Titel:
Maßgeblicher Zeitpunkt für Schulplatzvergabe
Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4
BayEUG Art. 44 Abs. 3
Leitsatz:
Ob eine Schülerin oder ein Schüler an der von ihr/ihm gewünschten Schule aufgenommen wird, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung der Schule, die als Abschluss des nach einer Über-Nachfrage durchzuführenden Auswahlverfahrens ergeht. Tatsächliche Umstände, die eine Schülerin oder ein Schüler nach der Aufnahmeentscheidung erstmalig geltend macht, sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen. (Rn. 15)
Schlagworte:
Beschwerdeverfahren, Beschränkung der Prüfung auf die fristgerecht dargelegten Gründe, Kein Rechtsanspruch auf Aufnahme in ein bestimmtes Gymnasium, Schulplatz, Vergabe, maßgeblicher Zeitpunkt, Aufnahmeentscheidung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 02.08.2023 – M 3 E 23.3514
Fundstellen:
LSK 2023, 24514
NVwZ-RR 2024, 233
BeckRS 2023, 24514
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 des Gymnasiums F. … in M. … (im Folgenden: Gymnasium F.) zum Schuljahr 2023/2024.
2
Das Verwaltungsgericht München hat den Antrag mit Beschluss vom 2. August 2023 abgelehnt. Die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Sie habe keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule an einem bestimmten Ort. Die Aufnahmekapazität des Gymnasiums sei erschöpft, da es derzeit in einem provisorischen Gebäude in Containerbauweise untergebracht sei, in der Jahrgangsstufe 5 nicht mehr als 122 bzw. – unter Freihaltung von sechs Plätzen für voraussichtliche Wiederholer – 128 Kinder (bei 153 Anmeldungen) aufnehmen könne. Die der Aufnahmeentscheidung zugrunde gelegten Auswahlkriterien begegneten keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es sei nicht zu beanstanden, dass Schülerinnen und Schüler aufgenommen worden seien, deren Fahrradweg zum Gymnasium bis zu 1,8 km betrage sowie Schülerinnen und Schüler, deren Anfahrt mit dem ÖPNV zum Schulstandort des Gymnasiums N. … in M. …, dem die Antragstellerin entsprechend der Empfehlung des Ministerialbeauftragten zugewiesen worden sei, mehr als 43 Minuten betrage, wobei Verbindungen mit nur einem Umstieg fokussiert worden seien. Ebenso sei es nicht zu beanstanden, dass Kinder, deren Geschwister das Gymnasium bereits besuchten, vorrangig berücksichtigt worden seien. Die Antragstellerin erfülle keines dieser Kriterien.
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Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie habe einen gesetzlichen Anspruch auf Aufnahme in das Gymnasium F. Sie sei aufgrund ihres guten Notendurchschnitts für die Aufnahme in das Gymnasium geeignet, zudem liege in ihrer Person ein Härtefall vor. Es laste bereits jetzt psychischer Druck auf der Antragstellerin wegen des Umstands, dass alle anderen Kinder ihrer Grundschulklasse, jedenfalls die (10 namentlich genannten) Freunde der Antragstellerin, gemeinsam in das Gymnasium aufgenommen worden seien, die negativen Auswirkungen seien nicht abschätzbar. Zur Glaubhaftmachung legt die Antragstellerin ein ärztliches Attest vom 8. August sowie eines vom 11. August 2023 vor.
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Die Antragstellerin beantragt,
5
unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses dem Antragsgegner aufzugeben, die Antragstellerin vorläufig in eine 5. Klasse des Gymnasiums F. zum Schuljahr 2023/2024 aufzunehmen.
6
Der Antragsgegner widersetzt sich der Beschwerde.
7
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Behördenakte Bezug genommen.
8
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragstellerin nicht. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf vorläufige Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 des Gymnasiums F. zum Schuljahr 2023/2024 glaubhaft gemacht. Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen zu bemerken:
9
Allein das Vorbringen der Antragstellerin, sie habe einen gesetzlichen Anspruch auf Aufnahme in das Gymnasium F., sie sei zudem aufgrund ihres Notendurchschnitts geeignet und es liege in ihrer Person ein Härtefall vor, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, da sie damit keine Gründe darlegt, die die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Kapazität des Gymnasiums F. sei ausgeschöpft und die Auswahlentscheidung der Schule sei nicht zu beanstanden, erschüttern könnten.
