Titel:
Erfolgloser Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem unterhaltsvorschussrechtlichen Verfahren
Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114
UVG § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3
Leitsätze:
1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist im Allgemeinen bereits dann gerechtfertigt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers für vertretbar und bei Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung in seinem Sinne zumindest für möglich hält (Anschluss an OVG Saarlouis BeckRS 2021, 9025). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Während das Gericht im Klageverfahren einem Beweisantritt auch dann folgen muss, wenn auch nur die nicht ausgeschlossene Möglichkeit besteht, dass eine Tatsache erweislich ist, bindet das Gesetz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die hinreichende Erfolgsaussicht, was enger ist als das Gebot der Beweiserhebung. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird Prozesskostenhilfe für einen minderjährigen Kläger beantragt, ist es erforderlich, sowohl eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des minderjährigen Klägers selbst nebst Belegen einzureichen, die von den Personensorgeberechtigten zu unterzeichnen ist, als auch Angaben zu den Unterhaltsverpflichteten und deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen (Anschluss an BSG BeckRS 2021, 39284). (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
4. Allein die Feststellung geschlechtlicher Kontakte kann nicht zum Ausschluss von Leistungen nach § 1 Abs. 3 UVG führen; im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach diesem Gesetz ist vielmehr – auch hinsichtlich des Begriffs des Zusammenlebens – entscheidend darauf abzustellen, inwieweit eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituationen erfolgt. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, Einstellung der Leistungen, Rückwirkende Leistungsaufhebung, Leistungsaufhebung für die Zukunft, Statthafte Klageart, vorweggenommene Beweiswürdigung, Beweisantritritt, minderjähriger Kläger, Bewilligungsreife, Unterhaltsvorschuss, wechselseitige Unterstützung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24419
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
1
In dem Verfahren, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, streiten die Beteiligten um Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für den am … … 2015 geborenen Kläger. Die Mutter des Klägers, S* … G* …, ist Klägerin im Verfahren W 3 K 20.1975. Der Bruder des Klägers, N* … E* … S* …, ist Kläger im Verfahren W 3 K 20.1976.
2
Mit Bescheid der Beklagten vom 1. März 2016 wurden für den Kläger Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Februar 2016 gewährt. Mit weiterem Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2017 erfolgte eine Neuregelung und Anpassung der Leistungsgewährung ab dem 1. Januar 2017 an gesetzliche Änderungen unter insoweitiger Aufhebung des vorherigen Bewilligungsbescheids.
3
Mit Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2017 wurden die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Kläger rückwirkend zum 3. Januar 2017 eingestellt und die für die Zeit vom 3. Januar 2017 bis 31. Januar 2017 noch ausgezahlten Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 145,00 EUR von der Kindsmutter zurückgefordert, da diese seit dem 2. Januar 2017 mit dem Kindsvater in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch half die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 2017 ab, nahm den Bescheid vom 12. Januar 2017 zurück und bewilligte erneut Unterhaltsleistungen für den Kläger ab dem 1. Februar 2017.
4
Mit Bescheiden der Beklagten vom 24. August 2017 und vom 18. Dezember 2017 erfolgte jeweils eine Neuregelung und Anpassung der Leistungsgewährung an gesetzliche Änderungen unter Aufhebung des jeweiligen vorherigen Bewilligungsbescheids. Der Bescheid vom 24. August 2017 bewilligt Leistungen für den Kläger nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Zeitraum vom 1. Februar 2016 bis zum 17. Dezember 2027.
5
Am 12. Juli 2018 erließ die Beklagte einen an die Mutter des Klägers adressierten Bescheid. Darin heißt es, dass die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Kläger zum 30. Juni 2018 eingestellt worden seien (Ziffer 1 des Bescheids). Zudem wurden mit diesem Bescheid die für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis 30. Juni 2018 ausgezahlten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von insgesamt 4.319,00 EUR zurückgefordert (Ziffer 2 des Bescheids).
6
Im weiteren Verlauf beantragte die Mutter des Klägers bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheids vom 12. Juli 2018.
7
Mit an den Kläger, vertreten durch seine Mutter, gerichtetem Bescheid vom 18. Mai 2020 hob die Beklagte den Bescheid vom 18. Dezember 2017 gestützt auf § 48 SGB X zum 31. Mai 2017 auf, stellte die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Kläger zum 31. Mai 2017 ein, hob den Bescheid vom 12. Juli 2018 nach § 44 Abs. 2 SGB X auf und ersetzte ihn durch den Bescheid vom 18. Mai 2020.
8
U.a. der Widerspruch des Klägers gegen den an ihn gerichteten Bescheid vom 18. Mai 2020 wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020, zugestellt am 7. Dezember 2020, zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Regierung von Unterfranken teile die Rechtsauffassung der Beklagten und folge dieser in den getroffenen Schlussfolgerungen. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz stünden unter dem Vorbehalt jederzeitiger Einstellung. Die hier mit Ablauf des 30. Juni 2018 erfolgte Einstellung der Leistungen bedeute daher keine Rückgängigmachung bereits bewilligter Hilfe, sondern die Versagung künftiger Leistungen. Die Einstellung der Leistungen sei auch zu Recht gem. § 48 Abs. 1 SGB X erfolgt, weil in den tatsächlichen bzw. rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten sei, welche zum Wegfall des Anspruchs aus dem Verwaltungsakt kraft Gesetzes geführt habe und nicht mitgeteilt worden sei.
