Inhalt

VGH München, Beschluss v. 12.09.2023 – 23 ZB 23.30633
Titel:

unbegründeter Zulassungsantrag (Asyl - Einzelfall)

Normenkette:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
Leitsatz:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Äthiopien, Tigray, Gruppenverfolgung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 15.05.2023 – RO 12 K 23.30107
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24500

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt ist bzw. nicht vorliegt.
2
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 17.30487 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 43. EL, August 2022, § 124a VwGO Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 13a ZB 17.31832 – juris Rn. 3). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2).
3
1.1. Hiervon ausgehend ist die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der von der Klägerseite formulierten Frage,
4
ob nachvollziehbare Ängste vor einer Verfolgung seitens des Staates und dadurch hervorgerufene Furcht vor Verlust des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit relativiert werden bzw. nicht mehr relevant sind, wenn der Staat seine kriegerischen Aktivitäten gegenüber der Herkunftsregion der betroffenen Person mit einem Waffenstillstand beendet und den Konflikt mit einem Abkommen über die dauerhafte Beendigung der Feindseligkeiten beendet und man sich auf eine Abrüstung geeinigt hat und ein Friedensabkommen abgeschlossen hat, in dem auch Hilfslieferungen in die betroffene Region vereinbart wurden,
5
nicht gegeben, da eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit nicht aufgezeigt wird.
6
a) Soweit mit dieser Fragestellung zunächst implizit die Rechtsfrage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG durch das Gericht aufgeworfen wird, ist dies der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung (BayVGH, B.v. 12.8.2022 – 23 ZB 22.30780 – BeckRS 2022, 22264 Rn. 7 ff.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 71 AsylG Rn. 47; Camerer in BeckOK MigR, 16. Ed. 15.7.2023, AsylG § 71 Rn. 14 m.w.N.; Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 71 AsylG Rn. 26 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 30.3.2021 – 1 C 41.20 – juris Rn. 11). Denn vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Vorschriften (vgl. § 26 Abs. 3 AsylG zum Familienschutz, § 74 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 2 AsylG zur Präklusion) bestimmt die Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für sämtliche Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage des Asylgesetzes als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage denjenigen der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung, ohne nach Art und Gegenstand der Streitigkeiten zu differenzieren. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm für den Asylprozess eine Diskussion beenden, die sich im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht mit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei einer Anfechtungsklage befasst hatte; im Interesse einer zügigen und umfassenden Beendigung eines Rechtsstreits über den Asyl- bzw. Schutzstatus sollten unabhängig von der Klageart aktuelle Änderungen noch im laufenden Verfahren berücksichtigt werden können, anstatt sie auf einen Folgeprozess zu verlagern (BT-Drs. 12/2062, S. 40 f.). Zwar wird dem Gericht damit unter Umständen die Entscheidung über Sachverhalte übertragen, die dem Bundesamt bei Bescheiderstellung so nicht vorgelegen haben. Dies entspricht jedoch zwischenzeitlich einem auch für andere aufenthaltsrechtliche Verfahren geltenden Grundsatz, ohne dass hierin ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung zu sehen ist (vgl. zur gerichtlichen Anfechtung einer Ausweisung BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – NVwZ 2008, 434 ff.; zur Anfechtung der Rücknahme oder des Widerrufs einer Aufenthaltserlaubnis BVerwG, U.v. 13.4.2010 – 1 C 10.09 – juris). Es widerspräche der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG und den asylverfahrensrechtlichen Grundsätzen der Beschleunigung und Verfahrensökonomie, denen die Vorschrift Rechnung trägt, das Bundesamt durch die gerichtliche Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung, welche der derzeitigen Sach- und Rechtslage allerdings nunmehr gerecht wird, zur Durchführung eines weiteren, der Sache nach aussichtslosen Asylverfahrens zu verpflichten, wobei das Bundesamt dieser Verpflichtung nur durch den Erlass einer wiederum gerichtlich anfechtbaren Widerrufsentscheidung entgehen könnte. Verfahrensrechte des betreffenden Asylantragstellers wie das Recht auf Anhörung bereits im Verfahren über die Zulässigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 30.3.2021 – 1 C 41.20 – juris Rn. 18 und Rn. 25) werden durch das Abstellen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls nicht beeinträchtigt.
7
b) Mangels Geltendmachung einer individuellen Verfolgung wirft obige Fragestellung der Klagepartei (sinngemäß) die Frage einer Gruppenverfolgung der Tigrinya auf. Das Zulassungsvorbringen legt allerdings nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dar, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bzw. bei Ablauf der Frist zur Begründung des Zulassungsantrags mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung bestehen könnte. Es fehlt insoweit an einer hinreichenden rechtlichen Aufarbeitung der aufgeworfenen Grundsatzfrage anhand einschlägiger Erkenntnismittel und obergerichtlicher bzw. höchstrichterlicher Rechtsprechung.