10
A. Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Verwaltungsgerichtshof auf die Prüfung der fristgemäß dargelegten Gründe beschränkt. Aus dem Wortlaut dieser durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess – RmBereinVpG – vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3987) eingefügten Vorschrift folgt, dass der Gesetzgeber die eigenständige Sachprüfung durch das Beschwerdegericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an den für die Begründetheit streitenden Gesichtspunkten im Beschwerdevorbringen ausgerichtet hat. Indem der Gesetzgeber in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das Prüfprogramm für die Begründetheitsprüfung vorgibt, verbindet er die dem Darlegungsgebot genügende Begründungspflicht nach Satz 3 mit dem Umfang der Sachprüfung in der Beschwerdeinstanz („dargelegte Gründe“). Den Regelungen ist immanent, dass ihre zusätzlichen Anforderungen an die Beschwerdebegründung das Eilverfahren beschleunigen und auf die wesentlichen Fragen konzentrieren sollen. Dadurch, dass der Gesetzgeber die allgemeinen Vorschriften für den Beschwerdegegenstand in den Eilverfahren, die in Absatz 4 Satz 1 in Bezug genommen werden, durch die Sonderregelung des Satzes 6 zur Begründetheit ergänzt hat, hat er damit einen eigenständigen – am Prozessstoff des Darlegungsgebots orientierten – allgemeinen Prüfungsrahmen vorgegeben, der sich in den Rahmen der durch die Neuordnung anvisierten Ziele einfügt (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2023 – 7 CS 23.1036 – juris Rn. 4; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 146 VwGO Rn. 13f, jeweils m.w.N.).
11
Ergeben sich danach aus der Prüfung der fristgerecht dargelegten Gründe keine durchgreifenden Argumente gegen die tragenden Entscheidungselemente des angegriffenen Beschlusses, ist die Beschwerde grundsätzlich unbegründet (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2023, a.a.O Rn. 5; Rudisile in Schoch/Schneider, a.a.O. Rn. 15a; Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 26 jeweils m.w.N.). Dass in diesem Fall immer die Möglichkeit zur Ergebniskorrektur eröffnet werden sollte, lässt sich weder aus der Änderungsgeschichte der Norm noch aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung des Absatzes 4 Satz 6 ableiten (vgl. Happ in Eyermann a.a.O. Rn. 26a m.w.N.). Ausnahmsweise hat die Beschwerde unabhängig von dem nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO Dargelegten Erfolg, wenn die angefochtene Entscheidung offensichtlich unzutreffend ist (vgl. Happ in Eyermann a.a.O. Rn. 28 m.w.N.). Denn die Prüfung muss nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Auge behalten, irreparable Folgen möglichst auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2023, a.a.O Rn. 5 m.w.N.).
12
B. Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist die Beschwerde der Antragstellerin unbegründet. Es ist weder ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung offensichtlich unzutreffend ist noch ergeben sich aus der Prüfung der fristgerecht dargelegten Gründe durchgreifende Argumente gegen die tragenden Entscheidungselemente des angegriffenen Beschlusses.
13
1. Soweit die Antragstellerin vorbringt, sie habe einen gesetzlichen Anspruch auf Aufnahme gerade in das Gymnasium F., verkennt sie bereits, dass das einfachgesetzlich in Art. 44 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayEUG normierte Recht, Schulart, Ausbildungsrichtung und Fachrichtung wählen zu können, nach Art. 44 Abs. 3 BayEUG keinen Rechtsanspruch auf die Aufnahme in ein bestimmtes Gymnasium beinhaltet.
14
Mit ihrem Einwand, sei aufgrund ihres guten Notendurchschnitts geeignet und daher in das Gymnasium F. aufzunehmen, kann sie ebenfalls nicht durchdringen. Zutreffend hat das Gymnasium F. im Rahmen seiner Auswahlentscheidung den Notendurchschnitt der Schülerinnen und Schüler als Kriterium nicht zugrunde gelegt, da dies gegen das Verbot einer positiven Auslese, wonach nur diejenigen Schülerinnen und Schüler aufzunehmen wären, die für den jeweiligen Bildungsgang am besten geeignet sind, verstoßen würde. Zudem ist die Eignung für die gewählte Schulart bereits eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Schülerin bzw. der Schüler überhaupt aufgenommen wird. Ist diese Hürde überwunden, müssen andere Kriterien zur Anwendung kommen (vgl. Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 808).
