Titel:
Klage auf Löschung von Daten im Kriminalaktennachweis
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4 S. 4
BayPAG Art. 54 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO entsteht die Pflicht zur Löschung der Daten nur, wenn die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft wegen erwiesener Unschuld ergeht, im Übrigen ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein Restverdacht fortbesteht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte wird die Bagatellschwelle grundsätzlich bei 50 EUR veranschlagt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, Personenbezogene Daten, Polizeiliche Speicherung, Löschung, Speicherfrist, Restverdacht, personenbezogene Daten, polizeiliche Speicherung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 21.09.2022 – M 23 K 20.3428
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.09.2023 – 10 ZB 23.1627
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24458
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine vor dem Verwaltungsgericht erfolglose Klage weiter, den Beklagten unter Aufhebung von dessen Bescheid vom 30. Juni 2020 zu verpflichten, die ihn betreffenden zuletzt sieben Eintragungen zu löschen, die im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) und damit korrespondierend im Integrationsverfahren Polizei (IGVP), gespeichert sind.
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Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Tatbestand in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts sowie auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus dem Zulassungsvorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO zu beschränken hat, ergeben sich die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sowie der grundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht.
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a) Dies betrifft insbesondere den geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11).
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Dabei sind gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Das Darlegungsgebot verlangt, dass der Rechtsschutzsuchende die geltend gemachten Zulassungsgründe substantiiert erörtert und den Streitstoff sichtet und rechtlich durchdringt. Die Zulassungsbegründung muss sich mit dem angefochtenen Urteil und den tragenden Erwägungen konkret, fallbezogen und substantiiert auseinandersetzen (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2022 – 10 ZB 22.879 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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bb) Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen keine derartigen Zweifel auf. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Urteils. Ergänzend gilt lediglich Folgendes:
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Nicht durchdringen kann die Klägerseite mit ihren Einwänden gegen den von dem Verwaltungsgericht festgestellten fortbestehenden Restverdacht in Bezug auf die gespeicherte Eintragung vom 16. Juni 2017 zu dem nach § 170 Abs. StPO eingestellten Ermittlungsverfahren wegen (versuchten) Betrugs.
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(1) Die Rüge der Klägerseite, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien formelhaft ohne Bezug auf den konkreten Einzelfall und bestünden in der Übernahme allgemeinen Ausführungen des Beklagten, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat die Einschätzung der Polizei, dass von einem fortbestehenden Restverdacht auszugehen sei, einer eingehenden, differenzierten und auf den konkreten Einzelfall bezogenen Prüfung unterzogen (vgl. UA S. 10 f.). Dies sieht letztlich auch die Klägerseite so, die sich im Fortgang, wenngleich insofern unsubstantiiert, gegen einzelne Erwägungen des Verwaltungsgerichts wendet.
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(2) So hat das Verwaltungsgericht − im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung – geprüft, ob die Staatsanwaltschaft München II mit Verfügung vom 14. Februar 2018 das genannte Ermittlungsverfahren wegen erwiesener Unschuld eingestellt hat oder nicht. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO entsteht die Pflicht zur Löschung der Daten nur, wenn die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft wegen erwiesener Unschuld ergeht, im Übrigen ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein Restverdacht fortbesteht (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1982 – 1 C 114.79 − juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 30.1.2020 – 10 C 20.10 – juris Rn. 8 m.w.N.; B.v. 22.1.2015 – 10 C 14.1797 – juris Rn. 16 m.w.N.; vgl. bereits zu Art. 38 Abs. 2 PAG a.F.: BayVGH, U.v. 4.3.1996 – 24 B 94.2020 – juris Rn. 29; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 6. Aufl. 2023, PAG Art. 54 Rn. 37 m.w.N.; vgl. i.Ü. zum Restverdacht trotz Freispruchs: BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 18). Die vorgenannte Rechtsauffassung greift die Klägerseite auch nicht substantiiert an. Das Verwaltungsgericht hat sodann festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nicht wegen erwiesener Unschuld eingestellt hat (vgl. UA S. 10). Soweit die Klägerseite dies im Zulassungsverfahren bestreitet und das Gegenteil behauptet, kann der Senat dies nicht nachvollziehen. Der bei den Gerichtsakten befindlichen staatsanwaltlichen Verfügung, die auch der Klägerseite übersandt wurde, lässt sich eine Einstellung „wegen erwiesener Unschuld“ gerade nicht entnehmen (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 47 u. Bl. 67 Rückseite). Es hätte der Klägerseite oblegen, vorzutragen, aufgrund welcher Umstände hiervon trotz alledem auszugehen sein soll. Einen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat sie nicht gestellt (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 104 ff.).
