Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem asylrechtlichen Verfahren (Äthiopien)
Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem aktuelle Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind. (Rn. 5 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG sind hinsichtlich der Sicherheitslage die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung zumindest orientierend heranzuziehen (Anschluss an OVG Münster BeckRS 2019, 15605). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Frage des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots nach entzieht sich im Hinblick auf die humanitäre Situation in der Regel einer verallgemeinernden, fallübergreifenden Betrachtung, wie sie für eine Grundsatzrüge erforderlich ist, entzieht, weil sie nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann, in denen sich die Person nach ihrer Rückkehr befinden wird, wozu insbesondere das Alter, die Erwerbsfähigkeit, die Ausbildung und beruflichen Kenntnisse, die finanziellen Verhältnisse, Versorgungs- und Unterhaltspflichten sowie familiäre Verbindungen und sonstige Netzwerke gehören. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein (behaupteter) Aufklärungsmangel als solcher kann im Asylprozess schon von vornherein nicht zur Zulassung der Berufung führen und begründet im Übrigen grundsätzlich auch keinen Gehörsverstoß. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
grundsätzliche Bedeutung, tatsächliche Verhältnisse, Abschiebungsverbot, Sicherheitslage, Äthiopien, Tigray-Konflikt, humanitäre Situation, Umstände des Einzelfalls, Aufklärungsmangel, Gehörsverstoß
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 02.05.2023 – RO 12 K 20.30575
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24502
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 2. Mai 2023 – RO 12 K 20.30575 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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I. Er ist bereits unzulässig, da er nicht fristgerecht gestellt wurde.
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Nach § 78 Abs. 4 Satz 1 und Satz 4 AsylG ist die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen und zu begründen. Hierauf hat das Verwaltungsgericht in der dem angegriffenen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrungzutreffend hingewiesen. Das angegriffene Urteil vom 2. Mai 2023 ist dem vom Kläger für das erstinstanzliche Verfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt ausweislich des in den Akten des Verwaltungsgerichts befindlichen elektronischen Empfangsbekenntnisses sowie des die ordnungsgemäße Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach ausweisenden Prüfvermerks am 21. Juli 2023 zugestellt worden. Die Antragsfrist endete daher am Montag, dem 21. August 2023, 24 Uhr (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB); die Übermittlung beider Antragsschriftsätze als elektronische Dokumente aus dem besonderen Anwaltspostfach an das Verwaltungsgericht erfolgte ausweislich der entsprechenden Prüfvermerke allerdings erst am 22. August 2023 um 17:38 Uhr und 19:53 Uhr und damit verspätet. Gründe für eine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
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II. Unabhängig hiervon ist der Antrag auf Zulassung der Berufung aber auch in der Sache unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m § 138 Nr. 3 VwGO) nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt sind bzw. nicht vorliegen.
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1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 36. EL, Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
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1.1. Die Klagepartei wirft zunächst die Frage auf,
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ob die Versorgungs- und Sicherheitslage in Äthiopien aktuell so desolat ist, dass hieraus Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzuleiten sind.
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1.1.1. Hinsichtlich eines nationalen Abschiebungsverbots wegen einer schlechten Sicherheitslage fehlt es dem Zulassungsvorbringen an der erforderlichen rechtlichen Aufarbeitung der geltend gemachten Grundsatzfrage nach Maßgabe und anhand des Verwaltungsgerichtsurteils und an einer Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit entsprechend den aufgezeigten Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Denn insoweit sind auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. EuGH, U.v. 10.6.2021 – C 901/19 – juris; BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris) zumindest orientierend heranzuziehen (vgl. OVG NW, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris Rn. 91 ff. m.w.N.). Dass und inwiefern der Tigray-Konflikt oder gewaltsame Unruhen, die im Rahmen der bestehenden ethnischen Konflikte auftreten, am Zielort der Abschiebung Addis Abeba oder landesweit (vgl. zur erforderlichen landesweiten Betrachtung bei der Beurteilung des Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote HessVGH, U.v. 23.8.2019 – 7 A 2750/15.A – juris Rn. 49; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 53; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 41) das Gewicht eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erreichen könnten, von dem der Kläger bei einer Rückkehr tatsächlich und derart betroffen wäre, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass er allein durch seine dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein, wird nicht dargelegt.