9
Der Kläger, sein Bruder N* … S* … und seine Mutter haben am 7. Dezember 2020 noch vor Zugang des Widerspruchbescheids der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020 Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Würzburg erhoben (Az. W 3 K 20.1975).
10
Mit Beschluss vom 7. Dezember 2020 wurde von dem Verfahren W 3 K 20.1975 das Begehren des Klägers, den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Juni 2017 weiter zu gewähren, abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen W 3 K 20.1977 fortgeführt. Weiterhin wurde von dem Verfahren W 3 K 20.1975 das Begehren des Bruders des Klägers, den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, N* … S* … Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Juni 2017 weiter zu gewähren, abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen W 3 K 20.1976 fortgeführt.
11
In dem Verfahren, für welches Prozesskostenhilfe begehrt wird, hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 18. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem UVG ab dem 1. Juni 2017 weiter zu gewähren. Zugleich hat er Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten beantragt. Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2021 hat er die Einbeziehung des nach Klageerhebung zugestellten Widerspruchbescheids vom 20. November 2020 erklärt.
12
Zur Begründung seines Begehrens führt er aus, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und verletzten ihn in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bescheide vom 18. Dezember 2017 ab dem 31. Mai 2017 lägen nicht vor. Die Aufhebung und Ersetzung des Bescheids vom 12. Juli 2018 durch den Bescheid vom 18. Mai 2020 sei rechtswidrig, da § 44 Abs. 2 SGB X offensichtlich nicht einschlägig sei.
13
Mit Bescheid vom 31. Januar 2022 hat die Beklagte Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Kläger ab dem 1. August 2021 bis zum 17. Dezember 2027 bewilligt.
14
Auf Hinweis des Gerichts, dass unklar sei, für welchen Zeitraum Unterhaltsleistungen begehrt würden, teilte der Kläger mit Schriftsatz vom 5. April 2022 mit, der Bescheid vom 24. August 2017 lege den Zeitraum fest.
15
Die Beklagte beantragt unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20. November 2020, die Klage abzuweisen und Prozesskostenhilfe zu versagen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und in den Verfahren W 3 K 20.1975 und W 3 K 20.1976 sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten, welche Gegenstand dieser Verfahren waren, Bezug genommen.
17
Das Prozesskostenhilfegesuch war abzulehnen, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO und Anwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i.V.m. § 121 ZPO nicht vorliegen.
18
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die dabei anzustellende Prognose über die hinreichenden Erfolgsaussichten verlangt keine Gewissheit, sondern lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Tatsächliche und rechtliche Streitfragen können auf der Grundlage des bisherigen Vortrags nur summarisch beurteilt und deshalb nicht abschließend entschieden werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 166 Rn. 8).
19
Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) verwirklichen, indem Bemittelte und Bedürftige in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn die Sach- und Rechtslage bei summarischer Prüfung zumindest als offen erscheint, wobei die Anforderungen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht überspannt werden dürfen. Die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Insbesondere darf das Bewilligungsverfahren nicht dazu benutzt werden, die Klärung streitiger Rechts- oder Tatsachenfragen im Hauptsacheverfahren zu verhindern (vgl. BVerfG, B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 u.a. – juris Rn. 26 ff.; B.v. 10.8.2001 – 2 BvR 569/01 – juris Rn. 19 ff.). Dass die Entscheidung über die Hauptsache in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert worden wäre, kann allerdings nicht etwa aus dem Umfang einer Prozesskostenhilfe ablehnenden fachgerichtlichen Entscheidung für sich genommen abgeleitet werden (BVerfG, B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 13).
20
Ein Erfolg des Rechtsbehelfs muss nicht gewiss sein; vielmehr reicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit aus, die bereits gegeben ist, wenn im Zeitpunkt der Bewilligungsreife (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 166 Rn. 14a) ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist daher im Allgemeinen bereits dann gerechtfertigt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers für vertretbar und bei Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung in seinem Sinne zumindest für möglich hält (OVG Saarland, B.v. 28.4.2021 – 1 D 39/21 – BeckRS 2021, 9025 Rn. 3).
21
Hiervon ausgehend hat die Klage, für welche Prozesskostenhilfe begehrt wird, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, da der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit unterliegen wird.
22
Die Klage, mit welcher der Kläger Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Juni 2017 bis zum 17. Dezember 2027 begehrt, ist voraussichtlich zumindest teilweise, wenn nicht sogar vollständig unzulässig.
23
Der Kläger hat mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) eine voraussichtlich unstatthafte Klageart gewählt.