8
Im Zulassungsantrag wurde auf einen Artikel der Zeitschrift Al-Jazeera vom 18. Juni 2021 verwiesen, der inhaltlich auf Gespräche des finnischen Außenministers mit dem äthiopischen Premierminister und anderen äthiopischen Ministern im Februar 2021 Bezug nimmt, in welchen Premierminister Abiy erklärt habe, man wolle die Tigrayer für 100 Jahre ausradieren. Die Klägerin moniert, das Erstgericht habe sich mit der aufgeworfenen Frage nicht auseinandergesetzt, obwohl sie darauf hingewiesen habe, dass der Premierminister trotz des im November 2022 geschlossenen Friedensabkommens noch keine Erklärung dahingehend abgegeben habe, dass er auf jegliche sonstige Maßnahmen gegenüber den Menschen aus Tigray verzichte und sich von früheren diesbezüglichen Aussagen distanziere. Wenngleich die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der äthiopischen Zentralregierung und der Regionalregierung Tigray beendet worden seien, hätten bereits früher durchgeführte Maßnahmen gegen Tigriner, insbesondere deren häufige Inhaftierungen, nach Feststellung des Erstgerichts seit der Aufhebung des Ausnahmezustands und dem Waffenstillstand im November 2022 nur deutlich nachgelassen, seien aber keineswegs beendet worden. Das Erstgericht hätte feststellen müssen, in welchem Umfang solche Maßnahmen tatsächlich nachgelassen hätten, und sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, weshalb trotz des Friedensabkommens überhaupt noch Tigriner inhaftiert würden. Allein schon diese Tatsache spreche dafür, dass die Gefahr für die Tigriner in ihrer Heimat Äthiopien noch nicht gebannt sei. In Äthiopien bestünden tiefgreifende ethnische Konflikte über Generationen hinweg – mit der Erinnerung an Auseinandersetzungen und Verletzungen im Laufe vieler Jahrzehnte. Es sei daher wohl nicht zu erwarten, dass sie im Wege eines Abkommens in relativ kurzer Zeit umfassend überwunden werden könnten. Aus diesem Grunde sei es nachvollziehbar, wenn die Angst der Minderheit gegenüber der aktuell regierenden Mehrheit, zu der der Premierminister ebenfalls gehöre, weiterhin bestehe, da sich die Parteien, soweit die kollektive Erinnerung auf beiden Seiten zurückreiche, immer feindselig gegenübergestanden hätten.
9
Dies ist nicht ausreichend, um die Klärungsbedürftigkeit der behaupteten Gruppenverfolgung hinreichend zu substantiieren. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die hohen Anforderungen einer Gruppenverfolgung (vgl. zur erforderlichen Verfolgungsdichte: BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – BayVBl 2009, 605 – juris Rn. 13). Zu den Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung, dass nämlich im Verfolgungsgebiet auf alle Gruppenmitglieder zielende Verfolgungshandlungen vorkommen, die sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – a.a.O. – Rn. 13 ff.; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590 = juris Rn. 7; U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 = juris Rn. 20 jeweils m.w.N.), lässt sich dem Zulassungsantrag nichts entnehmen. Die Frage, ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden (BVerwG, U.v. 21.4.2009 – a.a.O. – Rn. 15). Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Dies leistet die Zulassungsbegründung der Klägerseite nicht ansatzweise. Da die in Bezug genommene Äußerung des äthiopischen Premierministers bereits mehr als zwei Jahre zurückliegt, ist von diesem Erfordernis auch nicht etwa deshalb abzusehen, weil angesichts einer entsprechenden politischen Ankündigung zu befürchten stünde, dass derartige, auf einem staatlichen Verfolgungsprogramm beruhende und gegen eine Gruppe gerichtete Verfolgungshandlungen unmittelbar oder absehbar bevorstehen. Vielmehr verlangte die Erwägung des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil, dass angesichts der Beendigung des Tigray-Konflikts im November 2022 durch das Abkommen über die „dauerhafte Beendigung der Feindseligkeiten“, der Streichung der TPLF von der Terrorliste durch das äthiopische Parlament am 23. März 2023 und der Umsetzung weiterer Kernpunkte des geschlossenen Abkommens wie unter anderem der Wiederaufnahme von Hilfslieferungen in die Region Tigray und der Verbesserung der Grundversorgung nicht mit einer beachtlichen Verfolgungsgefahr für die Klägerin zu rechnen sei (UA S. 10 f.), eine substantiierte Auseinandersetzung hiermit sowie die Darlegung, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ungeachtet der dargestellten Veränderungen die konkrete Möglichkeit besteht, dass eine Gruppenverfolgung im oben dargelegten Sinn vorliegt.