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Die Klagepartei hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, die seit November 2020 andauernden brutalen Auseinandersetzungen zwischen den äthiopischen Streitkräften und deren eritreischen Verbündeten einerseits und der Volksbefreiungsfront von Tigray andererseits, die viele Opfer forderten, hätten sich mittlerweile auch auf andere Regionen Äthiopiens ausgeweitet. Im Juli 2021 habe der bewaffnete Konflikt auf die Nachbarregionen Amhara und Afar übergegriffen. So hätten tigrayische Truppen im Juli 2021 die Stadt Kobo in der Region Amhara eingenommen und Einheimische exekutiert (unter Verweis auf Report of the International Commission of Human Rights Experts on Ethiopia, Stand 19.9.2022, https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/ichre-ethiopia/index). Auch in den Regionen Benishangul-Gumuz, Oromia und Somali sei Gewalt ausgebrochen. Damit seien fast alle Regionen Äthiopiens von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. Seitens der äthiopischen Streitkräfte komme es zu gezielten Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, bei denen regelmäßig Zivilpersonen ums Leben kämen. So seien beispielsweise bei einem Angriff auf die Stadt Axum am 5. Februar 2021 30 Menschen gestorben. Am 22. Juni 2021 seien bei einem Luftangriff auf den Markt des Dorfes Edaga Selus mehr als 50 Zivilisten getötet worden. Von Beginn an seien Hinrichtungen, Vergewaltigungen, sexuelle Gewalt und Aushungern der Zivilbevölkerung Mittel der Kriegsführung der beteiligten Kriegsparteien. Die Zahl der Binnenvertriebenen werde auf 2,6 Millionen Menschen geschätzt (unter Verweis auf tagesschau.de, Sterben unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Bericht vom 15.10.2022, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/aethiopien-krieg-101.html). Amnesty International berichte, dass alle Konfliktparteien im Berichtszeitraum 2021 schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hätten, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ethnische Säuberungen, außergerichtliche Hinrichtungen und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen hätten allein mindestens 1.500 Menschenleben gefordert. In der Hauptstadt Addis Abeba seien im Jahr 2021 willkürlich Tausende Menschen inhaftiert worden, mutmaßlich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit (unter Verweis auf Amnesty International Report, Äthiopien 2021, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/aethiopien-2021). In zahlreichen Gebieten im Land komme es zu gewaltsamen Protesten und bewaffneten Auseinandersetzungen, oft mit Todesopfern. Zudem warne die äthiopische Regierung vor Aktivitäten der somalischen Terrororganisation Al-Shabaab.
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Das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Urteil (s. UA S. 14 f.) festgestellt, der Tigray-Konflikt im Norden Äthiopiens zwischen der äthiopischen Regierung und der Regionalregierung von Tigray sei im November 2022 mit einem Abkommen über die „dauerhafte Beendigung der Feindseligkeiten“ beendet, die TPLF am 23. März 2023 vom äthiopischen Parlament von der Terrorliste genommen und weitere Kernpunkte des geschlossenen Abkommens umgesetzt worden. Die vorliegenden Berichte über ethnische Konflikte und andere Auseinandersetzungen in Äthiopien gäben weiter keine Grundlage für die Annahme, dass wegen allgemeiner Gewalt in ganz Äthiopien oder auch nur in der Herkunftsregion des Klägers eine derartige Gefahrendichte erreicht werde, dass durch die zwangsweise Rückführung eine Verletzung grundlegender Menschenrechtsgarantien eintreten würde. Zwar hätten gewaltsame Auseinandersetzungen in vielen Teilen des Landes in besorgniserregendem Maße zugenommen. Für die Bejahung einer Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund dieser Situation wäre aber eine gleichwertige Gefahrendichte erforderlich wie im Fall des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Trotz Berücksichtigung der Tatsache, dass insoweit eine quantitative Mindestschwelle nicht mehr zu fordern sei (vgl. EuGH, U.v. 10.6.2021 – C-901/19), gäben die vorliegenden Berichte keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass jedermann bei Aufenthalt in Äthiopien tatsächlich Gefahr liefe, in eine derartige Auseinandersetzung zu geraten.
