Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.08.2023 – 1 CS 23.1396
Titel:

Betreten eines Grundstücks zur bauaufsichtlichen Überprüfung

Normenketten:
GG Art. 13 Abs. 7
BayBO Art. 54 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
Leitsätze:
1. Nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO iVm Art. 13 Abs. 7 GG sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich Wohnungen zu betreten, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine konkrete Gefahr wird nicht vorausgesetzt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO setzt nicht voraus, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt; schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes reicht aus. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Duldungsanordnung zum Betreten eines Grundstücks sowie des Erdgeschosses des darauf befindlichen Gebäudes, Baueinstellung im Rahmen einer Nutzungsänderung, Erforderlichkeit der Duldungsanordnung, Baukontrolle
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 21.07.2023 – M 1 S 23.3619
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24451

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die mit Bescheid vom 10. Juli 2023 ergangene bauaufsichtliche Anordnung, das Betreten ihres Grundstücks sowie des Erdgeschosses des darauf befindlichen Gebäudes zur bauaufsichtlichen Überprüfung zu gewähren.
2
Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2023 abgelehnt. Die verfahrensgegenständliche Betretungsanordnung sei voraussichtlich rechtmäßig. Aufgrund der vorliegenden Akten hätten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die zuvor anlässlich von Bauarbeiten zur Nutzungsänderung des Gebäudes von Gaststätte in Wohnen auf dem Vorhabengrundstück verfügte Baueinstellung seitens der Antragstellerin missachtet werde. Mit der Baukontrolle solle geklärt werden, ob die Antragstellerin konkret Baumaßnahmen ausführe, die der derzeit noch strittigen Nutzungsänderung dienten oder ob es sich um bloße Instandhaltungsmaßnahmen oder um die Instandhaltung der genehmigten Gaststätte handle. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden. Versuche des Antragsgegners, einen Termin mit der Antragstellerin zu vereinbaren, seien erfolglos geblieben. Auch das besondere Vollziehungsinteresse liege angesichts möglicher Nutzungsuntersagungen vor.
3
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Es fehle an der erforderlichen Differenzierung zwischen Bauarbeiten, die im Zusammenhang mit der beabsichtigten Nutzungsänderung stünden, und von der Baueinstellungsverfügung nicht betroffenen Sanierungs- und Erhaltungsbauarbeiten, wie beispielsweise der Erneuerung der Heizungsanlage.
4
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Das mit dem streitgegenständlichen Bescheid angedrohte Zwangsgeld sei fällig gestellt worden und werde gegebenenfalls beigetrieben. Mit Bescheid vom 28. Juli 2023 sei eine neue Betretensanordnung für den 24. August 2023 erlassen worden.
5
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakte verwiesen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
7
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 VwGO) zu Recht abgelehnt, weil die Klage gegen die Betretungsanordnung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird, sodass das Interesse an der Herstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hinsichtlich der Betretensanordnung gegenüber dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners nachrangig ist. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses. Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
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1. Der streitgegenständliche Bescheid vom 10. Juli 2023 hat sich nicht dadurch erledigt (Art. 43 Abs. 2 Alt. 4 VwVfG), dass die für den 24. Juli 2023 angesetzte Baukontrolle nicht durchgeführt werden konnte. Der Senat legt die Betretensanordnung, die in Ziff. 2 des Bescheids in einem eigenen Absatz getrennt von dem hierfür festgelegten Termin verfügt wurde, so aus, dass sie über den festgesetzten Termin hinaus Geltung beansprucht. Soweit die Zwangsgeldandrohung nach Ziff. 4 des Bescheids betroffen ist hat der Beklagte im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, dass das festgesetzte Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro fällig gestellt wurde und – für den Fall, dass die Antragstellerin nicht freiwillig zahlen sollte – beigetrieben werden soll.
