Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 01.08.2023 – W 3 K 20.1975
Titel:

Beweisantizipation im PKH-Verfahren für Klage gegen Ersatz von Unterhaltsvorschussleistungen

Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114, § 121
UVG § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 4
SGB X § 24 Abs. 1, § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
Leitsätze:
1. Das Gericht hat bei Beantragung von Prozesskostenhilfe im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage eine antizipierte Beweiswürdigung, also eine vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolgs der vorliegenden und angebotenen Beweismittel vorzunehmen. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
2. Steht im Rahmen zulässiger Beweisantizipation fest, dass der Vater zweier Kinder mit diesen und der Kindesmutter in einer Wohnung lebte, so ist die Kindesmutter zum Ersatz der Unterhaltsvorschussleistungen verpflichtet, weil sie das Zusammenleben fahrlässig nicht angezeigt hat. (Rn. 75, 96 und 102) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Unterhaltsvorschuss, Ersatzpflicht des Elternteils, Leben bei nur einem Elternteil, Zusammenleben der Eltern, Beurteilungszeitpunkt, Beweisantizipation, Ersatzpflicht, Elternteil, Zusammenleben
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24422

Tenor

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
In dem Verfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, streiten die Beteiligten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, die ihr vom Beklagten für ihre Kinder J* … S* … (im Folgenden: J* …*) und N* … E* … S* … (im Folgenden N***) in dem Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis zum 30. Juni 2018 nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) ausbezahlten Leistungen zu ersetzen.
2
Mit Bescheid der Beklagten vom 1. März 2016 wurden für das am … … 2015 geborene Kind J* … der Klägerin Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gewährt. Aufgrund gesetzlicher Änderungen hob die Beklagte diesen Bescheid mit Bescheid vom 11. Januar 2017 auf und gewährte betragsmäßig höhere Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
3
Mit weiterem Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2017 wurden die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für J* … rückwirkend zum 3. Januar 2017 eingestellt und die für die Zeit vom 3. Januar 2017 bis 31. Januar 2017 ausgezahlten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 145,00 EUR zurückgefordert. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin entgegen ihren Angaben seit 2. Januar 2017 mit dem Kindsvater A* … A** S* … in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Die Klägerin habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass die Anspruchsvoraussetzungen seit dem Zusammenziehen mit dem anderen Elternteil nicht mehr vorlägen.
4
Dem hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin half die Beklagte auf Aufforderung der Regierung von Unterfranken mit Bescheid vom 12. April 2017 ab. Mit weiteren Bescheiden vom 24. August 2017 und vom 18. Dezember 2017 hob die Beklagte den jeweils bisher geltenden Bewilligungsbescheid auf und regelte die Leistungsgewährung unter Berücksichtigung gesetzlicher Änderungen neu.
5
In einem Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2018 heißt es, dass die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für J* … zum 30. Juni 2018 eingestellt worden seien (Ziffer 1 des Bescheids). Zudem wurden von der Klägerin die für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis 30. Juni 2018 ausgezahlten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 4.319,00 EUR zurückgefordert (Ziffer 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kindsmutter und der Kindesvater mindestens seit 1. Februar 2016 im Sinne von § 1 Abs. 3 UVG zusammenlebten und daher die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz nicht vorlägen.
6
Im weiteren Verlauf beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung dieses Bescheids vom 12. Juli 2018.
7
Mit an J* …, vertreten durch die Klägerin, gerichtetem Bescheid vom 18. Mai 2020 hob die Beklagte den zuletzt ergangenen Bewilligungsbescheid vom 18. Dezember 2017 gestützt auf § 48 SGB X zum 31. Mai 2017 auf, stellte die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für J* … zum 31. Mai 2017 ein, hob den Bescheid vom 12. Juli 2018 nach § 44 Abs. 2 SGB X auf und ersetzte ihn durch den Bescheid vom 18. Mai 2020.
8
Des Weiteren erließ die Beklagte einen an die Klägerin gerichteten, als Ersatzzahlungsbescheid überschriebenen Bescheid vom 18. Mai 2020 mit folgendem Tenor:
„1. Die Voraussetzungen für die Zahlungen der Unterhaltsvorschussleistungen an das minderjährige Kind, J* … S* …, geb. am …2015, haben in der Zeit vom 01.06.2017 bis 30.06.2018 nicht vorgelegen.
2. Sie sind als Elternteil bzw. als gesetzlicher Vertreter gemäß § 5 Abs. 1 UVG deshalb verpflichtet, den Betrag in Höhe von 1.974,00 EUR im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Schadensersatzes zu ersetzen.
3. Der Bescheid vom 12.07.2018 wird nach erneuter Prüfung des Sachverhaltes hiermit nach § 44 Abs. 2 SGB X aufgehoben und durch diesen ersetzt.
4. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei. Die Kosten einer eventuellen Zwangsvollstreckung haben Sie zu tragen.“
9
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aufgrund von Ermittlungen durch das Jugendamt der Beklagten und die Polizei Aschaffenburg davon auszugehen sei, dass die Klägerin mit dem Vater ihrer beiden Söhne eine Beziehung und einen gemeinsamen Haushalt führe. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz seien daher nicht mehr erfüllt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG). Die Zahlungen seit 1. Juni 2017 für das Kind J* … seien zu Unrecht gewährt worden. Folglich sei eine Überzahlung eingetreten, die von der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 UVG zu ersetzen sei.
10
Neben den dargestellten Leistungen für das Kind J* … gewährte die Beklagte auch Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für das am 11. Februar 2017 geborene Kind N* … der Klägerin. Nachdem mit Bescheid der Beklagten vom 12. April 2017 erstmals für N* … Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gewährt worden waren, erfolgte mit Bescheiden der Beklagten vom 24. August 2017 und vom 18. Dezember 2017 jeweils eine Neuregelung unter Anpassung der Leistungsgewährung an gesetzliche Änderungen und gleichzeitiger Aufhebung des jeweiligen vorherigen Bewilligungsbescheids.
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In einem Bescheid der Beklagten vom 12. Juli 2018 heißt es, die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für N* … seien zum 30. Juni 2018 eingestellt worden (Ziffer 1 des Bescheids). Zudem wurden von der Klägerin die für die Zeit vom 1. März 2017 bis 30. Juni 2018 ausgezahlten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 2.424,00 EUR zurückgefordert (Ziffer 2 des Bescheids).
12
Im weiteren Verlauf beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung dieses Bescheids vom 12. Juli 2018.
13
Mit an N* …, vertreten durch die Klägerin, gerichtetem Bescheid vom 18. Mai 2020 hob die Beklagte den Bescheid vom 18. Dezember 2017 gestützt auf § 48 SGB X zum 31. Mai 2017 auf, stellte die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für N* … zum 31. Mai 2017 ein, hob den Bescheid vom 12. Juli 2018 nach § 44 Abs. 2 SGB X auf und ersetzte ihn durch den Bescheid vom 18. Mai 2020.
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Ferner erließ die Beklagte einen an die Klägerin gerichteten, als Ersatzzahlungsbescheid überschriebenen Bescheid vom 18. Mai 2020 mit folgendem Tenor:
„1. Die Voraussetzungen für die Zahlungen der Unterhaltsvorschussleistungen an das minderjährige Kind, N* … E* … S* …, geb. am …2017, haben in der Zeit vom 01.06.2017 bis 30.06.2018 nicht vorgelegen.
2. Sie sind als Elternteil bzw. als gesetzlicher Vertreter gemäß § 5 Abs. 1 UVG deshalb verpflichtet, den Betrag in Höhe von 1.974,00 EUR im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Schadensersatzes zu ersetzen.
3. Der Bescheid vom 12.07.2018 wird nach erneuter Prüfung des Sachverhaltes hiermit nach § 44 Abs. 2 SGB X aufgehoben und durch diesen ersetzt.
4. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei. Die Kosten einer eventuellen Zwangsvollstreckung haben Sie zu tragen.“
15
Die Begründung dieses Bescheids entspricht im Wesentlichen der Begründung des Ersatzzahlungsbescheids vom 18. Mai 2020, welcher Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für das Kind J* … betrifft.
16
U.a. die Widersprüche der Klägerin vom 15. Juni 2020 gegen die an sie selbst gerichteten Bescheide vom 18. Mai 2020 wurden mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020, zugestellt am 7. Dezember 2020, zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Widersprüche seien nicht begründet, weil die Schadensersatzforderungen hinsichtlich der vom 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018 ausgezahlten Leistungen rechtmäßig seien. Die Regierung von Unterfranken teile die diesbezüglich vertretene Rechtsauffassung der Beklagten und folge dieser in den getroffenen Schlussfolgerungen. Der gegen den Elternteil gerichtete Ersatzanspruch setze die Aufhebung des bewilligenden, an das Kind als Berechtigten gerichteten Verwaltungsaktes nicht voraus, weil für diese Rückabwicklung nicht das berechtigte Kind, sondern der Elternteil in Anspruch genommen werden solle, dem die objektiv rechtswidrige Zahlung der Unterhaltsleistung zuzurechnen sei. Die Klägerin habe die zum Wegfall der Leistungsvoraussetzungen führende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht mitgeteilt, obwohl sie aufgrund entsprechender Hinweise in u.a. den Bescheiden auch gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass der Anspruch kraft Gesetzes weggefallen sei. Auch könne die Rücknahme des Bescheids vom 12. Juli 2018 auf § 44 SGB X gestützt werden. Es erschließe sich nicht, weshalb die Klägerin gegen die Aufhebung der Bescheide vom 12. Juli 2018 Widerspruch erhebe, da diese Aufhebung für sie nicht nachteilig gewesen sei. Ein Rechtsschutzbedürfnis sei daher insoweit nicht zu erkennen.
17
Die Klägerin und ihre Kinder J* … und N* … haben am 7. Dezember 2020 noch vor Zugang des Widerspruchbescheids der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020 Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Würzburg erhoben.
