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VGH München, Beschluss v. 21.08.2023 – 12 ZB 23.30452
Titel:

Nachträgliche Festsetzung von Unterbringungsgebühren gegen anerkannte mittellose Flüchtlinge

Normenketten:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
DVAsyl § 22, § 23
SGB II § 34
SGB XII § 103
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Auch eine in ihrem Bestand oder ihrer künftigen Entstehung noch offene, möglicherweise sogar einwendungs- und/oder einredebehaftete Forderung kann bereits jetzt an Erfüllungs statt abgetreten werden, sofern dies dem Risikoverteilungswillen oder der Risikoverteilungspflicht der Beteiligten entspricht. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Anerkannte mittellose leistungsunfähige Flüchtlinge im SGB-II Bezug können durch eine (nachträgliche) Festsetzung von Unterbringungsgebühren oder -kosten nicht in einer Art fortwährenden (persönlichen) Nachhaftung für rechtmäßig in Anspruch genommene existenzsichernde Fürsorgeleistungen gehalten werden. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung anerkannter mittelloser Flüchtlinge in (staatlichen) Unterkünften, Sozialstaatsprinzip und Gewährleistung des Existenzminimums, Ausschluss der Rückforderung rechtmäßig gewährter Sozialleistungen, Abtretung von Ansprüchen auf Erstattung von Kosten der Unterkunft an, Erfüllungs statt, Unterbringungsgebühr, mittelloser Flüchtling, Sozialstaatsprinzip, Existenzminimum, Abtretung, an Erfüllungs statt, Unterkunftskosten
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 06.06.2023 – W 7 K 22.14
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24470

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Beklagte sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 6. Juni 2023 wendet, in der festgestellt wurde, dass die Gebührenschuld des Klägers aus dem Bescheid vom 22. Dezember 2021 betreffend den Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis 31. Dezember 2017 durch Abtretung vom 23. Dezember 2022 an Erfüllung statt endgültig erloschen ist, bleibt ohne Erfolg. Zulassungsgründe liegen – soweit überhaupt den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt – nicht vor (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Die angefochtene Entscheidung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln hinsichtlich ihrer Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 20. April 2023 – 12 C 23.563 – juris – zu Recht davon ausgegangen, dass die im Bescheid des Beklagten vom 22. Dezember 2021 festgestellte Verpflichtung des Klägers zur Kostentragung durch nachträgliche Abtretung an Erfüllungs statt erloschen ist. Die weitere (gegebenenfalls auch gerichtliche) Durchsetzung der abgetretenen Ansprüche gegenüber dem jeweiligen Sozialleistungsträger ist alleinige Angelegenheit des Gläubigers – des Freistaats Bayern (vgl. auch bereits BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 28 u. 33). Auch ein etwaiges Scheitern der Durchsetzung der abgetretenen Ansprüche gegenüber dem Sozialleistungsträger führt nicht dazu, dass der Anspruch gegen den Kläger von selbst wiederauflebt (vgl. BayVGH, B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 23).
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Die Frage der Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung ist nach der erfolgten Klageänderung in eine Feststellungsklage nicht mehr Streitgegenstand; das Schuldverhältnis ist – gleichgültig, ob die Forderung zu Recht bestand oder nicht – durch Abtretung an Erfüllungs statt erloschen.
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Der Beklagte verkennt nach wie vor, dass auch künftige, in ihrer Entstehung oder Anerkennung durch den zuständigen Sozialleistungsträger noch ungewisse Forderungen bereits jetzt abgetreten werden können. Die Wirksamkeit der Abtretung einer künftigen Forderung setzt das Bestehen derselben gerade nicht voraus (vgl. Lorenz, JuS 2009, 891 [892]: „Sonderfall der Abtretung einer künftigen Forderung“). Das Rechtsverhältnis oder die Rechtsgrundlage, aus der die Forderung erwachsen soll, braucht noch nicht zu bestehen (vgl. Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 398 Rn. 11 m.w.N.); erforderlich ist lediglich, dass die Entstehung der Forderung zur Zeit der Abtretung möglich erscheint – mit anderen Worten, der Rechtsboden für ihre spätere Existenz dem Grunde nach in einer Art und Weise bestellt ist, dass ihre spätere Begründung zumindest denkbar ist – und die so abgetretene Forderung bestimmt oder jedenfalls bestimmbar bezeichnet werden kann (vgl. Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 398 Rn. 11). Dies ist aufgrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 19/20 R – juris –, nach der eine Kostenübernahme auch für erst nachträglich erhobene Gebühren grundsätzlich in Betracht kommt, jedoch unzweifelhaft der Fall.