24
Wörtlich hat der anwaltlich vertretene Kläger beantragt, den Bescheid vom 18. Mai 2020 an den Kläger aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. Juni 2017 weiter zu gewähren (S. 2 der Klageschrift vom 3.12.2020). Der Klageantrag ist gemäß § 88 VwGO in entsprechender Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) dahingehend auszulegen, dass der Kläger eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO erhoben hat. Das Verpflichtungsbegehren zielt auf die (Weiter-) Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz unter Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 2020. Trotz Verwendung des für Leistungsklagen üblichen Begriffs „verurteilen“ wird aus dem Klageantrag deutlich, dass der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz unter Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 2020 begehrt. Bei dem Bescheid vom 18. Mai 2020 und bei Bescheiden über die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz handelt es sich um Verwaltungsakte. Zur Erzielung der gerichtlichen Aufhebung eines Verwaltungsakts stellt die Verwaltungsgerichtsordnung das Instrument der Anfechtungsklage, zur Erzielung der Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts das Instrument der Verpflichtungsklage zur Verfügung (§ 42 Abs. 1 VwGO). Der Klageantrag einer Anfechtungsklage richtet sich allein auf Aufhebung des betreffenden Verwaltungsakts, der Klageantrag einer Verpflichtungsklage hingegen richtet sich darauf, den begehrten Verwaltungsakt – ggf. unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte – vorzunehmen (§ 42 Abs. 1, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Im streitgegenständlichen Fall hat der Kläger keinen Klageantrag auf bloße Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 2020 gestellt, sondern darüber hinausgehend einen Klageantrag auf Verpflichtung („Verurteilung“) der Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gestellt. Er verfolgt somit erkennbar das Ziel der gerichtlichen Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsakts über die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem übrigen Vorbringen des Klägers im Gerichtsverfahren. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klagebegründung Ausführungen zu einer Anfechtungsklage enthält. Dies ist nämlich schlicht dem Umstand geschuldet, dass die Prozessbevollmächtigte die Begründung des klägerischen (Verpflichtungs-) Begehrens mit der Begründung des Anfechtungsbegehrens seiner Mutter, Klägerin im Verfahren W 3 K 20.1975, in einem Schriftsatz verbunden hat. Dass im Rahmen des Klagevorbringens nicht streng zwischen den einzelnen Klagebegehren und deren Voraussetzungen differenziert wurde, wird beispielsweise daraus deutlich, dass die Beschwernis des Klägers u.a. damit begründet wurde, dass „die Kläger“ Rückzahlungen zu leisten hätten wegen der Bescheide vom 18. Mai 2021 (Schriftsatz vom 5. April 2022, Bl. 42 GA), die offensichtlich gemeinten Bescheide vom 18.Mai 2020 aber lediglich die Klägerin im Verfahren W 3 K 20.1975 zur Rückzahlung von Unterhaltsleistungen verpflichten. Nur der an sie persönlich gerichtete Bescheid enthält eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung.
25
Die somit erhobene Verpflichtungsklage ist im streitgegenständlichen Fall voraussichtlich unstatthaft. Statt der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) wäre eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) zu erheben. Denn der Kläger wendet sich gegen einen Verwaltungsakt vom 18. Mai 2020, der frühere Verwaltungsakte ganz oder teilweise aufhebt und die Leistungseinstellung zum 31. Mai 2017 regelt. Neben dem ausdrücklich aufgehobenen Bescheid vom 18. Dezember 2017 hebt der Bescheid vom 18. Mai 2020 alle früheren Bewilligungsbescheide konkludent auf, soweit sie zum Zeitpunkt seines Erlasses noch wirksam waren und der Aufhebung der Leistungsgewährung ab dem 1. Juni 2017 entgegenstanden. Dies folgt aus der rückwirkenden Leistungsaufhebung in Ziffer 2 des Bescheids. Sollte der Verwaltungsakt vom 18. Mai 2020 durch das Gericht aufgehoben werden, würden die mit ihm aufgehobenen früheren leistungsbewilligenden Bescheide wiederaufleben und die im Bescheid vom 18. Mai 2020 enthaltene Einstellung der Leistung zum 31. Mai 2020 unwirksam werden (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Einer zusätzlichen Verpflichtung der Beklagten zur Leistungsgewährung für den darin geregelten Zeitraum bedürfte es dann nicht, so dass richtige Klageart die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO wäre.
26
Anders wäre dies dann zu beurteilen, wenn man davon ausgehen würde, dass Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz grundsätzlich nicht als rentengleiche Dauerleistungen gewährt würden, sondern implizit unter Vorbehalt der jederzeitigen Einstellung stünden. Denn dann könnte in der Aufhebung – jedenfalls im Hinblick auf künftige, also nach Erlass des Widerspruchsbescheids als letzter Behördenentscheidung liegende Bewilligungszeiträume – keine Rückgängigmachung bereits bewilligter Hilfe zu sehen sein, sondern die Einstellung (= Versagung) künftiger Leistungen. Die Frage, ob eine Anfechtungsklage ausreichend ist oder es einer zusätzlichen Verpflichtung des Beklagten auf Fortzahlung bzw. Weiterbewilligung bedarf, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (für die letztgenannte Ansicht VG München, U.v. 6.7.2005 – M 6a K 05.2281 – BeckRS 2005, 38386; a.A. OVG Sachsen, U.v. 24.5.2023 – 5 A 590/21 – BeckRS 2023, 13050; VG Augsburg, U.v. 27.3.2012 – Au 3 K 11.1298 – BeckRS 2012, 52091 Rn. 22; VG München, U.v. 4.7.2018 – 18 K 16.3912 – BeckRS 2018, 26490 Rn. 36), so dass bei der hier allein gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Unzulässigkeit der gesamten Klage wegen (möglicherweise) fehlender Statthaftigkeit ausgegangen werden kann.
27
Selbst wenn man aber in der Einstellung der Leistungen für die Zukunft eine Leistungsversagung sehen würde, die mit einer Verpflichtungsklage angreifbar wäre, wäre die Klage nur teilweise zulässig. Denn ihr fehlt zum Teil das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
28
Zum einen fehlt der Klage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie Leistungen für den Zeitraum ab dem 1. August 2021 zum Gegenstand hat.
