Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.08.2023 – 22 C 22.2555
Titel:

Streitwert ohne Antragstellung

Normenketten:
VwGO § 82 Abs. 1 S. 2, § 146 Abs. 1
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 3 S. 1
Leitsatz:
Wurde eine Klage entgegen § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO ohne Antragstellung erhoben und ein Klageantrag bis zur Verfahrenseinstellung infolge übereinstimmender Erledigterklärungen nicht gestellt, bemisst sich der Streitwert gemäß § 52 GKG nach dem Klagebegehren i.S.v. § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. (Rn. 15)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Klageerhebung nur zur Fristwahrung und ohne Antragstellung, Streitwert bei Hauptsacheerledigung (übereinstimmende Erledigterklärung) ohne Antragstellung, Klarstellung, Auslegung, Innenverhältnis, Rechtewahrung, Bestandskraft, Prozessvollmacht
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 18.11.2022 – M 31 K 22.3440
Fundstellen:
BayVBl 2023, 860
BeckRS 2023, 24484
LSK 2023, 24484
DÖV 2024, 40

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen die (endgültige) Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren, welches durch das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 18. November 2022 nach übereinstimmender Erledigterklärung eingestellt wurde.
2
Die Klägerin erhob am 10. Juli 2022 Klage gegen einen Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 2022, mit welchem deren Bescheid vom 19. Mai 2021 (Gewährung einer Billigkeitsleistung) geändert und der Klägerin nun eine sog. Überbrückungshilfe III in Höhe von 224.976,40 € gewährt und zugleich der Antrag auf Gewährung von (weiteren) 192.114,82 € abgelehnt wurde.
3
Laut Klageschrift sei die Klageerhebung vorsorglich fristwahrend erfolgt; Antragstellung und Klagebegründung würden mit einem separaten Schreiben erfolgen.
4
Mit Schriftsatz vom 15. September 2022 teilte die Klägerin „Klageerledigung“ mit. Es sei Erledigung eingetreten, weil die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 16. August 2022 Ermessenserwägungen nachgeschoben und so den Bescheid geheilt habe. Einen Klageantrag enthielt auch der Schriftsatz der Klägerin vom 15. September 2022 nicht. Die Beklagte stimmte mit Schriftsatz vom 17. November 2022 der Hauptsacheerledigung zu.
5
Mit Beschluss vom 18. November 2022 stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein (Nr. I), erlegte der Klägerin die Kosten des Verfahrens auf (Nr. II) und setzte den Streitwert auf 192.114,92 € fest (Nr. III).
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Gegen die Streitwertfestsetzung in Nr. III dieses Beschlusses hat die Klägerin am 2. Dezember 2022 Beschwerde eingelegt.
7
Zur Begründung führt die Klägerin aus, das Mandat ihres Prozessbevollmächtigten sei zunächst auf Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage gerichtet gewesen; bejahendenfalls habe weiter geprüft werden sollen, inwieweit der streitgegenständliche Bescheid angegriffen werde. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung habe die Klägerin noch kein Begehren formuliert und keinen Antrag stellt, weshalb nicht auf § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG, sondern auf den Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG abzustellen sei. Bei Klageverfahren wie dem vorliegenden sei eine Anfechtungs- oder Zahlungsklage ohnehin nicht angezeigt, weil kein gesetzlicher Anspruch auf Bewilligung der Überbrückungshilfe bestehe. Für eine Streitwertbemessung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG sei dessen klarem Wortlaut folgend der Klageantrag und nicht das Klagebegehren maßgeblich. Die im Nichtabhilfebeschluss zitierte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 9.3.2022 – 22 C 21.3021) sei nicht mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar, weil dort im laufenden Verfahren ein bezifferter Klageantrag formuliert worden sei. Stattdessen sei, wie auch im Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Dezember 2022 (Au 6 K 22.1432), der Auffangstreitwert von 5.000 € festzusetzen. In letzterem Verfahren sei ebenfalls nur fristwahrend Klage gegen die Ablehnung der Bewilligung von Überbrückungshilfe erhoben und später die Klage, ohne Stellung eines Antrags, zurückgenommen worden. Die Differenz zwischen beantragter und bewilligter Förderung habe 80.256,46 € betragen.