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Infolgedessen kann auch eine in ihrem Bestand oder ihrer künftigen Entstehung noch offene, möglicherweise sogar einwendungs- und/oder einredebehaftete Forderung bereits jetzt an Erfüllungs statt abgetreten werden, sofern dies dem Risikoverteilungswillen oder der Risikoverteilungspflicht (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 5 ff. u. 29) der Beteiligten entspricht. Insoweit wird die Einigung über die Abtretung um einen stillschweigenden Forderungsverzicht (§ 397 BGB) des Zessionars für den Fall des Nichteintritts des Sozialleistungsträgers ergänzt, denn anerkannte mittellose leistungsunfähige Flüchtlinge im SGB-II Bezug können – wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 29 m.w.N.) – durch eine (nachträgliche) Festsetzung von Unterbringungsgebühren oder -kosten nicht in einer Art fortwährenden (persönlichen) Nachhaftung für rechtmäßig in Anspruch genommene existenzsichernde Fürsorgeleistungen gehalten werden (vgl. bereits BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 22; siehe auch B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 9).
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Gebührennachforderungen sind im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in dem Monat, in dem sie konkret fällig gestellt werden als Bedarf zu berücksichtigen, soweit der Gebührentatbestand durch die frühere Nutzung der Unterkunft entstanden ist und der leistungsberechtigte Schuldner – wie regelmäßig – den davon abweichenden Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebührenforderung nicht beeinflussen konnte (vgl. BSG, U.v. 19.05.2021 – B 14 AS 19/20 R – juris, Rn. 21 ff. u. Rn. 29 a.E.).
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Dies allein entspricht zugleich auch den Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration in dessen Schreiben vom 21. November 2017 (vgl. zu dessen rechtlicher Einordnung bereits BayVGH, B.v. 2.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 26; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 13 f.), in welchem an die betroffenen Gebührenschuldner gerichtet wegweisend folgendes ausgeführt wird (vgl. Seite 2):
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„Eine finanzielle Überforderung der Gebührenschuldner, vor allem durch die sukzessive erfolgende Gebührenerhebung für vergangene Zeiträume (und damit hoher Gebührenschulden), ist unbedingt zu vermeiden.“
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Die nachgeordneten Dienststellen des Beklagten machten sich deshalb eines widerrechtlichen Verhaltens schuldig, wenn sie anerkannten mittellosen Flüchtlingen im SGB-II Bezug nicht die Möglichkeit eröffnen würden, die aus der nachträglichen Kostenfestsetzung resultierende Forderung durch Abtretung der ihnen gegen den Sozialleistungsträger zustehenden Ansprüche auf Kostenübernahme zu befriedigen (vgl. bereits BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 29; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 17). Bei mittellosen Flüchtlingen im SGB-II Bezug liegt eine finanzielle Überforderung im Sinne des Schreibens vom 21. November 2017 regelmäßig auf der Hand.
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Anerkannte mittellose Flüchtlinge im SGB-II Bezug dürfen nicht unter Verletzung des Sozialstaatsprinzips und des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nachträglich mit Kosten belastet werden (vgl. BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 29; B.v. 20.04.2020 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 16). Das Gebührenausfallrisiko geht deshalb unmittelbar mit der Abtretung auf den Beklagten über (vgl. bereits BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 30, B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 18), so wie es den Intentionen des bereits zitierten Schreibens des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 21. November 2017 entspricht. Auch § 23 Abs. 2 DVAsyl sieht inzwischen ausdrücklich vor, dass Gebühren und Auslagen (Kosten) nicht erhoben werden, soweit deren Erhebung – wie im vorliegenden Fall – unbillig wäre (vgl. bereits BayVGH, B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 18 m.w.N.).
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Die Fürsorge für Hilfsbedürftige gehört zu den selbstverständlichen Verpflichtungen des Sozialstaats (vgl. BVerfGE 5, 85 [198]; 35, 202 [236]; 40, 121 [133]; 43, 13 [19]; 45, 376 [387]; 100, 271 [284]). Dem korrespondiert, abgeleitet aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, das Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 113, 88 [108 f.]; 125, 175 [222]; 132, 134 [159] Rn. 62; 152, 68 Rn. 118). Fehlen einem Menschen – wie hier dem Kläger – die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel, weil er sie weder aus eigener Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für dieses menschenwürdige Dasein zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 40, 121 [133 f.]; 125, 175 [222]; 152, 68 Rn. 120).
