Titel:
Befangenheitsantrag nach Übermittlung des Tenors an die Geschäftsstelle
Normenketten:
BBG § 96 Abs. 1
BDG § 3
VwGO § 54 Abs. 1, § 116 Abs. 2, § 117 Abs. 1 S. 2, § 173 S. 1
ZPO § 47, § 114, § 121 Abs. 1, § 318
Leitsätze:
1. Der abgelehnte Richter kann ein Ablehnungsgesuch selbst ablehnen, ohne dass es der Durchführung des Verfahrens nach § 54 Abs. 1 VwGO iVm §§ 44 f. ZPO bedarf, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erfolgt ein Befangenheitsantrag nach Übermittlung des Tenors an die Geschäftsstelle, so ist er offensichtlich unzulässig, da das Prozessrecht zu diesem Zeitpunkt ein Befangenheitsgesuch nicht mehr zulässt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarrecht, Regierungsamtmann (Besoldungsgruppe A 11), Fernbleiben vom Dienst, Prozesskostenhilfe, Befangenheitsantrag, offensichtlich unzulässig
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 17.05.2023 – AN 12a D 22.1886
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 22.09.2023 – 16b D 23.1385
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 17.06.2024 – 2 B 41.23
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 23.12.2024 – 2 B 30.24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24476
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Gründe
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Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Berufung im Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daher kommt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten nicht in Betracht (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO, § 3 BDG).
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Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 BBG dürfen Beamte dem Dienst nicht ohne Genehmigung ihrer Dienstvorgesetzten fernbleiben. Höchstrichterlich ist geklärt, dass vorsätzliches unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst ein schwerwiegendes Dienstvergehen ist, das regelmäßig zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führt, wenn es über Monate andauert oder in der Summe einen vergleichbaren Gesamtzeitraum erreicht (BVerwG, U.v. 28.3.2023 – 2 C 20.21 – juris Rn. 39). Gegen die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Beklagte spätestens seit August 2019 dem Dienst unerlaubt ferngeblieben sei und seinen Dienst jedenfalls bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 17. Mai 2023 auch nicht wieder angetreten habe, hat der Beamte bis jetzt keine substantiierten Einwendungen erhoben.
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1. Für die Behauptung des Beklagten, das angegriffene Urteil sei nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden, bestehen keine Anhaltspunkte. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass der abgelehnte Richter ein Ablehnungsgesuch – wie hier mit Beschluss vom 13. Juli 2023 – selbst ablehnen kann, ohne dass es der Durchführung des Verfahrens nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V. mit §§ 44 f. ZPO bedarf, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (vgl. BVerfG, B.v. 11.3.2013 – 1 BvR 2853/11 – juris Rn. 28). So verhält es sich hier, da das Ablehnungsgesuch vom 19. Mai 2023 nach der Übermittlung des Tenors an die Geschäftsstelle nach § 116 Abs. 2 VwGO, § 3 BDG am 17. Mai 2023 unzulässig ist (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 54 Rn. 22). Ergeht ein Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung durch Zustellung an die Beteiligten, so ist von der Bindungswirkung bereits mit der in § 116 Abs. 2 VwGO für diesen Fall ausdrücklich vorgeschriebenen Übergabe des Tenors der Entscheidung (vgl. § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO) an die Geschäftsstelle auszugehen (BayVGH, B.v. 11.5.2021 – 9 ZB 21.50030, 9 AS 21.50031 – juris Rn. 7 m.w.N.). Daher lässt das Prozessrecht nicht nur nach Verkündung des Urteils, sondern auch nach der Übermittlung des Tenors an die Geschäftsstelle einen Richterwechsel, auf den ein Befangenheitsgesuch zielt, nicht mehr zu. Der mit einem Befangenheitsantrag für die betroffenen Richter eintretende Stillstand des Verfahrens (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 47 Abs. 1 ZPO) sowie ihr etwaiger Ausschluss beziehen sich auf zukünftige Verfahrenshandlungen und Entscheidungen, nicht aber auf bereits getroffene Urteile, hinsichtlich derer die gerichtliche Bindungswirkung gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 318 ZPO eingetreten ist und bei denen das Beratungsergebnis lediglich noch zu Papier gebracht werden muss. Zudem schreibt § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Identität der an der Entscheidung mitwirkenden und der das Urteil unterzeichnenden Richter vor (vgl. BVerwG, B.v. 14.4.2021 – 9 A 8.19, 9 A 7.20 – juris Rn. 3).
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2. Mit seinem Einwand, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nicht über seine (zunächst zurückgenommenen, dann wieder gestellten) Beweisanträge (Schr. v. 11.4.2022, 15.5.2023 – VG-Akte S. 26, 226) entschieden, dringt er gleichfalls nicht durch. Der Beklagte beantragte (Beweisantrag Nr. 1) „zu ermitteln, warum das BAMF die Zurruhesetzungsurkunde nicht zugestellt hat“ sowie „auch zu ermitteln, wieso das BAMF nicht den Bescheid vom 23.8.2019 aufgehoben hat und sodann das Verfahren fortgefuehrt hat“. Weiter beantragte er (Beweisantrag Nr. 2), „darauf hinzuwirken, dass der BayVerfGH zeitnah eine Entscheidung in der Sache trifft (Aktenzeichen: Vf 96-VI-20), d.h. vor der Entscheidung über die Disziplinarklage“, und „zu ermitteln, warum es zu der offensichtlich rechtswidrigen Verweisung des Rechtsstreits an das VG Berlin gekommen ist und wer an der Entscheidung tatsaechlich mitgewirkt hat“. Damit hat der Beklagte schon kein bestimmtes Beweismittel zu einer bestimmten tatsächlichen Behauptung angeboten.
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3. Es trifft auch nicht zu, dass das Verwaltungsgericht die als Anhang 1 vorgelegten Beweismittel über das Verfahren zur Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit nicht gewürdigt habe. Vielmehr hat es festgestellt (UA S. 8), dass es insbesondere aufgrund der Weigerung des Beklagten, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, keine belastbaren Erkenntnisse über eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit des Beklagten gebe, sodass die Klägerin nicht von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG ausgehe und den Beklagten nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt habe.
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Da nach alledem der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen war, kommt auch eine Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 3 BDG, § 166 VwGO, § 121 ZPO nicht in Betracht.
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4. Das Prozesskostenhilfeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.
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5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 BDG, § 152 Abs. 1 VwGO).