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Die Beklagte erwidert, dass es für die Bestimmung des Streitwerts zwar auf den Zeitpunkt der Klageerhebung ankomme. Allerdings enthalte § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO bezüglich des Klageantrags nur eine Sollvorschrift; das Gericht sei gemäß §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO auch für die Streitwertbemessung gehalten, das Klagebegehren auch von seinem Umfang her zu erforschen. Auch spätere Schriftsätze könnten hierzu herangezogen werden, wobei die Ansetzung bloß eines Teils des im Verwaltungsverfahren gegenständlichen Betrags nur in Betracht komme, wenn sich dies aus dem ggf. im Weg der Auslegung zu ermittelnden Klagebegehren bestimmt, klar und eindeutig ergebe (BayVGH, B.v. 16.11.2011 – 6 C 11.275 – juris Rn. 3). Eine solche Beschränkung sei aus der Klageerhebung und den weiteren Schriftsätzen der Klägerin nicht erkennbar, zumal die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 15. September 2022 selbst aufzeige, dass es ihr um eine Überprüfung der „Teilablehnung“ ihres Förderantrags gegangen sei.
9
Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
11
Die zulässige Beschwerde, über die, weil auch die angefochtene Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts durch den Einzelrichter erfolgte, gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist nicht begründet.
12
1. Das Verwaltungsgericht München hat den Streitwert für das Verfahren Az. M 31 K 22.3440 im Streitwertbeschluss vom 18. November 2022 korrekt anhand § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG festgesetzt. Insbesondere war vorliegend auf den vorrangigen § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG (vgl. dazu grundsätzlich BayVGH, B.v. 9.3.2022 – 22 C 21.3021 – juris Rn. 12 ff.) zurückzugreifen, weil das Klagebegehren der Klägerin (auf welches mangels Antrags abzustellen war, s.u.) einen auf eine bezifferte Geldleistung bezogenen Verwaltungsakt betraf.
13
Für die Streitwertbestimmung nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ist grundsätzlich der Klageantrag maßgeblich, welcher auch anhand § 88 VwGO zu beurteilen ist, wonach das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf, aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 22.5.2023 – 22 C 22.2085 – juris Rn. 12, 17, jeweils m.w.N.). Mangels Stellung bzw. Ankündigung (vgl. zu dieser dogmatischen Einordnung Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 82 VwGO Rn. 23 m.w.N.) eines ausdrücklichen Klageantrags ist vorliegend das von der Klägerin aufgrund § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO zwingend zu fixierende Klagebegehren für die Bemessung des Streitwerts nach (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m.) § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG heranzuziehen (dazu 1.1) und dahingehend auszulegen, dass die Klägerin sich gegen die Teilablehnung der von ihr beantragten Corona-Überbrückungshilfe in Höhe von 192.114,92 € wenden wollte (dazu 1.2).
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1.1 § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet einen Kläger dazu, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Zwar schreibt das Gesetz zur Erhebung einer wirksamen Klage nicht zwingend eine Antragstellung oder die Angabe der zur Begründung dienenden Tatsachen vor. Jedoch muss es aus der Tatsache der Klageerhebung, aus Angaben über den angegriffenen Verwaltungsakt und etwaigen sonstigen während der Klagefrist abgegebenen Erklärungen oder diesen beigefügten Unterlagen für das Gericht möglich sein, festzustellen, um was es dem Kläger (vorliegend der Klägerin) geht, in welcher Angelegenheit die Klage erhoben wird und auf welchen konkreten Fall sich die Rechtshängigkeit bezieht (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2010 – 20 ZB 10.2056 – juris Rn. 8). Die Herausarbeitung eines bestimmten Antrags, den die Klage gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur enthalten „soll“ und der für die Bestimmung des Streitgegenstandes erforderlich ist, kann im weiteren gerichtlichen Verfahren erfolgen (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2016 – 2 C 16.15 – juris Rn. 12 f. m.V.a. BVerwG, B.v. 23.5.2013 – 9 B 46.12 – juris Rn. 4 f.). Eine solche zunächst nur fristwahrend und noch ohne Ankündigung eines bestimmten Antrags erhobene Klage ist daher nicht unvollständig (BVerwG, B.v. 23.5.2013 a.a.O.).