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Mit diesen entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil setzt sich die Klagepartei nicht auseinander und legt nicht dar, dass – anders als dort angenommen – die bewaffneten Auseinandersetzungen und gewaltsamen Unruhen in Äthiopien landesweit das Gewicht eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erreichen könnten, von dem der Kläger bei Rückkehr nach Äthiopien derart betroffen wäre, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass er allein durch seine dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Auch mit den von der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (vgl. EuGH, U.v. 10.6.2021 – C 901/19 – juris; BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris) befasst sich das Zulassungsvorbringen nicht ansatzweise. Insbesondere setzt es sich nicht hinreichend mit der aktuellen Sicherheitslage, insbesondere in Addis Abeba oder der Herkunftsregion des Klägers, auseinander. Die genannten Opferzahlen und das dargestellte Vorgehen der Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung beziehen sich auf die Region Tigray und die angrenzenden Gebiete; im Übrigen mangelt es den in Bezug genommenen Berichten an Aktualität. Soweit unter Bezugnahme auf einen Bericht von Amnesty International darauf verwiesen wird, dass in der Hauptstadt Addis Abeba tausende Menschen mutmaßlich aus ethnischen Gründen inhaftiert worden seien, wird kein Bezug zu der aufgeworfenen Fragestellung hergestellt und die Entscheidungserheblichkeit für das vorliegende Verfahren nicht aufgezeigt, weil nicht dargelegt wird, inwiefern sich hieraus für Rückkehrer generell oder den Kläger speziell tatsächlich eine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ergeben könnte. Die des Weiteren angeführte Warnung vor Aktivitäten der somalischen Terrororganisation Al-Shabaab bleibt pauschal. Soweit die Klagepartei schließlich darauf verweist, dass ethnische Auseinandersetzungen mindestens 1.500 Menschenleben gefordert hätten, bezieht sich dies dem genannten Bericht von Amnesty International zufolge auf Gewalt zwischen ethnischen Gruppen in den Regionen Oromia, Amhara, Benishangul-Gumuz, Afar und Somali, so dass hiermit bereits aus diesem Grund kein Konflikt am Zielort der Abschiebung Addis Abeba oder ein landesweiter Konflikt dargelegt wird.
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1.1.2. Soweit das Zulassungsvorbringen die Versorgungslage in den Blick nimmt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Frage des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Regel – so auch hier – einer verallgemeinernden, fallübergreifenden Betrachtung, wie sie für eine Grundsatzrüge erforderlich ist, entzieht, weil sie nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann, in denen sich die Person nach ihrer Rückkehr befinden wird (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11 a.E. und Rn. 13; BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 15 ZB 21.31689 – juris Rn. 8). Hierzu gehören insbesondere das Alter, die Erwerbsfähigkeit, die Ausbildung und beruflichen Kenntnisse, die finanziellen Verhältnisse, Versorgungs- und Unterhaltspflichten sowie familiäre Verbindungen und sonstige Netzwerke.
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Unabhängig hiervon fehlt es auch an einer rechtlichen Aufarbeitung der von der Klägerseite geltend gemachten Grundsatzfrage nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils, da sich das Zulassungsvorbringen mit den entsprechenden entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil nicht konkret auseinandersetzt, sowie an einer Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 – 8 ZB 17.31372 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f., jeweils m.w.N.).
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a) Die Klagepartei hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, die medizinische Versorgung sei im ganzen Land, selbst in der Hauptstadt, technisch, apparativ und hygienisch hoch problematisch und eine zeitgemäße Notfallversorgung nicht vorhanden (unter Verweis auf Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Äthiopien, Stand 19.10.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/ aethiopiensicherheit/209504). Eine existenzielle Versorgung mit Lebensmitteln sei in weiten Teilen Äthiopiens nicht möglich. Von den rund sieben Millionen Einwohnern der Region Tigray seien etwa 5,2 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Aufgrund der wiederholten Angriffe auf zivile Ziele hätten auch Uno-Hilfsorganisationen angekündigt, ihre Arbeit in Tigray einzustellen. In absehbarer Zeit werde es daher für Millionen von Menschen praktisch unmöglich, ihre elementaren Bedürfnisse an Lebensmitteln zu befriedigen und die eigene Gesundheits- und Hygieneversorgung sicherzustellen. Die Situation im Hinblick auf Lebensmittel entspanne sich keineswegs. Noch immer seien zwei Drittel der Erwerbstätigen im landwirtschaftlichen Bereich tätig (unter Verweis auf WKO, Länderprofil Äthiopien, Stand Oktober 2022, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-aethiopien.pdf). Rund 