Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 30.06.2023 – B 10 S 23.484
Titel:

Gaststättengesetz, nachträgliche Auflage, Beschränkung der Betriebszeiten, Freischankfläche, Biergarten, Eilrechtsschutz, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung

Normenketten:
GastG § 5 Abs. 1 Nr. 3
TA Lärm
BImSchG § 3 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
Schlagworte:
Gaststättengesetz, nachträgliche Auflage, Beschränkung der Betriebszeiten, Freischankfläche, Biergarten, Eilrechtsschutz, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.08.2023 – 22 CS 23.1265
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24487

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des Eilrechtschutzes gegen eine Auflage, mit welcher die Bewirtschaftung ihrer Freischankfläche sowie Musikdarbietungen auf dieser beschränkt werden.
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Die Antragstellerin betreibt die Gaststätte …, …, … Die Erlaubnis zum Betrieb der voranstehend genannten Schank- und Speisewirtschaft wurde der Antragstellerin mit Bescheid vom 17.07.2017 erteilt (Nr. 1). Die Erlaubnis gilt auch für einen „Biergarten“ mit einer Grundfläche von 300,00 m² (Nr. 2a) und wurde unter zahlreichen Auflagen (Nr. 3) erteilt, die unter anderem wie folgt lauten:
1. […] Alle Geräuschwirkungen, die mit der Gaststätte in Zusammenhang stehen, insbesondere auf die Wohnungen im Hause sowie auf Nachbargrundstücke, dürfen im allgemeinen folgende Richtwerte nicht übersteigen:
Tagsüber 60 dB(A) und nachts (22.00 Uhr bis 07.00 Uhr) 45 dB(A) […].
13. Hinsichtlich der Nutzung des Wirtschaftsgartens werden die Bestimmungen des „2 Abs. 2 der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (GVBl. S. 142) zur Auflage gemacht, d.h. Musikdarbietungen müssen um 22:00 Uhr und das Verabreichen von Speisen und Getränken um 22:30 Uhr beendet sein. Die gesamte Betriebszeit des Wirtschaftsgartens muss so rechtzeitig enden, dass auch die Abfahrt der Gäste zuverlässig um 23:00 Uhr abgeschlossen ist.
20. Auf die Nachtruhe der Bewohner benachbarter Grundstücke ist Rücksicht zu nehmen.
3
Seitens des Landratsamtes … wurde aufgrund wiederholter Beschwerden durch Anwohner des Nachbargrundstückes mehrmals auf die Einhaltung der Betriebszeit hingewiesen. Insbesondere wurde mit Schreiben vom 13.07.2021 nochmals eindringlich darauf hingewiesen, auf die Nachtruhe der Bewohner benachbarter Grundstücke Rücksicht zu nehmen. Sollte dies nicht der Fall sein, könne auch durch nachträgliche Auflagen nach § 5 GastG die Betriebszeit der Freischankfläche auf 22:00 Uhr beschränkt werden.
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Mit Schreiben vom 11.08.2022 wurde die Antragstellerin sodann zu einer beabsichtigten Verkürzung der Betriebszeiten um eine volle Stunde angehört, d.h. Musikdarbietungen müssten um 21:00 Uhr und das Verabreichen von Speisen und Getränken um 21:30 Uhr beendet sein. Die gesamte Betriebszeit des Biergartens müsse so rechtzeitig enden, dass die Abfahrt der Gäste zuverlässig um 22:00 Uhr abgeschlossen sei, was auch für geschlossene Gesellschaften gelte.
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Zu Beginn der Biergartensaison 2023 wurde am 06.04.2023 eine immissionsschutzfachliche Stellungnahme mittels schalltechnischer Berechnungen mit dem Lärmberechnungsprogramm „IMMI“ für den nächstgelegenen Immissionsort (Anwesen …) vorgenommen. Die Berechnungen ergaben, dass der Immissionsrichtwert von 60 dB(A) zur Tageszeit gerade noch eingehalten wird. Der Immissionsrichtwert zur Nachtzeit, 45 dB(A), wird selbst bei einer Auslastung von 50% und unter Annahme eines leisen Biergartens um mehr als 11 bzw. 10 dB(A) überschritten (56,6 bzw. 55,3 dB(A)). Bei Annahme eines lauten und vollbesetzten Wirtschaftsgartens liegt der Beurteilungspegel bereits bei 67,6 bzw. 66,3 dB(A).
6
Der durch das Landratsamt … erlassene Bescheid vom 21.04.2023 enthielt daraufhin folgende Regelungen:
„1. Die Gaststättenerlaubnis für die Gaststätte „…“ vom 17.07.2017 wird durch die nachfolgende Auflage geändert. Die Ziffer 3.13 erhält folgende Fassung: „Die Freischankfläche darf nur während der Tagzeit – bis 22:00 Uhr – bewirtschaftet werden. Das Verabreichen von Speisen und Getränken muss um 21:30 Uhr beendet werden. Auf der Freischankfläche sind Musikdarbietungen an maximal 10 Tagen im Jahr ohne Verstärker bis 21:00 Uhr zulässig.“
2. Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 dieses Bescheides wird angeordnet.
3. Frau … hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Für diesen Bescheid wird eine Gebühr von 250,00 € festgesetzt.“
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Auflage nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 Gaststättengesetz (GastG) vorlägen. Folglich liege die Erteilung einer Auflage zum Schutze gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) für die Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke sowie der Allgemeinheit nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 GastG im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Die erteilte Auflage sei geeignet, um die Einhaltung des nächtlichen Richtwerts von maximal 45 dB(A) sicherzustellen und damit schädliche Immissionseinwirkungen, insbesondere auf die Bewohner der Nachbargrundstücke in der Zeit zwischen 22:00 und 6:00 Uhr, erheblich zu reduzieren, da diese Emissionsquelle zur Nachtzeit sodann vollständig entfalle. Im Übrigen seien keine weiteren geeigneten milderen Mittel, die ebenfalls zur Lärmreduzierung führen und damit dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienen würden, ersichtlich. Mehrmaliges Erinnern und Ermahnen der Gewerbetreibenden seitens des Landratsamtes habe nicht zum Erfolg geführt. Eine Verkürzung der Betriebszeit von 23:00 Uhr auf 22:00 Uhr verbleibe damit als mildestes Mittel, zumal die Erlaubnis nicht entzogen, sondern lediglich geringfügig durch die Änderung einer Auflage eingeschränkt werde. Unabhängig von dem gaststättenrechtlichen Erlaubniserfordernis nach § 2 GastG verlange das materielle Recht in § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG dem Gastwirt eine Betriebsführung ab, bei der schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG verhindert oder zumindest auf ein Mindestmaß beschränkt würden. Darüber hinaus sei die getroffene Maßnahme der Behörde angemessen. Die Vorgaben für Geräuschimmissionen durch die Gaststätte „…“, bei der es sich um eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage nach § 22 BImSchG handele, würden sich nach den Immissionsrichtwerten der Nummer 6 der Technischen Anlage zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) richten. Wie dem Flächennutzungsplan der Stadt … zu entnehmen sei, sei die Fl.-Nr. ... der Gemarkung …, auf welcher sich die Gaststätte befinde, einem Dorf-/Mischgebiet zuzuordnen. Nummer 6.1 Buchst. d der TA Lärm gebe für ein Dorf-/Mischgebiet Immissionsgrenzwerte von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) vor. Die Berechnungen der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme vom 06.04.2023 würden zeigen, dass unter Annahme verschiedener Parameter der Imissionsrichtwert tagsüber eingehalten werde, der Immissionsrichtwert zur Nachtzeit werde in jedem Fall überschritten. Folglich komme es während der Nachtzeit durch eine Öffnungszeit bis 23:00 Uhr zu schädlichen Immissionseinwirkungen, insbesondere auf die Anwohner des nächstgelegenen Immissionsortes. Die Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr diene den Menschen für gewöhnlich zum Schlaf und zur Erholung. Eine Lärmüberschreitung nach 22:00 Uhr könne also eine Störung der Ruhephase verursachen, zu einer gesteigerten Stressbelastung führen und sogar psychische Leiden hervorrufen. Durch die Änderung der Öffnungszeiten von 23:00 auf 22:00 Uhr würden schädliche Immissionseinwirkungen zur Nachtzeit zwischen 22:00 und 6:00 Uhr deutlich reduziert. Infolgedessen werde eine ausreichende Ruhephase für Anwohner sichergestellt und mögliche, durch schädliche Einwirkungen induzierte, psychische Belastungen verhindert. Das wirtschaftliche Interesse der Gewerbetreibenden trete damit in den Hintergrund. Vielmehr gelte es, die Gesundheit der Anwohner sowie der Allgemeinheit als hohes Rechtsgut zu schützen. Die Erteilung dieser Auflage sei hierfür angemessen und zielführend. Überdies sei eine Ausdehnung des Tageszeitraums auf 23:00 Uhr, welche § 2 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Biergartenverordnung vorsehe, nicht anwendbar, da es sich nach der Definition dieser Verordnung nicht um einen typischen Biergarten handele. Der fehlende Gartencharakter, der sich vor allem durch eine ausreichende Bepflanzung auszeichne, sowie die fehlende traditionelle Betriebsform, wie der Verzehr von mitgebrachten Speisen, würden nicht auf einen typischen Biergarten schließen lassen. Häufig werde jedoch umgangssprachlich die Bezeichnung „Biergarten“ für eine Gaststätte mit Freischankfläche – wie in vorliegendem Fall – verwendet. Demnach würden für die Gaststätte „…“ die Regel-Tageszeiten von 6:00 bis 22:00 Uhr, wie es Nummer 6.4 der TA Lärm vorsehe, gelten. Auch der Tages-Immissionsrichtwert von 65 dB(A) in Dorf-/Mischgebieten, wie es § 2 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Biergartenverordnung erlaube, sei nicht auf die Gaststätte mit Freischankflächen anzuwenden. Demzufolge seien Musikdarbietungen entgegen § 2 Abs. 2 der Bayerischen Biergartenverordnung lediglich bis 21:00 Uhr und die Verabreichung von Speisen und Getränken bis 21:30 Uhr erlaubt, sodass die Abfahrt aller Gäste bis 22:00 Uhr gewährleistet und die gesamte Betriebszeit spätestens zu diesem Zeitpunkt beendet sei. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Nr. 2 des Bescheides stütze sich auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Ohne Anordnung der sofortigen Vollziehung müsse die Hauptsacheentscheidung erst nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens, das mitunter einige Monate dauern könne, eingehalten werden. Die Änderung der Auflage des Bescheides vom 17.07.2017 durch Nr. 1 des Bescheides vom 21.04.2023 müsse jedoch unmittelbar zum Erreichen des legitimen Zwecks, der Lärmreduzierung und dem Schutz vor gesundheitsschädlichen Einwirkungen, führen. Die Klagemöglichkeit werde der Inhaltsadressatin des Bescheides nicht genommen. Es bestehe jedoch ein überwiegendes Vollzugsinteresse, da die Gesundheit von Menschen als hohes Rechtsgut durch die erhebliche Lärmbelästigung beeinträchtigt werde. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin müsse gegenüber dem öffentlichen Interesse – die Wahrung der Gesundheit der Anwohner – zurücktreten. Die Kostenentscheidung stütze sich auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Kostengesetzes (KG). Die Festsetzung der Gebühr beruhe auf Art. 6 KG i.V.m. Tarif Nr. 5.III.7/9.1 des Kostenverzeichnisses (KVz).
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Mit Schriftsatz vom 09.05.2023, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 10.05.2023, lies die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 21.04.2023 Klage erheben (B 10 K 23.367).
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Mit Schriftsatz vom 21.06.2023, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, wurde im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
es wird angeordnet, dass die aufschiebende Wirkung der Klage vom 09.05.2023 gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 21.04.2023, zugestellt am 24.04.2023, wiederhergestellt wird.
10
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass ein besonderes, zum unmittelbaren Vollzug berechtigendes Interesse nicht hinreichend dargetan sei. Die Begründung bleibe formelhaft. Die Gefährdung der Gesundheit der Anwohner durch die Bewirtschaftung der Gaststätte der Klägerin sei nicht dargetan. Der bekannte Umstand, dass das Verfahren in der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht sich schon über einen Zeitraum von ein paar Monaten erstrecken könne, sei kein alleiniges Argument dafür, dass ein besonderes Vollzugsinteresse gerechtfertigt sein könne. Denn im Falle eines für die Klägerin positiven Ausganges des Rechtsstreites in der Hauptsache würde die Klägerin gerade jetzt für die Sommermonate, welche für sie die umsatzträchtigsten Monate im Jahr seien, durch die Auflagenänderung in der Nutzung der Gaststätte und insbesondere des Biergartenareals erheblich beschränkt, obgleich für die Notwendigkeit einer solchen Beschränkung die aktuell bestehende Lage keinen Grund zu liefern vermöge. Auf die Klagebegründung vom 20.06.2023 werde verwiesen.
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Hieraus ergebe sich, dass die Rechtmäßigkeit des mit der Klage angegriffenen Bescheides zweifelhaft sei und bei summarischer Prüfung nicht ausgeschlossen sein könne, dass die Klage im Ergebnis Erfolg habe.
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Das Landratsamt … beantragte mit Schriftsatz vom 26.06.2023,
den Antrag abzulehnen.
13
Zur Begründung wurde die Argumentation des Bescheids vom 21.04.2023 vertieft. Es wurde insbesondere vorgetragen, der Antrag sei zwar zulässig, aber unbegründet. Die vorgetragenen Gründe würden nicht die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiege im vorliegenden Verfahren das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Entscheidend seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Der Bescheid vom 21.04.2023 sei rechtmäßig ergangen, die Antragstellerin sei nicht in ihren Rechten verletzt, ein Rechtsbehelf in der Hauptsache habe keinen Erfolg. Bestandsschutz im Hinblick auf einen früher konzessionierten Biergarten existiere nicht. Es handele sich um keinen Biergarten im Sinne der Bayerischen Biergartenverordnung. Da diese nicht anzuwenden sei, seien ab 22:00 Uhr die Nachtrichtwerte einzuhalten. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf zeitliche, räumliche und umfängliche Einschränkung des Gaststättenbetriebs sei deshalb § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG. Im vorliegenden Fall würden gewichtige Anhaltspunkte dafürsprechen, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG erfüllt seien und die Freischankfläche schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG jedenfalls in der Nachtzeit verursache. Es sei unbeachtlich, dass Beschwerden aktuell nur von einem Nachbarhaushalt ausgehen würden. Jeder Gaststättenbetreiber habe grundsätzlich sicherzustellen, dass es – gemessen an den Vorgaben der TA Lärm – nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch seinen Betrieb, insbesondere durch Lärm aufgrund des Verhaltens seiner Gäste komme. Die Behörde müsse bei einer Entscheidung, für die es auf Lärmimmissionen ankomme, nach allgemeinen Grundsätzen den Sachverhalt von Amts wegen umfassend ermitteln. Sie sei dabei nicht auf bestimmte Ermittlungsverfahren festgelegt. Sie könne die Schalleinwirkung tatsächlich messen oder von einem rechnerischen Verfahren Gebrauch machen, in das die relevanten Faktoren eingehen würden und das eine empirisch erprobte Zuverlässigkeit aufweise. Diesen Anforderungen genüge das gewählte Prognoseverfahren. Nach diesen Maßstäben würden schädliche Umwelteinwirkungen vorliegen, die vom Außenbereich der streitgegenständlichen Gaststätte ausgehen würden. Auch eine Gesamtabwägung, bei der nach ständiger Rechtsprechung wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz einfließen müssten, komme zu keinem anderen Ergebnis. Im Vergleich zu einer Lärmberechnung stelle eine Lärmmessung vor Ort eine Momentaufnahme dar. Eine rein rechnerische Bewertung der Immissionen verhindere tages- und veranstaltungsabhängige, gegebenenfalls verfälschte Messergebnisse. Es errechne sich eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Grenzwerte. Dies sei ein