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2. Der im Beschwerdeverfahren erstmals dargelegte Vortrag der Antragstellerin, es liege in ihrer Person ein Härtefall vor, ist ebenfalls nicht durchgreifend. Ob eine Schülerin oder ein Schüler an der von ihr/ihm gewünschten Schule aufgenommen wird, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung der Schule, die als Abschluss des nach einer Übernachfrage durchzuführenden Auswahlverfahrens ergeht. Tatsächliche Umstände, die eine Schülerin oder ein Schüler nach der Aufnahmeentscheidung erstmalig geltend macht, sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen. Könnte sich eine Schülerin oder ein Schüler nach der Aufnahmeentscheidung erstmalig auf für die Vergabe relevante Umstände berufen, müsste das bereits abgeschlossene Aufnahmeverfahren ggf. wiederaufgenommen und erneut durchgeführt werden (so auch OVG Berlin-Bbg, B.v. 22.8.2019 – OVG 3 S 52.19 – juris Rn. 2). Dies würde dem Sinn und Zweck des Aufnahmeverfahrens nicht gerecht, durch das die Schulplatzvergabe bei einer Übernachfrage verbindlich und abschließend geregelt werden soll.
16
Unabhängig davon sind Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Härtefalls weder glaubhaft vorgetragen noch ersichtlich, insbesondere ergibt sich eine besondere Härte nicht aus den vorgelegten ärztlichen Attesten. Beide Atteste stellen maßgeblich darauf ab, dass die Antragstellerin „ihr aktuelles schulisches Umfeld verlassen und das Gymnasium an einem bisher unbekannten und weiter entfernten Ort fortführen“ müsse, was verbunden mit dem Abreißen sozialer Kontakte zu einem erheblichen psychischen Druck auf die Antragstellerin führen würde bzw. dass der „Wechsel von der Grundschule in die weiterführende Schule sanft zu gestalten“ sei, da die Antragstellerin aufgrund ihrer „emotionalen Störung“ in neuen Situationen verunsichert und auf Unbekanntes mit Ängsten und mit einer depressiven Grundstimmung reagiere. Den ärztlichen Bescheinigungen fehlen bereits wesentliche, für die Glaubhaftmachung des Vorliegens einer Krankheit erforderliche Aussagen. In den Attesten werden weder die tatsächlichen Umstände dargelegt, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch die Methode der Tatsachenerhebung, ebenso nicht die konkrete Diagnose mit der Klassifizierung der Erkrankung nach ICD-10 und der Schweregrad der Erkrankung. Ungeachtet dessen könnte die dargelegte psychische Belastung, so wie sie in den Attesten für die Antragstellerin geschildert wird, einen Härtefall, der zwingend zu ihrer Berücksichtigung im Rahmen der Auswahlentscheidung hätte führen müssen, nicht begründen. Gegen die Annahme eines zu berücksichtigenden Härtefalls spricht dabei, dass die Antragstellerin auch beim Gymnasium F. an einen für sie bisher unbekannten Ort wechseln müsste ohne die Gewähr dafür zu haben, dass aus der Grundschule bekannte Mitschüler im selben Klassenverband wie sie selbst sein werden. Auch für viele andere Kinder ist ein Schulwechsel oft mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden; inwieweit für die Antragstellerin die Nichtaufnahme in ihr Wunschgymnasium darüber hinaus unzumutbar bzw. eine besondere Härte sein soll, vermag der Senat nicht zu erkennen.
17
Dessen ungeachtet könnte die Beschwerde selbst bei Bejahung eines Härtefalls nicht zum Erfolg führen. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufnahme nur im Rahmen der Aufnahmekapazitäten der Schule bestehe, die hier ausgeschöpft seien (vgl. UA Punkt 1. b). Dem ist die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung nicht entgegengetreten. Der Antragsgegner ist jedoch nicht verpflichtet, über die vorhandene Aufnahmekapazität hinaus die Klassen bis zur Grenze der pädagogischen Vertretbarkeit und Funktionsfähigkeit aufzustocken, einem Klassenverband also so lange Schüler zuzuweisen, bis jede weitere Aufnahme insbesondere wegen Raum- und Platzmangels zu offensichtlich unerträglichen Zuständen führen würde. Ein solcher Maßstab würde den Besonderheiten des Schulverhältnisses nicht genügend Rechnung tragen und wäre mit dem Zweck der den Schulen übertragenen Organisationshoheit nicht vereinbar. Das Schulverhältnis ist nämlich durch den Klassenverband geprägt und verlangt, dass den Lehrkräften hinreichend Raum bleibt, um sich jeder einzelnen Schülerin und jedem einzelnen Schüler zuwenden zu können (vgl. BayVGH, B. 15.11.2013 – 7 CE 13.1934 – juris unter Bezugnahme auf den Beschluss der Vorinstanz: VG München, B.v. 20.8.2013 – M 3 E 13.3028 – juris Rn. 24).
18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs 2013.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO).