Inhalt

VGH München, Beschluss v. 17.08.2023 – 6 CE 23.846
Titel:

Fiktive Nachzeichnung der letzten regelmäßigen dienstlichen Beurteilung durch Bildung einer Vergleichsgruppe

Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 33 Abs. 2
BPolLV § 1
BLV § 33 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Bei der Zuweisung von Beförderungsplanstellen  durch den Dienstherrn handelt es sich um eine Entscheidung im Vorfeld späterer Auswahlentscheidungen, in deren Rahmen subjektive Rechte der Beamten noch nicht berührt werden. Insbesondere besteht kein Anspruch darauf, dass Beförderungsplanstellen stets derjenigen Stelle zugewiesen werden, an der die am besten beurteilten Beamten tätig sind. Ebenso wenig muss sich die Organisationsentscheidung des Dienstherrn an den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG messen lassen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Organisationsentscheidung des Dienstherrn ist dem Auswahlverfahren vorgelagert und steht in seinem weiten organisations- und verwaltungspolitischen Ermessen, das sich von dem bei einer Auswahlentscheidung zu beachtenden Auswahlermessen grundlegend unterscheidet. Eine gerichtliche Kontrolle ist deshalb darauf beschränkt zu prüfen, ob die Zuweisung der Stellen willkürlich bzw. rechtsmissbräuchlich erfolgt ist oder ob mit ihr die eigentliche Auswahlentscheidung vorweggenommen wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die am Grundsatz der Bestenauslese zu orientierenden Auswahlentscheidungen sind grundsätzlich anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen zu treffen. Liegt keine aktuelle dienstliche Beurteilung vor, ist gemäß § 1 BPolLV iVm § 33 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BLV) im der Freistellung von der dienstlichen Tätigkeit wegen einer Mitgliedschaft im Personalrat, wenn die dienstliche Tätigkeit weniger als 25 Prozent der Arbeitszeit beansprucht, die letzte regelmäßige dienstliche Beurteilung unter Berücksichtigung der Entwicklung vergleichbarer Beamtinnen und Beamten fiktiv fortzuschreiben. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Bildung einer Vergleichsgruppe stellt ein geeignetes Mittel zu fiktiven Nachzeichnung dar. Der Dienstherr darf eine Gruppe aus Personen zusammenstellen, deren beruflicher Werdegang und Leistungsbild mit denjenigen des freigestellten Personalratsmitglieds vergleichbar sind. Es wird fingiert, dass das freigestellte Personalratsmitglied eine berufliche Entwicklung genommen hätte, die der durchschnittlichen Entwicklung der Vergleichsgruppe entspricht. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Dienstherr  darf die Vergleichsgruppe nicht so zusammenstellen, dass eine Beförderung des freigestellten Personalratsmitglieds unabhängig von dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang der anderen Gruppenmitglieder ausgeschlossen ist. Zudem muss die Referenzgruppe auch eine hinreichende Größe, dh eine hinreichende Anzahl von Mitgliedern aufweisen, damit statistische Zufälligkeiten, die sich bei kleinen Gruppen gesteigert auswirken können, auf ein hinnehmbares Maß gemindert werden und die Entwicklung der Gesamtgruppe Aussagekraft für den nachzuzeichnenden Werdegang des freigestellten Personalratsmitglieds erhält. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bundesbeamtenrecht, Zuweisung von Beförderungsplanstellen, Freigestelles Personalratsmitglied, Fiktive Nachzeichnung der Beurteilung
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 26.04.2023 – B 5 E 23.190
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24508

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 26. April 2023 – 5 B E 23.190 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 17.713.08 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtschutzes die Freihaltung einer der der Antragsgegnerin zugewiesenen Beförderungsplanstellen der Besoldungsgruppe A13.
2
Der 1963 geborene Antragsteller steht als Beamter auf Lebenszeit (Polizeihauptkommissar, Besoldungsgruppe A12) im Dienst der Antragsgegnerin. Seit 2016 ist bei der Bundespolizeiakademie in einem Bundespolizeiaus- und fortbildungszentrum tätig und besetzt dort seit 2019 einen mit der Besoldungsgruppe A11-13gZ bewerteten Dienstposten als Fachlehrer. In seiner Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2019 für den Zeitraum 1. Oktober 2016 bis 30. September 2019 wurde er mit der Gesamtnote B1 beurteilt. Seit 1. Juni 2020 ist der Antragsteller wegen seiner Mitgliedschaft im Gesamtpersonalrat der Bundespolizeiakademie und als Mitglied im örtlichen Personalrat vollständig vom Dienst freigestellt.
3
Mit Schreiben der Bundespolizeiakademie vom 13. Oktober 2020 wurde dem Antragsteller die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe für die Nachzeichnung seiner dienstlichen Beurteilung mitgeteilt. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Antragstellers hin wurde die Festsetzung der Vergleichsgruppe mit Abhilfebescheid vom 15. Februar 2021 aufgehoben.
4
Mit Schreiben vom 3. März 2021 wurde dem Antragsteller die (neue) Zusammensetzung der Vergleichsgruppe für die Nachzeichnung seiner dienstlichen Beurteilung mitgeteilt. Als Vergleichsbeamte seien Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte herangezogen worden, die sich zum Beginn seiner Freistellung im selben statusrechtlichen Amt (PHK A12) befunden hätten. Als Kriterien seien folgende Vergleichsmerkmale zugrunde gelegt worden:
5
- „Gesamtnote B1 in der Regelbeurteilung 2019,
6
- Gesamtnote B2 in der Regelbeurteilung 2016,
7
- Beförderung zur PHKin A12/zum PHK A12 vor dem 1. Oktober 2016,
8
- Inhaberin/Inhaber von Beförderungsdienstposten A11-13gZ,
9
- Fachlehrerin/Fachlehrer“
10
Die Gruppe setze sich am 1. Juni 2020 – neben dem Antragsteller – aus fünf weiteren, namentlich benannten Beamtinnen und Beamten zusammen. Dem Schreiben war eine Rechtsmittelbelehrungbeigefügt, nach der gegen den Bescheid innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden könne.
11
Unter dem 29. April 2022 beantragte der Antragsteller beim Bundespolizeipräsidium, die Angehörigen der Bundespolizeiakademie mit den Angehörigen der Bundespolizeidirektionen und dem Bundespolizeipräsidium hinsichtlich der Verleihung eines anderen Amtes mit höherem Endgrundgehalt (Beförderung) gleichzustellen, wobei sich – bezogen auf ihn persönlich – die Gleichstellung in der Verleihung eines solchen Amts konkretisieren müsste. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es sei de facto „Glücksache“ geworden, ob man einer Unterbehörde angehöre, in der man schneller oder langsamer befördert werde. Es sei nicht sachgerecht, dass etwa in der Bundespolizeidirektion M. bereits im Jahr 2019 alle Beamte seiner Besoldungsgruppe bis zur Note B2 befördert worden seien, soweit sie über eine Planstelle der Wertigkeit A13 verfügten, während dies an der Bundespolizeiakademie nach drei Jahren selbst mit einer besseren Note immer noch nicht möglich sei. In allen Unterbehörden der Bundespolizei müssten die gleichen Beförderungsvoraussetzungen gelten. Selbst wenn es nicht möglich sein sollte, für alle Beamte der Bundespolizei eine einheitliche – bundesweite – Beförderungsliste zu erstellen, was er bestreite, so müsste das Bundespolizeipräsidium zumindest den einzelnen Unterbehörden die Beförderungsmöglichkeiten so zuweisen, dass in allen Unterbehörden unter gleichen Voraussetzungen befördert werde.
12
Mit Schreiben vom 14. Juli 2022 teilte das Bundespolizeipräsidium dem Antragsteller mit, die Angehörigen der Bundespolizeiakademie seien hinsichtlich der Verleihung anderer Ämter mit höherem Endgrundgehalt bereits den anderen Bundespolizeibehörden gleichgestellt. Denn in sämtlichen Bundespolizeibehörden gälten dieselben rechtlichen Grundlage für eine Beförderungsauswahlentscheidung. Jede Bundespolizeibehörde führe dabei in eigener Zuständigkeit die Beförderungen für die eigenen Beamtinnen und Beamten durch. Daraus folge, dass in den einzelnen Bundespolizeibehörden auch eigene Beförderungsranglisten geführt werden müssten. Ein Anspruch auf Beförderung außerhalb von Beförderungsauswahlentscheidungen bestehe für den Antragsteller nicht.
13
Mit Schreiben vom 17. Januar 2023 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller das Ergebnis seiner fiktiven Beurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2022 mit. Die Vergleichsgruppe setze sich am 1. Oktober 2022 weiterhin aus denselben fünf Beamten zusammen. In der Betrachtung der dienstlichen Werdegänge der Beschäftigten dieser Vergleichsgruppe des gehobenen Polizeivollzugsdiensts und der zum Vergleich herangezogenen Merkmale sei für den Antragsteller die Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2022 mit der Gesamtnote B1 sowie den Noten der Leistungsmerkmale (LM 1.1 Note A2, LM 2 Note A2; LM 4.2 Note B1; LM 4.3 Note B1) fiktiv fortzuschreiben. Diese Noten würden in der Beförderungsrangliste berücksichtigt.
14
Mit Schreiben vom 21. Februar 2021 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Mitteilung vom 17. Januar 2023, mit Schreiben vom 6. März 2023 gegen die Ablehnung seines Antrags vom 29. April 2022 ein.
15
Am 6. März 2023 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig zu verpflichten, eine der ihr zugewiesenen Beförderungsplanstellen der Besoldungsgruppe A13 (EPHK) so lange freizuhalten, bis über „den Widerspruch“ des Antragstellers bestandskräftig entschieden sei.
16
Unter dem 7. März 2023 sicherte die Antragsgegnerin zu, dass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Eilverfahrens für den Antragsteller eine Beförderungsplanstelle der Wertigkeit A13 freigehalten werde.
17
Unter dem 14. März 2023 gab die Bundespolizeiakademie bekannt, dass beabsichtigt sei, bei Erfüllung der Mindestvoraussetzungen in den aktuellen Rangfolgelisten u.a. 39 Ernennungen zur Ersten Polizeihauptkommissarin bzw. zum Ersten Polizeihauptkommissar der Besoldungsgruppe A13g BBesO vorzunehmen. Die Mindestvoraussetzungen hierfür seien u.a.: „Regelbeurteilung 2022: Gesamtnote mindestens A2, Leistungsmerkmale (Durchschnitt): mindestens 5,00.“
18
Am 27. März 2023 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig zu verpflichten, eine der ihr zugewiesenen Beförderungsmöglichkeiten von A12 nach A13 (EPHK) so lange freizuhalten, bis über den Widerspruch gegen die Mitteilung vom 17. Januar 2023 entschieden sei (B 5 E 23.253). Diesen Antrag nahm der Antragsteller auf Hinweis des Gerichts auf dessen Unzulässigkeit zurück, das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.
19
Mit Beschluss vom 26. April 2023 hat das Verwaltungsgericht den (noch anhängigen) Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller habe zwar einen Anordnungsgrund, aber keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er habe nicht glaubhaft gemacht, dass er durch die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin in seinen Rechten verletzt werde. Weder liege eine subjektive Rechtsverletzung durch die Beförderungspraxis der Bundespolizei vor noch könne sich der Antragsteller erfolgreich auf Fehler der bei ihm vorgenommenen fiktiven Nachzeichnung der Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2022 berufen.
20
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, mit der er sein Rechtsschutzbegehren weiterverfolgt.
21
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
22
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
23
Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), rechtfertigen es nicht, dem mit dem Rechtsmittel weiterverfolgten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entsprechen.
24
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Insbesondere kann er den geltend gemachten Anspruch auf Freihaltung einer Beförderungsplanstelle nicht aus dem Bewerbungsverfahrensanspruch gemäß Art. 33 Abs. 2 GG herleiten.
25
a) Soweit der Antragsteller meint, die Verteilung der Planstellen auf die einzelnen Bundespolizeibehörden verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 33 Abs. 2 GG und begründe einen Anspruch auf Freihaltung einer Beförderungsplanstelle, kann er damit nicht durchdringen.
26
Bei der Zuweisung von Beförderungsplanstellen handelt es sich um eine Entscheidung im Vorfeld späterer Auswahlentscheidungen, in deren Rahmen subjektive Rechte der Beamten noch nicht berührt werden. Insbesondere besteht kein Anspruch darauf, dass Beförderungsplanstellen stets derjenigen Stelle zugewiesen werden, an der die am besten beurteilten Beamten tätig sind. Ebenso wenig muss sich die Organisationsentscheidung des Dienstherrn an den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG messen lassen. Die Anwendung des Art. 33 Abs. 2 GG setzt vielmehr eine Organisationsentscheidung des Dienstherrn voraus, derzufolge überhaupt Stellen zu besetzen sind (OVG NW, B.v. 15.3.2013 – 1 B 133.12 – juris Rn. 56 ff.). Die Organisationsentscheidung ist demnach dem Auswahlverfahren vorgelagert und steht in einem weiten organisations- und verwaltungspolitischen Ermessen des Dienstherrn, das sich von dem bei einer Auswahlentscheidung zu beachtenden Auswahlermessen grundlegend unterscheidet (NdsOVG, B.v. 17.9.2012 – 5 ME 121.12 – juris Rn. 13 f.). Eine gerichtliche Kontrolle ist deshalb darauf beschränkt zu prüfen, ob die Zuweisung der Stellen willkürlich bzw. rechtsmissbräuchlich erfolgt ist oder ob mit ihr die eigentliche Auswahlentscheidung vorweggenommen wird (OVG NW, B.v. 15.3.2013 – 1 B 133.12 – juris Rn. 58; BayVGH, B.v. 23.5.2013 – 6 CE 13.486 – juris Rn. 9 jeweils m.w.N.).
27
Soweit der Antragsteller meint, vorliegend sei die Zuweisung der Beförderungsplanstellen schon deshalb als willkürlich anzusehen, weil die Antragsgegnerin nicht vorgetragen und das Gericht nicht festgestellt habe, wie – also nach welchen Kriterien – die Zuweisung der Stellen an die einzelnen Bundespolizeibehörden erfolgt sei, vermag er damit nicht zu überzeugen. Der Umstand allein, dass die Beförderung eines Bundespolizeibeamten mittelbar (auch) von seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bundespolizeibehörde – wie hier der Bundespolizeiakademie (vgl. § 57 Abs. 1 und 2 BPolG) – und der Anzahl der dieser Behörde zugewiesenen Planstellen, mithin von Umständen außerhalb des eigenen Einflussbereichs abhängt, macht die vorgelagerte Organisationsentscheidung nicht willkürlich oder rechtsmissbräuchlich. Dass die Anzahl der zugewiesenen Beförderungsplanstellen einen zumindest mittelbaren Einfluss auf die Chancen der einzelnen Beamten hat, bei der Auswahlentscheidung zum Zuge zu kommen, liegt in der Natur der Sache; die Anzahl der Beförderungsplanstellen wird nämlich in aller Regel geringer sein als die Anzahl der Bewerber, so dass mit ihrer Zuweisung regelmäßig ein gewisser Teil der Bewerber nicht zum Zuge kommen wird. Weder aus den Prinzipien der Eignung und Leistung noch aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn folgt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, Beförderungsstellen ausschließlich oder zu einem nicht unbeachtlichen Teil nach zentralen, dienstellenübergreifenden Beförderungsranglisten zu vergeben (BayVGH, B.v. 17.5.2013 – 6 CE 13.591 – juris Rn. 15 m.w.N.). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Zuweisung der Stellen hier nicht nach sachgerechten Kriterien erfolgt wäre oder zum willkürlichen Ausschluss Einzelner – hier des Antragstellers – führte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vor allem aber hat die Antragsgegnerin – insoweit unbestritten – im Beschwerdeverfahren vorgetragen, Grundlage für die Verteilung von Planstellen und Stellen bildeten zunächst die aktuelle Ausstattung der einzelnen Bundespolizeibehörden mit Personal und des Weiteren die aktuellen und künftigen Schwerpunkte der Aufgabenerfüllung der Bundespolizei. Dabei seien für die Personalbewirtschaftung u.a. der Polizeivollzugs- und Verwaltungsbeamten der Laufbahnen des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes (bis A13g+Z) die Bundespolizeidirektionen, die Bundespolizeiakademie und das Bundespolizeipräsidium für die jeweils eigene Behörde zuständig. Im gehobenen Polizeivollzugsdienst würden die bei den Behörden vorhandenen Dienstposten (A9g-11, A10-12, A11g-13g+Z) und die jeweiligen zu Verfügung stehenden Planstellen (A13g, A12, A11 etc.) mit den verfügbaren Beförderungsmöglichkeiten ins Verhältnis gesetzt und eine entsprechende Zuweisung berechnet. Für eine willkürliche oder rechtsmissbräuchliche Zuweisung von Planstellen gibt es danach keine greifbaren Anhaltspunkte. Wem die Darlegungs- bzw. Beweislast für Rechtsfehler einer Organisationsentscheidung im Einzelnen obliegt, braucht daher nicht geklärt zu werden.
28
b) Ohne Erfolg bleiben auch die vom Antragsteller erhobenen Einwände gegen die fiktive Nachzeichnung seiner dienstlichen Beurteilung als Grundlage für die konkrete, an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Auswahlentscheidung.
29
Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, es bedürfe vorliegend bei einer Vergleichsgruppe von nur fünf Beamten (wohl ergänzend) einer differenzierten Einzelfallprüfung, die über den bloßen Vergleich der Beurteilungsnoten der fünf Vergleichsbeamten hinausgehen und insbesondere die im Vergleich zu seinem Statusamt (angeblich) höherwertige Tätigkeit und seine vergleichsweise lange Verweildauer im Statusamt (auch als Stand- oder Stehzeit bezeichnet) berücksichtigen müsse.
30
aa) Die am Grundsatz der Bestenauslese zu orientierenden Auswahlentscheidungen sind grundsätzlich anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 2 VR 1.13 – juris Rn. 18, 21). Liegt keine aktuelle dienstliche Beurteilung vor, ist gemäß § 1 BPolLV i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV) im hier gegebenen Fall der Freistellung von der dienstlichen Tätigkeit wegen einer Mitgliedschaft im Personalrat, wenn die dienstliche Tätigkeit weniger als 25 Prozent der Arbeitszeit beansprucht, die letzte regelmäßige dienstliche Beurteilung unter Berücksichtigung der Entwicklung vergleichbarer Beamtinnen und Beamten fiktiv fortzuschreiben. Damit wird dem in § 10, § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG verankerten Benachteiligungsverbot Rechnung getragen.
31
Der Dienstherr hat bei der Umsetzung des Benachteiligungsverbots eine Prognose darüber zu erstellen, wie der berufliche Werdegang des freigestellten Personalratsmitglieds ohne die Freistellung verlaufen wäre. Dies hängt von der voraussichtlichen Entwicklung der dienstlichen Leistungen ab (fiktive Nachzeichnung der Laufbahn). Der Dienstherr hat einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der Methode und des Verfahrens zur Erstellung der Prognose (BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 11.14 – juris Rn. 13; B.v. 23.1.2023 – 1 WB 45.22 – juris Rn. 41; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2012 – juris Rn. 25). Für den hier vorliegenden Fall eines wegen seiner Mitgliedschaft im Personalrat freigestellten Bundespolizeibeamten liegt eine Entscheidung zugunsten des Konzepts der fiktiven Nachzeichnung vor (s.o., § 1 BPolLV, § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV).