deutliches Indiz für die Unzumutbarkeit der Immissionen, zumal es sich um Immissionen während der besonders geschützten Nachtzeit handele. Die verfügte Anordnung sei deshalb geeignet, der unzumutbaren Lärmbeeinträchtigung der Nachbarschaft zu begegnen und diese vor einer unbestimmten Zahl von musikalischen Veranstaltungen im Freien, bei der die Grenzwerte nach der TA Lärm zusätzlich erheblich überschritten werden dürften, zu schützen. Es sei unstrittig, dass durch die Auflage Einfluss auf die Betriebsabläufe genommen werde. Dennoch würden die Argumente der Antragstellerin, während der laufenden Biergartensaison die Freischankfläche nicht mehr wirtschaftlich betreiben zu können und dadurch Gewinneinbußen zu erleiden, nicht durchgreifen. Die mit Bescheid vom 21.04.2023 vorgenommenen Änderungen zur Sicherstellung der zulässigen Lärmimmissionen würden den geringsten Eingriff für die Gaststättenbetreiberin darstellen. Die Betriebszeiten seien lediglich um eine Stunde vorverlegt und die Anzahl der Musikveranstaltungen begrenzt worden. Ein generelles Verbot hinsichtlich der Nutzung der Freischankfläche bzw. die Untersagung von Musikveranstaltungen sei gerade nicht erfolgt. Die der Antragstellerin dadurch entstehenden wirtschaftlichen Einbußen würden keine andere Sichtweise rechtfertigen. Die Vollziehungsanordnung im Bescheid vom 21.04.2023 sei auch rechtmäßig ergangen, vor allem sei das Vollzugsinteresse hinreichend begründet worden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1 stütze sich auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Ergänzend zu der im Bescheid vom 21.04.2023 bereits angeführten Begründung würden die aktuellen Sommermonate und oft höheren Temperaturen sowie die Ende Juli anstehende Veranstaltung „…“ in unmittelbarer Nähe der Gaststätte rechtfertigen, dass die Einschränkung der Betriebszeiten der Freischankfläche und die zahlenmäßige Begrenzung der Musikdarbietungen von der Antragstellerin sofort umgesetzt werden müssen. Im Übrigen werde auf die inhaltlichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 21.04.2023 verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 28.06.2023 wurde antragstellerseits im Wesentlichen ausgeführt, die Behauptungen unzumutbarer Lärmbelästigungen durch den einzigen nachbarlichen Beschwerdeführer seien nicht nur pauschal bestritten worden. Das Landratsamt … hätte dem näher nachgehen müssen. Der angegriffene Bescheid sei daher schon deshalb rechtswidrig, weil durch das Landratsamt … die Tatsachengrundlage für ein Eingreifen nicht hinreichend sicher festgestellt worden sei. Alleine wegen der ungesicherten Tatsachengrundlage hätte eine konkrete Lärmmessung über einen längeren Zeitraum stattfinden müssen, damit repräsentative Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Eine Entscheidung zu Lasten der Antragstellerin, verbunden mit Eingriffen in die Gewerbefreiheit, die durch Art. 12 GG geschützt sei, sei ohnehin nicht gerechtfertigt. Die Ausführungen, dass die Außenfläche kein Biergarten im Sinne der Bayerischen Biergartenverordnung sei, seien unrichtig. Eine Biergartennutzung sei mit Bescheid vom 17.07.2017 ausdrücklich genehmigt worden, insoweit könne sich die Antragstellerin auf Bestandsschutz und Vertrauensschutz berufen. Die einschlägigen Vorschriften der TA Lärm, die anderweitige Werte vorsehen würden, seien hier nicht anwendbar. Die nachträgliche Auflage ändere den Kernbereich des ursprünglichen Gaststättenbescheides vom 17.07.2017 maßgeblich ab und höhle das dort zugesagte Recht beinahe vollständig aus, auch wenn antragsgegnerseits vorgetragen werde, es handele sich „nur“ um eine Stunde Verkürzung. Der herkömmliche Biergartenbetrieb lebe gerade davon, dass die Gäste den Abend über zunächst dort Speisen und dann anschließend noch das eine oder andere Getränk zu sich nehmen könnten, um den Abend ausklingen zu lassen. Bei Zugrundelegung der Zeiten, die nach Vorstellung des Antragsgegners Störungen vermeiden würden, würden die Gäste höchstwahrscheinlich abdriften und diesen Biergarten und möglicherweise auch die Gastronomie generell nicht mehr aufsuchen. Die Antragstellerin befürchte, dass durch diese Maßnahmen der Biergartenbetrieb auf absehbare Zeit in den Sommermonaten zum Erliegen kommen werde und dadurch die Wirtschaftlichkeit ihrer Gastronomie insgesamt gefährdet werden könne, weil gerade die Sommermonate die umsatzstärksten Monate des Geschäftsjahres seien. Insgesamt sei zu resümieren, dass die Entscheidung des Landratsamtes … auf ungesicherter Tatsachengrundlage ergangen sei und die Antragstellerin alleine dadurch unverhältnismäßig belastet werde.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (B 10 K 23.367 und B 10 S 23.484) und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
16
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 09.05.2023 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO hat keinen Erfolg und ist daher abzulehnen.
