Titel:
Biergartenbegriff der Bayerischen Biergartenverordnung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
GastG § 5 Abs. 1 Nr. 3
Bayerische BiergartenVO § 2
Leitsätze:
Der Biergartenbegriff der Bayerischen Biergartenverordnung bezieht sich nicht auf die gesamte Außengastronomie oder wesentliche Teile davon. Biergärten sind vielmehr durch ihre besondere Betriebsweise und Funktionalität von anderen Bereichen der Außengastronomie zu unterscheiden. Kleinere Wirtsgartenflächen in ansonsten eher nicht begrünter Umgebung, die ringsum von Straßen und / oder von Wohnbebauung gesäumt werden, können dem notwendigen Gesamtbild eines „Gartens“ selbst dann nicht entsprechen, wenn auf ihnen einige Bäume stehen. Derartige Flächen werden vielmehr von dem im Gaststättengebäude stattfindenden Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft auch dann mitgeprägt, wenn der Gastwirt im Freien den Verzehr mitgebrachter Speisen gestatten mag. Zur Beurteilung des Vorliegens der „traditionellen Betriebsform“ kommt es auf das Gesamtbild der Bewirtschaftung an. Entscheidend ist, ob die bewirtschaftete Freifläche aus objektiver Sicht nach ihrem Gesamtbild eine gewisse organisatorische Eigenständigkeit besitzt und nicht als bloßer Annex zur vorhandenen Schank- und Speisewirtschaft in Erscheinung tritt. Für die Beurteilung der Frage, ob ein betroffener „Biergarten“ nach seinem Gesamtbild und seiner Betriebsform einem „typischen“ bayerischen Biergarten im Sinne der BierGaV entspricht, kann neben der Art der Einrichtung auch das Vorhandensein einer separaten Bierzapfanlage, die Möglichkeit der Selbstbedienung im Außenbereich sowie ein Vergleich des Speisen- und Getränkeangebots im Innen- und Außenbereich der Gaststätte von Bedeutung sein. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ermittlung der Immissionsbelastung durch den rechnerischen Einsatz von langjährig bestätigten Emissionswerten von typischen Biergartengeräuschen (LfU-Arbeitspapier „Geräusche aus Biergärten“) ist für Immissionsprognosen zuverlässiger als eine Messung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für den privilegierten bayerischen Biergarten sind der Gartencharakter und die traditionelle Betriebsform ausschlaggebend. Der Biergartenbegriff der Bayerischen Biergartenverordnung bezieht sich nicht auf die gesamte Außengastronomie. An dem Gartencharakter fehlt es bei einer von Bebauung umgebenen Hoffläche. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Änderung der Auflage für die Betriebszeiten eines Wirtschaftsgartens, Definition des Biergartens, Lärmimmissionen, Berechnung, Begründung der Sofortvollzugsanordnung, LfU-Arbeitspapier „Geräusche aus Biergärten“
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 30.06.2023 – B 10 S 23.484
Fundstellen:
LSK 2023, 24486
GewA 2023, 469
BeckRS 2023, 24486
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 30. Juni 2023 – B 10 S 23.484 – wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
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Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. April 2023 weiter.
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Die Antragstellerin betreibt die Gaststätte L. I., K., … L. Die Erlaubnis zum Betrieb dieser Schank- und Speisewirtschaft wurde der Antragstellerin mit Bescheid vom 17. Juli 2017 erteilt (Nr. 1). Die Erlaubnis gilt für ein Gastzimmer und Nebenräume sowie für einen „Biergarten“ mit einer Grundfläche von 300,00 m² (Nr. 2a) und wurde unter zahlreichen Auflagen (Nr. 3) erteilt, die unter anderem wie folgt lauten:
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„1. […] Alle Geräuschwirkungen, die mit der Gaststätte in Zusammenhang stehen, insbesondere auf die Wohnungen im Hause sowie auf Nachbargrundstücke, dürfen im allgemeinen folgende Richtwerte nicht übersteigen:
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Tagsüber 60 dB(A) und nachts (22.00 Uhr bis 07.00 Uhr) 45 dB(A) […].
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13. Hinsichtlich der Nutzung des Wirtschaftsgartens werden die Bestimmungen des § 2 Abs. 2 der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (GVBl. S. 142) zur Auflage gemacht, d.h. Musikdarbietungen müssen um 22:00 Uhr und das Verabreichen von Speisen und Getränken um 22:30 Uhr beendet sein. Die gesamte Betriebszeit des Wirtschaftsgartens muss so rechtzeitig enden, dass auch die Abfahrt der Gäste zuverlässig um 23:00 Uhr abgeschlossen ist.
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20. Auf die Nachtruhe der Bewohner benachbarter Grundstücke ist Rücksicht zu nehmen.“
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Aufgrund von seit dem Jahr 2020 anhaltenden Beschwerden über den Betrieb der Gaststätte samt „Biergarten“ berechnete das Landratsamt zu Beginn der Biergartensaison 2023 mit dem Lärmberechnungsprogramm „IMMI“ die Immissionsbelastung für den nächstgelegenen Immissionsort (Anwesen K. ...; immissionsschutzfachliche Stellungnahme vom 6. April 2023). Die Berechnungen ergaben, dass der Immissionsrichtwert von 60 dB(A) zur Tageszeit gerade noch eingehalten wird. Der Immissionsrichtwert zur Nachtzeit, 45 dB(A), wird selbst bei einer Auslastung von 50% und unter Annahme eines leisen Biergartens um mehr als 11 bzw. 10 dB überschritten (56,6 bzw. 55,3 dB(A) je nach Immissionsort). Bei Annahme eines lauten und vollbesetzten Wirtschaftsgartens liegt der Beurteilungspegel bei 67,6 bzw. 66,3 dB(A).
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Daraufhin erließ das Landratsamt den streitgegenständlichen Bescheid vom 21. April 2023 mit folgender Regelung in Nr. 1: „Die Gaststättenerlaubnis für die Gaststätte ‚L. I.‘ vom 17. Juli 2017 wird durch die nachfolgende Auflage geändert. Die Ziffer 3.13 erhält folgende Fassung: Die Freischankfläche darf nur während der Tagzeit – bis 22:00 Uhr – bewirtschaftet werden. Das Verabreichen von Speisen und Getränken muss um 21:30 Uhr beendet werden. Auf der Freischankfläche sind Musikdarbietungen an maximal 10 Tagen im Jahr ohne Verstärker bis 21:00 Uhr zulässig.“ und ordnete die sofortige Vollziehung an.
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Den sinngemäßen Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Regelung in Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2023 wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 30. Juni 2023 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Begründung des Sofortvollzugs den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genüge. Das Landratsamt habe im angegriffenen Bescheid hinreichend zum Ausdruck gebracht, welche Gründe es im konkreten Einzelfall dazu bewogen hätten, die aufschiebende Wirkung einer etwaigen Klage auszuschließen, und hierbei insbesondere auf die Beeinträchtigung der Gesundheit der Anwohner durch die Überschreitung der Lärmgrenzwerte während der Verfahrensdauer bis zum rechtskräftigen Abschluss eines etwaigen Klageverfahrens abgestellt. Dies genüge jedenfalls den Anforderungen an eine sogenannte gruppentypisierte Begründung. Rechtsgrundlage für die nachträgliche Verhängung der Auflage in Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2023 sei § 5 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 GastG. Die erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen seien gegeben. Nach summarischer Prüfung sei davon auszugehen, dass vorliegend schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG gegeben seien. Die Bayerische Biergartenverordnung vom 20. April 1999, durch welche der Bayerische Verordnungsgeber im Vergleich zur TA Lärm lärmschutzrechtliche Privilegierungen zugunsten des Biergartenbetriebs und zu Lasten der Nachbarschaft in Form von höheren Immissionsrichtwerten und in Form eines zeitlichen Hinausschiebens der Nachtzeit um eine Stunde reglementiert habe, sei vorliegend nicht anwendbar. Denn es fehle an einem „Biergarten“ im Sinne der Bayerischen Biergartenverordnung. Die Bezeichnung als „Biergarten“ in Teil 4 der Gaststättenerlaubnis vom 17. April 2017 vermöge nichts daran zu ändern, dass es sich vorliegend rechtlich gesehen um eine Gaststätte mit Freischankfläche handele. Aus der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme gehe hervor, dass der maßgebliche Immissionsrichtwert für ein Dorf-/Mischgebiet von 45 dB(A) für die Nachtzeit (22 bis 6 Uhr) selbst bei einer Auslastung von nur 50% und unter Annahme eines leisen Biergartens um mehr als 11 bzw. 10 dB überschritten (56,6 bzw. 55,3 dB(A)) werde. Soweit die Antragstellerseite die Ermittlungen des Landratsamts bemängele, insbesondere weil eine Lärmberechnung anstatt einer konkreten Messung stattgefunden habe, sei darauf hinzuweisen, dass die Behörde gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 Halbs. 