Inhalt

VGH München, Urteil v. 29.06.2023 – 6 BV 22.712
Titel:

Abgrenzung: Arbeitszeit – Bereitschaftsdienst – Rufbereitschaft – Ruhezeit

Normenketten:
BPolBG § 11
BBG § 88
Leitsätze:
1. Unter den Begriff "Arbeitszeit" fallen sämtliche Zeiten, während derer dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigt ist (EuGH BeckRS 2021, 3588). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. "Arbeitszeit" liegt insbesondere dann vor, wenn sich der Beamte an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist (stRspr BVerwG BeckRS 2021, 20340); die bloße telefonische Erreichbarkeit iS einer telefonischen Ansprechbarkeit ohne die Verpflichtung, binnen einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen, reicht für die Annahme eines solchen Bereitschaftsdienstes nicht aus. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zeitspanne zwischen Beendigung der Nachbereitung des Einsatztages und Beginn des Schichtdiensts am nächsten Morgen ist als Ruhezeit einzustufen, wenn der Beamte nicht verpflichtet ist, sich nach Beendigung des täglichen Einsatzes in seinem Hotelzimmer aufzuhalten und sich dort weiterhin bereit zu halten, da seine freie Zeitgestaltung innerhalb dieses Zeitraums dann objektiv nicht in ganz erheblichem Maße beeinträchtigt wird. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Freizeitausgleich mehrtägiger Einsatz, Abgrenzung von Ruhezeit und Arbeitszeit, Bereitschaftszeit (verneint), Verantwortung für Führungs- und Einsatzmittel, Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, telefonische Erreichbarkeit, Ruhezeit, Freizeitausgleich für mehrtägigen Einsatz, pauschalierter Freizeitausgeleich, Bundespolizei
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Urteil vom 23.04.2019 – B 5 K 17.755
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.10.2023 – 6 BV 22.712
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24507

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 23. April 2019 – B 5 K 17.755 – geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden‚ sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Der Kläger steht als Polizeivollzugsbeamter der Bundespolizei im Dienst der Beklagten. Er begehrt (über den ihm bereits gewährten Freizeitausgleich hinaus) weiteren einheitlichen Freizeitausgleich für zwei mehrtägige Einsätze im Jahr 2016 im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze aufgrund der damaligen Migrationslage.
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1. Mit Durchführungserlass zu § 11 BPolBG vom 16. Mai 2008 hatte das Bundesministerium des Innern für die Bemessung des Freizeitausgleichs Folgendes vorgegeben: Die langjährigen Einsatzerfahrungen in der Bundespolizei ließen grundsätzlich eine Aufteilung eines 24-Stunden-Einsatztages in 12 Stunden Volldienstzeit, 8 Stunden Bereitschaftsdienst und 4 Stunden Ruhezeit zu. Bei einem 24-stündigen Einsatz- oder Übungstag ergebe sich daraus ein einheitlicher Ansatz von 17 Stunden für die Berechnung des Freizeitausgleichs. Die 8 Stunden Bereitschaftszeit seien – entsprechend der Behandlung im Regeldienst – zu 50% anzurechnen, die 4 Stunden Ruhezeit mit 20%, wobei Stundenbruchteile über 30 Minuten auf-, ansonsten abzurunden seien. Liege ein wesentlich abweichender Einsatzverlauf vor, könne der Freizeitausgleich abweichend festgesetzt werden.
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Mit Blick auf die Einsatzlage zur Bewältigung der Massenmigration an der deutsch-österreichischen Grenze wies die Direktion der Bundesbereitschaftspolizei die Bundespolizeiabteilungen mit Schreiben vom 24. Mai 2016 darauf hin, dass das Bundespolizeipräsidium wegen der veränderten Migrationslage und Belastungssituation die bisherige Abrechnungsmodalität des Freizeitausgleichs aufgehoben und die Dienstbehörden gebeten habe, im Einzelfall in eigener Zuständigkeit über eine Anordnung von Mehrarbeit entsprechend der Rechts- und Vorschriftenlage zu entscheiden. Sollte im weiteren Einsatzverlauf § 11 BPolBG zum Tragen kommen, sei die veränderte Situation auch bei der Bemessung des Freizeitausgleichs zu beachten.