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1. Der Antrag ist nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzbegehrens so auszulegen, dass lediglich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 09.05.2023 bezüglich Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 beantragt wird (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO).
18
Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Dabei sind die für die Auslegung von Willensäußerungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Bei der Auslegung sind neben dem Antrag insbesondere die Antragsbegründung sowie das gesamte übrige Vorbringen des Antragstellers zu berücksichtigen, ferner seine Interessenlage, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und die übrigen Beteiligten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt. In Eilverfahren, in denen eine mündliche Verhandlung, in der auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken ist (§ 86 Abs. 3 VwGO), nicht stattfindet, ist wegen des verfassungsrechtlichen Gebotes der Effektivität des Rechtsschutzes eine Auslegung zu Gunsten des Antragstellers vorzunehmen. Ist der Rechtschutzsuchende anwaltlich vertreten, kommt der Antragsformulierung zwar eine gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Rechtsschutzziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. BayVGH, B.v. 24.06.2019 – 8 CS 19.817- beck-online Rn. 12 m.w.N.).
19
In Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 21.04.2023 wurde lediglich die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids angeordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), sodass auch nur diesbezüglich die aufschiebende Wirkung der Klage – wie vorliegend beantragt -„wiederhergestellt“ werden kann (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Zwar entfällt auch bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten – wie in Nr. 3 des Bescheids vom 21.04.2023 – die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO), in diesem Fall müsste aber zum einen die aufschiebende Wirkung der Klage „angeordnet“ werden (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO) und zum anderen bezieht sich der Vortrag der Antragstellerseite lediglich auf die Beschränkung der Betriebszeit und Musikdarbietungen durch die nachträgliche Auflage in Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 und deren sofortiger Vollziehung. Im Übrigen wäre ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich Nr. 3 des Bescheids vom 21.04.2023 auch unzulässig, da gem. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO nur zulässig ist, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil ablehnt. Dass ein solcher Antrag vorliegend gestellt wurde, ist aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Unterlagen jedoch nicht ersichtlich.
20
Aus voranstehenden Erwägungen geht das Gericht davon aus, dass vorliegend lediglich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 09.05.2023 bezüglich Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 begehrt wird, wobei nicht verkannt wird, dass in der Hauptsache die Aufhebung des vollständigen Bescheids vom 21.04.2023 beantragt wurde.
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2. Der vorliegende Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist abzulehnen, da die Sofortvollzugsanordnung formell rechtmäßig ist (a.) und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt, insbesondere die von der Antragstellerin erhobene Klage nach summarischer Überprüfung keine Aussicht auf Erfolg hat (b.).
22
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. In einem derartigen Verfahren prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Weiterhin hat das Gericht im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und das Interesse des Betroffenen, vom sofortigen Vollzug bis zur Entscheidung in der Hauptsache zunächst verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Bei der Entscheidung des Gerichts sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, soweit sie überschaubar sind, zu berücksichtigen. Das Interesse des Antragsgegners am sofortigen Vollzug muss dann zurücktreten, wenn bereits im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO festgestellt werden kann, dass der Antragsteller die ihm auferlegte Verpflichtung mit überwiegender Aussicht auf Erfolg bestreitet, wie umgekehrt das öffentliche Interesse Vorrang hat, wenn für den Rechtsbehelf ein Erfolg nicht prognostiziert werden kann. Dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Rahmen der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug und den privaten Interessen des Antragstellers an der Aufrechterhaltung des Suspensiveffekts seines Rechtsbehelfs im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO Berücksichtigung finden können, ist verfassungsgerichtlich anerkannt (BVerfG, B.v. 12.9.1995 – 2 BvR 1179/95; VG Augsburg, B.v. 29.03.2011 – Au 5 S 11.67 – jeweils juris).
23
a. Die Anordnung des Sofortvollzugs genügt dem – formellen – Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
24
Insoweit genügt jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen. Daher ist es unzureichend, die sofortige Vollziehbarkeit allein mit dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses am Vollzug zu begründen. Die Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügt nicht dem Begründungsgebot. Es müssen die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (Eyermann/Hoppe, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55 m.w.N.). Allerdings ist auch anerkannt, dass bei gleichartigen Tatbeständen auch gleiche oder „gruppentypisierte“ Begründungen ausreichen können. In solchen Fällen ist es nicht zwingend geboten, eine ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Begründung zu geben. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde nach der ständigen Rechtsprechung darauf beschränken, die für diese Fallgruppe typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach Auffassung der Behörde diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt (BayVGH, B.v. 4.1.2006 – 11 CS 05.1878 – juris Rn. 17; VG Regensburg, B.v. 11.12.2013 – RN 5 S 13.1825 – juris Rn. 39 f., ebenfalls zur Konstellation einer Einschränkung der Öffnungszeiten einer Gaststätte wegen Überschreitens der Lärmgrenzwerte).
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Legt man diese Maßstäbe an, ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat im angegriffenen Bescheid vom 21.04.2023 hinreichend zum Ausdruck gebracht, welche Gründen sie im konkreten Einzelfall dazu bewogen haben, die aufschiebende Wirkung einer etwaigen Klage auszuschließen und hierbei insbesondere auf die Beeinträchtigung der Gesundheit der Anwohner durch die Überschreitung der Lärmgrenzwerte während der Verfahrensdauer bis zum rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Klageverfahrens abgestellt. Dies genügt jedenfalls den Anforderungen an eine sogenannte gruppentypisierte Begründung.