29
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger Leistungen für den gesamten Zeitraum begehrt, welcher in früheren Bewilligungsbescheiden der Beklagten geregelt war. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Anspruch auf Leistungsgewährung in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden, in dem die Behörde den Fall geregelt hat (BVerwG, U.v. 14.7.1998 – 5 C 2/97 – juris Rn. 17; U.v. 31.8.1995 – 5 C 9/94 – juris Rn. 13 f.; U.v. 18.12.2017 – 5 C 36/16 – juris Rn. 22). Unbefristet gestellte Klageanträge sind grundsätzlich im Sinne des rechtlich möglichen Streitgegenstands auszulegen (VGH BW, U.v. 9.12.1992 – 6 S 760/91 – juris Rn. 15). Im Fall der Ablehnung einer Bewilligung ist daher davon auszugehen, dass der gesamte Regelungszeitraum zur gerichtlichen Prüfung gestellt werden soll, wenn keine ausdrückliche oder konkludente Beschränkung des Begehrens in der Klageschrift erfolgt. Dies trifft hier zu. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 18. Mai 2020 den gesamten Zeitraum, welchen sie zuvor mit Bescheiden vom 1. März 2016, 11. Januar 2017, 12. April 2017, 24. August 2017 und 18. Dezember 2017 geregelt hatte, ab dem 1. Juni 2017 neu geregelt. Folglich bezieht sich die im Bescheid vom 18. Mai 2020 konkludent enthaltene Aufhebung oder Ablehnung von Leistungen auf den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis einschließlich 17. Dezember 2027, auch wenn sich der zur Aufhebung bzw. Ablehnung führende Umstand, das Zusammenleben der Eltern des Klägers, künftig jederzeit wieder hätte ändern können. Letzteres berührt indes angesichts des eindeutigen Regelungszusammenhangs mit den früheren Bewilligungen nicht die Frage, welcher Zeitraum im Bescheid vom 18. Mai 2020 geregelt wurde, sondern allenfalls die Frage der Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit des gewählten Regelungszeitraums. Eine Beschränkung des klägerischen Begehrens auf einen kürzeren Zeitraum lässt sich der Klageschrift und dem sonstigen klägerischen Vorbringen nicht entnehmen.
30
Dass der Kläger mit seiner Klage für den gesamten Zeitraum vom 1. Juni 2020 bis zum 17. Dezember 2027 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz begehrt, hat er ungeachtet dessen jedenfalls mit Schriftsatz vom 5. April 2022 bestätigt und klargestellt. Darin führt die Prozessbevollmächtigte aus, der Bescheid vom 24. August 2017 lege den Zeitraum fest. Der Bescheid vom 24. August 2017 bewilligt Leistungen für den Kläger nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Zeitraum vom 1. Februar 2016 bis zum 17. Dezember 2027. Unter Berücksichtigung des Klageantrags vom 3. Dezember 2020 macht der anwaltlich vertretene Kläger mit seiner Klage in zeitlicher Hinsicht mithin Leistungen vom 1. Juni 2017 bis zum 17. Dezember 2027 geltend.
31
Soweit der Kläger somit auch Leistungen für den Zeitraum ab dem 1. August 2021 begehrt, fehlt seiner Klage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Denn der Beklagte hat für den Kläger mit Bescheid vom 31. Januar 2022 (Bl. 404 BA) Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab dem 1. August 2021 bis zum 17. Dezember 2027 bewilligt, welche ihrer Höhe nach die in früheren Bescheiden bewilligten Beträge übersteigen. Dieser Bescheid vom 31. Januar 2022 ist im Rahmen der vorliegenden Entscheidung zu berücksichtigen, obwohl er erst nach der Klageerhebung erlassen worden ist. Denn er existierte in dem für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags bereits und wurde dem Gericht mit ergänzender Aktenvorlage am 2. März 2022 vorgelegt. Das Gericht geht dabei davon aus, dass Bewilligungsreife frühestens mit Eingang der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vom 7. März 2023 am 9. März 2023 gegeben war, nicht aber bereits mit Vorlage der Erklärung der Kindsmutter über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 6. Februar 2022, eingegangen bei Gericht am 9. Februar 2022. Denn diese beinhaltete keine Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers selbst.