15
Wurden aber – wie vorliegend – in Bezug auf die Klage übereinstimmende Erledigterklärungen abgegeben, ohne dass die Klägerin zuvor (aufgrund § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO) einen Antrag gestellt hat, so muss sie sich an der nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO von ihr zu leistenden Fixierung des Klagebegehrens festhalten lassen. Für die Anwendung von § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG folgt daraus, dass in einer solchen Konstellation bzgl. dessen Tatbestandsmerkmal „Antrag“ nach Sinn und Zweck der Norm (in Zusammenspiel mit dem Grundsatz des § 52 Abs. 1 GKG: Schaffung eines einheitlichen Gerichtskostenrechts für möglichst alle Zweige der Gerichtsbarkeit, orientiert an der Bedeutung der Sache für den Kläger, vgl. BT-Drs. 7/2016, 63) auf das Klagebegehren nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzustellen ist. § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigt insoweit keine Ausnahme von der grundsätzlichen Systematik der § 52 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 GKG, zumal auch im Verwaltungsprozess die Antragstellung zur Erlangung einer Sachentscheidung erforderlich ist (vgl. § 103 Abs. 3 VwGO) und § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO insoweit nur eine formale Erleichterung bei der Klageerhebung darstellt (vgl. BVerwG, B.v. 23.5.2013 – 9 B 46.12 – juris Rn. 4).
16
1.2 Die so vorzunehmende Auslegung des Klagebegehrens ergibt, dass die Klägerin sich gegen die (Teil-)Ablehnung der von ihr beantragten Corona-Überbrückungshilfe in Höhe von 192.114,92 € wenden wollte, was demnach der gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG festzusetzende Streitwert ist. Dies folgt aus der bei Klageerhebung formulierten Klarstellung, wonach „die Antragstellung und Begründung der Klage mit separatem Schreiben“ erfolge und der klageerhebende Schriftsatz „der Fristwahrung diene“. Legt man einen objektiven Empfängerhorizont zugrunde, konnte die Klägerin mit dieser Klarstellung nur so verstanden werden, dass sie durch rechtzeitige Klageerhebung verhindern wollte, dass der Ablehnungsbescheid infolge Fristversäumung (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Bestandskraft erwächst und sie damit keinen (ihrer Ansicht nach möglicherweise bestehenden) Anspruch auf Gewährung einer weiteren (höheren) Corona-Überbrückungshilfe mehr geltend machen kann. Mangels weiterer Ausführungen, auch in späteren Schriftsätzen (abgesehen von der Frage von deren Berücksichtigungsfähigkeit infolge zwischenzeitlich abgelaufener Klagefrist, vgl. dazu VGH BW, B.v. 22.8.2014 – 2 S 1472/14 – juris Rn. 14 f. m.w.N.), in Form einer bestimmten, klaren und eindeutigen Begrenzung auf einen konkreten Teilbetrag der Ablehnung (BayVGH, B.v. 16.11.2011 – 6 C 11.275 – juris Rn. 3) ist die Klageschrift auch zwingend so auszulegen, dass sich die Klägerin – eben zur umfassenden vorsorglichen Rechtewahrung bzw. Verhinderung von Bestandskraft – gegen die gesamte Ablehnung in Höhe von 192.114,92 € wenden und sich vorbehalten wollte, später einen Klageantrag zu stellen, welcher vom Beklagten eine Zuwendung (auch) bis zu dieser Höhe fordert. Die Klägerin selbst bestätigt diese Auslegung durch ihr Beschwerdevorbringen, wonach zwischen ihr und ihrem Prozessbevollmächtigten eine „gestufte“ Vorgehensweise vereinbart worden sei. Eine „Prüfung, inwieweit der streitgegenständliche Bescheid angegriffen werden solle“ erfordert zunächst, dass der Bescheid, soweit er für die Klägerin nachteilig ist, nicht bestandskräftig wird.
17
Soweit der Bevollmächtigte im Rahmen dieser Ausführungen zur Mandatierung zugleich auch eine etwaige Beschränkung seiner Prozessvollmacht im Innenverhältnis anführen will, hat dies auf die Wirksamkeit der erhobenen Klage (bzw. deren Umfang/das verfolgte Klagebegehren) keine Auswirkung, zumal sich eine solche Beschränkung nicht aus der erstinstanzlich vorgelegten Prozessvollmacht vom 8. Juli 2022 ergibt (vgl. dazu auch Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 67 Rn. 25). Auch dass das Verwaltungsgericht Augsburg bzgl. der Streitwertfestsetzung in einem Einzelfall (ohnehin betreffend eine Klagerücknahme) möglicherweise anders entschieden hat, führt zu keinem anderen Ergebnis.
18
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
19
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG gebührenfrei. Kosten werden gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht erstattet. Demnach erübrigt sich die Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren.
20
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG; § 152 Abs. 1 VwGO).