18
Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 wurde vom vorliegenden Verfahren das Begehren des Klägers N* …, den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger N* … Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Juni 2017 weiter zu gewähren, abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen W 3 K 20.1976 fortgeführt. Weiterhin wurde vom vorliegenden Verfahren das Begehren des Klägers J* …, den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger J* … Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Juni 2017 weiter zu gewähren, abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen W 3 K 20.1977 fortgeführt.
19
Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin beantragt, die Ersatzzahlungsbescheide vom 18. Mai 2020 aufzuheben. Zugleich hat sie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten beantragt. Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2021 hat sie die Einbeziehung des ihr nach Klageerhebung zugestellten Widerspruchbescheids vom 20. November 2020 erklärt.
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Zur Begründung ihres Begehrens führt sie aus, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und verletzten sie in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bescheide vom 18. Dezember 2017 ab dem 31. Mai 2017 lägen nicht vor. Die Aufhebung und Ersetzung des Bescheids vom 12. Juli 2018 durch den Bescheid vom 18. Mai 2020 sei rechtswidrig, da § 44 Abs. 2 SGB X offensichtlich nicht einschlägig sei. Die Ersatzzahlungsbescheide könnten ebenfalls keinen Bestand haben. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 UVG lägen nicht vor.
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Die Beklagte beantragt unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20. November 2020, die Klage abzuweisen und Prozesskostenhilfe zu versagen.
22
Ein das klägerische Prozesskostenhilfegesuch ablehnender Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Januar 2023 ist auf die Beschwerde der Klägerin hin mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2023 – 12 C 23.342 – aufgehoben und das Antragsverfahren zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen worden.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und in den Verfahren W 3 K 20.1976 und W 3 K 20.1977 sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten, welche Gegenstand dieser Verfahren waren, Bezug genommen.
II.
24
Nachdem der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Januar 2023 aufgehoben und das Antragsverfahren zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO zurückverwiesen worden ist, hat das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung völlig neu zu prüfen und zu entscheiden. Hierbei ist es an die Zurückverweisung und an die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 2, § 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO analog gebunden (Hamdorf in MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 572 Rn. 33; Koch in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 572 Rn. 13; Wulf in BeckOK ZPO, 48. Ed. Stand 1.3.2023, § 572 Rn. 20).
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Das Prozesskostenhilfegesuch war abzulehnen, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO und Anwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i.V.m. § 121 ZPO nicht vorliegen.
26
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die dabei anzustellende Prognose über die hinreichenden Erfolgsaussichten verlangt keine Gewissheit, sondern lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Tatsächliche und rechtliche Streitfragen können auf der Grundlage des bisherigen Vortrags nur summarisch beurteilt und deshalb nicht abschließend entschieden werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 166 Rn. 8).
27
Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) verwirklichen, indem Bemittelte und Bedürftige in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn die Sach- und Rechtslage bei summarischer Prüfung zumindest als offen erscheint, wobei die Anforderungen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht überspannt werden dürfen. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Insbesondere darf das Bewilligungsverfahren nicht dazu benutzt werden, die Klärung streitiger Rechts- oder Tatsachenfragen im Hauptsacheverfahren zu verhindern (vgl. BVerfG, B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u.a. – juris Rn. 26 ff.; B.v. 10.8.2001 – 2 BvR 569/01 – juris Rn. 19 ff.). Dass die Entscheidung über die Hauptsache in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert worden wäre, kann allerdings nicht etwa aus dem Umfang einer Prozesskostenhilfe ablehnenden fachgerichtlichen Entscheidung für sich genommen abgeleitet werden (BVerfG, B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 13). Dies ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof es in seinem Beschluss vom 2. März 2023 im Verfahren 12 C 23.342 nicht akzeptiert hat, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage einer eigenständigen Prüfung von der Regelung des § 117 Abs. 5 VwGO entsprechenden Gebrauch gemacht und mit dem Hinweis, der Begründung des angegriffenen Bescheids in Gestalt des Widerspruchbescheids zu folgen, hierauf Bezug genommen hat.
28
Ein Erfolg des Rechtsbehelfs muss nicht gewiss sein; vielmehr reicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit aus, die bereits gegeben ist, wenn im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 166 Rn. 14a) ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist daher im Allgemeinen bereits dann gerechtfertigt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers für vertretbar und bei Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung in seinem Sinne zumindest für möglich hält (OVG Saarland, B.v. 28.4.2021 – 1 D 39/21 – BeckRS 2021, 9025 Rn. 3).
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Hiervon ausgehend hat die Klage, für welche Prozesskostenhilfe begehrt wird, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, da die Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit unterliegen wird. Die Klage ist nach der Aktenlage im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt voraussichtlich teilweise bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet.
30
Streitgegenstand des Verfahrens, für welches die Klägerin Prozesskostenhilfe begehrt, ist das Begehren der Klägerin, den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020, mit dem die Klägerin verpflichtet wird, den Betrag in Höhe von 1.974,00 EUR wegen Unterhaltsleistungen an N* … in der Zeit vom 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018 zu ersetzen, sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020, mit dem die Klägerin verpflichtet wird, den Betrag in Höhe von 1.974,00 EUR wegen Unterhaltsleistungen an J* … in der Zeit vom 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018 zu ersetzen, aufzuheben.
31
Damit hat die Klägerin Anfechtungsklagen (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) gegen die Ersatzzahlungsbescheide vom 18. Mai 2020 erhoben und diese Bescheide vollumfänglich angegriffen. Das Gericht hat daher alle vier Ziffern des jeweiligen Bescheids zu überprüfen. Ziffer 1 enthält jeweils einen Hinweis darauf, dass in dem Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018 die Voraussetzungen für die Zahlung von Unterhaltsleistungen an das jeweilige Kind nicht vorgelegen hätten. Ziffer 2 regelt jeweils die Verpflichtung der Klägerin, Ersatz nach § 5 Abs. 1 UVG in Höhe von jeweils 1.974,00 EUR zu leisten. Ziffer 3 hebt jeweils den Bescheid vom 12. Juli 2018 auf. Ziffer 4 enthält jeweils Kostenentscheidungen. Nach Satz 1 der Ziffer 4 ergeht der jeweilige Bescheid kostenfrei und nach Satz 2 hat die Klägerin die Kosten einer eventuellen Zwangsvollstreckung zu tragen.
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Der so verstandenen Klage fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie sich gegen die jeweiligen Ziffern 1, 3 und 4 Satz 1 der Bescheide vom 18. Mai 2020 richtet.
33
Das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses ist anzunehmen, wenn sich die Rechtsstellung des Klägers selbst bei einem Erfolg der Klage nicht verbessern würde, die Klage mithin nutzlos wäre (BVerwG, U.v. 18.12.2014 – 7 C 22.12 – juris; B.v. 20.7.1993 – 4 B 110.93 – juris). Beim Fehlen eines solches Interesses ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (vgl. Kopp/ Schenke, 28. Aufl. 2022, Vorb § 40 Rn. 30).
34
Gemessen hieran fehlt der Klage gegen die Ziffern 1, 3 und 4 Satz 1 der Bescheide das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil die begehrte Aufhebung dieser Regelungen die Situation der Klägerin nicht verbessern würde:
35
Die Ziffern 1 der streitgegenständlichen Bescheide benennen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 UVG und haben keinen eigenen Regelungsgehalt, sondern enthalten letztlich lediglich Ausführungen zur Begründung der Regelung in der jeweiligen Ziffer 2 der Bescheide, welche die Ersatzzahlungspflicht der Klägerin nach § 5 Abs. 1 UVG regeln. Daher beschweren die Ziffern 1 die Klägerin nicht und können überdies nicht mittels einer allein gegen Verwaltungsakte zulässigen Anfechtungsklage angegriffen werden (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Ebenso wenig beschwert die Kostenentscheidung (jeweils Ziffer 4 Satz 1) die Klägerin, da diese danach im Ergebnis keine Kosten tragen muss. Die jeweilige Ziffer 3 der Bescheide vom 18. Mai 2020 hebt jeweils den die Klägerin belastenden Bescheid vom 12. Juli 2018 auf. Die Klägerin ist auch insoweit nicht beschwert. Vielmehr wurde insoweit ihrem Antrag auf Überprüfung der Bescheide vom 18. Mai 2020 nach § 44 Abs. 2 SGB X gefolgt. Die klägerseits begehrte gerichtliche Aufhebung der behördlichen Aufhebung der Ersatzzahlungsbescheide vom 12. Juli 2018 (jeweils Ziffer 3 der angefochtenen Bescheide) würde die Klägerin schlechterstellen, weil dann die Bescheide vom 12. Juli 2018, welche (höhere) Ersatzzahlungspflichten der Klägerin festsetzen, wiederaufleben würden. Nur soweit die Bescheide vom 18. Mai 2020 Ersatzzahlungen neu regeln und der Klägerin Kosten auferlegen, kann ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Von einem solchen ist daher insoweit auszugehen, als die Klägerin jeweils Ziffer 2 und Ziffer 4 Satz 2 der Bescheide vom 18. Mai 2020 angreift.
36
Insoweit inhaltsgleiche Ausführungen enthielt bereits der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 12 C 23.342 aufgehobene Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 31. Januar 2023. Auch nach erneuter ergebnisoffener Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2023 – 12 C 23.342 – kommt das Gericht insoweit zum selben Ergebnis. Zwar hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 7. März 2023 die Beschwerde der Klägerin insgesamt für begründet gehalten, ohne zwischen den einzelnen angegriffenen Ziffern der Bescheide zu differenzieren. Dem Beschluss lassen sich indes keine inhaltlichen Ausführungen zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Klage und damit auch keine rechtlichen Bedenken gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 31. Januar 2023 zur dargestellten teilweisen Unzulässigkeit der Klage entnehmen.