10
Soweit die Klagepartei auf die in Äthiopien bestehenden tiefgreifenden ethnischen Konflikte verweist, die wohl nicht im Wege eines Abkommens in relativ kurzer Zeit umfassend überwunden werden könnten, und ausführt, dass vor dem Hintergrund einer fehlenden ausdrücklichen Distanzierung des Premierministers von seinen früheren Aussagen und der ausweislich des verwaltungsgerichtlichen Urteils weiterhin vorkommenden Verhaftungen die Gefahr für die Tigriner in ihrer Heimat Äthiopien noch nicht gebannt sei, setzt sie sich nicht mit den Maßstäben der Verfolgungsdichte sowie der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auseinander. In der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer gegenwärtigen Verfolgung abzustellen ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – BVerwGE 146, 67 – juris Rn. 19; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 – juris Rn. 8). Davon ist auszugehen, wenn aufgrund einer sorgfältigen Würdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles mehr für als gegen die Annahme spricht, der Antragsteller werde bei seiner Rückkehr aus politischen Gründen verfolgt werden; fehlende Sicherheit vor Verfolgung ist daher nicht ausreichend. Zwar kann die Gefahr nicht bereits dann verneint werden, wenn gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend keine Verfolgungsmaßnahmen bzw. kein ernsthafter Schaden zu erwarten sind; eine beachtliche Verfolgungs- oder Schädigungswahrscheinlichkeit ist aber zu verneinen, wenn bei einer auf absehbare Zeit ausgerichteten Zukunftsprognose nicht ernstlich mit asylrechtlich erheblichen Maßnahmen gerechnet werden muss (BVerwG, U.v. 18.10.1983 – 9 C 158.80 – BVerwGE 68, 106 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, U.v. 24.8.2017 – 11 B 17.30392 – juris Rn. 16 ff). Auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen kann dabei trotz gewisser Prognoseunsicherheiten nicht verzichtet werden. Die Annahme einer beachtlichen Verfolgungs- oder Schädigungswahrscheinlichkeit kann nicht auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 120.17 – juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 5.12.2018 – 2 LB 570/18 – juris Rn. 25; OVG NW, U.v. 1.8.2018 – 14 A 619/17.A – juris Rn. 52 ff.; OVG SH, U.v. 10.10.2018 – 2 LB 67/18 – juris Rn. 25; OVG Berlin-Bbg., U.v. 12.2.2019 – 3 B 27/17 – juris Rn. 33). Dies zugrunde gelegt legt die Zulassungsschrift eine auf absehbare Zeit beachtlich wahrscheinliche Gruppenverfolgung nicht dar.
11
1.2. Die Beantwortung der des Weiteren aufgeworfenen Frage,
12
ob etwa bei Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen eine bis dahin vorhanden gewesene Bedrohungslage für bestimmte Gruppen ethnischer oder religiöser oder anderweitiger Herkunft in Wegfall gekommen ist oder ob ggf. nur die kriegerischen Auseinandersetzungen beendet wurden und daneben aber noch weiterhin eine Bedrohungslage besteht, die aus der Natur der Sache heraus nicht nur durch kriegerische Handlungen bestehen muss,
13
hängt von den konkreten, im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegebenen Umständen im jeweiligen Land ab und ist auf dieser Grundlage in Anwendung der §§ 3 ff. AsylG zu beantworten. Die Frage ist daher nicht grundsätzlich klärungsfähig.
14
2. Sofern die Klagepartei mit ihrem Vorbringen, das Erstgericht hätte feststellen müssen, in welchem Umfang Maßnahmen gegen Tigriner, insbesondere deren häufige Inhaftierungen, tatsächlich nachgelassen hätten, und sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, weshalb trotz des Friedensabkommens überhaupt noch Tigriner inhaftiert würden, eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes rügen sollte, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung.
15
Ein Aufklärungsmangel begründet grundsätzlich weder einen Gehörsverstoß noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2020 – 6 ZB 20.31763 – juris Rn. 5; B.v. 20.4.2020 – 4 ZB 20.30870 – juris Rn. 6; B.v. 24.6.2019 – 15 ZB 19.32283 – juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 19.4.2022 – 1 A 471/22.A – juris Rn. 5; B.v. 28.6.2019 – 4 A 2002/18.A – juris Rn. 11; OVG Bremen, B.v. 12.11.2018 – 2 LA 60/18 – juris Rn. 9; Berlit in GK-Asyl, § 78 Rn. 68 ff. jeweils m.w.N.). Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht und gibt den am Prozess Beteiligten keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2022 – 11 ZB 22.30865 – juris Rn. 5; B.v. 3.4.2019 – 9 ZB 18.32718 – juris Rn. 5 m.w.N.). Ein Gehörsverstoß setzte daher grundsätzlich voraus, dass das Gericht einen formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisantrag mit einer Begründung abgelehnt hätte, die im Prozessrecht keine Stütze findet, wobei der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisantrags schützt (BVerwG, B.v. 27.5.2008 – 4 B 42.07 – juris Rn. 10 m.w.N.). Ferner käme eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG in einer nach § 138 Nr. 3 VwGO beachtlichen Weise in Betracht, wenn das Gericht eine Beweisanregung nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte oder ihr nicht gefolgt wäre, obwohl sich dies hätte aufdrängen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2020 – 4 ZB 20.30870 – juris Rn. 9; BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7).
16
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Einen Beweisantrag hat die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Ebenso wenig legt der Zulassungsantrag dar, dass sich dem Verwaltungsgericht eine Aufklärung zur Anzahl etwaiger Inhaftierungen von Tigrinern seit Abschluss des Friedensabkommens hätte aufdrängen müssen, weil konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass diese die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte erreichen könnte.
17
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
18
4. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).