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Der Kläger nahm im August und September 2016 an zwei Einsätzen zur Verstärkung der Bundespolizeidirektion München anlässlich der aktuellen Migrationslage und der Wiedereinführung der Grenzkontrollen teil (30.8.-7.9. und 13.9.-21.9.). In den zugrundeliegenden Einsatzbefehlen der Bundepolizeiabteilung Bayreuth Nr. 110/16 vom 29. August 2016 und Nr. 119/16 vom 12. September 2016 wurde jeweils „erforderliche Mehrarbeit“ angeordnet und festgelegt, dass die Voraussetzungen des § 11 BPolBG vorliegen. Weiter heißt es jeweils: „Bei der Anwendung des § 11 BPolBG ist darauf zu achten, dass die Bemessungsgrundlage den tatsächlichen Anforderungen und Belastungen entspricht. Anhand des momentanen Belastungsgrades sind im Migrationseinsatz bei 12 Std. Einsatzzeit mit Vor- und Nachbereitungszeit im Regelfall 15 Std. als Richtwert anzusetzen.“ Die Einsatzbefehle bestimmten den Dienstbeginn am ersten Einsatztag, legten aber keine weiteren Dienstzeiten fest.
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Für die Dauer der Einsätze waren der Kläger und die weiteren Einsatzkräfte in Hotels untergebracht. Besondere Vorkehrungen zur (zentralen) Verwahrung der Ausrüstung, insbesondere der Dienstwaffen, nach Rückkehr der Einsatzkräfte in die Unterkunft wurden nicht getroffen. Von der Einlagerung der Dienstwaffen im Zimmersafe wurde nach Angabe des Klägers kein Gebrauch gemacht. In den täglichen Dienst- und Tätigkeitsnachweisen sind für einen vollen Einsatztag 15 Stunden „Volldienst“ und 1,80 Stunden „vergütete Ruhe“ ausgewiesen, woraus sich für den Kläger bei Abzug der Sollarbeitszeit von 8,5 Stunden eine Mehrarbeitszeit von 8,3 Stunden errechnet. Im Gesamttätigkeitsnachweis wurden lediglich der Volldienst mit 12 Stunden Schichtdienst, 2 Stunden Fahrzeit zum/vom Einsatzort und 1 Stunde Vor- und Nachbereitung angesetzt. Auf dieser Grundlage errechneten sich für den Kläger Mehrarbeitszeiten von 63 Stunden bei dem Einsatz vom 30. August bis 7. September 2016 und von 28,5 Stunden bei dem Einsatz vom 13. September bis 21. September 2016, die seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wurden.
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Mit Schreiben vom 24. November 2016 beantragte der Kläger, ihm für die zwei Einsätze weitere 16 und 8 Stunden gutzuschreiben, weil auf der Grundlage des Durchführungserlasses vom 16. Mai 2008 und der bisherigen Praxis ein pauschalierter Stundenansatz von 17 statt 15 Stunden pro 24-Stunden Einsatzzeitraum hätte zugrunde gelegt werden müssen. Die Beklagte lehnte das ab (Schreiben der Bundespolizeiabteilung Bayreuth vom 6.12.2016). Den Widerspruch wies die Direktion Bundesbereitschaftspolizei mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2017 als unbegründet zurück.
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2. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 23. April 2019 antragsgemäß verpflichtet, dem Kläger insgesamt weitere 24 Stunden Freizeitausgleich zu gewähren. Es liege bei den in Rede stehenden Einsätzen kein wesentlich abweichender Einsatzverlauf vor, der nach dem Durchführungserlass eine Herabsetzung des Freizeitausgleichs 17 auf 15 Stunden zuließe. Die von der Beklagten als Ruhezeit bewerteten Stunden hätten als Bereitschaftszeiten berücksichtigt werden müssen, weil die Beamten aufgrund ihrer ständigen Verantwortung für die Einsatzmittel sie nicht als Erholungszeit hätten nutzen können. Selbst wenn man von einer neunstündigen Ruhezeit ausgehen würde, ergäbe sich ein Stundenansatz von 17 Stunden, weil auch die Ruhezeit gemäß Nr. 2.2 des Durchführungserlasses zu 20% anzurechnen gewesen wäre.