9
2. Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 13 Abs. 7 GG sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich Wohnungen zu betreten, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine konkrete Gefahr wird nicht vorausgesetzt (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2006 – 4 B 36.06 – BauR 2006, 1460; BayVGH, B.v. 22.7.2022 – 1 CS 21.1185 – juris Rn. 8).
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Eine solche Gefahr kann beispielsweise angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine für sofort vollziehbare Baueinstellungsverfügung, die im Hinblick auf eine umstrittene geplante Nutzungsänderung erlassen wurde, missachtet wird. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass solche Anhaltspunkte schon aufgrund der Aktenlage vorliegen Die dagegen gerichtete Beschwerdebegründung beschränkt sich auf eine pauschale Kritik, das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich der Bauarbeiten nicht zwischen solchen differenziert, die von der Baueinstellung umfasst sind, und solchen, die zur Sanierung und Erhaltung des Gebäudes erforderlich seien. Das trifft nicht zu, weil das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, dass es gerade Gegenstand der beabsichtigten Baukontrolle ist zu klären, welche Art von Baumaßnahmen die Antragstellerin konkret ausführt (BA S. 6).
11
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht genannten Indizien, die die Vermutung von Baurechtsverstößen begründen können, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Der Anordnung liegt eine Mitteilung seitens der Gemeinde zugrunde (vgl. Bl. 36 der Bauakte), dass trotz der Baueinstellung weitere Arbeiten im Erdgeschoss stattgefunden hätten. Die Behauptung der Antragstellerin, sie habe seit Zugang der Baueinstellungsverfügung keine Arbeiten mehr vornehmen lassen, die im Zusammenhang mit der beantragten Nutzungsänderung stünden, reicht nicht aus, da dies gerade streitig ist und einer Überprüfung bedarf. Die Frage, ob es sich um zulässige Bauarbeiten handelt, kann angesichts der vorliegenden Indizien nur durch die Ermittlung der Bestandssituation erfolgen, für die das Betreten des Grundstücks und des Erdgeschosses der ehemaligen Gaststätte erforderlich ist, da sich von außen keine sicheren Erkenntnisse gewinnen lassen. Da die Baueinstellungsverfügung (weiterhin) sofort vollziehbar ist, kommt es auf die noch nicht geklärte Zulässigkeit der begehrten Nutzungsänderung nicht an.
12
Der Einwand der Antragstellerin, die Behörde habe nicht versucht, einen Besichtigungstermin zu vereinbaren, ist bereits nicht nachvollziehbar. Die vorliegenden Unterlagen (Bl. 39 bis 41 der Bauakte) belegen diverse (erfolglose) telefonische Kontaktaufnahmen seitens des Baukontrolleurs nach der Baukontrolle am 4. April 2023. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass das Landratsamt die Anordnung ohne sachlichen Grund getroffen hat. Die Antragstellerin übersieht, dass die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO nicht voraussetzt, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt, sondern schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes ausreicht. Die Kritik der Antragstellerin, wonach die besonderen Anforderungen, die die Rechtsprechung an das Betreten von Wohnungen im Sinn des Art. 13 Abs. 1 GG stellt, nicht erfüllt seien, geht ins Leere, da sich im Erdgeschoss des Gebäudes der Antragstellerin sowohl nach den vorliegenden Plänen als auch nach dem Beschwerdevorbringen die Räume der ehemaligen Gaststätte befinden, die nicht dem Wohnungsbegriff des Art. 13 Abs. 1 GG unterfallen.
13
Das Beschwerdevorbringen zeigt auch nicht auf, dass die behaupteten Verfehlungen aus einem zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und der Gemeinde geschlossenen notariellen Vertrag zu ihren Gunsten hätten berücksichtigt werden müssen.
14
Ferner lässt auch der Einwand, dass die Durchführung weiterer Bauarbeiten im Hinblick auf einen möglichen kostenintensiven Rückbau nicht „klug“ sei, das besondere Vollzugsinteresse nicht entfallen.
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht der Festsetzung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.