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Dazu gehörte vorliegend auch, dass der mittellose Kläger nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit dem Ziel der Vermeidung von Obdachlosigkeit weiterhin kostenfrei in der staatlichen Unterkunft verbleiben durfte. Der Beklagte ist insoweit zum Zwecke der Abwendung von Obdachlosigkeit mit einer Fürsorgeleistung in Vorlage getreten. Werden anerkannten mittellosen Flüchtlingen – wie hier – gleichwohl (nachträglich) Unterkunftsgebühren oder -kosten auferlegt, so muss im Lichte des Sozialstaatsgebots und der Garantie der Sicherung des Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) gewährleistet sein, dass sie als zum Bezug von Leistungen nach dem SGB-II Berechtigte Befreiung über das Sozialleistungssystem erhalten (vgl. bereits BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 17 f.; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 5).
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Der Senat hat in diesem Kontext bereits wiederholt entschieden, dass der Beklagte diesem Gesichtspunkt nicht allein dadurch Rechnung tragen kann, dass er für die Betroffenen im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag Anträge auf Kostenübernahme bei den Jobcentern (§§ 6d, 44b SGB II) stellt mit dem Ziel, dass „seine“ Unterkunftsgebühren als Kosten der Unterkunft (KdU) im Rahmen des SGB-II Bezuges (§ 22 SGB II) von dort getragen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 12 N 18.9 – juris, Rn. 104). Auch Stundung und zeitweilige Niederschlagung der Gebühren- oder Kostenforderungen erweisen sich nicht als taugliche Instrumente einer Verwirklichung der Anforderungen des Sozialstaatsgebots, denn beide lassen das Fortbestehen des Anspruchs unberührt (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 12 N 18.9 – juris, Rn. 105; B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 19).
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Die mittellosen Betroffenen befänden sich dadurch weiterhin in einer Art fortwährenden „Schuldknechtschaft“ (Obnoxiation) des Staates (vgl. hierzu bereits BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 12 N 18.9 – juris, Rn. 105), obwohl das deutsche Sozialleistungsrecht eine (Rück-) Erstattung rechtmäßig gewährter Hilfen nur in Fällen „sozialwidrigen Verhaltens“ – §§ 34 Abs. 1 SGB II, § 103 Abs. 1 SGB XII – vorsieht. Ein solches indes liegt bei der Inanspruchnahme einer das Existenzminimum sichernden Unterbringung durch anerkannte mittellose Flüchtlinge von vornherein fern. Die Annahme eines aus der Sicht der Solidargemeinschaft zu missbilligenden Verhaltens (vgl. hierzu näher Klerks, in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Aufl. 2019, Kapitel 41, Rn. 3 ff.; Silbermann, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 34 Rn. 27; Bieback, in: Grube/Warendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 103 Rn. 9) würde jeder Grundlage entbehren (vgl. BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 20; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 4 ff.).
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Umso weniger kann es im Lichte des Sozialstaatsgebots und der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) in Betracht kommen, anerkannte mittellose Flüchtlinge – noch dazu nachträglich – mit einer Gebühren- oder Kostenforderung für eine existenzsichernde Leistung zu überziehen, ohne dass zugleich sichergestellt wäre, dass die festgesetzten Gebühren bzw. Kosten auch tatsächlich (und nicht nur lediglich theoretisch) vom zuständigen Sozialleistungsträger übernommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 21). Der betroffene Personenkreis anerkannter mittelloser Flüchtlinge darf aufgrund der von Bund und Ländern gewählten Konstruktion der Finanzierung der Kosten der Unterbringung über staatliche (oder kommunale) Gebühren- bzw. Kostenfestsetzungen einerseits und eine nachfolgende Übernahme der Kosten durch die Sozialleistungsträger andererseits nicht schlechter stehen, als er stünde, wenn er die Unterkunft unmittelbar vom Beklagten im Rahmen eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses angemietet und vom zuständigen Sozialleistungsträger Übernahme dieser existenzsichernden Kosten durch unmittelbare Auszahlung des Mietzinses an den Beklagten (vgl. § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II) begehrt hätte (vgl. BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.23011 – juris, Rn. 21; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 8).