32
Zum anderen fehlt der Klage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie sich gegen Ziffer 3 des Bescheids vom 18. Mai 2020 richtet, welche den Bescheid vom 12. Juli 2018 aufhebt. Denn die Aufhebung des Bescheids vom 12. Juli 2018 steht der vom Kläger begehrten Leistungsbewilligung nicht entgegen und belastet ihn auch sonst nicht. Der Bescheid vom 12. Juli 2018 richtet sich allein an die Mutter des Klägers und regelt eine Rückzahlungspflicht der Mutter des Klägers. Er regelt keine an den Kläger selbst gerichtete oder ihn betreffende Leistungsbeendigung. Dies ergibt sich daraus, dass der Bescheid im Adressfeld an die Mutter des Klägers adressiert ist, ohne dass aus der Adressierung oder dem sonstigen Bescheidtext ersichtlich wäre, dass diese nicht (nur) selbst, sondern (auch) als gesetzliche Vertreterin des Klägers adressiert wird. Zudem heißt es in Ziffer 1 des Bescheids, die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Kläger seien zum 30. Juni 2018 eingestellt worden, nicht aber, dass sie mit diesem Bescheid eingestellt würden. Diese Wortwahl („Leistungen […] wurden […] eingestellt“ statt „werden eingestellt“) macht deutlich, dass in dem Bescheid vom 12. Juli 2018 keine Regelung über die Leistungseinstellung getroffen worden ist, sondern lediglich informatorisch auf eine – ggf. nur vermeintlich – bereits existierende Leistungseinstellung hingewiesen wird. Aus der Bescheidbegründung ergibt sich nichts anderes. Die in Ziffer 2 des Bescheids vom 12. Juli 2018 geregelte Rückzahlungsverpflichtung wiederum richtet sich ausweislich der Bescheidbegründung, welche diese Regelung auf § 5 Abs. 1 UVG, eine sich an Elternteile und den gesetzlichen Vertreter des Berechtigten richtende Vorschrift, als Rechtsgrundlage stützt, allein an die Mutter des Klägers und nicht an diesen selbst. Infolgedessen wird die Rechtsstellung des Klägers durch die Aufhebung des Bescheids vom 12. Juli 2018 nicht berührt. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gegen Ziffer 3 des Bescheids vom 18. Mai 2020 gerichtete Klage ist daher nicht erkennbar.
33
Im Übrigen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage. Insbesondere der Umstand, dass es im Zeitpunkt der Klageerhebung an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO fehlte, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Ist nämlich – wie hier – über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig (§ 75 Satz 1 VwGO). Nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerbevollmächtigten ist der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 20. November 2020 erst nach Klageerhebung am gleichen Tag zugestellt worden. Über den Widerspruch ist nicht binnen drei Monaten (§ 75 Satz 2 VwGO) und damit nicht in angemessener Frist entschieden worden.
34
Das spätere Ergehen des Widerspruchsbescheids berührt die Zulässigkeit der Klage nicht mehr, soweit die Klage zulässig erhoben worden ist (Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 75 Rn. 2, 21, 26). Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2021 ist der Widerspruchsbescheid wirksam in das Verfahren einbezogen worden. Die wie ausgeführt in zulässiger Weise erhobene Untätigkeitsklage wird in diesem Fall unter Einbeziehung des ablehnenden Widerspruchbescheids ohne Beachtung der Klagefrist des § 74 VwGO fortgeführt, ohne dass es einer weiteren Verfahrenshandlung der Klägerseite bedarf (vgl. BVerwG, B.v. 27.9.2021 – 10 B 4/20 – NVwZ 2022, 82 Rn. 7 f. m.w.N.).
35
Soweit die Klage nicht bereits am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis scheitert, ist sie voraussichtlich unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 31. Juli 2021. Allein dies ist indes im Rahmen einer Verpflichtungsklage durch das Gericht zu prüfen. Nicht durch das Gericht zu prüfen ist hingegen die Frage, ob der Bescheid vom 18. Mai 2020 rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz hat, wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt, und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil oder, wenn dieser oder ein Stiefelternteil gestorben ist, Waisenbezüge mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält (§ 1 Abs. 1 UVG). Nach § 1 Abs. 3 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsleistung allerdings nicht, wenn der Elternteil, bei dem das leistungsberechtigte Kind lebt, mit dem anderen Elternteil zusammenlebt oder sich weigert, die Auskünfte, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlich sind, zu erteilen oder bei der Feststellung der Vaterschaft oder des Aufenthalts des anderen Elternteils mitzuwirken.
37
Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal allerdings nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 20).
38
Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn ein Kind regelmäßig Zeit auch mit dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind durch den anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 20).
39
Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 20 m.w.N.).
40
Das Vorliegen des Merkmals „bei einem seiner Elternteile lebt“ ist jeweils auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist als ein wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, welcher Elternteil zum vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt wurde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird das Kindergeld bei mehreren Berechtigten demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Der Begriff der Aufnahme in den Haushalt ist zwar nicht deckungsgleich mit dem Begriff des „Lebens bei einem Elternteil“; er weist jedoch erhebliche Parallelen zu Letzterem auf. Danach liegt eine Haushaltaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BVerwG, U.v. 11.10.2012 – 5 C 20.11 – juris Rn. 21 m.w.N.).
41
Ungeachtet dessen besteht ein Anspruch auf Unterhaltsleistung zudem nach § 1 Abs. 3 Alt. 1 UVG dann nicht, wenn der in Absatz 1 Nummer 2 bezeichnete Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenlebt. Ausgehend von dem Gesetzeszweck, eine Sozialleistung nur für die Kinder derjenigen Elternteile bereit zu stellen, die Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.2000 – 5 C 42/99 – BVerwGE 112, 259 f.), ist der Begriff des Zusammenlebens im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG nicht erst dann erfüllt, wenn die – nicht (mehr) verheirateten – Eltern des Kindes eine eheähnliche Lebensgemeinschaft oder eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 und Abs. 3a SGB II bilden. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Eltern des Kindes nur in einer Weise Kontakt haben, die eher der Situation eines alleinstehenden Elternteils entspricht oder ob unter Berücksichtigung der vielfältig möglichen – und nicht nur idealtypischen – Formen familiären Zusammenlebens eher von einer faktisch vollständigen Familie auszugehen ist. Hierzu genügt, dass in der Wohnung, in der das Kind mit einem Elternteil lebt, der andere Elternteil einen, wenn auch nicht notwendig seinen einzigen Lebensmittelpunkt hat (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 6 m.w.N.; s.a. OVG NRW, U.v. 24.5.2016 – 12 A 157/15 – NJW 2016, 3257 – juris Rn. 28).