37
Soweit ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, sind die Klagen nur dann statthaft, wenn die Klägerin ihr Begehren mittels einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO verfolgen kann. Dies ist zu bejahen, auch wenn mit den streitgegenständlichen Bescheiden auch über einen Antrag der Klägerin nach § 44 SGB X entschieden wurde. Denn die Beklagte hat nicht lediglich dem Antrag nach § 44 SGB X stattgegeben, soweit mit Bescheid vom 12. Juli 2018 eine Ersatzzahlung von mehr als 1.974,00 EUR festgesetzt wurde, und den Antrag im Übrigen (konkludent) abgelehnt mit der Folge, dass eine Verpflichtungsklage zu erheben gewesen wäre, gerichtet auf die Verpflichtung des Beklagten, die Bescheide vom 12. Juli 2018 aufzuheben. Vielmehr hat sie die Bescheide vom 12. Juli 2018 vollumfänglich aufgehoben (jeweils Ziffer 3 der Bescheide vom 18. Mai 2020) und zugleich Ersatzzahlungspflichten in Höhe von jeweils 1.974,00 EUR neu festgesetzt (jeweils Ziffer 2 der Bescheide). Die Ziffern 2 und 3 der streitgegenständlichen Bescheide enthalten jeweils eigenständige Verwaltungsakte, welche lediglich jeweils in einem Bescheid zusammengefasst wurden. Den streitgegenständlichen Bescheiden lassen sich auch keine Bestimmungen entnehmen, wonach der Bestand der einen Regelung von dem Bestand der anderen Regelung abhängen soll. Statthafte Klageart bei einer (Neu-) Festsetzung von Ersatzzahlungspflichten ist – anders als bei Versagung einer Neubescheidung nach § 44 SGB X – eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO gegen die Bescheide vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2020.
38
Dass es im Zeitpunkt der Klageerhebung an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO fehlte, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.
39
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig (§ 75 Satz 1 VwGO). Nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerbevollmächtigten ist der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020 erst nach Klageerhebung am gleichen Tag zugestellt worden. Über den Widerspruch ist nicht binnen drei Monaten (§ 75 Satz 2 VwGO) und damit nicht in angemessener Frist entschieden worden.
40
Das Ergehen des Widerspruchsbescheids berührt die Zulässigkeit der Klage nicht mehr, soweit die Klage zulässig erhoben worden ist (Kopp/ Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 75 Rn. 2, 21, 26). Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2021 ist der Widerspruchsbescheid wirksam in das Verfahren einbezogen worden. Die wie ausgeführt in zulässiger Weise erhobene Untätigkeitsklage wird in diesem Fall unter Einbeziehung des ablehnenden Widerspruchbescheids ohne Beachtung der Klagefrist des § 74 VwGO fortgeführt, ohne dass es einer weiteren Verfahrenshandlung der Klägerseite bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 27.9.2021 – 10 B 4/20 – NVwZ 2022, 82 Rn. 7 f. m.w.N.).
41
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsansicht nicht überspannt werden dürfen, voraussichtlich unbegründet. Denn die Ziffern 2 der an die Klägerin gerichteten Bescheide vom 18. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2020 erweisen sich als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
42
Rechtsgrundlage für die Regelung in der jeweiligen Ziffer 2 der Bescheide ist § 5 Abs. 1 UVG. Die Ersatzpflicht ist eine eigenständige, von dem Leistungsverhältnis zu dem Kind unabhängige Pflicht schadenersatzrechtlicher Art. Die Ersatzpflicht kann nach ständiger Rechtsprechung durch Verwaltungsakt gegenüber dem betroffenen Elternteil durchgesetzt werden (BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20/11 – juris Rn. 10 ff.). Dieser Ersatzanspruch setzt die Aufhebung des bewilligenden, an das jeweilige Kind gerichteten Verwaltungsakts nicht voraus, weil für die Rückabwicklung nicht das Kind, sondern der Elternteil bzw. gesetzliche Vertreter in Anspruch genommen werden soll, dem die objektiv rechtswidrige Zahlung der Unterhaltsleistung zuzurechnen ist (VG Saarlouis, B.v. 18.10.2010 – 11 K 294/10 – BeckRS 2010, 55179; Conradis in Rancke/Pepping (Hrsg.), HK-MuSchG, 6. Aufl. 2022, § 5 UVG Rn. 3).
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Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids vom 18. Mai 2020 bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist die ursprünglich unterbliebene, nach § 24 Abs. 1 SGB X vorgeschriebene Anhörung der Klägerin vor Bescheiderlass im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X; vgl. BVerwG, U.v. 18.8.1977 – V C 8/77 – BeckRS 2010, 51208 – Rn. 14, U.v. 17.8.1982 – 1 C 22/81 – NVwZ 1983, 284; B.v. 18.2.1991 – 7 B 15/91 – NVwZ-RR 1991, 337). Die Verwaltung hat die Äußerungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren zur Kenntnis genommen und erwogen, wie das Vorlageschreiben der Beklagten an die Widerspruchsbehörde vom 7. August 2020, dort ab S. 4 unten, und die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20. November 2020, dort insbesondere S. 9 unten und S. 11, zeigen.
44
Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 1 UVG. Haben die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für die sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen, so hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, den geleisteten Betrag nach § 5 Abs. 1 UVG insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat oder gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren.
45
Diese Voraussetzungen sind im streitgegenständlichen Fall erfüllt. Da die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Zeitraum 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018 nicht vorgelegen haben und die Klägerin die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass sie eine Anzeige nach § 6 Abs. 4 UVG mindestens fahrlässig unterlassen hat, hat sie als der Elternteil, bei dem der jeweils Berechtigte lebt, den geleisteten Betrag nach § 5 Abs. 1 UVG zu ersetzen.
46
Dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistungen im Zeitraum 1. Juni 2017 bis 31. Juni 2018 nicht vorlagen, ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG und § 1 Abs. 3 UVG.
47
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG setzt ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss voraus, dass der Anspruchsinhaber im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt.
48
Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal allerdings nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 20).
49
Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn ein Kind regelmäßig Zeit auch mit dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind durch den anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 20).
50
Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 20 m.w.N.).
51
Das Vorliegen des Merkmals „bei einem seiner Elternteile lebt“ ist jeweils auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist als ein wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, welcher Elternteil zum vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt wurde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird das Kindergeld bei mehreren Berechtigten demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Der Begriff der Aufnahme in den Haushalt ist zwar nicht deckungsgleich mit dem Begriff des „Lebens bei einem Elternteil“; er weist jedoch erhebliche Parallelen zu Letzterem auf. Danach liegt eine Haushaltaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 21 m.w.N.).
52
Ungeachtet dessen besteht ein Anspruch auf Unterhaltsleistung zudem nach § 1 Abs. 3 Alt. 1 UVG dann nicht, wenn der in Absatz 1 Nummer 2 bezeichnete Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenlebt. Ausgehend von dem Gesetzeszweck, eine Sozialleistung nur für die Kinder derjenigen Elternteile bereit zu stellen, die Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2000 – 5 C 42/99 – BVerwGE 112, 259 f.), ist der Begriff des Zusammenlebens im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG nicht erst dann erfüllt, wenn die – nicht (mehr) verheirateten – Eltern des Kindes eine eheähnliche Lebensgemeinschaft oder eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 und Abs. 3a SGB II bilden. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Eltern des Kindes nur in einer Weise Kontakt haben, die eher der Situation eines alleinstehenden Elternteils entspricht oder ob unter Berücksichtigung der vielfältig möglichen – und nicht nur idealtypischen – Formen familiären Zusammenlebens eher von einer faktisch vollständigen Familie auszugehen ist. Hierzu genügt, dass in der Wohnung, in der das Kind mit einem Elternteil lebt, der andere Elternteil einen, wenn auch nicht notwendig seinen einzigen Lebensmittelpunkt hat (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 6 m.w.N.; s.a. OVG NW, U.v. 24.5.2016 – 12 A 157/15 – NJW 2016, 3257 – juris Rn. 28).
53
Haben die Eltern eines Kindes hingegen allenfalls in einer Weise Kontakt, die der Situation eines alleinerziehenden Elternteils entspricht, so fehlt es an einem Zusammenleben im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105- juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 8.9.2009 – 4 PA 51/09 – FamRZ 2010, 331 f.). Vor allem reichen gelegentliche Besuche des Kindsvaters bei der Kindsmutter und den Kindern allein nicht aus, um ein Zusammenleben im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7; VG Aachen, U.v. 29.1.2008 – 2 K 709/05 – juris Rn. 32). Ebenso wenig kann allein die Feststellung geschlechtlicher Kontakte zum Ausschluss von Leistungen nach § 1 Abs. 3 UVG führen (vgl. VG Augsburg, U.v. 31.5.2011 – Au 3 K 22.184 u.a. – juris Rn. 30).
54
Im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist vielmehr – auch hinsichtlich des Begriffs des Zusammenlebens – entscheidend darauf abzustellen, inwieweit eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituation erfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7). Wenn das Gesetz eine Begünstigung von Kindern anstrebt, deren alleinerziehender Elternteil Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen müsste, so ist maßgeblich, wie die Bereuungssituation der Kinder im Alltag ausgestaltet ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7; VG Augsburg, U.v. 31.5.2011 – Au 3 K 11.184 u.a. – juris Rn. 30).
55
Nach der maßgeblichen gesetzgeberischen Zielrichtung handelt es sich bei der Unterhaltsvorschussleistung nämlich um eine besondere Sozialleistung, die nur – aber eben auch stets dann – Kindern derjenigen Eltern zu gewähren ist, die Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen müssen und bei Ausfall der Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit auch für den von dem anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen müssten. Diese zusätzliche Belastung soll durch eine öffentliche Unterhaltsleistung aufgehoben oder wenigstens gemildert werden (BT-Drs. 8/1952, S. 6 und 8/2773, S. 11).
56
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist mit für die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags hinreichender Sicherheit nicht von einem Leben der Kinder bei nur einem Elternteil im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018, aber von einem Zusammenleben der Kindseltern im Sinne von § 1 Abs. 3 UVG auszugehen.
57
Dies ergibt sich aus der vom Gericht vorzunehmenden Beweisprognose unter Zugrundelegung der zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorliegenden Tatsachen.