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(3) Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt, dass in jenem Fall ein Dritter gegenüber seinem Versicherer geltend gemacht habe, er sei rückwärts gegen den klägerischen Pkw gefahren und habe einen zu regulierenden Schaden verursacht. Der Kläger habe in der Folge eine Besichtigung seines Pkws für die Erstellung eines Gutachtens verweigert. Die Sachverständige der DEKRA habe den Schaden durch den geschilderten Unfallhergang anhand der Lichtbilder nicht nachvollziehen können. Außerdem sei am 27. April 2016 bei dem Versicherungsunternehmen des Klägers ein Privathaftpflichtschaden am klägerischen Pkw am vorderen rechten Kotflügel durch ein Anstreifen mit einem „Einkaufswagen“ geltend gemacht worden. Auch wenn der Kläger – entgegen der anderslautenden Darstellung der Kriminalpolizei Erding – zu einer Gegenüberstellung der Fahrzeuge bereit gewesen sein sollte (vgl. Versicherer, Schreiben v. 6.7.2017), lege das am 7. Juli 2017 in Auftrag gegebene unabhängige DEKRA-Gutachten dar, dass aufgrund der Höhe, der Charakteristik und der Intensität der Beschädigungen ausgeschlossen werden könne, dass diese an dem Pkw Audi – wie vom Kläger behauptet – aus einer Kollision beziehungsweise stumpfen Berührung mit dem Pkw BMW herrührten. Unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte, insbesondere der Aussagen des DEKRA-Gutachtens, bestünden bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung zur Überzeugung des Gerichts keine Bedenken gegen die polizeiliche Einschätzung, wonach ein die Speicherung rechtfertigender Restverdacht fortbestehe.
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Dies zieht die Klägerseite nicht substantiiert in Zweifel, indem sie erneut bestreitet, der Kläger habe die Besichtigung beziehungsweise die Gegenüberstellung der Fahrzeuge verweigert. Die diesbezügliche Annahme des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden, sie liegt angesichts des DEKRA-Gutachtens auf der Hand (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 111 Rückseite: „nach mehrmaligen Telefonaten mit dem Anspruchsteller [d.h.: m. d. Kläger – Anm. d.Senats] … ergab sich, dass der Anspruchsteller nicht zu einer Fahrzeugbesichtigung bzw. Gegenüberstellung … bereit war“), zumal das Schreiben des Versicherers, auf das sich die Klägerseite beruft und in dem dieser sich zwar für die Besichtigungsbereitschaft des Klägers bedankt, zugleich jedoch eine Gegenüberstellung der Fahrzeuge vorschlägt und die DEKRA-Untersuchung angekündigt, vom 6. Juli 2017 datiert und das DEKRA-Gutachten erkennbar erst danach erstattet wurde. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht insoweit hilfsweise eine Kooperationsbereitschaft des Klägers unterstellt (s.o.). Dass das Verwaltungsgericht ungeachtet dessen bei Gesamtbetrachtung aller Umstände den Fortbestand des Restverdachts bejaht, begegnet keinen Bedenken. Dabei ist zu betonen, dass die Klägerseite den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu der Schadensmeldung im Zusammenhang mit einem „Einkaufswagen“ sowie zu den im DEKRA-Gutachten angeführten Indizien nichts an Substanz entgegengesetzt hat.