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b. Nach der im gerichtlichen Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage wird die Klage der Antragstellerin in den vorliegend maßgeblichen Punkten voraussichtlich erfolglos bleiben. Der Bescheid vom 21.04.2023 wird sich voraussichtlich zumindest hinsichtlich der Nummern 1 und 2 als rechtmäßig erweisen. Das öffentliche Interesse überwiegt daher das private Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage vom 09.05.2023 bezüglich Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023. Zur Begründung nimmt das Gericht vollumfänglich Bezug auf die rechtlichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 21.04.2023 und macht diese zum Gegenstand der vorliegenden Entscheidung. Ergänzend bzw. hervorhebend ist auszuführen:
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(1.) Die Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 11.08.2022 im Sinne von Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) angehört und ihr wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Jedenfalls wäre ein Verstoß gegen die erforderliche Anhörung aber nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG geheilt. Denn die Heilung kann gem. Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dies setzt voraus, dass ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht (BVerwG, Urt. v. 17.12.2015 – 7 C 5/14 – beck-online Rn. 17). Das Landratsamt … hat sich vorliegend im Schriftsatz vom 26.06.2023 nochmals ausführlich mit dem Vorbringen der Antragstellerin auseinandergesetzt, sodass diese Anforderungen erfüllt sind.
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(2) . Rechtsgrundlage für die nachträgliche Verhängung der Auflage in Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 ist § 5 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 GastG. Die erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen sind gegeben.
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Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG können Gewerbetreibenden, die einer Erlaubnis bedürfen, jederzeit Auflagen zum Schutze gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG und sonst gegen erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen für die Bewohner des Betriebsgrundstückes oder der Nachbargrundstücke sowie der Allgemeinheit gemacht werden.
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Die Antragstellerin bedarf gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 GastG eine Erlaubnis für den Betrieb des Gaststättengewerbes „…“ (§ 1 Abs. 1 GastG), die ihr bereits mit Bescheid vom 17.07.2017 erteilt wurde.
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Zudem ist nach summarischer Prüfung ebenfalls davon auszugehen, dass vorliegend schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG gegeben sind.
32
Die Bayerische Biergartenverordnung vom 20.04.1999, durch welche der Bayerische Verordnungsgeber im Vergleich zur TA Lärm lärmschutzrechtliche Privilegierungen zugunsten des Biergartenbetriebs und zu Lasten der Nachbarschaft in Form von höheren Immissionsrichtwerten und in Form eines zeitlichen Hinausschiebens der Nachtzeit um eine Stunde reglementiert hat, ist vorliegend nicht anwendbar. Denn es fehlt an einem „Biergarten“ im Sinne der Bayerischen Biergartenverordnung. Zwar ist der Begriff „Biergarten“ im Verordnungstext selbst nicht legaldefiniert, für diesen sind aber vor allem zwei Merkmale ausschlaggebend. Zum einen der Gartencharakter und zum anderen die traditionelle Betriebsform, insbesondere die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können (BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 – juris Rn. 58). Im vorliegenden Fall dürfte es bereits am „Gartencharakter“ fehlen. Kleinere Wirtsgartenflächen in ansonsten eher „kahler“ Umgebung, die ringsum von Straßen und / oder von Wohnbebauung gesäumt werden, können dem notwendigen Gesamtbild eines „Gartens“ selbst dann nicht entsprechen, wenn auf ihnen einige Bäume stehen. Derartige Flächen werden vielmehr von dem im Gaststättengebäude stattfindenden Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft auch dann mitgeprägt, wenn der Gastwirt im Freien den Verzehr mitgebrachter Speisen gestatten mag (BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 – juris Rn. 62). Im Übrigen fehlt es auch an der traditionellen Betriebsform. Ausgehend von der Internetseite der Gaststätte … ist anzunehmen, dass dort lediglich der Erwerb von Speisen und Getränken möglich ist und gerade nicht der unentgeltliche Verzehr mitgebrachter Brotzeit (vgl. https:/ …, abgerufen am 28.06.2023). Anderweitiges wurde seitens der Antragstellerin nicht vorgetragen. Die Bezeichnung als „Biergarten“ in Teil 4 der Gaststättenerlaubnis vom 17.07.2017 vermag nichts daran zu ändern, dass es sich vorliegend rechtlich gesehen um eine Gaststätte mit Freischankfläche handelt.
33
Bei der Beurteilung der Lärmbelastungen von Wirtsgärten/Freischankflächen, die im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Gaststättengebäudes stehen, ist umstritten, ob die TA Lärm als sogenannte „normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift“ gem. ihrer Nr. 1 Abs. 2 Halbs. 1 unmittelbar Anwendung findet oder ob es sich bei ihnen um „Freiluftgaststätten“ im Sinne der Nr. 1 Abs. 2 Buchst. b TA Lärm handelt, für die die Geltung der Verwaltungsvorschrift an sich ausgeschlossen ist. Eine Orientierung an der TA Lärm als antizipiertes Sachverständigengutachten bleibt jedoch im Rahmen einer einzelfallbezogenen Betrachtung möglich (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 – juris Rn. 66).