58
Das Gericht hat im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage eine antizipierte Beweiswürdigung, also eine vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolgs der vorliegenden und angebotenen Beweismittel vorzunehmen. Dass eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren in eng begrenztem Rahmen zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach unbeanstandet gelassen (st.Rspr., z.B. BVerfG, B.v. 7.5.1997 – 1 BvR 296/94 – juris Rn. 22; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 5 m.w.N.). Dies umfasst eine antizipierte Prüfung sowohl der Frage, ob eine Beweisaufnahme in Betracht kommt oder aber aufgrund der vorliegenden Indizien zur Überzeugungsbildung des Gerichts entbehrlich ist (BVerfG, B.v. 5.5.2009 – 1 BvR 255/09 – juris Rn. 4), als auch der sich daran anschließenden Frage, wie eine ggf. in Betracht kommende Beweisaufnahme voraussichtlich ausgehen wird (BVerfG, B.v. 30.9.2003 – BvR 2072/02 – juris Rn. 16).
59
Hält das Gericht aufgrund dieser Prüfung die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache für sehr unwahrscheinlich, so darf es Prozesskostenhilfe selbst dann verweigern, wenn es einem von der Partei gestellten Beweisantrag stattgeben muss. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch. Beide Entscheidungen sind voneinander unabhängig zu treffen (BVerfG, B.v. 23.1.1986 – 2 BvR 25/86 – juris). Während das Gericht im Klageverfahren einem Beweisantritt auch dann folgen muss, wenn auch nur die nicht ausgeschlossene Möglichkeit besteht, dass eine Tatsache erweislich ist, bindet das Gesetz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die hinreichende Erfolgsaussicht, was enger ist als das Gebot der Beweiserhebung (Schoenfeld in Gosch (Hrsg.), AO/FGO, 175. EL Stand Mai 2023, § 142 Prozesskostenhilfe, Rn. 31).
60
Im Rahmen seiner Beweisprognose kann das Gericht auch frühere Zeugenaussagen und sonstige Erkenntnisse aus anderen Gerichtsverfahren oder aus einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren heranziehen (BVerfG, B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 15 f.; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 8). Dies ist auch im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (BVerfG, B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 7 f.). Insofern kann zwischen einem ggf. noch anstehenden Beweisverfahren und dem Prozesskostenhilfeverfahren unterschieden werden. Denn auch ein bemittelter Rechtsuchender müsste sich insoweit überlegen, welche Erfolgschancen eine Beweisaufnahme hat (BVerfG, B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 8). Die Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, B.v. 7.5.1997 – 1 BvR 296/94 – juris Rn. 19; B.v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – NJW 2020, 534 Rn. 27). Kommt jedoch eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 1 BvR 1450/00 – NJW-RR 2002, 1069; B.v. 3.6.2003 – 1 BvR 1355/02 – NJW-RR 2003, 1216; B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 15; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 5; B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 14).
61
Dem Gericht lagen für seine Beweisprognose die in den Gerichts- und Behördenakten der Verfahren W 3 K 20.1975, W 3 K 20.1976 und W 3 K 20.1977 vorhandenen Unterlagen vor, die ausreichend nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Einschätzung des voraussichtlichen Ausgangs einer Beweiswürdigung und etwaigen Beweisaufnahme boten. Hierbei war die Aktenlage im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zugrundezulegen und nach dem sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Maßstab der richterlichen Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung der aus dem materiellen Fachrecht folgenden Beweisanforderungen zu würdigen.
62
Das Gericht hat alle Tatsachen berücksichtigt, welche ihm im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorlagen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Klage ist im streitgegenständlichen Fall der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs. Denn durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe soll die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend angeglichen werden, indem es Unbemittelten den Rechtsschutz zugänglich macht. Dem liefe es zuwider, wenn im Fall eines bewilligungsreifen Prozesskostenhilfeantrags bei der Prüfung der Erfolgsaussichten des Verfahrens nach der Bewilligungsreife eingetretene Änderungen der Sach- oder Rechtslage ohne Weiteres zulasten des Prozesskostenhilfebegehrenden berücksichtigt würden. Würde Prozesskostenhilfe im Fall solcher nachträglichen Änderungen trotz im Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichender Erfolgsaussicht nicht gewährt, stünden Unbemittelte stets vor dem Risiko, wegen einer für sie nicht sicher vorhersehbaren und von ihnen nicht verschuldeten Verzögerung der Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch Kosten eines bis dahin an und für sich hinreichend erfolgversprechenden Verfahrens tragen zu müssen. Dieses Kostenrisiko erschwerte Unbemittelten im Vergleich zu Bemittelten den Zugang zum Rechtsschutz und verstieße gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit (BVerfG, B.v. 16.4.2019 – 1 BvR 2111/17 – NVwZ-RR 2020, 137 Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.8.1996 – 7 C 96/1262 – NVwZ-RR 1997, 501). Entscheidet das Gericht nicht unverzüglich nach Eintritt der Bewilligungsreife über ein ordnungsgemäß gestelltes Prozesskostenhilfegesuch, so darf dem Rechtssuchenden hieraus kein Nachteil erwachsen (BayVGH, B.v. 6.8.1996 – 7 C 96/1262 – NVwZ-RR 1997, 501). Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, sind daher grundsätzlich nicht zulasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 4.10.2017 – 2 BvR 496/17 – BeckRS 2017, 130787 Rn. 14).
63
Bewilligungsreife eines Prozesskostenhilfegesuchs tritt regelmäßig erst ein, wenn der Rechtsschutzsuchende vollständige Prozesskostenhilfeunterlagen (§ 166 VwGO i.V.m. § 117, 118 Abs. 2 ZPO) vorgelegt hat und sich die Gegenseite gem. § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO äußern konnte (BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39/07 – BeckRS 2007, 26678; OVG NW, B.v. v. 9.8.2022 – 11 E 284/22 – BeckRS 2022, 19677 Rn. 7).
64
Hiervon ausgehend trat die Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs der Klägerin im Februar 2022 ein. Denn am 9. Februar 2022 lagen erstmals vollständige Prozesskostenhilfeunterlagen vor. Der Klageschrift vom 3. Dezember 2020, eingegangen bei Gericht am 7. Dezember 2020, war hingegen lediglich eine E-Mail mit einer PDF mit einzelnen zum Teil unleserlichen Seiten eines Bescheids des Jobcenters Aschaffenburg vom 12. Oktober 2020 beigefügt. Das Gericht wies die Klägerin mit Schreiben vom 5. März 2021 darauf hin, dass keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übermittelt worden sei und der übermittelte Beleg nicht vollständig lesbar sei. Am 21. Juni 2021 legte die Klägerin eine Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse vom 15. November 2020 vor. Zudem teilte sie mit, dass es sich bei dem nicht lesbaren Beleg um einen Bescheid über den Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch handele und kündigte dessen Übermittlung an, welche indes nicht erfolgte. Daher wies das Gericht mit Schreiben vom 26. Januar 2022 die Klägerin auf die Unvollständigkeit ihres Prozesskostenhilfegesuchs hin. Am 9. Februar 2022 legte die Klägerin eine überarbeitete Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 6. Februar 2022 vor. Der Erklärung war ein Bescheid des Jobcenters der Stadt Aschaffenburg vom 26. Januar 2022 über die Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch für den Zeitraum Februar 2022 bis einschließlich Juli 2022 beigefügt. Damit lagen erstmals ausreichende Unterlagen zur Beurteilung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Klägerin vor.
65
Wie bereits ausgeführt, finden nach dem Eintritt der Bewilligungsreife eingetretene Veränderungen der Sach- und Rechtslage keine Berücksichtigung zulasten der Klägerin. Das Gericht entscheidet unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Bewilligungsreife vorliegenden Aktenlage. Keine Berücksichtigung im Rahmen der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch finden daher der Inhalt der am 2. März 2022 bei Gericht eingegangenen, seit Klageerhebung angefallenen Behördenakten, der Erlass eines Strafbefehls am 6. April 2020, rechtskräftig seit 23. April 2020, dessen Existenz dem Gericht erstmals am 2. März 2022 und somit erst nach Ablauf des Monats Februar 2022 zur Kenntnis gebracht wurde (Bl. 73, 74 GA), sowie die Erkenntnisse aus den am 20. Februar 2023 bei Gericht eingegangenen Strafverfahrensakten. Ausgenommen hiervon sind die Ablichtungen aus den Strafverfahrensakten, welche sich in den bereits im Dezember 2020 in den Verfahren W 3 K 20.1975, W 3 K 20.1976, W 3 K 20.1977 vorgelegten Akten des Beklagten befinden. Diese lagen dem Gericht bereits beim erstmaligen Eintritt der Bewilligungsreife vor und sind daher als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.
66
Unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Bewilligungsreife vorliegenden Tatsachen hat das Gericht wie bereits ausgeführt eine Beweisprognose zu treffen. Die Beweiswürdigung im Klageverfahren richtet sich nach dem Maßstab des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der aus dem materiellen Fachrecht folgenden Beweisanforderungen. Diese bilden daher auch den Rahmen der vorzunehmenden Beweisprognose im Prozesskostenhilfeverfahren, wobei die engen Grenzen zulässiger Beweisantizipation nicht überschritten werden dürfen. Liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweiswürdigung im Klageverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klägerin ausgehen würde, so liefe es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, ihr – ihre wirtschaftliche Bedürftigkeit vorausgesetzt – wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 1 BvR 1450/00 – NJW-RR 2002, 1069; B.v. 3.6.2003 – 1 BvR 1355/02 – NJW-RR 2003, 1216; B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 15; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 5; B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 14).
67
In dem Verfahren, für welches Prozesskostenhilfe begehrt wird, ist eine Ersatzzahlungspflicht der Klägerin nach § 5 Abs. 1 UVG streitig. Die Anwendung der Regelungen des Unterhaltsvorschussgesetzes setzt stets eine umfassende Würdigung des Einzelfalls voraus, z.B. konkrete Feststellungen zu Häufigkeit, Anlass und Umfang der Aufenthalte des Kindsvaters mit der grundsätzlich allein betreuenden Kindsmutter, wenn Kindsmutter und Kindsvater in verschiedenen Wohnungen leben (BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – JAmt 2013, 224).