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Soweit die Klägerseite vorträgt, der Kläger sei damals von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt gewesen, habe sich anwaltlich vertreten lassen und den Schaden an seinem Pkw in einer Fachwerkstatt begutachten und einen Kostenvoranschlag erstellen lassen, ist dies nicht geeignet, die Unplausibilitäten bezüglich des Schadenshergangs aufzuklären. Nicht zum Erfolg führt schließlich, dass sich die Klägerseite auf „einen Mitfahrer als Zeugen“ beruft, der die Angaben der DEKRA widerlegt habe. Dieser wird im Zulassungsverfahren weder namentlich benannt noch anderweitig konkretisiert, auch wird das, was er aussagen können soll, nicht mitgeteilt. Insgesamt wird die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts durch die von der Klägerseite angeführten Gesichtspunkte nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
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(4) Ins Leere laufen insofern auch die Beweisangebote der Klägerseite, unter anderem durch Beiziehung der Strafakten der Staatsanwaltschaft sowie durch Einvernahme von Personen. Das Zulassungsverfahren dient der Prüfung der geltend gemachten Zulassungsgründe. Die Entscheidung über den Zulassungsantrag ergeht grundsätzlich nach Lage der Akten. Eine Beweiserhebung kommt im Zulassungsverfahren grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 77; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 259). Dass hier eine Ausnahme, insbesondere in Form von prozessual „neuen Tatsachen“ oder „neuen Beweisen“, greifen könnte, hat die Klägerseite nicht aufgezeigt und ist auch nicht anderweitig ersichtlich. Abgesehen davon hat die Klägerseite, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat (s.o.), es versäumt, hinreichend darzulegen, dass Anlass für eine Beweisaufnahme bestehen könnte, und den angebotenen Beweismitteln konkrete Beweistatsachen zuzuordnen (s.o.).
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(5) Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen müsste ein Löschungsanspruch gegenwärtig – und damit über die bereits vorgenommene Reduzierung der Speicherfrist durch den Beklagten auf Ende 2023 hinaus − aufgrund der Eintragung vom 7. Oktober 2016 im Zusammenhang mit dem eingestellten Ermittlungsverfahren wegen Falscher Verdächtigung (vgl. UA S. 3, 5, 10 u. 13) und der von der Klägerseite insoweit ebenfalls nicht substantiiert angegriffenen regelhaften zehnjährigen Speicherfrist des Art. 54 Abs. 2 Satz 3 PAG ausscheiden.
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b) Auch der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor beziehungsweise ist nicht hinreichend dargelegt.
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aa) Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, wenn das Zulassungsvorbringen gegen das erstinstanzliche Urteil Fragen von solcher Schwierigkeit aufwirft, dass sie sich wegen der Komplexität nicht im Zulassungsverfahren klären lassen. Auch hier muss sich der die Zulassung beantragende Beteiligte substantiiert mit dem angefochtenen Urteil auseinandersetzen. Insbesondere soweit die Schwierigkeiten darin gesehen werden, dass das Verwaltungsgericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, sind diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihr Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – juris Rn. 17).
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bb) Gemessen daran zeigt das Zulassungsvorbringen keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf.
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(1) Zur Begründung hat die Klägerseite lediglich angeführt, dass die Auslegung und Anwendung des Begriffs des „Restverdachts“ rechtlich besonders schwierig sei. Dass es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, wie die Klägerseite anführt, reicht für die Begründung besonderer rechtlicher Schwierigkeiten indes nicht aus. Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe gehört zum gerichtlichen Alltag. Die Klägerseite hätte darlegen müssen, dass und inwieweit sich die Konturen des Rechtsbegriffs − auch unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung (s.o.) – als nicht hinreichend bestimmt beziehungsweise bestimmbar darstellen.