42
Haben die Eltern eines Kindes hingegen allenfalls in einer Weise Kontakt, die der Situation eines alleinerziehenden Elternteils entspricht, so fehlt es an einem Zusammenleben im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 8.9.2009 – 4 PA 51/09 – FamRZ 2010, 331 f.). Vor allem reichen gelegentliche Besuche des Kindsvaters bei der Kindsmutter und den Kindern allein nicht aus, um ein Zusammenleben im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG anzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7; VG Aachen, U.v. 29.1.2008 – 2 K 709/05 – juris Rn. 32). Ebenso wenig kann allein die Feststellung geschlechtlicher Kontakte zum Ausschluss von Leistungen nach § 1 Abs. 3 UVG führen (vgl. VG Augsburg, U.v. 31.5.2011 – Au 3 K 22.184 u.a. – juris Rn. 30).
43
Im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist vielmehr – auch hinsichtlich des Begriffs des Zusammenlebens – entscheidend darauf abzustellen, inwieweit eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituation erfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7). Wenn das Gesetz eine Begünstigung von Kindern anstrebt, deren alleinerziehender Elternteil Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen müsste, so ist maßgeblich, wie die Bereuungssituation der Kinder im Alltag ausgestaltet ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 C 12.2105 – juris Rn. 7; VG Augsburg, U.v. 31.5.2011 – Au 3 K 11.184 u.a. – juris Rn. 30).
44
Nach der maßgeblichen gesetzgeberischen Zielrichtung handelt es sich bei der Unterhaltsvorschussleistung nämlich um eine besondere Sozialleistung, die nur – aber eben auch stets dann – Kindern derjenigen Eltern zu gewähren ist, die Alltag und Erziehung auf sich allein gestellt bewältigen müssen und bei Ausfall der Unterhaltsleistungen des anderen Elternteils im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit auch für den von dem anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen müssten. Diese zusätzliche Belastung soll durch eine öffentliche Unterhaltsleistung aufgehoben oder wenigstens gemildert werden (BT-Drs 8/1952, S. 6 und 8/2773, S. 11).
45
Ausgehend hiervon hat der Kläger voraussichtlich keinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen für den im Rahmen der Begründetheit der Klage vom Gericht voraussichtlich allein zu überprüfenden Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 31. Juli 2021. Denn er lebte in diesem Zeitraum nicht im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG nur bei einem seiner Elternteile und seine Elternteile lebten im Sinne von § 1 Abs. 3 UVG zusammen. Dies ergibt sich aus der vom Gericht vorzunehmenden Beweisprognose unter Zugrundelegung der zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorliegenden Tatsachen.
46
Das Gericht hat im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage eine antizipierte Beweiswürdigung, also eine vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolgs der vorliegenden und angebotenen Beweismittel vorzunehmen. Dass eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren in eng begrenztem Rahmen zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach unbeanstandet gelassen (st.Rspr., z.B. BVerfG, B.v. 7.5.1997 – 1 BvR 296/94 – juris Rn. 22; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 5 m.w.N.). Dies umfasst eine antizipierte Prüfung sowohl der Frage, ob eine Beweisaufnahme in Betracht kommt oder aber aufgrund der vorliegenden Indizien zur Überzeugungsbildung des Gerichts entbehrlich ist (BVerfG, B.v. 5.5.2009 – 1 BvR 255/09 – juris Rn. 4), als auch der sich daran anschließenden Frage, wie eine ggf. in Betracht kommende Beweisaufnahme voraussichtlich ausgehen wird (BVerfG, B.v. 30.9.2003 – BvR 2072/02 – juris Rn. 16).
47
Hält das Gericht aufgrund dieser Prüfung die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache für sehr unwahrscheinlich, so darf es Prozesskostenhilfe selbst dann verweigern, wenn es einem von der Partei gestellten Beweisantrag stattgeben muss. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch. Beide Entscheidungen sind voneinander unabhängig zu treffen (BVerfG, B.v. 23.1.1986 – 2 BvR 25/86 – juris). Während das Gericht im Klageverfahren einem Beweisantritt auch dann folgen muss, wenn auch nur die nicht ausgeschlossene Möglichkeit besteht, dass eine Tatsache erweislich ist, bindet das Gesetz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO an die hinreichende Erfolgsaussicht, was enger ist als das Gebot der Beweiserhebung (Schoenfeld in Gosch (Hrsg.), AO/FGO, 175. EL Stand Mai 2023, § 142 Prozesskostenhilfe, Rn. 31).
48
Im Rahmen seiner Beweisprognose kann das Gericht auch frühere Zeugenaussagen und sonstige Erkenntnisse aus anderen Gerichtsverfahren oder aus einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren heranziehen (BVerfG, B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 15 f.; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 8). Dies ist auch im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (BVerfG, B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 7 f.). Insofern kann zwischen einem ggf. noch anstehenden Beweisverfahren und dem Prozesskostenhilfeverfahren unterschieden werden. Denn auch ein bemittelter Rechtsuchender müsste sich insoweit überlegen, welche Erfolgschancen eine Beweisaufnahme hat (BVerfG, B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 8). Die Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, B.v. 7.5.1997 – 1 BvR 296/94 – juris Rn. 19; B.v. 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – NJW 2020, 534 Rn. 27). Kommt jedoch eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 1 BvR 1450/00 – NJW-RR 2002, 1069; B.v. 3.6.2003 – 1 BvR 1355/02 – NJW-RR 2003, 1216; B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 15; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 5; B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 14).