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3. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung rügt die Beklagte, das erstinstanzliche Urteil gehe zu Unrecht von (durchgängiger) Bereitschaftszeit aus. Es sei lediglich ein Schichtdienst vorgesehen gewesen, ohne dass der Kläger außerhalb des „Volldienstes“ von zwölf Stunden mit einer Heranziehung habe rechnen müssen. Alleine die Verantwortung für Führungs- und Einsatzmittel begründe keine Einsatzbereitschaft. Im Rahmen der Pauschalierung seien die „Nebenzeiten“, zu denen Fahr-, Vor- und Nachbereitungszeiten zählten, mit drei Stunden ausreichend berücksichtigt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 23. April 2019 abzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die tatsächlich geleisteten Dienstzeiten hätten sich im Vergleich zu den vorherigen Migrationseinsätzen nicht verringert. Die Fahrten vom und zum Einsatzort seien mit dienstlichem Streifen-Kraftfahrzeug, uniformiert, voll ausgerüstet und bewaffnet unter vorheriger Anmeldung bei der Leitstelle und ständiger Erreichbarkeit erfolgt, so dass von 15 Stunden Volldienst auszugehen sei. Auch außerhalb des Volldienstes hätten sich die Kräfte wie vom Verwaltungsgericht angenommen nicht „in Ruhe“ befunden; eine telefonische Erreichbarkeit sei, wenn auch nicht ausdrücklich angeordnet, so doch erwartet worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, auf die von der Beklagten vorgelegten Aktenheftungen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 29. Juni 2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
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Dem Kläger steht für die beiden Einsätze (vom 30.8. bis 7.9. und 13.9. bis 17.9.2016) zur Unterstützung der Bundespolizeidirektion München bei der Durchführung von Grenzkontrollen weder nach § 88 Satz 2 BBG noch nach § 11 Satz 1 BPolBG – in der damals jeweils geltenden Fassung – ein Anspruch auf Dienstbefreiung oder auf einheitlichen Freizeitausgleich von weiteren 24 Stunden zu. Die Beklagte ist ohne Rechtsfehler bei der Berechnung des nach § 11 Satz 1 BPolBG gewährten Freizeitausgleichs von (pauschaliert) 15 Stunden Arbeitszeit je vollem Einsatztag ausgegangen und hat die verbleibenden 9 Stunden zutreffend als bloße, nicht ausgleichsbedürftige „Ruhezeit“ gewertet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die 9-stündige Ruhezeit je vollem Einsatztag hätte als Bereitschaftszeit berücksichtigt und jedenfalls entsprechend dem Durchführungserlass zu § 11 BPolBG vom 16. Mai 2008 anteilig mit weiteren 2 Stunden ausgeglichen werden müssen, teilt der Senat nicht. Die Klage ist deshalb unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.
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1. Beamtinnen und Beamte sind unter den Voraussetzungen des § 88 Satz 1 BBG zur Mehrarbeit verpflichtet. Werden sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen gem. § 88 Satz 2 BBG innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. § 11 Satz 1 BPolBG erlaubt bei mehrtätigen Einsätzen von Verbänden, Einheiten oder Teileinheiten der Bundespolizei anstelle einer Dienstbefreiung nach § 88 BBG die Festsetzung eines einheitlichen Freizeitausgleichs. § 11 BPolBG gewährt dabei kein subjektiv-öffentliches Recht des Beamten auf pauschalierte Festsetzung (BVerwG, U.v. 29.4.2021 – 2 C 18/20 – NVwZ 2022, 1861 Rn. 16). Entscheidet sich der Dienstherr aber für eine pauschalierte Festsetzung, hat der Beamte wie bei § 88 Satz 2 BBG einen subjektiv-öffentlichen Anspruch auf Ausgleich im vollen Umfang („1:1-Ausgleich“; vgl. BVerwG, B.v. 28.11. 2018 – 2 B 29/18 – juris Rn. 8). Die Pauschalierungsbefugnis des Dienstherrn gem. § 11 BPolBG setzt nach ihrem Sinn und Zweck allerdings voraus, dass es in dem Einsatzzeitraum überhaupt Stunden gibt, die tatsächlich Ruhezeit, d.h. keine Arbeitszeit, sind (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.2021 – 2 C 18/20 – NVwZ 2022, 1861 Rn. 48). Andernfalls verbleibt es – anders als das Verwaltungsgericht annahm – bei der Regelung des § 88 BBG.