68
Dabei trägt die Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG einschließlich der Rechtswidrigkeit der erfolgten Leistungserbringung zwar grundsätzlich der Leistungsträger als derjenige, der sich hierauf zur Begründung des von ihm geltend gemachten Anspruchs gegen den Ersatzpflichtigen beruft. Der Leistungsträger genügt seiner Beweislast für in die Sphäre des Ersatzpflichtigen fallende Vorgänge aber bereits dann, wenn er Beweisanzeichen für deren Vorliegen liefert und der Ersatzpflichtige diesen nicht substantiiert entgegentritt.
69
Die Beweislastverteilung ist als materiell-rechtliche Frage in Auslegung der anzuwendenden gesetzlichen Vorschrift, hier des § 5 Abs. 1 UVG, zu ermitteln. Es muss jeweils aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung und aus dem Sachzusammenhang der getroffenen Vorschriften entnommen werden, welche Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine bestimmte Rechtsfolge eintritt. Wer sich auf diese Rechtsfolge beruft, trägt die Beweislast und unterliegt, wenn es nach der Überzeugung der dafür zuständigen Tatsacheninstanz nicht zu klären ist, ob die die Rechtsfolge auslösenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Denn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geht die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, grundsätzlich zu ihren Lasten (BVerwG, U.v. 16.1.1974 – VIII C 117.72 – juris Rn. 19; U.v. 24.8.1999 – 8 C 24/98 – juris Rn. 13). Dabei kann es von den Zielvorstellungen der gesetzlichen Regelung her auch gerechtfertigt sein, Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Beweislastentscheidung zum Nachteil desjenigen ausgehen zu lassen, in dessen Verantwortungssphäre und Verfügungssphäre diese fallen (Gedanke der Beweisnähe, vgl. BVerwG, U.v. 16.1.1974 – VIII C 117.72 – juris Rn. 22; U.v. 30.3.1978 – V C 20.76 – juris Rn. 39; VGH BW, U.v. 17.9.2007 – 12 S 2539/06 – juris Rn. 22). Eine Beweislastregelung kommt allerdings erst dann zum Tragen, wenn sich das Gericht keine Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) über das Vorliegen einer Tatsache, welche Tatbestandsvoraussetzung ist, bilden kann (BVerwG, U.v. 16.1.1974 – VIII C 117.72 – juris Rn. 19; U.v. 30.3.1978 – V C 20.76 – juris Rn. 39).
70
Selbst wenn nach den Zielvorstellungen einer gesetzlichen Regelung die Beweislast für eine bestimmte Tatsache demjenigen aufzuerlegen ist, welcher aus ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, können zudem Beweiserleichterungen greifen. In Betracht kommen beispielsweise Beweiserleichterungen nach den Regeln des Beweises des ersten Anscheins. Diese sind auch im Verwaltungsprozess anwendbar, wenn typische Geschehensabläufe vorliegen. Die Anscheinsbeweisführung setzt einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und es rechtfertigt, die besonderen Umstände des einzelnen Falls in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen (BVerwG, U.v. 24.8.1999 – 8 C 24/98 – juris Rn. 14 m.w.N.).
71
Darüber hinaus sind Beweiserleichterungen möglich, wenn es sich bei der Beweistatsache um in der persönlichen Sphäre der nicht beweispflichtigen Person wurzelnde Vorgänge handelt. Soweit die relevanten Umstände in familiären Beziehungen wurzeln oder sich als innere Tatsachen darstellen, die häufig nicht zweifelsfrei feststellbar sind, ist es gerechtfertigt, für die Feststellung des Vorliegens einer Tatbestandsvoraussetzung äußerlich erkennbare Merkmale als Beweisanzeichen (Indizien) heranzuziehen (so zur Feststellung des Bestehens eines Darlehensvertrags zwischen nahen Angehörigen als Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG BVerwG, U.v. 4.9.2008 – 5 C 30/07 – NVwZ 2009, 392 Rn. 24; BayVGH, B.v. 4.7.2012 – 12 ZB 11.479 – BeckRS 2012, 53594 Rn. 13; ebenso zur Feststellung der Rechtsmissbräuchlichkeit einer Vermögensübertragung zwischen nahen Angehörigen bei der Rückforderung von Ausbildungsförderung NdsOVG, B.v. 26.9.2018 – 4 LA 367/17 – NJW 2018, 3798 Rn. 8; BayVGH, B.v. 5.10.2006 – 12 ZB 06.907 – juris Rn. 2).
72
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs trägt der Beklagte zwar die materielle Beweislast für die hier in Rede stehenden Anspruchsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 UVG, dass der Inhaber des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss nicht nur bei einem seiner ledigen Elternteile lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG) oder die Eltern des Anspruchsinhabers zusammenleben (§ 1 Abs. 3 UVG). Indes gelten Beweiserleichterungen. Dies folgt aus dem Zweck des § 5 Abs. 1 UVG als Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Bescheide.
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In Fällen der Festsetzung von Ersatzzahlungspflichten nach § 5 Abs. 1 UVG entsteht der Ersatzanspruch nicht, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem in Rede stehenden Zeitraum vorlagen. Zu den Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung zählen auch die Tatbestandsmerkmale des Lebens bei nur einem Elternteil im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG und des Nicht-Zusammenlebens im Sinne von § 1 Abs. 3 UVG. Deren Erfüllung muss daher in Fällen der Festsetzung von Ersatzzahlungspflichten nach § 5 Abs. 1 UVG grundsätzlich die Behörde, die eine Ersatzzahlung festsetzen will, nachweisen. Denn sie ist diejenige, die sich auf das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzungen beruft, um hieraus eine bestimmte Rechtsfolge, die Festsetzung der Ersatzzahlungspflicht, abzuleiten (VG Würzburg, U.v. 7.7.2011 – W 3 K 11.170 – juris Rn. 39; VG Potsdam, U.v. 26.8.2019 – 7 K 3434/16 – juris Rn. 18).
74
Dies gilt aber im Hinblick auf den Zweck der in § 5 Abs. 1 UVG gesetzlich geregelten Ersatzpflicht nur im Grundsatz. § 5 Abs. 1 UVG begründet eine eigenständige Ersatzpflicht des Elternteils, bei dem der Berechtigte lebt, und des gesetzlichen Vertreters des Berechtigten, sofern dieser eine zu Unrecht erfolgte Leistungserbringung verschuldet. Damit zielt die Ersatzpflicht darauf, dass der Verlust von öffentlichen Haushaltsmitteln durch zu Unrecht erbrachte Leistungen wirtschaftlich ausgeglichen wird bzw. die wirtschaftliche Situation hergestellt wird, die bei rechtmäßiger Ausgestaltung der Leistungserbringung herrschen würde. Es erscheint von dieser Zielvorstellung her gerechtfertigt, Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Beweislastentscheidung zum Nachteil desjenigen ausgehen zu lassen, in dessen Verantwortungs- und Verfügungssphäre diese fallen. Dies ist für die Frage des Getrennt- oder Zusammenlebens von Elternteilen jedenfalls dann der ersatzpflichtige Elternteil, wenn die Behörde nachvollziehbare Indizien dafür liefert, dass der Inhaber des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss nicht nur bei einem seiner ledigen Elternteile lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG) oder die Eltern des Anspruchsinhabers zusammenleben (§ 1 Abs. 3 UVG). Denn die zuständige Behörde kann in aller Regel nicht oder nur eingeschränkt prüfen, ob dies der Fall ist oder nicht. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen lässt sich in aller Regel nur anhand von Umständen prüfen, die zu einem großen Teil in den persönlichen Lebensbereich der Eltern fallen, in den die Behörde keinen Einblick hat. Wer ein Kind zum Kindergarten oder zur Schule bringt oder für es behördliche Angelegenheiten regelt u.Ä., mag noch ohne Mitwirkung der Elternteile durch Befragung von Kindergarten-, Schul- und Behördenmitarbeitern festgestellt werden können. Wie sich jedoch das Zusammenleben bzw. der Umgang miteinander im Detail gestaltet, kann die Behörde in aller Regel nicht prüfen; dies spielt sich für die Behörde gleichsam „hinter geschlossenen Türen“ im privaten Bereich der Betroffenen ab, die insoweit beweisnäher erscheinen.
75
Im streitgegenständlichen Fall wird die im Klageverfahren anhand des dargestellten Maßstabs vorzunehmende Beweiswürdigung der Frage, ob mit Beginn des Mietvertrags ab dem 1. Juni 2017 ein Zusammenleben der Kindseltern (§ 1 Abs. 3 UVG) und kein Leben der Kinder bei nur einem Elternteil im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG anzunehmen ist, mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klägerin ausgehen. Dass sich das Gegenteil als richtig erweisen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Hierfür sprechen sämtliche vorliegenden Beweismittel mit Ausnahme von Angaben, die von der Klägerin und dem Vater ihrer Kinder stammen und sich auch in den engen Grenzen einer antizipierten Beweiswürdigung als unglaubhaft und unsubstantiiert erweisen.
76
Dem steht nicht entgegen, dass eine weitere Sachaufklärung im Klageverfahren durch eine Beweisaufnahme, etwa die Einvernahme von Zeugen allein schon im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. § 96 Abs. 1 VwGO; BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 28/10 – NVwZ-RR 2011, 986 Rn. 15 ff.; B.v. 18.6.2020 – 2 B 24.20 – BeckRS 2020, 17223 Rn. 8; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 96 Rn. 3 ff.) und die Pflicht zur Amtsaufklärung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), nicht völlig auszuschließen ist. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind wie bereits ausgeführt nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch. Das Gericht hat im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu prüfen, ob der von einem Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht. Bei der dahingehenden Prüfung ist nicht nur zu prüfen, ob eine weitere Sachaufklärung und Beweisaufnahme in Betracht kommen, sondern das Gericht darf auch – in eng begrenztem Rahmen – eine vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolgs der Beweismittel vornehmen (st.Rspr., z.B. BVerfG, B.v. 7.5.1997 – 1 BvR 296/94 – juris Rn. 21 f.; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 7 f.).