9,9 Millionen Menschen befänden sich wegen andauernder Dürre in einer Ernährungskrise. Es herrsche großer Wassermangel; vor allem im Süden Äthiopiens und damit der Region, die noch am ehesten von gewaltsamen Konflikten verschont sei, sei die Situation lebensbedrohlich, aber auch in den anderen Regionen des Landes sei sie kaum besser. Nicht nur der Krieg in Äthiopien, sondern auch die Ukraine-Krise verschärfe die Notlage. Durch den ausbleibenden Import von Weizen seien die Lebensmittel noch teurer und damit für viele Familien schlicht unerschwinglich geworden. Im Welthunger-Index werde Äthiopien auf Rang 104 von 121 eingestuft und die Hungersituation als ernst gewertet (unter Verweis auf Welthunger-Index 2022, https://www.globalhungerindex.org/de/ranking.html). Knapp ein Viertel der Menschen in Äthiopien sei unterernährt, rund 5,5 Millionen Menschen steckten in einer Hungerkrise. Mehr als ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren leide an Wachstumsverzögerungen (vgl. Welthungerhilfe, Äthiopien – Dürre und drohende Hungersnot, Stand 19.10.2022, https://www.welthungerhilfe.de/spenden-aethiopien/aethiopien-duerre-und-drohende-hungersnot). Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen habe im April 2022 ihre Unterstützung ausweiten müssen. Im Dupti-Krankenhaus, der einzigen Klinik in einem Gebiet mit 1,1 Millionen Menschen, hätten bis Juni 2022 bereits drei bis vier Mal so viele schwer mangelernährte Kinder behandelt werden müssen als im Vorjahreszeitraum. Zum Teil liege die Sterblichkeitsrate aufgrund von Mangelernährung bei 20 Prozent. Auch Ärzte ohne Grenzen hätten auf Anordnung der äthiopischen Behörden ihr Engagement in den Regionen Amhara, Gambella und Somali sowie im Westen und Nordwesten von Tigray einstellen müssen. In diesen Gebieten, den Epizentren der kriegerischen Auseinandersetzungen, habe sich die ohnehin desolate medizinische Versorgung daher weiter verschlechtert (unter Verweis auf Ärzte ohne Grenzen e.V., Die aktuelle Situation in Äthiopien, Bericht vom 14.6.2021). Binnenvertriebene und Rückkehrer gehörten in Äthiopien zu einer besonders vulnerablen Gruppe. Sie litten vielerorts unter Mangelernährung, unzureichendem Zugang zu Wasser und einem Mangel an wetterfesten Unterkünften (unter Verweis auf Deutsches Rotes Kreuz, Äthiopien: Hilfe für Binnenvertriebene und Rückkehrer, Stand 19.10.2022, https://www.drk.de/hilfe-weltweit/wo-wir-helfen/afrika/aethiopien/hilfe-fuer-binnenvertriebene-und-rueckkehrende/). Es sei zwingend notwendig, Arbeit zu finden, da es keine Grundversorgung gebe.
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b) Dieses Vorbringen setzt sich nicht hinreichend mit den entsprechenden Feststellungen und Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil (s. UA S. 9 ff.), namentlich zu den o.g. individuellen Faktoren sowie den Erwerbsmöglichkeiten für Rückkehrer wie den Kläger, auseinander. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich im Wesentlichen darauf abgestellt, dass sich trotz der äußerst angespannten humanitären Lage aus den vorliegenden Erkenntnisquellen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergäben, dass sich die Ernährungslage und wirtschaftliche Lage insgesamt so verschlechtert hätte, dass jedermann hiervon betroffen wäre oder dass Rückkehrer aus dem Ausland grundsätzlich ihr Existenzminimum trotz entsprechender Anstrengungen nicht sicherstellen könnten. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er individuell von der schlechten humanitären Situation in einem derartigen Umfang betroffen sein werde, dass bei Rückführung eine Menschenrechtsverletzung eintreten würde. Schon aufgrund seiner Schulbildung mit Abitur und dem abgeschlossenen Studium sei zu erwarten, dass er seinen Lebensunterhalt verdienen könne, was ihm nach seinem Vortrag in der Vergangenheit auch immer gelungen sei. Der Kläger habe keine Gründe vorgetragen, die dagegen sprächen, das es ihm wieder möglich sein werde, Privataufträge zu erhalten, mit denen er im Rahmen seiner Ausbildung Einkünfte erzielen könne. Selbst wenn ihm dies aber nicht gelingen sollte, habe er aufgrund der früheren Tätigkeit hinreichend Einblicke in die Landbewirtschaftung und könnte deshalb mit Arbeit in der Landwirtschaft zumindest das Existenzminimum verdienen. Etwas Anderes ergebe sich nicht aus den vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dass der Kläger wegen der Schlafapnoe überhaupt nicht arbeitsfähig wäre, sei dem Bericht des Klinikums St. Marien Amberg nicht zu entnehmen. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Kläger Geschwister (drei Brüder und eine Schwester) habe, die ihm zumindest als erste Anlaufstelle zur Verfügung stünden, selbst wenn sie nicht imstande sein sollten, ihn dauerhaft zu unterhalten. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger auch auf Rückkehr- und Starthilfen seitens des deutschen Staates (z.B. REAG/GARP, Starthilfe Plus) sowie auf Reintegrationsprogramme von humanitären Organisationen (z.B. des UNHCR) zurückgreifen könne, wodurch er seine finanzielle Situation verbessern könne, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken.