49
Dem Gericht lagen für seine Beweisprognose die in den Gerichts- und Behördenakten der Verfahren W 3 K 20.1975, W 3 K 20.1976 und W 3 K 20.1977 vorhandenen Unterlagen vor, die ausreichend nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Einschätzung des voraussichtlichen Ausgangs einer Beweiswürdigung und etwaigen Beweisaufnahme boten. Hierbei war die Aktenlage im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zugrundezulegen und nach dem sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Maßstab der richterlichen Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung der aus dem materiellen Fachrecht folgenden Beweisanforderungen zu würdigen.
50
Das Gericht hat alle Tatsachen berücksichtigt, welche ihm im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vorlagen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Klage ist im streitgegenständlichen Fall der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs. Denn durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe soll die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend angeglichen werden, indem es Unbemittelten den Rechtsschutz zugänglich macht. Dem liefe es zuwider, wenn im Fall eines bewilligungsreifen Prozesskostenhilfeantrags bei der Prüfung der Erfolgsaussichten des Verfahrens nach der Bewilligungsreife eingetretene Änderungen der Sach- oder Rechtslage ohne Weiteres zulasten des Prozesskostenhilfebegehrenden berücksichtigt würden. Würde Prozesskostenhilfe im Fall solcher nachträglichen Änderungen trotz im Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichender Erfolgsaussicht nicht gewährt, stünden Unbemittelte stets vor dem Risiko, wegen einer für sie nicht sicher vorhersehbaren und von ihnen nicht verschuldeten Verzögerung der Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch Kosten eines bis dahin an und für sich hinreichend erfolgversprechenden Verfahrens tragen zu müssen. Dieses Kostenrisiko erschwerte Unbemittelten im Vergleich zu Bemittelten den Zugang zum Rechtsschutz und verstieße gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit (BVerfG, B.v. 16.4.2019 – 1 BvR 2111/17 – NVwZ-RR 2020, 137 Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.8.1996 – 7 C 96/1262 – NVwZ-RR 1997, 501). Entscheidet das Gericht nicht unverzüglich nach Eintritt der Bewilligungsreife über ein ordnungsgemäß gestelltes Prozesskostenhilfegesuch, so darf dem Rechtssuchenden hieraus kein Nachteil erwachsen (BayVGH, B.v. 6.8.1996 – 7 C 96/1262 – NVwZ-RR 1997, 501). Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags eintreten, sind daher grundsätzlich nicht zulasten des Rechtsschutzsuchenden zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 4.10.2017 – 2 BvR 496/17 – BeckRS 2017, 130787 Rn. 14).
51
Bewilligungsreife eines Prozesskostenhilfegesuchs tritt regelmäßig erst ein, wenn der Rechtsschutzsuchende vollständige Prozesskostenhilfeunterlagen (§ 166 VwGO i.V.m. § 117, 118 Abs. 2 ZPO) vorgelegt hat und sich die Gegenseite gem. § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO äußern konnte (BVerwG, B.v. 12.9.2007 – 10 C 39/07 – BeckRS 2007, 26678; OVG NW, B.v. v. 9.8.2022 – 11 E 284/22 – BeckRS 2022, 19677 Rn. 7).
52
Hiervon ausgehend trat die Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs des Klägers im März 2023 ein. Denn am 9. März 2023 legte der Kläger erstmals eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Zuvor lag lediglich für seine Mutter eine Erklärung über deren persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse vor. Dies genügt nicht den Anforderungen an die vom Kläger zu machenden Angaben zu seiner wirtschaftlichen Bedürftigkeit nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ZPO. Wird – wie hier – Prozesskostenhilfe für einen minderjährigen Kläger beantragt, ist es erforderlich, eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des minderjährigen Klägers selbst nebst Belegen einzureichen, die von den Personensorgeberechtigten zu unterzeichnen ist. Zusätzlich bedarf es Angaben zu den Unterhaltsverpflichteten und deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (BSG, B.v. 18.11.2021 – B 1 KR 68/21 B – BeckRS 2021, 39284 Rn. 3; OVG Nds., B.v. 19.1.2021 – 8 PA 5/21 – BeckRS 2021, 630 Rn. 3). Im streitgegenständlichen Fall lagen dem Gericht erst mit Eingang der Erklärung vom 7. März 2023 am 9. März 2023 für den Kläger persönlich und seine Mutter Formblatterklärungen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters des Klägers wurde nicht vorgelegt. Von der Anforderung einer Formularerklärung des Vaters des Klägers hat das Gericht allerdings unter Berücksichtigung der Wertung des § 2 Abs. 2 PKHFV, welcher an sich kein Absehen von der Einreichung einer Formularerklärung, sondern lediglich von dem Ausfüllen bestimmter Formularabschnitte ermöglicht, ausnahmsweise abgesehen, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers auch so hinreichend ersichtlich sind und das Verlangen einer Formularerklärung daher überflüssige Förmelei. Denn im streitgegenständlichen Fall ist aus der Aktenlage ersichtlich, dass der Kindsvater – ungeachtet des überdies bestehenden (teilweisen) Übergangs des Unterhaltsanspruchs nach § 7 UVG – unter Berücksichtigung seines Eigenbedarfs (§ 1603 Abs. 1, 2 Satz 1 BGB) zu geringes Einkommen hat, um einen relevanten finanziellen Beitrag zur Prozessführung zu leisten. Denn er bezieht seit dem 1. August 2021 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch unter – einer unter Vorbehalt stehenden – Anrechnung einer Erwerbsminderungsrente (Bl. 383 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Diese Auskunft stammt zwar aus dem Jahr 2022. Im Hinblick darauf, dass der Vater des Klägers nach Aktenlage bereits seit April 2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht (z.B. Bl. 28, 39, 70, 100 BA), mithin nicht arbeitsfähig ist, ist davon auszugehen, dass sich hieran nichts wesentlich geändert hat. Damit lagen im März 2023 erstmals ausreichende Unterlagen zur Beurteilung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Klägers vor.