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2. Die Beklagte hat sich beim Ausgleich der geleisteten Mehrarbeit im Rahmen der Migrationseinsätze zu Recht auf § 11 BPolBG gestützt und einen einheitlichen Freizeitausgleich festgesetzt. Die Einsatzbefehle der Bundespolizeiabteilung Bayreuth vom 29. August und 12. September 2016 hatten mehrtätige, durch Ruhezeiten unterbrochene Einsätze zum Gegenstand, für die jeweils in der Nr. 6.4 Mehrarbeit angeordnet wurde.
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2.1 Ob Arbeitszeiten oder Ruhezeiten vorliegen, bestimmt sich grundsätzlich nach der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes (AZV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Februar 2006 (BGBl. I 2006, 427), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 11. Dezember 2014 (BGBl. I 2014, 2191).
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Maßgeblich ist insoweit, ob sich die Zeiten bei wertender Betrachtung als Bereitschaftsdienst, Freizeit oder eine Form der Rufbereitschaft darstellen (BVerwG, B.v. 1.12.2020 – 2 B 387/20 – ZBR 2021, 162). Bei der Prüfung, ob Bereitschaftsdienst vorliegt, ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für die Abgrenzung von Arbeitszeit und Ruhezeit i.S.v. Art. 2 Nr. 1 und 2 der Richtlinie zu beachten, weil der deutsche Gesetzgeber einen einheitlichen Begriff des Bereitschaftsdienstes vorgesehen hat (BVerwG, U.v. 29.4.2021 – 2 C 18/20 – NVwZ 2021, 1861 Rn. 29). Nach dem Gerichtshof fallen unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinn der RL 2003/88 sämtliche Zeiten, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen (EuGH, Urt. v. 9.3.2021 – C-344/19 – juris Rn. 37). Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere dann der Fall, wenn sich der Beamte an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 2 C 32/10 – BVerwGE 140, 351 und U.v. 17.11.2016 – 2 C 23/15 -BVerwGE 156, 262). Die bloße telefonische Erreichbarkeit im Sinne einer telefonischen Ansprechbarkeit ohne die Verpflichtung, binnen einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen, reicht für die Annahme eines Bereitschaftsdienstes nicht aus (BVerwG, U.v. 30.10.2018 – 2 A 4/17 – NVwZ-RR 2019, 329).
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Die Einschränkungen dürfen allerdings nicht allein auf der Verpflichtung beruhen, seine Arbeitsleistungen überhaupt an dem vom Arbeitgeber im Rahmen seines Direktions- und Weisungsrechts bestimmten Ort zu der von ihm bestimmten Zeit zu erbringen. Dementsprechend hat es der Europäische Gerichtshof etwa für unerheblich gehalten, ob es in der unmittelbaren Umgebung des Arbeitsorts „nur wenige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten gibt“ (EuGH, U.v. 9.3.2021 – C-344/19 – juris Rn. 42, 66). Hinwegzudenken sind damit die Beeinträchtigungen, die aus der bloßen Länge der Arbeitszeiten und der ortsbedingten Trennung vom sozialen Umfeld resultieren. Für sonstige ihm zurechenbare Beeinträchtigungen der freien Gestaltung von Zeiten, in denen beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, bleibt der Arbeitgeber oder Dienstherr indes verantwortlich.
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2.2 Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat die Beklagte die Zeitspannen zwischen Beendigung der Nachbereitung des Einsatztages und Beginn des Schichtdiensts am nächsten Morgen jeweils zutreffend als Ruhezeit eingestuft, da die freie Zeitgestaltung des Klägers innerhalb dieses Zeitraums durch dem Arbeitgeber zurechenbare Beeinträchtigungen objektiv nicht in ganz erheblichem Maße beeinträchtigt war. Der Kläger war nicht verpflichtet, sich nach Beendigung des täglichen Einsatzes in seinem Hotelzimmer aufzuhalten; die Unterkunft wurde laut Einsatzbefehl lediglich „unentgeltlich zur Verfügung gestellt“. Die Einsatzbefehle enthalten auch keine Verpflichtung, sich nach dem Einsatz weiterhin bereit zu halten. Die Beklagte führte dazu ergänzend aus, eine Inanspruchnahme außerhalb der „Volldienstzeiten“ sei weder vorgesehen noch erforderlich gewesen, ohne dass der Kläger dem substantiiert entgegengetreten wäre. Die Erwartung der telefonischen Ansprechbarkeit – legte man insoweit die Einschätzung des Klägers zugrunde – griffe in die Freiheit des Beamten, außerhalb seiner regelmäßigen Dienstzeit über seine Zeit zu verfügen, ebenfalls nur in einem sehr geringen Maße ein.