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c) Im Übrigen legt das Zulassungsvorbringen nicht dar, dass entgegen den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts betreffend nach Äthiopien zurückkehrender Staatsangehöriger grundsätzlich und unabhängig von den individuellen Umständen der Rückkehr die Schwellen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG landesweit überschritten sein könnten. Zwar zeichnen das Zulassungsvorbringen und die zu dessen Beleg angeführten Quellen ein durchaus sehr besorgniserregendes Bild der humanitären Situation in Äthiopien; jedoch legen sie nicht nahe, dass jeder Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Äthiopien eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, so dass die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären.
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Dass derzeit in Äthiopien landesweit eine Hungersnot herrschen würde oder Rückkehrer überwiegend oder in großer Zahl von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen wären, legen die angeführten Erkenntnismittel nicht nahe. Vielmehr wird hieraus – auch soweit in dem Bericht der Welthungerhilfe ausgeführt wird, dass sich 9,9 Millionen Menschen wegen andauernder Dürre in einer Ernährungskrise befänden, vor allem im Süden Äthiopiens die Situation wegen der Dürre lebensbedrohlich sei, knapp ein Viertel der Menschen in Äthiopien unterernährt sei und rund 5,5 Millionen Menschen in einer Hungerkrise steckten – deutlich, dass es für die Frage, ob eine Person der Gefahr der Mangelernährung ausgesetzt sein wird, auf die konkreten Umstände der Rückkehr, insbesondere die Verhältnisse am Rückkehrort, die Leistungsfähigkeit der Betreffenden sowie die Zahl der in einem Haushalt zu versorgenden Personen ankommt. Allein aus den genannten Zahlen in Ernährungsunsicherheit lebender Menschen kann bei einer Einwohnerzahl Äthiopiens von rund 122 Millionen (vgl. Bericht der Welthungerhilfe, https://www.welthungerhilfe.de/spenden-aethiopien/aethiopien-duerre-und-drohende-hungersnot, abgerufen am 11.9.2023) eine Rückkehrern möglicherweise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung oder eine Gefahr für die Gesundheit schon deshalb nicht abgeleitet werden, weil – auch ausweislich des Zulassungsvorbringens und der dort angeführten Erkenntnisquellen – hiervon zunächst vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Alleinerziehende ohne familiäre Unterstützung, Familien mit mehreren Kindern, nicht arbeitsfähige, ältere oder kranke Personen sowie die ehemals vom Konflikt in der Region Tigray betroffenen Menschen besonders tangiert sind. Dass landesweit bzw. in Addis Abeba, dem Zielort einer potentiellen Abschiebung, absehbar eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln generell nicht möglich wäre, geht entgegen der Darstellung der Klagepartei aus den angeführten Quellen nicht hervor.
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Soweit die Klagepartei unter Verweis auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts zu Äthiopien ausführt, die medizinische Versorgung sei im ganzen Land, selbst in der Hauptstadt, technisch, apparativ und hygienisch hoch problematisch und eine zeitgemäße Notfallversorgung nicht vorhanden, ist darauf hinzuweisen, dass diese Reise- und Sicherheitshinweise primär Gefahren für deutsche Staatsangehörige, die Äthiopien bereisen, zum Gegenstand haben. Daher lässt sich für die Zwecke eines Asylverfahrens äthiopischer Staatsangehöriger hieraus nicht ohne Weiteres etwas herleiten, denn es ist auszuschließen, dass die für eine Reisewarnung maßgebenden rechtlichen Maßstäbe mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG sowie des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilen ist (vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 5.12.2018 – 5 ZB 18.33041 – juris Rn. 15). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt im Übrigen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Es ist gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG. Konkret ist eine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn die Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – InfAuslR 2012, 261 – juris Rn. 34). Mit seinem Verweis auf die begrenzten Ressourcen des äthiopischen Gesundheitssystems legt der Kläger vor dem Hintergrund der nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger leide nicht an einer schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (UA S. 6 ff.), keinen weitergehenden Klärungsbedarf im Hinblick auf die aufgeworfene Fragestellung dar.
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Soweit die Klagepartei schließlich in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass die Organisation Ärzte ohne Grenzen ihre medizinische Hilfe auf Anordnung der äthiopischen Behörden aussetzen musste, erfolgte dies nicht landesweit, sondern betraf die Regionen Amhara, Gambella und Somali sowie den Westen und Nordwesten Tigrays; in Addis Abeba, Guji (Oromia), Southern Nations, Nationalities and People's Region (SNNPR) und Südost-Tigray leistete die Organisation weiterhin Hilfe (vgl. Ärzte ohne Grenzen, Pressemitteilung v. 10.9.2021, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/ presse/aethiopien-aussetzung). Laut der aktuellen Berichterstattung von Ärzte ohne Grenzen hat sich seit Oktober 2022 die Lage in Nordäthiopien so weit verbessert, dass inzwischen wieder mobile Kliniken betrieben werden können, um bisher unzugängliche Regionen zu erreichen und vor Ort Hilfe zu leisten (https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/einsatzlaender/aethiopien, Stand 11.9.2023).