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(2) Soweit die Klägerseite argumentiert, die Prüfung, ob eine weitere Speicherung der Eintragungen trotz „unterster Kriminalitätsstufe“ und „des sehr langen Zeitraums der Eintragungen“ aus präventiv-polizeilichen Gründen gerechtfertigt sei, mache die Rechtssache schwierig, ist damit der Sache nach die Verhältnismäßigkeitsprüfung angesprochen. Dass eine Rechtssache eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert, macht sie jedoch nicht zwangsläufig rechtlich besonders schwierig.
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Abgesehen davon hat die Klägerseite schon die zugrunde gelegte Prämisse von Eintragungen „unterster Kriminalitätsstufe“ nicht hinreichend dargelegt. Dies ist auch nicht ohne Weiteres anderweitig ersichtlich. Im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte wird die Bagatellschwelle, mithin die Geringwertigkeit, grundsätzlich bei 50,- Euro veranschlagt (vgl. Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 248a Rn. 10). Bereits die – zu berücksichtigende (s.o.) − Eintragung vom 16. Juni 2017 wegen (versuchten) Betrugs im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Unfallschäden an einem Pkw übersteigt diese Schwelle nach allgemeiner Lebenserfahrung deutlich. Soweit man mit einbezieht, dass die Klägerseite erstinstanzlich argumentiert hat, die Verurteilungen des Klägers seien „strafrechtliche Kleinigkeiten mit lediglich einem Höchststrafmaß von 60 Tagessätzen“ (vgl. UA S. 4), verfängt dies ebenfalls nicht. Eine Geldstrafe beträgt nach § 40 Abs. 1 Satz 2 StGB mindestens fünf und, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, höchstens dreihundertsechzig volle Tagessätze. Die Verhängung von 60 Tagessätzen gehört in der Praxis nicht dem untersten Segment an (vgl. Bayerisches Landesamt für Statistik, Abgeurteilte und Verurteilte in Bayern 2021 – Ergebnisse der Strafverfolgungsstatistik, S. 14, Abb. 6, abrufbar unter: https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/b6100c_202100.pdf).
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Soweit sich die Klägerseite auf den „sehr langen Zeitraum der Eintragungen“ beruft, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht diesbezüglich maßgeblich auf die Anzahl der Eintragungen und die Regelmäßigkeit abgestellt hat, mit welcher der Kläger strafrechtlich in Erscheinung getreten ist (vgl. UA S. 13 u. 14). Die Zulassungsschrift verhält sich zudem nicht zu der bereits vorgenommenen Reduzierung der Speicherfrist auf Ende 2023 (vgl. UA S. 5 u. S. 14) und lässt dementsprechend Ausführungen dazu vermissen, dass und inwieweit die Speicherung bis dahin – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. UA S. 14) − unangemessen sein soll. Dies ist nicht dadurch erfolgt, dass die Klägerseite sich auf einen „erheblichen Grundrechtseingriff“ und „weitreichende Folgen“ beruft, die in besonderem Maße einer Rechtfertigung bedürften. Zwar hat die Klägerseite erstinstanzlich eine Beschränkung der Lebensführung des Klägers gerügt, unter anderem, „da er eine Gaststättenerlaubnis beantragen wolle“ (vgl. UA S. 4), hat aber das Vorhaben selbst auch im Zulassungsverfahren zeitlich, örtlich und inhaltlich nicht konkretisiert. Abgesehen davon erscheint eine Beschränkung des Klägers infolge der Speicherung durch den Beklagten angesichts von Art. 53 Abs. 2 Satz 2 PAG und in Anbetracht des Umstandes, dass die Erlaubnisbehörde in der Praxis die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden – neben dem Gewerberegisterauszug − anhand des vom Bundesamt für Justiz auszustellenden Führungszeugnisses nach § 31 BZRG (mit den hierfür geltenden entsprechenden zeitlichen Begrenzungen) überprüft (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2012 – 10 CS 11.2619 – juris Rn. 9; B.v. 16.10.2008 – 22 ZB 08.1928 – juris Rn. 6; Metzner/Thiel in Metzner/Thiel, Gaststättenrecht, 7. Aufl. 2023, § 4 Rn. 51), nicht ohne Weiteres möglich.