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Aus der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme vom 06.04.2023 sowie dem Vorbringen der Beteiligten geht hervor, dass der Bereich der Gaststätte auf der Fl.-Nr. ... der Gemarkung … sowie das Wohnhaus des betroffenen Nachbars auf der Fl.-Nr. ... im Flächennutzungsplan der Stadt … als Dorf-/Mischgebiet dargestellt wird. An der Gebietsart bestehen vorliegend keine Zweifel, insbesondere wird selbst von Antragstellerseite vertreten, dass es sich um ein Dorf-/Mischgebiet handelt (vgl. Schriftsatz vom 20.06.2023, S. 9). Hierfür gelten die Immissionsrichtwerte der TA Lärm nach Nr. 6.1 Buchst. e von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A), wobei die Nachtzeit gem. Nr. 6.4 Satz 1 von 22:00 bis 6:00 Uhr dauert. Nach Ansicht des Gerichts sind Umstände, die entsprechend Nr. 6.4 Abs. 2 TA Lärm ein Hinausschieben der Nachtzeit um eine Stunde rechtfertigen könnten, weder von den Beteiligten vorgetragen worden noch nach Aktenlage ersichtlich.
35
Zur Einschätzung der Lärmeinwirkungen wurde eine überschlägige schalltechnische Berechnung mit dem Lärmberechnungsprogramm „IMMI“ vorgenommen und eine immissionsschutzfachliche Stellungnahme erstellt (vgl. Behördenakte, Bl. 87 f.) Die Berechnungen unter Annahme verschiedener Parameter ergaben, dass der Immissionsschutzrichtwert von 60 dB(A) zur Tageszeit gerade noch eingehalten wird (59,8 bzw. 58,4 dB(A)). Der Immissionsschutzrichtwert zur Nachtzeit, welcher bei 45 dB(A) liegt, selbst bei einer Auslastung von nur 50% und unter Annahme eines leisen Biergartens um mehr als 11 bzw. 10 dB(A) überschritten (56,6 bzw. 55,3 dB(A)) wird. Bei Annahme eines lauten und voll besetzten Biergartens liegt der Beurteilungspegel bereits bei 67,6 bzw. 66,3 dB(A), wodurch der Immissionsrichtwert zur Nachtzeit zweifellos überschritten wird. Dabei sind regelmäßige Musikdarbietungen noch nicht berücksichtigt. Es ist zu erwarten, dass bei musikalischen Veranstaltungen selbst zur Tageszeit Überschreitungen auftreten werden. Aus Sicht des Immissionsschutzes bestehen erhebliche Bedenken für den Betrieb der Freischankfläche zur Nachtzeit. Der Betrieb der Freischankfläche sollte auf die Tageszeit bis maximal 22:00 Uhr beschränkt werden. Nach 22:00 Uhr muss die Freischankfläche geräumt sein.
36
Soweit die Antragstellerseite die Ermittlungen des Landratsamts … bemängelt, insbesondere weil eine Lärmberechnung anstatt einer konkreten Messung stattgefunden hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 Halbs. 1 BayVwVfG den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt und sie Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt. Bei der Ermittlung eines Sachverhalts, den die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legen will, hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen, jedoch bestimmt sie selbst Art und Umfang der Ermittlungen. Ist die Schalleinwirkung auf die Nachbarschaft Ausgangspunkt einer Entscheidung, so kann sie diese tatsächlich messen oder von einem rechnerischen Verfahren Gebrauch machen, in das die relevanten Faktoren eingehen und das eine empirisch erprobte Zuverlässigkeit aufweist (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 21.08.2009 – OVG 1 N 52.08 – juris Rn. 13). Im Übrigen überzeugt der Antragsgegner auch mit der Argumentation, dass eine Lärmmessung vor Ort im Vergleich zu einer Lärmberechnung lediglich eine Momentaufnahme darstelle. Schwankungen im Ausmaß der Überschreitung des Immissionsrichtwertes würden sich naturgemäß aufgrund der unterschiedlichen Besucherzahl und der Art der Veranstaltung ergeben. Nach einer Messung könne sich die Antragstellerin darauf berufen, am Tage der Messung habe ”Hochbetrieb” geherrscht, und es handele sich daher um ein seltenes Ereignis nach Nr. 7.2 TA Lärm, wie es an zehn Tagen im Jahr zulässig sei. Eine rein rechnerische Bewertung der Immissionen neben den vorliegenden Nachbarschaftsbeschwerden verhindere tages- und veranstaltungsabhängige, ggf. verfälschte Messergebnisse.
37
(3) . Die Auflage in Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 ist nach summarischer Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Es sind keine Ermessensfehler erkennbar, insbesondere erscheint die Auflage verhältnismäßig.