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1.2. Hinsichtlich der des Weiteren aufgeworfenen Frage,
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inwiefern und in welchem Umfang dem erkennenden Verwaltungsgericht in Anbetracht des gemäß § 86 Abs. 1 VwGO im Verwaltungsprozess geltenden Untersuchungsgrundsatzes in Bezug auf die Verschlechterung des Gesundheitszustands nach der Rückkehr in das Heimatland mangels adäquater Behandlungsmöglichkeiten Mutmaßungen über das Vorliegen einer konkreten Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erlaubt sind, ohne diesbezüglich auf adäquaten medizinischen Sachverstand, der auch die Lage im jeweiligen Zielstaat berücksichtigt, zurückzugreifen,
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wird weder die Klärungsfähigkeit noch die Klärungsbedürftigkeit den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
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a) Die Klagepartei führt zur Begründung aus, das Verwaltungsgericht habe zunächst zurecht festgestellt, dass die Erkrankung der obstruktiven Schlafapnoe mit dem erhöhten Risiko eines Herzinfarktes, Schlaganfalls oder Herzrhythmusstörungen einhergehe und dass es sich hierbei um schwerwiegende Folgen i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG handele. Sodann habe das Erstgericht allerdings das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG verneint, weil die genannten schwerwiegenden Folgen nicht zwangsläufig einträten. In Bezug auf die Frage der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers bei ausbleibender Behandlung der Erkrankung bediene sich das Gericht eigener Mutmaßungen, obwohl es zugleich die ausbleibende Behandlung des Antragstellers mit einer Schlafmaske, wie Sie in Deutschland stattfinden könne, in Äthiopien unterstelle. Auch soweit das Verwaltungsgericht den Kläger im Hinblick auf den Grad seiner Erkrankung auf die Behandlung mit Lagerungshilfen oder Unterkieferschienen verweise, stelle es eigene Mutmaßungen über die Wirksamkeit anderer Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung an. Damit habe das Erstgericht seine Entscheidung zum Teil mit eigenen Mutmaßungen begründet, deren Anstellen medizinisches Fachwissen voraussetze, welches dem Gericht fehle. Dem Untersuchungsgrundsatz sei das Verwaltungsgericht damit nicht nachgekommen.
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Der klägerische Hinweis auf den verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz greift insoweit allerdings zu kurz. Zwar geht § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO vom Grundsatz der Amtsermittlung aus. Jedoch bestimmt bereits § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO, dass die Beteiligten dabei „heranzuziehen“ sind, also Mitwirkungspflichten unterliegen. Speziell für das Asylrecht hat der Bundesgesetzgeber seit Inkrafttreten des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum 21. August 2019 (Gesetz vom 15.8.2019, BGBl. I S. 1294) und des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG zum 17. März 2016 (Gesetz v. 11.3.2016, BGBl. I S. 390) diese Mitwirkungspflichten beim Vortrag angeblich asylerheblicher Erkrankungen dahingehend konkretisiert, dass das Vorliegen derartiger Erkrankungen mittels einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung, die in der Regel unter anderem Angaben zum Schweregrad der Erkrankung und den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, zu enthalten hat, vom Ausländer substantiiert darzulegen ist (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Denn die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen setzt voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betroffenen Ausländers alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U. v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris Rn. 13; U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 34). Die zeitliche Komponente ist dabei am Grad der Intensität der Krankheit zu messen (vgl. EuGH, U.v. 22.11.2022 – C-69/21 – juris Rn. 63 ff.).