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(3) Auch wenn man das Vorbringen dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel zuordnen sollte, ergibt sich aus genannten Gründen nichts anderes.
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c) Zuletzt liegt auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vor beziehungsweise ist nicht hinreichend dargelegt.
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aa) Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 43. EL, August 2022, § 124a Rn. 102 ff.).
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bb) Die Klägerseite hat als grundsätzlich bedeutsam folgende zwei Fragen aufgeworfen:
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„Verstößt die bei der polizeilichen Datenspeicherung angewendete „Mitzieh-Technik“, wonach bei Hinzutreten einer Eintragung während der Löschfrist der Voreintragung diese Voreintragung dann nicht gelöscht wird, sondern bis zum Ablauf der Löschfrist der jüngeren Eintragung bestehen bleibt, gegen Grundrechte des Betroffenen und/oder Datenschutzregelungen und ist damit rechtswidrig?
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Verstößt eine solche fortdauernde Speicherung gegen Grundrechte des Betroffenen und/oder Datenschutzregelungen und ist damit rechtswidrig, wenn die jeweiligen Eintragungen über einen langen Zeitraum bestehen und im Einzelfall auf der untersten Kriminalitätsstufe stehen und die Eintragungen nur deswegen noch bestehen, weil diese bei Hinzukommen einer neuen Eintragung während der Löschfrist der Voreintragung bis zum Ablauf der Löschfrist der jüngeren Eintragung bestehen bleiben?“
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cc) Zur Begründung führt sie an, dass der Datenschutzbeauftragte mehrfach erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der „Mitzieh-Technik“ geäußert habe. Es liege ein schwerwiegender Grundrechtsverstoß vor. Angesichts der immensen Anzahl von Speicherungen im polizeilichen Datenbanken handele es sich um eine Frage, die auch künftig in ähnlich gelagerten Fällen entschieden werden müsse.
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dd) Das Zulassungsvorbringen genügt den genannten Anforderungen mangels hinreichender Substantiierung nicht, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat.
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Welche erheblichen Zweifel der (wohl: Bayerische) Datenschutzbeauftragte geäußert hat, erläutert die Klägerseite nicht. Dabei obliegt es ihr aufzuzeigen, dass und inwieweit etwaige Stellungnahmen des Bayerischen Landesbeauftragten für Datenschutz in der Vergangenheit angesichts der Änderungen des Art. 54 PAG in der Fassung vom 18. Mai 2018 weiterhin Aktualität beanspruchen können. Das Vorbringen, es handele sich um eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung, reicht für eine Substantiierung ebenfalls nicht aus.
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Die Klägerseite setzt sich mit dem gesetzgeberischen Zweck der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und der dabei verfolgten Strategie (vgl. LT-Drs. 14/1583), denen Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG dient, nicht auseinander. Dementsprechend stellt sie diesen die Wirkungen des Grundrechtseingriffs nicht gegenüber und legt dar, dass und inwieweit sie außer Verhältnis stehen, also den Interessen des Betroffenen zwingend der Vorrang einzuräumen ist. Dabei lässt die Zulassungsbegründung Ausführungen zu dem Normkontext, insbesondere zu den Fällen von geringerer Bedeutung gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 4 PAG, vermissen. Auf diesen Aspekt hatte bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen (vgl. UA S. 12). Eine hohe Zahl von Speicherungen kann in diesem Zusammenhang eine grundsätzliche Bedeutung nicht begründen, solange nicht substantiiert dargelegt ist, dass diese unzulässig sind.