32
Es ist allgemein anerkannt, dass die Bildung einer Vergleichsgruppe ein geeignetes Mittel zu fiktiven Nachzeichnung darstellt. Der Dienstherr darf eine Gruppe aus Personen zusammenstellen, deren beruflicher Werdegang und Leistungsbild mit denjenigen des freigestellten Personalratsmitglieds vergleichbar sind. Es wird fingiert, dass das freigestellte Personalratsmitglied eine berufliche Entwicklung genommen hätte, die der durchschnittlichen Entwicklung der Vergleichsgruppe entspricht (BVerwG, U.v. 30.6.2014 – 2 B 11.14 – juris Rn. 14, BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2012 – juris Rn. 26). Die fiktive Fortschreibung fingiert danach nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Dienstleistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter (BVerwG, B.v. 16.12.2010 – 2 C 11.09 – juris Rn. 9; B.v. 25.6.2014 – 2 B 1.13 – juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 31.1.2022 – 6 B 1878.21 – juris Rn. 11).
33
Entscheidet sich der Dienstherr für die fiktive Nachzeichnung durch Bildung einer Vergleichsgruppe, ist ihm hierbei zwar Ermessen eröffnet; es muss aber sichergestellt sein, dass sowohl die generellen Kriterien für die Gruppenbildung als auch deren personelle Zusammensetzung im Einzelfall dem gesetzlichen Benachteiligungsverbot Rechnung tragen. Von der Zusammensetzung der konkreten Vergleichsgruppe hängt entscheidend ab, wie groß die Chancen des freigestellten Personalratsmitglieds sind, aufgrund der Vergleichsbetrachtung mit den anderen Gruppenmitgliedern befördert zu werden. Daher darf der Dienstherr die Vergleichsgruppe nicht so zusammenstellen, dass eine Beförderung des freigestellten Personalratsmitglieds unabhängig von dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang der anderen Gruppenmitglieder ausgeschlossen ist (BVerwG, U.v. 30.6.2014 – 2 B 11.14 – juris Rn. 15, BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 3 CE 15.2012 – juris Rn. 27; OVG NW, B.v. 31.1.2022 – 6 B 1878.21 – juris Rn. 19, 26). Zudem muss die Referenzgruppe auch eine hinreichende Größe, d.h. eine hinreichende Anzahl von Mitgliedern aufweisen, damit statistische Zufälligkeiten, die sich bei kleinen Gruppen gesteigert auswirken können, auf ein hinnehmbares Maß gemindert werden und die Entwicklung der Gesamtgruppe Aussagekraft für den nachzuzeichnenden Werdegang des freigestellten Personalratsmitglieds erhält (BVerwG, B.v. 11.12.2014 – 1 WB 6.13 – juris Rn. 40, B.v. 14.12.2018 – 1 WB 32.18 – juris Rn. 22; vgl. auch BVerwG, B.v. 26.1.2023 – 1 WB 45.22 – juris Rn. 43).
34
bb) Gemessen an diesem Maßstab hat der Antragsteller den geltend gemachten Anspruch auf Freihaltung einer Beförderungsplanstelle nicht glaubhaft gemacht. Seine Einwände gegen die fiktive Nachzeichnung seiner Beurteilung greifen nicht durch.