25
Das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Urteil (UA S. 6 ff.) ausgeführt, dass nach den Maßstäben des § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 5 und des § 60a Abs. 2c AufenthG die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben seien. Die vorgelegten Arztberichte erfüllten schon nicht die Voraussetzungen an die Glaubhaftmachung, da sie keine Aussage dazu träfen, inwieweit sich die diagnostizierte(n) Erkrankung(en) bei einer Abschiebung verschlechtern würde(n), sei es nun wegen der Rückkehr ins Heimatland als solcher oder wegen des Abbruchs der stattfindenden medizinischen Behandlung. Der Bericht des Klinikums St. Marien Amberg sei trotz seiner Ausführlichkeit kein substantiierter Nachweis, weil jegliche Ausführungen zu den Folgen beim Unterbleiben der vorgeschlagenen Behandlung, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch in Deutschland noch nicht eingeleitet worden sei, fehlten. In dem Bericht selbst werde die Erkrankung ausdrücklich als „leichtgradig“ bezeichnet. Auch in Zusammenschau mit den anderen ärztlichen Attesten falle auf, dass die Abklärung vom Hausarzt nicht wegen besonderer Schwere der Symptome eingeleitet worden sei, sondern vermutlich deshalb, weil der Kläger besonders hartnäckig gewesen sei und der Arzt ihn habe zufriedenstellen wollen (vgl. Attest vom 10.8.2022: „da er sich sonst noch viele viele Male mit dem gleichen Problem vorstellt“). Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, dass die vorgeschlagene Behandlung mit dem Tragen einer Atemmaske in der Nacht in Äthiopien mangels Verfügbarkeit oder Finanzierbarkeit sowohl des technischen Geräts und/oder technischer Wartung als auch begleitender medizinischer Kontrollen nicht durchgeführt werden könne, sei nicht ersichtlich, dass die Erkrankung besonders schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich sei. Mangels Darstellung der Folgen einer unterbleibenden Behandlung in den vorgelegten ärztlichen Unterlagen greife die Einzelrichterin auf allgemeine Beschreibungen der Erkrankung zurück. Danach hätten Menschen mit einer obstruktiven Schlafapnoe häufiger Bluthochdruck und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und daher ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder Herzrhythmusstörungen zu bekommen (unter Verweis auf https://www.gesundheitsinformation.de/obstruktive-schlafapnoe.html). Auch wenn die letztgenannten Folgen schwerwiegend seien, seien sie lediglich mit erhöhtem Risiko, dagegen nicht mit zwangsläufigem Eintreten beschrieben, was die Anforderungen an eine konkrete Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht erfülle. Es sei im Fall des Klägers auch nicht dargelegt, inwieweit andere Behandlungsmethoden (vgl. die genannte Abhandlung), z.B. Lagerungshilfen oder Unterkieferschienen, die er von Deutschland mitnehmen könnte, zumindest eine Besserung seiner Beschwerden bewirken würden, was gerade im Hinblick auf die Einordnung in den Grad „leichtgradiges obstruktives Schlafapnoe-Syndrom“ aber nahe liege. Die Erkrankung des Klägers bestehe schon jahrelang und sei auch vor seiner Ausreise nicht behandelt worden. Wenn der Kläger aber schon jahrelang mit der Beeinträchtigung gelebt habe, spreche allein dies schon gegen eine alsbaldige Verschlechterung nach einer Rückkehr ins Heimatland.
26
Mit diesen Ausführungen des Erstgerichts, die bereits die substantiierte Darlegung einer schwerwiegenden Erkrankung entsprechend den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 und 3 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG verneinen, setzt sich die Antragsbegründung nicht hinreichend auseinander. Es wird nicht hinreichend unter Auseinandersetzung mit § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG und der verwaltungsgerichtlichen Begründung dargelegt, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts den gesetzlichen Anforderungen an ärztliche Bescheinigungen genügt sei (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 25.3.2020 – OVG 10 N 4/20 – juris Rn. 8). Schon aus diesem Grund genügt die Antragsbegründung § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht.
27
b) Auch zeigt die Klagepartei mit der aufgeworfenen Fragestellung keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die Verneinung einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben wegen einer schwerwiegenden Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG jedenfalls dann, wenn das Fehlen ausreichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten nicht von vornherein auszuschließen ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen muss (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 24.7.2019 – 2 BvR 686/19 – juris Rn. 31). Erfüllt ein Beteiligter seine prozessuale Mitwirkungspflicht und legt mittels eines aussagekräftigen, den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG entsprechenden fachärztlichen Attestes substantiiert dar, dass er an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich im Fall der Abschiebung aufgrund der Verhältnisse im Zielstaat, insbesondere mangels ausreichender oder verfügbarer Behandlungsmöglichkeiten, wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, ist es Sache des Verwaltungsgerichts, solchen konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse in Bezug auf den Zielstaat der Abschiebung nachzugehen und sich mit diesen im Einzelnen auseinanderzusetzen. Gelangt das Gericht hierbei zu der Einschätzung, dass die ihm vorliegenden Informationen, sei es zu den Verhältnissen im Abschiebezielstaat, sei es zu der fachlich-medizinischen Beurteilung des Sachverhalts, nicht ausreichen, hat es weitere Ermittlungen anzustellen. Die Pflicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts obliegt in diesem Fall ausschließlich dem Gericht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz VwGO; vgl. BVerfG, B.v. 24.7.2019 – a.a.O. – juris Rn. 43). Für medizinische Fachfragen (Diagnose von Art und Schwere der Erkrankung, Einschätzung des Krankheitsverlaufs bzw. der gesundheitlichen Folgen je nach Behandlungssowie Therapiemöglichkeiten im Heimatland) gibt es hierbei keine eigene, nicht durch entsprechenden medizinischen Sachverstand vermittelte Sachkunde des Richters (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11, 10 PKH 11.11 – juris Rn. 4; B.v. 24.5.2006 – BVerwG 1 B 118.05 – NVwZ 2007, 345 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 16 m.w.N.). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigen die aufgeworfene Frage und die Zulassungsbegründung nicht auf.