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Für die Prämisse von Eintragungen „unterster Kriminalitätsstufe“ gelten die im Rahmen des Zulassungsgrundes der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO angestellten Erwägungen entsprechend (s.o.). Aus diesem Grund fehlt es speziell im Hinblick auf die aufgeworfene zweite Frage bereits an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit. Auch für den von der Klägerseite angeführten Gesichtspunkt des „sehr langen Zeitraums der Eintragungen“ gelten im Rahmen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO angestellten Erwägungen entsprechend (s.o.). Diesbezüglich fehlt es der zweiten aufgeworfenen Frage, die explizit „auf den Einzelfall“ abstellt, auch an der Klärungsfähigkeit, weil die Antwort in einer Weise von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt, die eine allgemeinverbindliche, über den Einzelfall hinausweisende Aussage nicht ermöglicht.
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Die Schriftsätze der Klägerseite vom 15. März 2023, 16. März 2023 und 17. Mai 2023 gingen nach Ablauf der zweimonatigen Frist für die Zulassungsbegründung gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO am 17. Januar 2023 bei dem Senat ein und haben daher als verspätet außer Betracht zu bleiben.
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Abgesehen davon tragen sie eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Fragen ebenfalls nicht. Soweit die Klägerseite argumentiert, bei älteren Eintragungen sei es oftmals so, dass aktuell die Erforderlichkeit einer weiteren Speicherung nicht mehr vorliege, legt sie nicht dar, aus welchen Gründen sich nicht vielmehr die Erforderlichkeit der Speicherung mit einer neuen Eintragung aktualisiert. Zwar verweist sie des Weiteren darauf, dass ältere Eintragungen auch Jugendverfehlungen und strafrechtlich nicht nachzuweisende Straftaten beinhalten könnten, die Klägerseite legt jedoch nicht substantiiert dar, dass es unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten kein Bedürfnis gibt, Jugendstrafen und auch eingestellte Verfahren zu speichern (s.o.), und die weitere Speicherung insoweit unverhältnismäßig ist. Der Einwand der Klägerseite, bei Zuverlässigkeitsprüfungen, etwa nach dem Luftsicherheitsgesetz oder im Bewachungsgewerbe, könnten sich Eintragungen negativ auf die beantragte Zugangsberechtigung auswirken, ist pauschal und ohne Erläuterung anhand etwaig einschlägiger Vorschriften auch nicht nachvollziehbar. Soweit sie vorträgt, der Kläger gerate so bei polizeilichen Kontrollen deutlich leichter als andere Personen in den Kreis möglicher Verdächtiger, weil dann die Abfrage die hier beanstandete Vielzahl von Eintragungen ergebe, hat sie nicht erläutert, was mit „polizeilichen Kontrollen“ gemeint ist, wie eine Datenabfrage sich zu den verschiedenen Verdachtsstufen verhält und im Übrigen warum dies außer Verhältnis zum gesetzgeberischen Zweck steht. Insgesamt legt die Klägerseite auch mit den vorgenannten Schriftsätzen nicht dar, dass den Interessen des Betroffenen zwingend der Vorrang vor dem gesetzgeberischen Ziel der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und der dabei verfolgten Strategie einzuräumen ist (s.o.).
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2. Aus genannten Gründen bedarf es auch nicht, wie die Klägerseite argumentiert, einer Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage der Fragen zur verfassungsrechtlichen Klärung.
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3. Ebenfalls bedarf es keiner Verweisung der Rechtssache an einen Güterichter nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 278 Abs. 5 ZPO. Anhaltspunkte dafür, dass der Versuch einer gütlichen Einigung aussichtsreich sein könnte, sind weder von Klägerseite substantiiert dargelegt noch anderweitig erkennbar. Eine Mediation gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 278a ZPO kommt aus genannten Gründen und mangels Einigung der Beteiligten nicht in Betracht.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 35.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend.
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6. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß rechtskräftig.