1 BayVwVfG den Sachverhalt von Amts wegen ermittele und sie Art und Umfang der Ermittlungen bestimme. Die Auflage in Nr. 1 des Bescheids lasse keine Ermessensfehler erkennen, insbesondere sei sie verhältnismäßig. Für das Gericht nachvollziehbar sei das Landratsamt zu dem Ergebnis gelangt, dass die Interessen der Antragstellerin hinter dem Rechtsgüterschutz der Nachbarschaft zurückzustehen hätten. Diesbezüglich sei insbesondere hervorzuheben, dass die Antragstellerin bereits durch die mit dem Bescheid vom 17. Juli 2017 ergangenen Auflagen dazu verpflichtet gewesen sei, nachts Geräuscheinwirkungen über 45 dB(A) zu vermeiden (Auflage Nr. 1) und auf die Nachtruhe der Bewohner benachbarter Grundstücke Rücksicht zu nehmen (Auflage Nr. 20). Im Übrigen führe der Antragsgegner zu Recht aus, dass jedenfalls kein Bestandsschutz im Hinblick auf einen früher konzessionierten Biergarten bestehe. Diesbezüglich werde auf den vorgelegten Auszug aus dem im Jahre 1921 begonnenen Gastwirtschaftskataster des Landkreises hingewiesen. Unter den Betriebsräumen sei dort kein Biergarten oder eine ähnliche Bezeichnung erwähnt.
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Im Beschwerdeverfahren beantragt die Antragstellerin sinngemäß,
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den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 30. Juni 2023 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2023 wiederherzustellen.
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Zur Begründung bringt sie vor, dass bereits die Anordnung des Sofortvollzugs an einem Begründungsmangel leide. Der erste Teil der Begründung sei rechtlich wertlos, der letzte Teil genüge nicht den Anforderungen an eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Abwägung. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur materiellen Rechtslage seien nicht zutreffend. Der Antragstellerin sei mit der Erlaubnis vom 17. Juli 2017 der Betrieb eines Biergartens genehmigt worden. Mit dem angegriffenen Bescheid sei lediglich eine Auflage geändert worden, die Erlaubnis bestehe nach wie vor. Der Bescheid vom 17. Juli 2017 sei nicht zurückgenommen worden. Bei dem Biergarten handle es sich um einen Biergarten im Sinne der Biergartenverordnung. Das Verwaltungsgericht und das Landratsamt hätten nicht berücksichtigt, dass es erst in letzter Zeit zu Beschwerden eines Nachbarn gekommen sei, mit dem nachbarschaftsrechtliche Streitigkeiten bestünden. Zudem sei die Art und Weise der Messungen zu bemängeln. Es sei zu befürchten, dass Gäste, die erst um 20 Uhr in den Biergarten kämen, wegen der vorgezogenen Schließung den Biergarten nicht mehr aufsuchten, weil sie nicht in Ruhe ihr Essen verzehren könnten. Eine konkrete Gesundheitsgefährdung des Nachbarn sei nicht glaubhaft gemacht.
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Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten und beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Ergänzend wird auf die Behörden- und die Gerichtsakten verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die in der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen nicht die beantragte Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids vom 21. April 2023.
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1. Nach der vom Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der verfügten Auflage zur Bewirtschaftung der Freischankfläche das Aufschiebungsinteresse der Antragstellerin, weil die angefochtene Regelung nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtmäßig ist.
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1.1 Die Auflage findet ihre Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG. Aus der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme vom 6. April 2023 ergibt sich, dass vom Betrieb des Wirtschaftsgartens in der Nachtzeit nach 22 Uhr schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG ausgehen. Für die Beurteilung der von der Freischankfläche ausgehenden Lärmbeeinträchtigung kann auf die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm 1998 – zurückgegriffen werden, auch wenn sie nach ihrer Nr. 1 Abs. 2 Buchst. b Freiluftgaststätten von ihrem Geltungsbereich ausdrücklich ausnimmt. Jedenfalls als Richtmaß können grundsätzlich die Werte der TA Lärm 1998 als für den Schallschutz einschlägiges technisches Regelwerk herangezogen werden (vgl. BVerwG, B.v. 3.8.2010 – 4 B 9.10 – juris Rn. 3 f.; BayVGH, U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – juris Rn. 60). Gemäß Auflage Nr. 1 des Beiblatts zu Nr. 3 der – hier nicht verfahrensgegenständlichen und bestandskräftigen – gaststättenrechtlichen Erlaubnis vom 17. Juli 2017 beträgt der maßgebliche Immissionsrichtwert für die Nacht (22:00 bis 7:00 Uhr) 45 dB(A). Ob der nächtliche Immissionsrichtwert für das Dorf-/Mischgebiet, in dem die maßgeblichen Immissionsorte liegen, entsprechend den von der oben angeführten Rechtsprechung genannten Kriterien zutreffend ermittelt wurde, kann daher dahinstehen und wird auch im Beschwerdeverfahren von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen. Dieser Richtwert wird durch den Betrieb auf der Freischankfläche der Gaststätte der Antragstellerin an den maßgeblichen Immissionsorten selbst bei Annahme eines „leisen“ Biergartens um 10 dB bzw. 11 dB überschritten.
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1.1.1 Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ist die vorgenommene Lärmberechnung zum Nachweis des Vorliegens schädlicher Umwelteinwirkungen ausreichend. Bei der Ermittlung eines Sachverhalts, den die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legen will, hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen, jedoch bestimmt sie selbst Art und Umfang der Ermittlungen (Art. 24 Abs. 1 und 2 BayVwVfG). Ist die (unzumutbare) Lärmeinwirkung auf die Nachbarschaft Tatbestandsvoraussetzung für eine Anordnung, so kann die Behörde diese Einwirkung tatsächlich messen oder von einem rechnerischen Verfahren Gebrauch machen, in das die relevanten Faktoren eingehen und das eine empirisch erprobte Zuverlässigkeit aufweist (OVG Bln-Bbg, B.v. 21.8.2009 – OVG 1 N 52.08 – juris Rn. 13). Es wird rechtlich nicht vorausgesetzt, dass der entsprechende Nachweis allein durch Lärmmessungen geführt werden könnte. Es ist sogar ein entsprechender Nachweis auf Grund von behördlichen und polizeilichen Feststellungen und Bewertungen denkbar. Eine Beurteilung von nächtlichem Lärm als schädliche Umwelteinwirkung auf die Nachbarschaft an Hand von behördlichen und polizeilichen Feststellungen kann das Ergebnis einer nicht zu beanstandenden behördlichen oder richterlichen Beweiswürdigung sein (OVG NW, B.v. 28.9.2017 – 4 B 885/17 – juris Rn. 12 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.5.2012 – 22 ZB 12.46 – juris Rn. 21). Dass die tatsächliche Messung des Lärmpegels für die Ermittlung der Schädlichkeit der auftretenden Immissionen nicht ohne weiteres vorzugswürdig ist, folgt auch daraus, dass die angeordnete Betriebszeitbeschränkung dem Schutz der Nachbarschaft vor nächtlichem Lärm für einen längeren künftigen Zeitabschnitt dient, der nicht in einer einmaligen oder mehrmaligen Messung erfasst werden kann, weil der Lärmpegel je nach Zahl und Lautstärke der Gäste differieren wird. Angesichts dessen ist die Ermittlung der Immissionsbelastung durch den rechnerischen Einsatz von langjährig ermittelten und bestätigten Emissionswerten von typischen Biergartengeräuschen (LfU-Arbeitspapier „Geräusche aus Biergärten“, dazu zugleich unter 1.1.2) für die anzustellende Immissionsprognose zuverlässiger.
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1.1.2 Auch die Einwendungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren gegen die Richtigkeit der Berechnung greifen nicht durch. Aus der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme vom 6. April 2023 ergibt sich zweifelsfrei, mit welchen Annahmen bzw. Parametern die schalltechnische Berechnung vorgenommen wurde. Das Landratsamt ging von einer bewirtschafteten Fläche von 100 m² und 100 anwesenden Gästen aus, die Emissionsdaten wurden dem Arbeitspapier des LfU „Geräusche aus Biergärten“ entnommen. Selbst bei der Annahme, dass der Wirtschaftsgarten nach 22 Uhr nur noch zu 50% besetzt ist, hat die Lärmberechnung eine Überschreitung des Richtwerts von 10 dB bzw. 11 dB je nach Immissionsort ergeben. Aufgrund dieser drastischen Überschreitung erschließt sich nicht, mit welchem Betriebskonzept der maßgebliche Immissionsrichtwert zur Nachtzeit eingehalten werden und sich die errechnete Richtwertüberschreitung als unrichtig erweisen könnte.
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1.2 Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass für die von ihr bewirtschaftete Freischankfläche der Beginn der Nachtzeit entsprechend § 2 BierGaV auf 23 Uhr verlegt wird und der maßgebliche Immissionsrichtwert von 45 dB(A) für die Nacht erst ab dieser Uhrzeit gilt. Bei der Freischankfläche handelt es sich um keinen Biergarten im Sinne der BierGaV. Der Begriff des Biergartens ist im Verordnungstext selbst nicht legaldefiniert. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass die Bayerische Staatsregierung mit dem Erlass der Verordnung hinsichtlich der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärm für die Nachbarschaft eine Privilegierung traditioneller Biergärten aus Gründen der Sozialadäquanz verfolgte (so schon zur Vorgängerverordnung BayVGH, B.v. 7.8.1997 – 22 N 95.2532 u.a. – NVwZ-RR 1999, 15/18 f.). Dies kommt in der Verordnungsbegründung (vgl. GewArch. 1999, 289 f.) an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. Weiterhin ergibt sich aus der Verordnungsbegründung (speziell zu § 1 BierGaV), dass für den bayerischen Biergarten im Sinne der Verordnung vor allem zwei Merkmale ausschlaggebend sind: zum einen der Gartencharakter und zum anderen die traditionelle Betriebsform, insbesondere die Möglichkeit, dort auch die mitgebrachte, eigene Brotzeit unentgeltlich verzehren zu können. Der Biergartenbegriff der Bayerischen Biergartenverordnung bezieht sich nicht auf die gesamte Außengastronomie oder wesentliche Teile davon. Biergärten sind vielmehr durch ihre besondere Betriebsweise und Funktionalität von anderen Bereichen der Außengastronomie zu unterscheiden (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 15 CS 19.1906 – juris Rn.57 ff., 61). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits am Merkmal „Gartencharakter“. Beim „Biergarten“ der Antragstellerin handelt es sich um eine eher kleine Hoffläche, die komplett von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden umgeben ist. Kleinere Wirtsgartenflächen in ansonsten eher nicht begrünter Umgebung, die ringsum von Straßen und / oder von Wohnbebauung gesäumt werden, können dem notwendigen Gesamtbild eines „Gartens“ selbst dann nicht entsprechen, wenn auf ihnen einige Bäume stehen. Derartige Flächen werden vielmehr von dem im Gaststättengebäude stattfindenden Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft auch dann mitgeprägt, wenn der Gastwirt im Freien den Verzehr mitgebrachter Speisen gestatten mag (BayVGH, U.v. 8.5.1996 – 22 B 94.2282 – NVwZ 1996, 1038; B.v. 7.8.1997 – 22 N 95.2532 u.a. – NVwZ-RR 1999, 15/18). Zudem fehlt es am Merkmal der „traditionellen Betriebsform“. Insofern kommt es auf das Gesamtbild der Bewirtschaftung an. Entscheidend ist, ob die bewirtschaftete Freifläche aus objektiver Sicht nach ihrem Gesamtbild eine gewisse organisatorische Eigenständigkeit besitzt und nicht als bloßer Annex zur vorhandenen Schank- und Speisewirtschaft in Erscheinung tritt. Für die Beurteilung der Frage, ob ein betroffener „Biergarten“ nach seinem Gesamtbild und seiner Betriebsform einem „typischen“ bayerischen Biergarten im Sinne der BierGaV entspricht, kann neben der Art der Einrichtung auch das Vorhandensein einer separaten Bierzapfanlage, die Möglichkeit der Selbstbedienung im Außenbereich sowie ein Vergleich des Speisen- und Getränkeangebots im Innen- und Außenbereich der Gaststätte von Bedeutung sein (BayVGH, B.v. 10.10.2002 – 22 ZB 02.2451 – juris Rn. 2). Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert vorgetragen, dass die von ihr betriebene Freischankfläche den geforderten Gartencharakter und die traditionelle Betriebsform besitzt und nicht nur eine Fortsetzung des Gaststättenbetriebs im Freien ist. Ein „Grünbewuchs“ gibt einer Hoffläche nicht den Charakter eines Biergartens. Für eine von der Gaststätte unabhängige Bewirtung, insbesondere auch die Möglichkeit, mitgebrachte Speisen zu verzehren, gibt es keine Anhaltspunkte. Dafür, dass bei Erteilung der Erlaubnis selbst das Landratsamt nicht davon ausging, dass es sich bei der Freischankfläche um einen Biergarten im Sinne der BierGaV handelt, spricht auch, dass der in Nr. 1 der Auflagen festgesetzte Immissionsrichtwert für ein Dorf-/Mischgebiet von 60 dB(A) der TA Lärm entnommen ist und nicht § 2 Abs. 1 BierGaV (65 dB(A)) und nur „bezüglich der Nutzungszeiten die Bestimmungen des § 2 Abs. 2 BierGaV zur Auflage gemacht werden“.
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1.3 Ein Anspruch der Antragstellerin, die Freischankfläche bis 23 Uhr ohne Einhaltung des Immissionsrichtwerts von 45 dB(A) zu betreiben, ergibt sich auch nicht aus der gaststättenrechtlichen Erlaubnis vom 17. Juli 2017. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin wurde die Erlaubnis nicht für den Betrieb eines Biergartens erteilt. Nach § 3 Abs. 1 GastG ist die Erlaubnis für eine bestimmte Betriebsart und bestimmte Räume zu erteilen. Die Betriebsart ist in der Erlaubnisurkunde festzulegen. Die Betriebsart bezeichnet dabei eine bestimmte Betriebseigentümlichkeit, die die Art und Weise der Betriebsgestaltung prägt (Metzner/Thiel, GastG, 7. Aufl. 2023, § 3 Rn. 9). Gaststätten ohne besondere Betriebseigentümlichkeiten sind Schank- und Speisewirtschaften. In der gaststättenrechtlichen Erlaubnis der Antragstellerin ist als Betriebsart der Betrieb einer „Schank- und Speisewirtschaft“ angeführt. Der in der Erlaubnis so bezeichnete „Biergarten“ wird lediglich unter der Rubrik „Gastraum“ aufgeführt, jedoch nicht als Bestandteil der Betriebsart und prägendes Element der Erlaubnis, so dass sich die gaststättenrechtliche Erlaubnis nur auf die Abgabe von Speisen und Getränken im „Biergarten“ erstreckt. Durch die streitgegenständliche Auflage wird also nicht eine erlaubte Betriebsart unmöglich gemacht bzw. eingeschränkt und daher auch nicht die Grenze zu den Rücknahme- bzw. Widerrufsvorschriften überschritten (vgl. dazu BVerwG, U.v. 5.11.1985 – 1 C 14.84 – juris Rn. 13 ff.).
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1.4 Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Antragstellerin, der Antragsgegner habe sein Ermessen bei der Reduzierung der Betriebszeit für den Wirtschaftsgarten nicht ordnungsgemäß ausgeübt sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unzureichend beachtet.
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Angesichts der errechneten erheblichen Überschreitung des für die Nachtzeit geltenden Immissionsrichtwerts beim Betrieb des Wirtschaftsgartens ist die Entscheidung des Landratsamtes, eine Auflage zum Schutz der Nachtruhe der Nachbarn zu erlassen, unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten gerichtlichen Prüfrahmens (§ 114 Satz 1 VwGO) nicht ermessensfehlerhaft. Rechtlich irrelevant ist dabei, ob das Landratsamt aufgrund von Beschwerden eines Nachbarn tätig geworden ist und ob bei dem Nachbarn nachweislich eine Gesundheitsbeeinträchtigung eingetreten ist. Es trifft auch nicht zu, dass es erst in letzter Zeit zu Beschwerden über den nächtlichen Lärm aus dem Wirtschaftsgarten gekommen ist. Der betreffende Nachbar hat sich erstmals im Jahr 2020 an das Landratsamt gewandt. Die von der Antragstellerin in Absprache mit dem Landratsamt ergriffenen Maßnahmen führten zu keiner Reduzierung der nächtlichen Lärmbeeinträchtigungen. Ausschlaggebend für das Einschreiten des Landratsamtes waren aber nicht die Beschwerden des Nachbarn, sondern die errechnete massive Überschreitung des maßgeblichen Immissionsrichtwerts. Die Verkürzung der Betriebszeit für den „Biergarten“ um eine Stunde in der Nacht ist auch ein geeignetes Mittel, um die Nachtruhe der Anwohner und damit deren Gesundheit, ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (vgl. auch BVerfG, U.v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u. a. – juris Rn. 121 f.; BayVGH, B.v. 10.9.2019 --22 ZB 18.229 – juris Rn. 25), zu gewährleisten. Mildere Mittel zur Zielerreichung sind nicht ersichtlich bzw. haben sich in der Vergangenheit nicht als wirksam erwiesen. Die Antragstellerin hat auch ihrerseits kein Betriebskonzept vorlegt, mit dem die Einhaltung des maßgeblichen Immissionsrichtwerts gewährleistet werden könnte. Der mit der Betriebszeitverkürzung verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG ist verhältnismäßig im engeren Sinn. Denn eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Grenze des Zumutbaren hier gewahrt bleibt (vgl. auch BVerwG, B.v. 24.2.2011 – 8 B 105.10 – juris Rn. 4; OVG NW, B. v. 28.9.2017 – 4 B 885/17 – juris Rn. 30 f. m.w.N.). Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass ihre Gäste wegen der Vorverlegung des Bewirtungsendes den „Biergarten“ überhaupt nicht mehr aufsuchen würden und sie daher mit gravierenden Umsatzeinbußen rechnen müsse, ist dies nicht nachvollziehbar. Insbesondere macht sie keine substantiierten Angaben dazu, welcher Anteil ihrer Gäste im Wirtschaftsgarten erst so spät eintrifft, dass er bis 22 Uhr die Essensaufnahme nicht beendet hat. Im Übrigen ist die Möglichkeit, eine Gaststätte möglichst gewinnbringend zu betreiben, bei Vorliegen entgegenstehender höherwertiger Belange – wie hier – verfassungsrechtlich nicht garantiert (vgl. BVerwG, U.v. 05.11.1985 – 1 C 14.84 – juris Rn. 19).
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2. Die Ausführungen der Antragstellerin zur (formellen) Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen ebenfalls keine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Die Beschwerdebegründung kann angesichts der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 80 Abs. 3 VwGO nur dahin verstanden werden, dass sie sich ausschließlich auf das in dieser Norm enthaltene formelle Begründungserfordernis bezieht. Eine Begründung des Sofortvollzugs, die nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt, würde per se sowieso nur zur Aufhebung der Sofortvollzugsanordnung, nicht aber zur beantragten Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage führen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 98). Die im Bescheid vom 21. April 2023 gegebene Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung entspricht zudem den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
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In den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hat die Behörde die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO besonders zu begründen. Da es sich bei der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach der Wertung des Gesetzgebers um einen Ausnahmefall handelt, muss neben das ohnehin bestehende öffentliche Interesse an der Umsetzung eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes (Erlassinteresse) ein besonderes Vollzugsinteresse treten, das das Absehen vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung zu rechtfertigen vermag. Diesem Erfordernis trägt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Rechnung. Die Behörde muss sich der Ausnahmesituation bewusst werden und das besondere Vollzugsinteresse begründen, wenn sie vom Regelfall abweicht und die sofortige Vollziehung anordnet (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 55). Zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO kommt es nicht darauf an, ob die gegebene Begründung inhaltlich richtig und sachlich geeignet ist, ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Nicht ausreichend für das formale Begründungserfordernis ist aber eine formelhafte, nicht auf den konkreten Einzelfall bezogene Begründung, aus der nicht erkenntlich wird, ob und aus welchen Gründen die Behörde vom Vorliegen eines Ausnahmefalls ausgegangen ist, der ein Abweichen vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO rechtfertigen kann. Der Hinweis in der Begründung der Vollzugsanordnung vom 21. April 2023 auf das mit dieser Anordnung verfolgte Ziel, die Nachtruhe der Anwohner und den Schutz vor erheblichen Lärmimmissionen bereits vor der Bestandskraft des angefochtenen Bescheides zu gewährleisten, ist eine den vorliegenden Einzelfall betreffende Erwägung. Zudem wird deutlich, dass das Landratsamt wegen des hochrangigen gefährdeten Rechtsguts und der erheblichen Richtwertüberschreitung vom Vorliegen eines Ausnahmefalls ausgegangen ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG, Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie das Verwaltungsgericht).