28
c) Letztlich macht der Kläger im Gewand einer Grundsatzrüge einen Verfahrensfehler durch Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und eine fehlerhafte Beweiswürdigung geltend. Ein (behaupteter) Aufklärungsmangel als solcher kann im Asylprozess jedoch schon von vornherein nicht zur Zulassung der Berufung führen (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, der nur die in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensfehler nennt) und begründet im Übrigen grundsätzlich auch keinen Gehörsverstoß (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2020 – 15 ZB 20.30194 – juris Rn. 17). Mit seiner Kritik an der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung macht der Kläger der Sache nach im Gewand der Grundsatzrüge ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend, was jedoch wegen der gegenüber § 124 Abs. 2 VwGO vorrangigen Sondervorschrift des § 78 Abs. 3 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann.
29
2. Der Zulassungsantrag legt keinen durchgreifenden Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
30
Das prozessuale Grundrecht des Anspruchs auf rechtliches Gehör, das verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 91 Abs. 1 BV sowie einfachgesetzlich in § 108 Abs. 2 VwGO garantiert ist, sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung, so dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen vor Gericht gehört werden. Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 – 2 BvR 810/81 – BVerfGE 60, 305/310). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Eine gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßende unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde, auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gab, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, B.v. 15.7.2016 – 5 P 4.16 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – NJW 2015, 3386; B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372).
31
Der Kläger sieht eine unzulässige Überraschungsentscheidung darin, dass das Erstgericht im angegriffenen Urteil annehme, dass er im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien von seinen dort lebenden Geschwistern unterstützt würde, ohne ihn in der mündlichen Verhandlung hierzu befragt zu haben. Das erkennende Gericht habe den Kläger in der mündlichen Verhandlung lediglich nach dem Verbleib seiner Familie gefragt, worauf er geantwortet habe, dass er noch eine Schwester und drei Brüder habe, mit denen er ab und zu Kontakt habe. Im angegriffenen Urteil habe das Verwaltungsgericht sodann ausgeführt, dass bei der Frage der Lebensunterhaltssicherung auch zu berücksichtigen sei, dass die in Äthiopien lebenden Geschwister dem Kläger zumindest als erste Anlaufstelle zur Verfügung stünden, selbst wenn sie nicht imstande sein sollten, ihn dauerhaft zu unterhalten (UA S. 10). Damit habe das Erstgericht Erwägungen in seine Entscheidungsgründe einbezogen, zu welchen es den Kläger nicht befragt habe, worin eine unzulässige Überraschungsentscheidung zu sehen sei.
32
Mit diesen Ausführungen ist ein Gehörsverstoß nicht hinreichend dargetan. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (S. 3) wurde der Kläger vom Erstgericht „zu seiner Familie“ befragt, wobei es, zumal er auch in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten war, keineswegs fernlag, dass möglicherweise auch die etwaige Unterstützungs- bzw. Leistungsfähigkeit des Familienverbands für die gerichtliche Entscheidung über die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG erheblich sein würde. Mithin ist nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt gestützt hätte, zu dem der Kläger sich nicht äußern konnte oder der als fernliegend anzusehen war. Das Gericht musste die Klagepartei auch nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, B.v. 21.6.2017 – 4 B 48.16 – juris Rn. 5 m.w.N.). Im Übrigen wird auch nicht (substantiiert) dargelegt, was der Kläger bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs zum betreffenden Einzelaspekt der Urteilsbegründung mit Aussicht auf Erfolg noch vorgetragen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 29.1.2018 – 3 B 25.17 – AUR 2018, 142 – juris Rn. 24; B.v. 16.2.1998 – 4 B 2.98 – NVwZ 1998, 1066 – juris Rn. 9; B.v. 2.4.1985 – 3 B 75.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 165 m.w.N.).
33
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
34
Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.