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In diesem Fall wäre mangels Sozialwidrigkeit der zu Recht in Anspruch genommenen Leistungen eine Rückforderung nach §§ 34 SGB II, 103 SGB XII auch im Falle späterer Überwindung der Bedürftigkeit ausgeschlossen (vgl. statt aller Bieback, in: Grube/ Warendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 103 Rn. 9); ebenso wenig kann sie in dem von Bund und Ländern stattdessen gewählten Modell der Gebühren- bzw. Kostenerhebung mit nachfolgender Übernahme durch die jeweiligen Sozialleistungsträger in Betracht kommen (vgl. BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 22; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 9). Andernfalls würden beide Sachverhalte und Personengruppen ohne sachlich-rechtfertigenden Grund unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ungleich behandelt.
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Anerkannte mittellose leistungsunfähige Flüchtlinge im SGB-II Bezug können daher durch eine (nachträgliche) Festsetzung von Unterbringungsgebühren oder -kosten nicht in einer Art fortwährenden (persönlichen) „Nachhaftung“ für rechtmäßig in Anspruch genommene existenzsichernde Fürsorgeleistungen gehalten werden (vgl. BayVGH, B.v. 02.11.2020 – 12 C 20.32011 – juris, Rn. 22; B.v. 20.04.2023 – 12 C 23.563 – juris, Rn. 9). Ein mittelloser Flüchtling im SGB-II Bezug kann dem Freistaat Bayern nicht mehr geben, als er selbst besitzt – einen künftigen Anspruch gegen den zuständigen Sozialleistungsträger auf der Grundlage des Urteils Bundessozialgerichts vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 19/20 R – juris, Rn. 21 ff.
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Gegen die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist deshalb nichts zu erinnern.
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2. Ebenso wenig ist die Berufung wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.
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a) Eine Verletzung der Pflicht zur Aussetzung der Verhandlung (§ 94 VwGO) in Gestalt einer Reduzierung des entsprechenden richterlichen Ermessens auf Null liegt entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten von vornherein fern. Das Verwaltungsgericht war vorliegend nicht – schon gar nicht von Amts wegen – gehalten, den Rechtsstreit bis zur Klärung der Kostenübernahme durch das Jobcenter auszusetzen. Die Wirksamkeit der Abtretung künftiger Forderungen setzt, anders als der Beklagte rechtsirrig meint, gerade nicht voraus, dass die abzutretende Forderung tatsächlich besteht (vgl. erneut Lorenz, JuS 2009, 891 [892]: „Sonderfall der Abtretung einer künftigen Forderung“; siehe im Übrigen auch oben 1.). Ungeachtet dessen hat allein der Beklagte das Ausfallrisiko der Forderungsabtretung an Erfüllungs statt zu tragen (vgl. erneut oben 1.). Das Gebührenschuldverhältnis ist deshalb unmittelbar mit der Forderungsabtretung erloschen. Infolgedessen war für eine Aussetzung der Verhandlung gemäß § 94 VwGO kein Raum. Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 10. Juli 2023 – 12 C 23.30311 – juris. Diese betrifft – anders als der vorliegende Fall – gerade keinen anerkannten mittellosen Flüchtling, sondern einen lediglich teilweise mittellosen, bei dem ein vollständiges Erlöschen der Gebührenschuld durch Abtretung an Erfüllungs statt gerade nicht angenommen werden kann. Fehlt geht des weiteren auch der Vergleich mit der Aufrechnung bei einer rechtswegfremden Forderung. Der Beklagte verkennt auch insoweit erneut, dass in der Fallgruppe der anerkannten mittellosen Flüchtlinge allein er selbst das Ausfallrisiko zu tragen hat (vgl. oben 1.).
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b) Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) vor. Das Verwaltungsgericht war entgegen der Annahme des Beklagten nicht gehalten, das Bestehen von Ansprüchen des Klägers gegenüber dem zuständigen Jobcenter zu prüfen. Bei anerkannten mittellosen Flüchtlingen trägt bei einer Abtretung an Erfüllungs statt allein der Freistaat Bayern das Risiko des Nichtbestehens der Forderung. Eine wie auch immer geartete “Nachhaftung“ kommt bei diesem Personenkreis nicht in Betracht (vgl. oben 1.).
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3. Weitere Zulassungsgründe hat der Beklagte weder geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist deshalb abzulehnen. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Juni 2023 rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 188 Satz 2 VwGO.
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5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).