77
Unstreitig lebte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht allein mit ihren (damals) zwei Kindern in der Wohnung H* … * in A* … Die Klägerin gibt selbst an, dass in der Wohnung neben ihr und den Kindern auch ein Mann lebte. Streitig ist allein, ob es sich bei diesem um den Vater ihrer Kinder oder dessen Bruder handelt, mit dem die Klägerin nach ihren Angaben in einer Wohngemeinschaft lebte (S. 3 der Widerspruchsbegründung = Bl. 255 BA im Verfahren W 3 K 20.1976, S. 4 der Klageschrift vom 3.12.2020 = Bl. 4 GA). Insofern stellt sich die streitgegenständliche Konstellation anders dar als in der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 7. März 2023 – 12 C 23.342 – angesprochenen Fallkonstellation, in welcher das Kind nur bei einem seiner Elternteile lebt, aber regelmäßig auch Zeit mit dem anderen Elternteil verbringt, und für welche sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof insbesondere in den Rn. 11 und 20 seines Beschlusses mit der Frage nach Häufigkeit, Anlass und Umfang der Besuche bzw. Aufenthalte des Kindsvaters bei seinen Kindern und der Kindsmutter beschäftigt.
78
Dafür, dass die Klägerin und der Vater ihrer Kinder, A* … A** S* …, nicht aber dessen Bruder in der Wohnung H* … * in A* … lebten, spricht zunächst der Mietvertrag vom 1. Mai 2017 über diese Wohnung. Dieser wurde von der Klägerin und A* … A** S* …, die damals zwei gemeinsame Kinder hatten, für vier Personen abgeschlossen. Zwar wird im Mietvertrag, ebenso wie in der Mieterselbstauskunft vom 22. April 2017, (Bl. 45-54 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) nicht der Name des Kindsvaters genannt, sondern der seines Bruders, A* … M* … S* … (in den genannten Dokumenten fälschlicherweise mit einem „m“ statt mit Doppelbuchstabe geschrieben). Tatsächlich wurde der Mietvertrag indes durch A* … A** S* … unterzeichnet. Dass A* … A** S* … den Mietvertrag unterzeichnet hat, ergibt sich daraus, dass der Vermieter diesen gegenüber der Polizei als den Unterzeichner und Mieter identifizierte. Zudem stimmt die im Mietvertrag als bisherige Anschrift angegebene Anschrift von „A* … … S* …“ nicht mit der Anschrift des in Frankfurt lebenden Bruders von A* … A** S* … überein. Vielmehr handelt es sich um die Anschrift S* … S* … * in A* … Unter dieser Anschrift war zum Zeitpunkt der Abgabe der Mieterselbstauskunft und der Unterzeichnung des Mietvertrags die Klägerin und am 2. Januar 2017 für einen Tag A* … A** S* … (Bl. 77 BA im Verfahren W 3 K 20.1977), nicht jedoch A* … M* … S* … gemeldet. A* … A** S* … hat diese Anschrift nach seinen Angaben bereits zuvor im Rechtsgeschäftsverkehr verwendet, und zwar bei der Beantragung eines Führungszeugnisses (vgl. Telefonvermerk vom 16.1.2017, Bl. 59 im Verfahren W 3 K 20.1977, Schreiben des Kindsvaters vom 27.3.2017, Bl. 79 BA im Verfahren W 3 K 20.1977). Schließlich hat die Polizei festgestellt, dass die Unterschrift unter dem Mietvertrag mit der Unterschrift von A* … A** S* … unter seiner Beschuldigtenvernehmung übereinstimmt (Bl. 38 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Diese Feststellung konnte das Gericht anhand der Unterschriften unter dem Wohnungsmietvertrag (Bl. 45 BA im Verfahren W 3 K 20.1976), dem Übergabeprotokoll (Bl. 44 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) und dem Garagenmietvertrag (Bl. 42 BA im Verfahren W 3 K 20.1976), welche sämtlich auf den Namen des Bruders des Kindsvaters laufen, einerseits und der Unterschriften unter der Beschuldigtenvernehmung des Kindsvaters (Bl. 131 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) und einem Schreiben von ihm an den Beklagten vom 22. März 2017 (Bl. 79 BA im Verfahren W 3 K 20.1977) andererseits nachvollziehen.
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Das Gericht geht davon aus, dass der Abschluss eines Mietvertrags, ohne dass es an dieser Stelle einer Beurteilung der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Vertrags im Hinblick auf die Verwendung eines falschen Namens bedarf, für sich allein nicht zwingend bedeuten muss, dass die Person, die den Vertrag abgeschlossen hat, auch die Person ist, die in der Wohnung lebt. Ebensowenig vermögen vereinzelte Beobachtungen eines Aufenthalts des Kindsvaters in der Wohnung der Klägerin durch die Polizei (Beobachtung am 2.1.2018, Bl. 146 BA im Verfahren W 3 K 20.1976; Antreffen am 7.2.2018, Bl. 68 im Verfahren W 3 K 20.1976) für sich allein genommen ein Zusammenleben von Klägerin und Kindsvater nachzuweisen, da sich hieraus nicht auf die Häufigkeit des Aufenthalts schließen lässt. Im streitgegenständlichen Fall ist der Mietvertrag indes ein starkes Indiz dafür, dass die Klägerin und A* … A** S* … im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam in der gemeinsam angemieteten Wohnung lebten. Dies folgt aus den sonstigen Umständen des Einzelfalls. Sowohl in der Mieterselbstauskunft vom 22. April 2017 als auch im Mietvertrag vom 1. Mai 2017 wird explizit angegeben, dass vier Personen in die Wohnung einziehen. Zudem hat der Vermieter, welcher in einem benachbarten Haus wohnt, gegenüber der Polizei angegeben, A* … A** S* … regelmäßig dort zu sehen. Auch ein von der Polizei befragter Bekannter von A* … A** S* … gab an, dass dieser im H* … * in A* … wohne. Diesen Eindruck gewannen auch die eine Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 durchführenden Polizeibeamten (Vermerk vom 8.2.2018, Bl. 90 BA im Verfahren W 3 K 20.1976).
80
Im Einzelnen:
81
Die Klägerin gab am 15. März 2017 gegenüber der Beklagten an, dass der Kindsvater die Kinder lediglich zweimal die Woche besuche, bei ihnen übernachte und am nächsten Tag wieder gehe (Bl. 7 f., 10 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Der Kindsvater selbst hat über seinen Bevollmächtigten gegenüber der Beklagten unter Bestreiten des Bestehens eines gemeinsamen Haushalts angegeben, sich „oft“ dort aufzuhalten und „ab und an“ auch dort zu übernachten (Schriftsatz des Bevollmächtigten des Kindsvaters vom 23. Juli 2018, Bl. 160 BA im Verfahren W 3 K 20.1976).
82
Demgegenüber hat der Zeuge H* … C* …, Vermieter der Wohnung H* … * in A* …, in der die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum lebte, in seiner polizeilichen Vernehmung am 21. Juni 2018 (Bl. 55-59 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) angegeben, dass in der Wohnung neben der Klägerin und ihren Kindern auch ihr Lebensgefährte, A* … A** S* …, wohne. Letzteren identifizierte der Zeuge anhand eines Lichtbildes als den Vater der Kinder der Klägerin. Dieser habe auch den Mietvertrag unterzeichnet. Er, der Vermieter, sei aufgrund von Schäden und Reparaturen fünf- bis sechsmal in der Wohnung gewesen, zuletzt im April 2018. Bei diesen Besuchen habe für ihn nie infrage gestanden, dass die beiden kein Paar seien und nicht zusammenwohnen würden. Er habe A* … A** S* … zudem einen am 30. Juni 2017 abgeschlossenen Mietvertrag über eine Garage an dem Haus H* … * in A* … vermittelt, damit dieser dort seinen Porsche unterstellen könne. Inzwischen stehe seit ca. zwei Monaten stattdessen ein abgemeldeter Corsa in der Garage. Wohl deshalb stehe der Porsche jetzt bei ihm, dem Vermieter, in der Straße (J* …*) und nicht mehr an der Wohnanschrift H* … *. Er sehe A* … A** S* … fast täglich, wie er mit einem oder beiden Kindern zu dem Porsche gehe und wegfahre. A* … A** S* … nutze auch den Verbindungsweg durch seinen Garten hindurch. Vom Esszimmer aus habe er einen sehr guten Blick hierauf.
83
Diese Angaben sind glaubhaft. Insbesondere sind sie in sich widerspruchsfrei und der Zeuge hat nachvollziehbar erläutert, dass und weshalb er die geschilderten Beobachtungen machen konnte. Insbesondere erscheint es im Hinblick auf seine direkte Nachbarschaft zu dem von der Klägerin seinerzeit bewohnten Haus und der räumlichen Lage seines Esszimmers plausibel, dass er Angaben zur Häufigkeit der Anwesenheit des Kindsvaters machen kann. Der nicht mehr berufstätige Zeuge wohnt im Haus Nr. … in der J* …, einer Parallel straße der Straße „H* …“. Dieses Grundstück grenzt unmittelbar an das Grundstück H* … * an. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum der Zeuge falsche Angaben machen sollte. So hat er zwar angegeben, dass es Beschwerden darüber gab, dass die Klägerin Putzwasser aus einem Fenster ausgeschüttet habe, und dass in einem von der Klägerseite genutzten Speicher unter dem Dach Unordnung geherrscht habe. Allerdings hatte er nach seinen eigenen Angaben noch keine Veranlassung gesehen, wegen der Beschwerde über das Ausschütten des Putzwassers tätig zu werden, weil er dies „selber erst beobachten wollte“. Die Unordnung im Speicher wiederum hatte sich auf seinen Hinweis an die Klägerseite hin im Zeitpunkt der polizeilichen Vernehmung bereits gebessert. Es ist daher nicht ansatzweise erkennbar, dass der Zeuge ausreichend verärgert gewesen sein könnte, um die Klägerin und A* … A** S* … durch falsche Angaben zu belasten.