35
(1) Für die vom Antragsteller eingeforderte differenzierte Einzelfallprüfung findet sich in den maßgeblichen Richtlinien der Antragsgegnerin keine Grundlage. Die vom Antragsteller herangezogene Bestimmung in Nr. 4.4.2 Abs. 3 der Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 10. Dezember 2015 (BeurtRL BPOL) trifft keine Regelung zur Bildung einer Vergleichsgruppe im Fall der fiktiven Nachzeichnung, sondern im Fall der Regelbeurteilung. Die fiktive Fortschreibung der letzten Regelbeurteilung in Fällen des § 33 Abs. 3 BLV – etwa wie hier der Freistellung von der dienstlichen Tätigkeit wegen einer Mitgliedschaft im Personalrat – ist in Nr. 2.4 BeurtRL BPOL gesondert geregelt und verweist insoweit auf die grundsätzlichen Hinweise zur Rechtslage bei der Behandlung und Förderung freigestellter Personalratsmitglieder vom 12. März 2002 (D I 3 – 212 252/12). Danach kann – entsprechend den oben bereits dargelegten Grundsätzen – die fiktive Nachzeichnung in der Weise erfolgen, dass die letzte planmäßige dienstliche Beurteilung unter Berücksichtigung der Entwicklung vergleichbarer Beamten fiktiv fortgeschrieben wird. Die Bestimmung der Gruppe vergleichbarer Beamten steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen der Dienststelle. Als Vergleichsbeamte kommen, ggf. kumulativ „u.a. Besoldungsgruppe, Beurteilungsnote, Dienstposten, Funktion oder Geburts- und Einstellungsjahrgang“ in Betracht. Angesichts der gesonderten Regelung der fiktiven Fortschreibung der Beurteilung freigestellter Personalratsmitglieder, kann der Antragsteller für das von ihm vorgeschlagene Konzept der (ergänzenden) Einzelfallprüfung aus den Beurteilungsrichtlinien nichts herleiten.
36
(2) Im Übrigen kann der Antragsteller die von ihm erhobenen Einwände gegen seine (fiktive) Beurteilung, insbesondere die aus seiner Sicht fehlende oder unzureichende Berücksichtigung der im Vergleich zu seinem Statusamt (angeblich) höherwertigen Tätigkeit, seiner vergleichsweise langen Verweildauer im Statusamt und seines Geburts- und Einstellungsjahrs – wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat – wegen Verwirkung seines diesbezüglichen Rügerechts nicht mehr geltend machen.
37
Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht einschließlich des öffentlichen Dienstrechts anwendbar. Dieser Einwand setzt neben dem Zeitablauf voraus, dass der Inhaber eines materiellen oder prozessualen Anspruchs oder Gestaltungsrechts innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf. Danach kann ein Beamter sowohl sein materielle Recht auf Überprüfung und gegebenenfalls Änderung seiner dienstlichen Beurteilung als auch das prozessuale Klagerecht verwirken (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 2 B 75.13 – juris Leitsatz und Rn. 15). Diese Grundsätze gelten auch für einen freigestellten Beamten: Einwände gegen die Referenzgruppenbildung sind danach zeitnah (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO) geltend zu machen. Eins solche Obliegenheit setzt allerdings voraus, dass dem Beamten die Referenzgruppenbildung auch mitgeteilt worden ist (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 2 B 75.13 – juris Rn. 16; B.v. 25.6.2014 – 2 B 1.13 – juris Leitsatz 1 und Rn. 27; B.v 21.7.2016 – 1 WB 8.16 – juris Rn. 54).
38
Die Vergleichskriterien und die personelle Zusammensetzung der Vergleichsgruppe wurden dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 3. März 2021 erläutert. Von der Möglichkeit, hiergegen Widerspruch zu erheben, hat der Antragsteller – anders als nach der (zunächst erfolgten) Mitteilung vom 13. Oktober 2020 – ungeachtet der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrungkeinen Gebrauch gemacht. Die Antragsgegnerin musste nach Ablauf von fast zwei Jahren seit der Vergleichsgruppenmitteilung daher nicht mehr damit rechnen, dass nunmehr Einwände gegen die herangezogenen Vergleichskriterien und die Zusammensetzung der Vergleichsgruppe erhoben würden. Soweit der Antragsteller sich darauf beruft, es handle sich vorliegend um „systemische Fehler“ im System der Nachzeichnung, entbindet ihn das nicht