vollzug verbundenen Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 103 Abs. 1 BV, Art. 14 Abs. 1 GG) setzen zwingend voraus, dass die grundlegenden Entscheidungen zuvor durch den Gesetzgeber mittels eines förmlichen Gesetzes getroffen worden sind. Mit der Satzungsermächtigung und der damit verbundenen näheren Ausgestaltung der Genehmigungsvoraussetzungen räumt das Zweckentfremdungsgesetz Gemeinden mit Wohnraummangel erst die erforderlichen Handlungsoptionen ein, das Gesamtwohnraumangebot zu erhalten. Es leistet auf diese Weise einen sachgerechten Beitrag zur Deregulierung und trägt vor allem zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung bei (vgl. LT-Drs. 15/8369 S. 1). 56 (4) Vor diesem Hintergrund fehlt jeglicher Vortrag dazu, wie es überhaupt zu der von der Antragstellerin behaupteten Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV kommen kann.
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Der Vortrag der Antragstellerin beschränkt sich im Wesentlichen darauf, den akut bestehenden Wohnraummangel in ihrem Stadtgebiet aufzuzeigen und umfangreich auf die sozialpolitisch höchst dringliche Notwendigkeit einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum hinzuweisen. Aufgrund dessen ist es nach Ansicht der Antragstellerin zwingend erforderlich, zweckentfremdungsrechtlich vorschreiben zu können, dass Ersatzwohnraum dem allgemeinen Wohnungsmarkt so zur Verfügung gestellt werden muss, wie zuvor der zweckentfremdete Wohnraum zur Verfügung stand. Ausführungen dazu, inwieweit das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht angesichts der durch das Zweckentfremdungsgesetz erst eingeräumten Befugnisse überhaupt verletzt sein kann, fehlen gänzlich. Soweit die Antragstellerin meint, es stelle einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht dar, dass der für die Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum erforderliche Gestaltungsspielraum durch die unzureichende Auslegungsmöglichkeit des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG unverhältnismäßig eingeschränkt werde, lässt sie außer Betracht, dass ihre rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten erst durch das Zweckentfremdungsgesetz geschaffen wurden.
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(5) Darüber hinaus lässt sich dem Vorbringen der Antragstellerin trotz ihrer umfangreichen Ausführungen nicht entnehmen, dass die von ihr angestrebte Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 Alt. 1 ZwEWG möglich ist, erst recht nicht, dass Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV in seiner Funktion als Abwehrrecht diese zwingend erfordern würde. Die Antragstellerin zeigt weder auf, dass die begehrte Auslegung dem objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang der Norm ergibt, entspräche (vgl. VerfGH vom 14.7.1994 VerGHE 47, 165/171 m. w. N.), noch verhält sie sich dazu, ob eine solche Auslegung mit den Grundrechten der betroffenen Eigentümer aus Art. 103 Abs. 1 BV vereinbar wäre.
58
Eine im Sinn des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG substanziierte Darlegung hätte eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 20. Januar 2021 (BayVBl 2021, 378 Rn. 45 ff. m. w. N.) erfordert. Zur Klärung der Frage, welche Anforderungen eine Gemeinde im Rahmen der Genehmigungserteilung nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZwEWG an die „Bereitstellung von Ersatzwohnraum“ im Hinblick auf die Grundrechte der betroffenen Eigentümer stellen darf, hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich mit der Auslegung der Vorschrift auseinandergesetzt. Er hat ausdrücklich betont, dass sich an der Richtigkeit der von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. grundlegend BVerfG vom 4.2.1975 BVerfGE 38, 348) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG vom 12.3.1982 BVerwGE 65, 139; vom 10.5.1985 BVerwGE 71, 291; vom 22.4.1994 BVerwGE 95, 341; vom 17.10.1997 NJW 1998, 94) zu Art. 6 MietRVerbG getroffenen Feststellungen durch den Erlass des bayerischen Zweckentfremdungsgesetzes nichts geändert habe. Das Zweckentfremdungsverbot erschöpfe sich „im Bestandsschutz von Wohnraum mit dem Ziel einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen“. Die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Verfügungsbefugnis des Eigentümers umfasse deshalb auch das Recht, „veralteten Wohnraum durch neuen zu ersetzen“. Das in der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Bundesverwaltungsgerichts austarierte System des Zweckentfremdungsrechts zwischen Eigentumsschutz einerseits und Sozialbindung andererseits könne ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber nicht einseitig in eine bestimmte Richtung verschoben werden.
59
Die Antragstellerin verhält sich weder hierzu noch zu der Frage, inwieweit die von ihr für notwendig gehaltene Auslegung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Grundrecht der betroffenen Eigentümer aus Art. 14 Abs. 1 GG überhaupt verfassungsrechtlich zulässig erreicht werden könnte. Die Popularklage enthält lediglich Ausführungen dazu, warum der begehrten Auslegung nach Ansicht der Antragstellerin verfassungsrechtlich nicht entgegengehalten werden könne, dass der Bundesgesetzgeber durch die in §§ 556 d ff. BGB enthaltenen Regelungen zur Mietpreisbremse von der ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das Mietpreisrecht abschließend Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfG vom 25.3.2021 BVerfGE 157, 223 Rn. 148 ff.; VerfGH NVwZ 2020, 649 Rn. 45 ff.).
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dd) Im Übrigen genügt die Popularklage auch angesichts der der Sache nach gegebenen Zielrichtung des Hauptantrags den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG nicht.
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Im Kern strebt die Antragstellerin mit dem Hauptantrag eine inhaltliche Veränderung der bestehenden Regelungen des Zweckentfremdungsgesetzes an. Denn sie bezweckt mit der begehrten Feststellung, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG sei nur in der Auslegung verfassungsgemäß, dass Ersatzwohnraum für Mietwohnraum nur anderer, hinsichtlich der Miethöhe vergleichbarer Mietwohnraum sei, in der Sache eine landesgesetzliche Erweiterung des bisher durch die fachgerichtliche und bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung vorgezeichneten Handlungsspielraums. Die Antragstellerin möchte, dass der Landesgesetzgeber ihr im Zweckentfremdungsgesetz die Befugnis einräumt, die Erteilung der zweckentfremdungsrechtlichen Genehmigung bei Ersatzwohnraum an mietpreisbegrenzende Bedingungen knüpfen zu können. Damit rügt sie im Ergebnis ein nach ihrer Ansicht pflichtwidriges gesetzgeberisches Unterlassen.
62
Zwar kann auch ein Unterlassen des Gesetzgebers Gegenstand einer Popularklage sein. Allerdings besteht nach bayerischem Verfassungsrecht grundsätzlich kein verfassungsgerichtlich verfolgbarer Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers. Das Verlangen nach Erlass einer bestimmten Regelung kann nur ausnahmsweise im Wege einer Popularklage geltend gemacht werden. Hierzu muss der Antragsteller in substanziierter Weise darlegen, dass der Normgeber aufgrund einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung zum Erlass einer bestimmten Regelung verpflichtet ist (VerfGH vom 12.9.2016 BayVBl 2017, 478 Rn. 44; vom 26.3.2018 BayVBl 2018, 590 Rn. 56, 122; vom 26.6.2018 BayVBl 2018, 773 Rn. 41; vom 9.10.2018 BayVBl 2019, 260 Rn. 24).
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Den Ausführungen der Antragstellerin sind jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass sich aus Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV – insbesondere unter Berücksichtigung der betroffenen Eigentumsgrundrechte Dritter – ein Anspruch auf die geforderte Anpassung des Zweckentfremdungsgesetzes ergeben könnte. Zudem sind die staatlichen Behörden auf Grund der verfassungsrechtlichen Garantie des Selbstverwaltungsrechts zwar grundsätzlich verpflichtet, die Selbstverwaltung zu stärken und zu fördern (so schon VerfGH vom 27.3.1992 VerfGHE 45, 33/44). Aus Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV folgt jedoch kein Leistungsanspruch der Gemeinden gegenüber dem Gesetzgeber (Wollenschläger in Meder/ Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 11 Rn. 16 m. w. N.).
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c) Die Popularklage entspricht auch im Hilfsantrag nicht den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG.
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Insoweit rügt die Antragstellerin, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZwEWG genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit, da der Landesgesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums in angemessener Weise Rechnung getragen werden könne, weder in der Norm bestimme noch diese nach dem Gesetzeswortlaut bestimmbar seien. Daher verstoße die Regelung gegen das in Art. 3 Abs. 1 BV verankerte Rechtsstaatsprinzip.
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Bei dem gerügten Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip handelt es sich aber nicht um ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht der Bayerischen Verfassung, sondern um objektives Verfassungsrecht, auf das eine Popularklage für sich allein von vornherein nicht gestützt werden kann. Nur Regelungen, die mit zulässigen Grundrechtsrügen angefochten sind, prüft der Verfassungsgerichtshof auch daraufhin, ob sie gegen andere Normen des objektiven Verfassungsrechts verstoßen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 15.1.2007 VerfGHE 60, 1/5; vom 21.12.2011 VerfGHE 64, 224/228; vom 7.3.2019 – Vf. 15-VII-18 juris Rn. 40 m. w. N.).
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).