84
Zudem werden seine Schilderungen durch die Angaben des Zeugen S* … W* … sowie Beobachtungen der Polizei am 2. Januar 2018 gedeckt und durch das Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 gestützt:
85
Am 13. Dezember 2017 hielt die Polizei den Zeugen S* … W* …, einen Bekannten von A* … A** S* …, an. Der Zeuge war zu diesem Zeitpunkt mit einem auf A* … A** S* … zugelassenen und von der Klägerin genutzten Kraftfahrzeug in der B* … in A* … unterwegs. Von der B* … zweigt der H* … in der Nähe der Mehrzweckhalle O* … ab. Bei der Befragung durch die Polizei (Bl. 147 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) gab der Zeuge an, dass Halter des Fahrzeugs A* … A** S* … sei. Die Klägerin habe mit diesem Fahrzeug einen Unfall gehabt. Als Bekannter des Kindsvaters sei er mit der Schadensbegutachtung beauftragt worden. Nun fahre er das Fahrzeug dem Halter nach Hause. Dieser wohne zwei Straßen weiter. Dass dieser in D* … wohne, sei ihm, dem Zeugen, unbekannt.
86
Am 2. Januar 2018 beobachtete eine zivile Polizeistreife, wie A* … A** S* … die Wohnung im H* … * in A* … aufsuchte (Bl. 146 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Hierbei nutzte A* … A** S* … den weißen Porsche, welchen der Vermieter nach seinen Angaben fast täglich beobachtete, wie A* … A** S* … mit einem oder beiden Kindern zu dem Fahrzeug gehe und wegfahre. Bei der Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 gab A* … A** S* … an, Halter des Porsches zu sein. Seine Schwester komme zwar für die Kosten des Fahrzeugs auf, er dürfe es jedoch nutzen (Bl. 128 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Der Porsche war ausweislich von ZEVIS-Anfragen vom 5. Dezember 2017 und vom 10. April 2018 ab 8. Februar 2017 auf ihn zugelassen, ab 9. März 2018 auf seinen Bruder (Bl. 73, 76 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Nach der Schilderung des als Zeugen vernommenen Vermieters der Wohnung H* … * in A* … hat sich die Person des Fahrzeugnutzers durch den Halterwechsel indes nicht geändert.
87
Bei der Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 wurde der Kindsvater in der Wohnung H* … * in O* …, A* … angetroffen. Er hielt sich dort alleine mit einem Kind auf. Die Klägerin war einkaufen. Im Rahmen ihrer telefonischen Unterrichtung bezeichnete sie den Kindsvater als ihren Freund (Zwischenbericht vom 2.5.2018, Bl. 68 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Bei Eröffnung der Wohnungsdurchsuchung erklärte er, dass er mehrfach während der Woche seine Zeit in O* … verbringe. Im Rahmen seiner Vernehmung durch die Polizei (Bl. 128-132 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) gab er an, in der Wohnung übernachtet zu haben. Er habe ein gutes Verhältnis zu seiner Ex-Freundin, der Klägerin, und besuche seine Kinder sehr häufig. Er wohne allerdings in D* … bei seinen Eltern. Zuvor habe er bei seinem Bruder in F* … gewohnt. In O* … sei er unterschiedlich oft, manchmal dreimal die Woche, manchmal weniger, manchmal mehr.
88
Im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung wurden persönliche Gegenstände des Kindsvaters in der Wohnung aufgefunden (Schuhe, diverse Kleidungsstücke im gemeinsamen Kleiderschrank im Kinderzimmer, Kleidungsstücke im Schlafzimmer, persönliche Unterlagen wie ein Bescheid der Stadt F* … a* M* … über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, ein Rentenbescheid, ein Schreiben der Finanzverwaltung D* …, Abt. Stadtkasse als Vollstreckungsbehörde, Gesundheitsunterlagen; vgl. Durchsuchungsbericht und dazugehörige Bilddokumentation, Bl. 90-123 BA im Verfahren W 3 K 20.1976, Zwischenbericht vom 2.5.2018, Bl. 65-68 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Sowohl im Fahrzeug der Klägerin als auch im Fahrzeug des Kindsvaters waren Kindersitze fest eingebracht (Bl. 91 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Der Gesamtzustand der Wohnung erweckte den Eindruck, dass hier eine bestehende Lebensgemeinschaft wohnt (Bl. 90 BA im Verfahren W 3 K 20.1976).
89
Hinzu kommt, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum über zwei von sechs Konten des Kindsvaters verfügungsberechtigt war (Auskunftsersuchen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 25.4.2018, Bl. 80-84 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Dies spricht für ein gemeinsames Wirtschaften mit dem Kindsvater.
90
Die gegenseitige partnerschaftliche Unterstützung zeigt sich schließlich auch darin, dass der Kindsvater die Klägerin bei der Durchführung von Behördenverfahren unterstützt. So war er es, der um die Überprüfung des Bescheids vom 12. Juli 2018 bat (E-Mail vom 28. September 2018 an den Beklagten, Bl. 236 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Erst auf Hinweis des Beklagten, dass nur die Klägerin als Bescheidadressatin hierzu befugt sei, ging am 9. September 2019 eine mit „G* …“ statt „S* …“ unterzeichnete E-Mail mit fast identischem Wortlaut beim Beklagten ein (Bl. 237 im Verfahren W 3 K 20.1976). Beide E-Mails wurden über das E-Mail-Postfach des Kindsvaters (* …*) versandt. Auch die Erinnerung der Klägerin an die Bearbeitung ihrer Eingabe vom 6. Dezember 2019 (Bl. 240 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) erfolgte über dieses E-Mail-Postfach. Eine weitere Erinnerung, unterzeichnet mit „G* …“ vom 8. Mai 2020 (Bl. 242 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) erfolgte hingegen über das E-Mail-Postfach „A* … S* … < …de>“. Der zunächst nicht formgerecht per E-Mail eingelegte Widerspruch der Klägerin vom 2. Juni 2020 (Bl. 250 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) erfolgte wiederum über das Postfach …de. Auch in einem vorherigen Verfahren wegen des Erlasses des Bescheids vom 12. Januar 2017 hatte der Kindsvater telefonischen Kontakt mit der Beklagten, um den Sachverhalt zu klären (Aktenvermerk, Bl. 59 BA im Verfahren W 3 K 20.1977).
91
Auch wenn die Unterzeichnung eines Mietvertrags und ein wiederholtes Antreffen bzw. Beobachten des Kindsvaters in bzw. an der Wohnung durch die Polizei für sich allein genommen nicht genügen würden, um den Nachweis eines Zusammenlebens zu führen, so ergibt sich jedoch in der Gesamtschau aller dargestellten Umstände ein eindeutiges Bild zum Nachteil der Klägerin, ohne dass hinreichende Restzweifel am Ausgang der im Klageverfahren noch durchzuführenden weiteren Sachaufklärung und Beweiswürdigung verbleiben.
92
Das Vorbringen der Klägerin ist nicht geeignet, dies infrage zu stellen. Sie hat nicht bestritten, dass in der Wohnung vier Personen lebten, behauptet jedoch, es handele sich bei der vierten Person um A* … M* … S* …, nicht um A* … A** S* … Die beiden Brüder sähen sich sehr ähnlich, weshalb der Vermieter sie verwechsele (S. 3 der Widerspruchsbegründung = Bl. 255 BA im Verfahren W 3 K 20.1976, S. 4 f. der Klageschrift vom 3.12.2020 = Bl. 4 f. GA). Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine Schutzbehauptung. Die Behauptung, der Bruder von A* … A** S* … lebe in der Wohnung und nicht A* … A** S* … selbst, ist nicht ansatzweise substantiiert worden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass statt des Kindsvaters dessen Bruder im streitgegenständlichen Zeitraum in der Wohnung der Klägerin gewohnt hätte. Dem ist die Klägerseite nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Sie behauptet bloß pauschal, der Mietvertrag sei vom Bruder des Kindsvaters unterzeichnet worden und dieser habe mit der Klägerin in einer Wohngemeinschaft gelebt, ohne dies zu konkretisieren, etwa die Umstände des Vertragsabschlusses und des Zusammenlebens in der Wohnung und der Gründe hierfür auch nur ansatzweise näher darzulegen. So fehlt es beispielsweise an Ausführungen dazu, weshalb die Klägerin mit A* … M* … S* … zusammengezogen ist, wie sich dieses Zusammenleben gestaltete und aus welchem Grund A* … M* … S* … von F* … nach A* … gezogen sein bzw. dort einen weiteren Wohnsitz begründet haben soll. Auch fehlt es an einer plausiblen Erklärung dafür, weshalb bei der Wohnungsdurchsuchung persönliche Unterlagen von A* … A** S* …, aber nicht von dem angeblich in der Wohnung lebenden A* … M* … S* … gefunden wurden.
93
Das Gericht ist daher überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon, dass es sich bei dem Mann, welcher mit der Klägerin in der Wohnung H* … * in A* … lebte, um A* … A** S* … und nicht um A* … M* … S* … handelte. Mit den geschilderten Unterstützungshandlungen des Kindsvaters (Aufpassen auf die Kinder, „Fahrdienste“ für die Kinder, Unterstützung bei Erledigung von behördlichen Angelegenheiten), der teilweisen Zugriffsmöglichkeit der Klägerin auf Konten des Kindsvaters und der Erkenntnis aus der Wohnungsdurchsuchung, dass keine getrennte Nutzung von Räumen der Kindseltern erkennbar ist, liegen zudem starke Indizien dafür vor, dass die Klägerin und der Vater ihrer Kinder innerhalb der gemeinsam bewohnten Wohnung auch einen gemeinsamen Haushalt führen und eine häusliche Gemeinschaft besteht. Nach dem Gedanken der Beweisnähe hätte es daher der Klägerin oblegen, dem substantiiert entgegenzutreten. Hieran fehlt es. Die Ausführungen der Klägerseite sind so unsubstantiiert, dass sie – auch in den engen Grenzen einer Beweisantizipation – nicht vermögen, ausreichende Restzweifel am voraussichtlichen Ausgang der Beweiswürdigung zu begründen, um wenigstens offene Erfolgsaussichten der Klage annehmen zu können. Sie hat nicht ansatzweise dazu vorgetragen, wie sich das Zusammenleben in der Wohnung gestaltete. Stattdessen behauptete sie pauschal, überhaupt nicht mit dem Kindsvater, sondern mit dessen Bruder in der Wohnung gelebt zu haben, dies in Form einer Wohngemeinschaft, ohne dies näher darzulegen.