von der Obliegenheit, derartige Fehler rechtzeitig geltend zu machen. Die vom Antragsteller im Einzelnen gerügten (angeblichen) Fehler, insbesondere die fehlende bzw. nicht hinreichende Berücksichtigung der (angeblich) höherwertigen Tätigkeit und der langen Standzeit des Antragstellers, betreffen nicht die Ermittlung des Ergebnisses der fiktiven Nachzeichnung, mithin der Beurteilungsnote des Antragstellers, die ihm mit Schreiben vom 17. Januar 2023 mitgeteilt wurde, sondern die im Vorfeld erfolgte Auswahl der Kriterien für die Gruppenbildung und die personelle Zusammensetzung der Gruppe, die dem Antragsteller bereits mit Schreiben vom 3. März 2021 genannt worden waren. Soweit der Antragsteller offenbar der Auffassung ist, ein systemischer Fehler liege nicht nur darin, dass Art und Dauer seiner Tätigkeit in seinem Statusamt nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, sondern auch in der Anwendung der in Nr. 4.4.1 BeurtRL BPOL vorgesehen Richtwerte für gehobene Beurteilungen, die innerhalb derselben Vergleichsgruppe nicht über- oder unterschritten werden sollen (hier: für die Note A2: 10 Prozent), hat er schon nicht nachvollziehbar dargelegt, inwieweit er hier durch die Quotierung in seinen Rechten verletzt sein soll. Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, wurde die Note A2 innerhalb der herangezogenen Vergleichsgruppe in zwei von fünf Fällen und damit in 40 – und nicht nur in 10 – Prozent der Fälle vergeben. Entgegen der Ansicht des Antragstellers liegt hier also gerade keine Konstellation wie in dem vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 20. August 2019 – 6 B 274/19 – entschiedenen Fall vor, in dem die Nachzeichnung – anders als hier – (wohl) allein auf dem Umstand abgestellt hat, dass sich die Mehrheit der Vergleichsgruppe infolge der nach den Beurteilungsrichtlinien zu berücksichtigenden Obergrenzen gegenüber der Vorbeurteilung nicht verbessert hat, und damit den auf die Nachzeichnung angewiesenen Beamten von einer Verbesserung der Beurteilungsnote von vornherein rechtswidrig ausgeschlossen hat (OVG NW, B.v. 20.8.2019 – 6 B 274/19 – juris Rn. 29, vorgehend VG Köln, B.v. 4.2.2019 – 19 L 2447/18 – juris Rn. 16; vgl. auch BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 11.14 – juris Rn. 15).
39
(3) Soweit die Beschwerde geltend macht, im Rahmen der fiktiven Nachzeichnung sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Beförderungsaussichten des Antragstellers angesichts seines aktuellen Platzes in der Beförderungsrangliste verschlechtert hätten (Platz 61 zum 1.2.2023 gegenüber Platz 42 zum 15.11.2021), mag er sein Rügerecht insoweit zwar nicht verwirkt haben, weil die Platzziffer naturgemäß erst nach der Durchführung und Bekanntgabe des Ergebnisses der fiktiven Nachzeichnung der Beurteilung ermittelt und dem Antragsteller mitgeteilt werden konnte. Allerdings ist für die vom Antragsteller offenbar geforderte nachträgliche Korrektur des Ergebnisses der fiktiven Nachzeichnung kein Raum. Denn der Ranglistenplatz in der Beförderungsrangfolgeliste ist erst das Ergebnis der Reihung der Beamten anhand ihrer Beurteilungsnoten und kann daher denklogisch nicht schon bei der Ermittlung der einzelnen Beurteilungsnote Berücksichtigung finden. Im Übrigen beruht das Konzept der fiktiven Nachzeichnung, das die Antragsgegnerin entsprechend der Ermessensbindung durch § 1 BPolLV i.V.m.§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV und Nr. 2.4.2 der Beurteilungsrichtlinien angewendet hat, auf der Berücksichtigung der Entwicklung von vergleichbaren – und nicht von allen in der Beförderungsrangliste erfassten – Beamten.
40
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
41
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 GKG. Anzusetzen ist daher im Ergebnis ein Viertel der für ein Kalenderjahr in der angestrebten Besoldungsgruppe zu zahlenden Bezüge der Endstufe (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2022 – 6 CE 21.2708 – juris Rn. 44 m.w.N., hier für Besoldungsgruppe A13 der (End-)Stufe 8).
42
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).