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Auch das Unterlassen der Beklagten, ihren Einsatzkräften eine zentrale Aufbewahrung von Dienstausrüstung zur Verfügung zu stellen oder sie zumindest deutlich darauf hinzuweisen, dass diese ihrer Ansicht nach ohne Verletzung von Dienstpflichten im Zimmersafe verwahrt werden durfte, hatte keine „objektiv ganz erhebliche Beeinträchtigung“ der Möglichkeit des Klägers zur Folge, seine Zeit frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen. Dem Kläger stand für Erholungsphasen ohnehin nur ein kurzes Zeitfenster von 21 Uhr bis 6 Uhr des nachfolgenden Tages zur Verfügung. Wie der Klägerbevollmächtigte selbst anführt, ist „die persönliche Lebensführung durch diesen Tagesablauf schon in einer Weise eingeschränkt, die es den Einsatzkräften unmöglich macht, wie beispielhaft aufgezählt, Zeit für Sport, kulturelle Veranstaltungen oder Besuche zu haben.“ Bei dieser Sachlage kommt der Verantwortung für die mitgeführte Dienstausrüstung nach Ansicht des Senats keine erhebliche Bedeutung mehr zu (vgl. auch BVerwG, U.v. 13.10.2022 – 2 C 24/21 – juris Rn. 20).
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3. Die pauschalierte Festsetzung ist auch ihrem Umfang nach nicht zu beanstanden.
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Aus den jeweiligen Einsatzbefehlen ergibt sich, dass die Beklagte in Anwendung von § 11 BPolBG vom einem pauschalierten Ansatz von 15 Stunden Arbeitszeit ausgegangen ist (12 Stunden Einsatzzeit mit Vor- und Nachbereitung). Dies entsprach im Falle des Klägers auch dem tatsächlichen Aufwand unter Berücksichtigung einer täglichen Reisezeit von zwei Stunden, so dass es gegen diesen Ansatz auch nichts zu erinnern gibt. Damit kann auch die Frage offenbleiben, ob es wegen der intendierten Vereinfachung der Abrechnung hinzunehmen ist, wenn der pauschalierte Ansatz im Einzelfall hinter der tatsächlichen Arbeitszeit zurückbleibt.
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Entgegen der Ansicht des Klägers und des Verwaltungsgerichts war die Beklagte zur Gewährung weiterer zwei Stunden pro Einsatztag auch nicht durch die Nr. 2.2 des Durchführungserlasses vom 16. Mai 2008 verpflichtet. Die anteilige Anrechnung von Ruhezeiten ist dort vor dem Hintergrund eines typisierten Einsatztages zu verstehen, der neben Volldienstzeiten auch Bereitschaftszeiten und Ruhezeiten umfasst. Im Fall des Klägers lagen Bereitschaftszeiten jedoch gerade nicht vor, was bereits als „erhebliche Abweichung des Einsatzverlaufs“ im Sinn des Erlasses einzustufen wäre und eine Abweichung bei der Pauschalierung gestattete. Dazu kommt, dass die im Durchführungserlass vorgesehene (lediglich) anteilige Berücksichtigung von Bereitschaftszeiten nach der bereits genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 28.11. 2018 – 2 B 29/18 – juris) gegen § 11 BPolBG verstößt. Dann kann aber auch nicht mehr angenommen werden, dass die Beklagte sich noch an die weiteren Teile der Berechnung binden will. Beide Gesichtspunkte führen dazu, dass der Durchführungserlass jedenfalls im konkreten Fall keine Bindungswirkung der Beklagten dahingehend erzeugen kann, dass die pauschalierte Festsetzung des Freizeitausgleichs auch Ruhezeiten in Höhe von 20% berücksichtigen muss. Die Beklagte hat in ihren Einsatzbefehlen auch klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Berücksichtigung der Ruhezeiten nicht vorgesehen war. Die zwischen den Parteien maßgeblich streitige Frage, ob sich die Einsatzlage im Vergleich zum Vorjahr geändert hat, ist dagegen ohne Bedeutung.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.
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5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.