94
Nach alledem ist mit Beginn des Mietvertrags ab dem 1. Juni 2017 davon auszugehen, dass die Klägerin und der Vater ihrer Kinder zusammenwohnten, die Klägerin den Alltag und die Erziehung der Kinder nicht auf sich allein gestellt bewältigen musste, sondern eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituation erfolgte und die Situation der Klägerin daher nicht der eines alleinerziehenden Elternteils entspricht, vielmehr eine faktisch vollständigen Familie vorlag. Mithin wird bei der im Klageverfahren vorzunehmenden Beweiswürdigung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein Zusammenleben der Kindseltern (§ 1 Abs. 3 UVG) und kein Leben der Kinder bei nur einem Elternteil im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG anzunehmen zu sein. Ein anderes Ergebnis der Beweiswürdigung ist sehr unwahrscheinlich.
95
Dies würde selbst dann gelten, wenn man – entgegen den vorstehenden Ausführungen – die im Zeitpunkt dieser Entscheidung vorliegende Aktenlage einschließlich der nach Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs gewonnenen Erkenntnisse des Gerichts, welche sich auf die Erfolgsaussichten der Klage zum Nachteil der Klägerin auswirken, berücksichtigen würde. Dies gilt insbesondere für die Heranziehung der Strafverfahrensakten. Da sich aus diesen keine für die Klägerin günstigen Umstände ergeben, führt ihre Heranziehung zu keinem anderem Ergebnis. Die wesentlichen Aktenbestandteile finden sich in Kopie in den herangezogenen Behördenakten des Beklagten. In den Strafverfahrensakten befinden sich insbesondere zusätzliche Informationen über Verfügungen und rechtliche Einschätzungen der Staatsanwaltschaft, Informationen zu Verfahren des Jobcenters, Bankauskünfte, Informationen zu Strafverfahren gegen A* … A** S* … sowie Informationen zur Durchführung des gegen die Klägerin ergangenen Strafbefehls. Darüber hinaus findet sich in der Strafverfahrensakte eine Niederschrift des Jobcenters der Stadt A* … vom 21. April 2017, in welcher die Klägerin erklärt, über kein eigenes Konto zu verfügen, sondern das Konto von A* … A** S* … zu nutzen (in der Strafverfahrensakte vorhandene Kopie von Bl. 212 der Leistungsakte … des Jobcenters), eine Erkundigung des Zeugen H* … C* … vom 13. Juli 2018 nach der Terminierung einer mündlichen Verhandlung im Strafverfahren (Bl. 112 Strafverfahrensakte), ein Aktenvermerk über seine fernmündliche Mitteilung, dass A* … A** S* … inzwischen einen BMW fahre, welcher nach den Feststellungen der Polizei auf seinen Bruder A* … M* … S* … zugelassen ist, (Bl. 132 Strafverfahrensakte) sowie eine am 27. Dezember 2019 bei der Staatsanwaltschaft eingegangene anonyme Anzeige gegen A* … A** S* … wegen des Verdachts des Sozialbetrugs (Bl. 140 Strafverfahrensakte). Aus der Mitteilung des Zeugen H* … C* … und der anonymen Anzeige ergibt sich, dass A* … A** S* … inzwischen einen auf seinen Bruder zugelassenen BMW fährt. Letzteres bestätigt nochmals, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass von A* … A** S* … genutzte Gegenstände – hier die Wohnung und Fahrzeuge – auf den Namen von A* … M* … S* … laufen. Soweit die Terminanfrage des Zeugen und Vermieters der Wohnung H* … * in A* … zeigt, dass er am Ausgang des Strafverfahrens interessiert war, ergibt sich hieraus nichts Neues für die Würdigung seiner Aussage. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Vermieter wissen möchte, ob seine Mieter verurteilte Straftäter sind oder nicht, ohne dass sich hieraus irgendetwas zur Frage seiner Glaubwürdigkeit ableiten ließe.
96
Steht aber im Rahmen zulässiger Beweisantizipation fest, dass es sich bei der Person, die neben der Klägerin und ihren Kindern in der Wohnung H* … * in A* … lebte, nicht um den Bruder des Kindsvaters handelte, sondern um den Kindsvater selbst, bedarf es keiner weiteren Feststellungen zu den im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2023 – 12 C 23.342 – Rn. 18 aufgeworfenen weiteren Fragen, um von einer vollständigen, zusammenlebenden und zusammen wirtschaftenden Familie auszugehen. Da der Kindsvater in derselben Wohnung wie die Klägerin und deren Kinder lebt und dort somit einen, wenn auch nicht notwendig seinen einzigen Lebensmittelpunkt hat, ohne dass Anhaltspunkte für ein faktisches Getrenntleben innerhalb der gemeinsamen Wohnung auch nur ansatzweise erkennbar sind, spricht nichts dafür, dass es sich für die Klägerin und ihre Kinder dennoch um eine Situation handeln könnte, die der einer Alleinerziehenden vergleichbar wäre (vgl. NdsOVG, B.v. 8.9.2009 – 4 PA 51/09 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 6).
97
Die weiteren Voraussetzungen der Ersatzpflicht nach § 5 Abs. 1 UVG liegen ebenfalls vor:
98
Der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, hat den geleisteten Betrag nach § 5 Abs. 1 UVG insoweit zu ersetzen, als er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 unterlassen hat oder gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren.
99
Die Klägerin hat die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt, dass sie nicht angezeigt hat, dass der Vater des Kindes bei ihr und den gemeinsamen Kindern lebt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 UVG).
100
Die Klägerin war nach § 6 Abs. 4 UVG verpflichtet, der zuständigen Stelle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Die Klägerin hatte anlässlich der Antragstellungen und regelmäßigen Abfragen erklärt, dass die Kinder bei einem Elternteil leben. Dies war nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG auch für die Leistung erheblich. Der Berechtigte ist unabhängig von regelmäßigen Abfragen von sich aus gehalten, entsprechende Mitteilungen zu machen (Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 12).
101
Fahrlässigkeit heißt, die übliche Sorgfalt außer Acht gelassen zu haben (§ 276 BGB). Es reicht insofern einfache Fahrlässigkeit (BVerwG, B.v. 22.6.2006 – 5 B 42/06 – BeckRS 2006, 24493 Rn. 7; BayVGH, B.v. 19.12.2008 – 12 ZB 07.2401 – BeckRS 2008, 28719 Rn. 6). Wenn eine entsprechende Aufklärung stattgefunden hat, liegt in aller Regel wenigstens Fahrlässigkeit vor, wenn insoweit fehlerhafte Angaben gemacht oder Anzeigen unterlassen worden sind. Auf Unkenntnis kann sich die betreffende Person dann nicht berufen (Grube, UVG, 2. Aufl. 2020, § 5 Rn. 22).
102
Die Klägerin hat nach diesem Maßstab mindestens fahrlässig gehandelt. Sie wurde bereits bei der Antragstellung und während der Gewährung von Unterhaltsleistungen wiederholt auf ihre Anzeigepflichten hingewiesen. Die Klägerin erklärte bei der Antragstellung für J* … am 17. Februar 2016, dass die Unterhaltsvorschussstelle von ihr unverzüglich unterrichtet werde, wenn u.a. der alleinstehende Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenziehe und sich der Betreuungsumfang des Kindes durch den anderen Elternteil nicht nur geringfügig erhöhe. Die Klägerin bestätigte mit Vordruck vom 17. Februar 2016, dass sie das Merkblatt zum Antrag auf Unterhaltsvorschuss ausgehändigt bekommen habe, das Merkblatt beachten und jede Änderung in Familien-, Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnissen unverzüglich und unaufgefordert der Unterhaltsvorschussstelle melden werde. Die Klägerin erklärte ebenso bei der Antragstellung für Noah am 15. März 2017, dass die Unterhaltsvorschussstelle von ihr unverzüglich unterrichtet werde, wenn u.a. der alleinstehende Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenziehe und sich der Betreuungsumfang des Kindes durch den anderen Elternteil nicht nur geringfügig erhöhe. Die Klägerin bestätigte mit Vordruck vom 15. März 2017, dass sie das Merkblatt zum Antrag zum Unterhaltsvorschussgesetz ausgehändigt bekommen und erhalten habe. Sie werde das Merkblatt beachten und jede Änderung in Familien-, Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnissen unverzüglich und unaufgefordert der Unterhaltsvorschussstelle melden.
103
Es kann daher offenbleiben, ob die Klägerin die Zahlung der Unterhaltsleistung im Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 30. Juni 2018 auch dadurch herbeigeführt hat, dass sie zumindest fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 UVG), ebenso ob die Klägerin daneben auch gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
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Es stand auch nicht im Ermessen der Beklagten, die Erstattungsforderung geltend zu machen, sondern der Erstattungsbescheid musste aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG erfolgen (vgl. VG München, U.v. 25.7.2012 – M 18 K 10.5055 – BeckRS 2012, 59227; Conradis in Rancke/Pepping (Hrsg.), HK-MuSchG, 6. Aufl. 2022, § 5 UVG Rn. 3).
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Auch gegen die Regelung in Ziffer 4 Satz 2 der streitgegenständlichen Bescheide bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie entspricht der gesetzlichen Kostentragungsregelung des Art. 41 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
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Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussicht der Klage war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin abzulehnen, ohne dass es auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin ankommt.