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Über den Erlass einer Auflage entscheidet die zuständige Behörde bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese Ermessensentscheidung unterliegt den allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgaben (Art. 40 BayVwVfG, § 114 VwGO). Die Behörde hat insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, die Auflage muss geeignet, erforderlich und angemessen sein (Metzner/Thiel, GastG, 7. Aufl. 2023, § 5 Rn. 13). Bei der Frage nach einem Ermessensfehler ist nicht vorrangig auf das Ergebnis der behördlichen Entscheidung, sondern auf den Vorgang der Entscheidungsfindung abzustellen. Differenziert wird zwischen Ermessensunterschreitung (Ermessensnichtgebrauch), Ermessensüberschreitung sowie dem bedeutsamsten Fehler, dem Ermessensfehlgebrauch (Schoch/Schneider/Riese, VwGO, 43. EL August 2022, § 114 Rn. 56 f.). Ermessensfehler sind vorliegend jedoch nicht erkennbar. Das Landratsamt … hat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums insbesondere berücksichtigt, dass durch die Verkürzung der Betriebszeiten und die Beschränkung der Musikdarbietungen Einfluss auf die Betriebsabläufe der Antragstellerin genommen wird und ihr wirtschaftliches Interesse durch finanzielle Einbußen beeinträchtigt ist. Für das Gericht nachvollziehbar gelangt das Landratsamt … jedoch zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Antragstellerin hinter dem Rechtsgüterschutz der Nachbarschaft zurückzustehen haben und die Auflage in Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 verhältnismäßig ist. Danach darf die Freischankfläche nur während der Tageszeit – bis 22:00 Uhr – bewirtschaftet werden, das Verabreichen von Speisen und Getränken muss um 21:30 Uhr beendet werden und auf der Freischankfläche sind Musikdarbietungen an maximal zehn Tagen im Jahr ohne Verstärker bis 21:00 Uhr zulässig, was den aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG hervorgehenden legitimen Zweck verfolgt, Bewohner der Nachbargrundstücke vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG zu schützen. Überzeugend führt das Landratsamt … aus, dass die erteilte Auflage geeignet ist, um die Einhaltung des nächtlichen Richtwerts von maximal 45 dB(A) sicherzustellen, da die Emissionsquelle zur Nachtzeit sodann vollständig entfällt. Weitere geeignete mildere Mittel, die ebenfalls zur Lärmreduzierung und damit dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen führen, sind nicht ersichtlich. Diesbezüglich ist insbesondere hervorzuheben, dass die Antragstellerin bereits durch die mit dem Bescheid vom 17.07.2017 ergangenen Auflagen dazu verpflichtet gewesen ist, nachts Geräuscheinwirkungen über 45 dB(A) zu vermeiden (Auflage Nr. 1) und auf die Nachtruhe der Bewohner benachbarter Grundstücke Rücksicht zu nehmen (Auflage Nr. 20). Außerdem hat sich das Landratsamt … unter anderem zunächst mit der Antragstellerin darauf geeinigt, dass die Biertischgarnituren direkt am Nachbaranwesen bis 22:00 Uhr zu räumen sind (vgl. Schreiben vom 02.10.2020, Behördenakte, Bl. 10) und mit Schreiben vom 13.07.2021 sogar eindringlich darauf hingewiesen, dass auf die Nachtruhe der Bewohner benachbarter Grundstücke Rücksicht zu nehmen sei, ansonsten könne die Betriebszeit der Freischankfläche auf 22:00 Uhr beschränkt werden (Behördenakte, Bl. 18). Dennoch ergab die immissionsschutzfachliche Stellungnahme vom 06.04.2023 eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte zur Nachtzeit. Dies verdeutlicht, dass anderweitige vorherige Maßnahmen des Landratsamtes … nicht zum Erfolg geführt haben, weshalb die Auflage in Nr. 1 des Bescheids vom 21.04.2023 auch erforderlich ist. Zutreffend geht das Landratsamt … auch von der Angemessenheit der nachträglichen Auflage aus. Die mit Bescheid vom 21.04.2023 vorgenommene Änderung zur Sicherstellung der zulässigen Lärmimmissionen stellen den geringsten Eingriff für die Antragstellerin dar. Die Betriebszeiten wurden lediglich um eine Stunde vorverlegt und die Anzahl der Musikveranstaltungen begrenzt. Ein generelles Verbot hinsichtlich der Nutzung der Freischankfläche bzw. die Untersagung von Musikveranstaltung erfolgte gerade nicht. Dadurch bleiben die wirtschaftlichen Einbußen der Antragstellerin möglichst gering, denn ein Ausbleiben der Gäste, denen weiterhin bis 21.30 Uhr Speisen und Getränke verabreicht werden dürfen, ist nach Ansicht des Gerichts gerade nicht zu erwarten. Gleichzeitig werden insbesondere durch die Änderung der Öffnungszeit von 23:00 auf 22:00 Uhr schädliche Immissionseinwirkungen in der Nachtzeit, die dem Menschen für gewöhnlich zum Schlaf und zur Erholung dient, reduziert. Somit wird eine ausreichende Ruhephase für Anwohner sichergestellt und deren Gesundheit geschützt. Soweit seitens der Antragstellerin eine Verletzung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG angenommen wird, ist anzuführen, dass es sich bei der zeitlichen Fixierung einer gewerblichen Betätigung um eine typische Berufsausübungsregelung handelt (Scholz in Dürig/Herzog/Scholz, GG, 99. EL September 2022, Art. 12 Rn. 343), die erfolgen darf, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen (v. Münch/Kunig/Kämmerer, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 119). Diesen Anforderungen wird der Schutz der Gesundheit der Anwohner zweifelsohne gerecht.
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(4) . Im Übrigen führt die Antragsgegnerin zu Recht aus, dass jedenfalls kein Bestandsschutz im Hinblick auf einen früher konzessionierten Biergarten besteht. Diesbezüglich wird auf den vorgelegten Auszug aus dem im Jahre 1921 begonnen Gastwirtschaftskataster des Landkreises … hingewiesen. Unter den Betriebsräumen ist dort kein Biergarten oder eine ähnliche Bezeichnung erwähnt (Behördenakte, Bl. 27 f.).
40
3. Die Streitwertfestsetzung beruht folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Mangels weiterer Anhaltspunkte ist der – nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbierende – Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR anzusetzen (§ 52 Abs. 2 GKG).