53
Wie bereits ausgeführt, finden nach dem Eintritt der Bewilligungsreife eingetretene Veränderungen der Sach- und Rechtslage keine Berücksichtigung zulasten des Klägers. Das Gericht entscheidet unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Bewilligungsreife vorliegenden Aktenlage.
54
Unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Bewilligungsreife vorliegenden Tatsachen hat das Gericht wie bereits ausgeführt eine Beweisprognose zu treffen. Die Beweiswürdigung im Klageverfahren richtet sich nach dem Maßstab des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der aus dem materiellen Fachrecht folgenden Beweisanforderungen. Diese bilden daher auch den Rahmen der vorzunehmenden Beweisprognose im Prozesskostenhilfeverfahren, wobei die engen Grenzen zulässiger Beweisantizipation nicht überschritten werden dürfen. Liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweiswürdigung im Klageverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen würde, so liefe es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, ihm – seine wirtschaftliche Bedürftigkeit vorausgesetzt – wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (vgl. BVerfG, B.v. 20.2.2002 – 1 BvR 1450/00 – NJW-RR 2002, 1069; B.v. 3.6.2003 – 1 BvR 1355/02 – NJW-RR 2003, 1216; B.v. 30.9.2003 – 1 BvR 2072/02 – juris Rn. 15; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 5; B.v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 – NJW 2013, 1727 Rn. 14).
55
Im streitgegenständlichen Fall wird die im Klageverfahren vorzunehmende Beweiswürdigung der Frage, ob mit Beginn des Mietvertrags ab dem 1. Juni 2017 ein Zusammenleben der Eltern (§ 1 Abs. 3 UVG) und kein Getrenntleben im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG anzunehmen ist, mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen. Dass sich das Gegenteil als richtig erweisen wird, ist sehr unwahrscheinlich. Hierfür sprechen sämtliche vorliegenden Beweismittel mit Ausnahme von Angaben, die von der Mutter des Klägers und seinem Vater stammen und sich auch in den engen Grenzen einer antizipierten Beweiswürdigung als unglaubhaft und unsubstantiiert erweisen.
56
Dem steht nicht entgegen, dass eine weitere Sachaufklärung im Klageverfahren durch eine Beweisaufnahme, etwa die Einvernahme von Zeugen allein schon im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. § 96 Abs. 1 VwGO; BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 28/10 – NVwZ-RR 2011, 986 Rn. 15 ff.; B.v. 18.6.2020 – 2 B 24.20 – BeckRS 2020, 17223 Rn. 8; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 96 Rn. 3 ff.) und die Pflicht zur Amtsaufklärung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), nicht völlig auszuschließen ist. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind wie bereits ausgeführt nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch. Das Gericht hat im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht der Klage im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu prüfen, ob der von einem Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht. Bei der dahingehenden Prüfung ist nicht nur zu prüfen, ob eine weitere Sachaufklärung und Beweisaufnahme in Betracht kommen, sondern das Gericht darf auch – in eng begrenztem Rahmen – eine vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolgs der Beweismittel vornehmen (st.Rspr., z.B. BVerfG, B.v. 7.5.1997 – 1 BvR 296/94 – juris Rn. 21 f.; B.v. 29.10.2009 – 1 BvR 2237/09 – NJW 2010, 288 Rn. 7 f.).
57
Am 13. September 2018 hat die Mutter des Klägers beim Jobcenter der Stadt Aschaffenburg die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beantragt. Hierbei gab sie an, seit dem 1. August 2018 in einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater des Klägers zu leben. Auch im Weiterbewilligungsantrag vom 11. Januar 2019 gab sie an, dass der Vater des Klägers in ihrer Bedarfsgemeinschaft lebe (s. Antragskopien in den Strafverfahrensakten). Das Schreiben des Jobcenters der Stadt Aschaffenburg an die UVG-Stelle der Stadt Aschaffenburg vom 26. Januar 2022 indiziert, dass der Vater des Klägers erst ab 1. August 2021 aus der Bedarfsgemeinschaft ausgeschieden ist. Ausweislich einer in der Strafverfahrensakte befindlichen Anmeldebestätigung der Stadt Aschaffenburg vom 1. August 2018 war der Vater des Klägers mit Einzugsdatum 31. Juli 2018 in der Wohnung H* … * in A* …, in welcher damals unstreitig der Kläger und seine Mutter lebten, als einziger Wohnung gemeldet. Ab dem 1. Mai 2020 waren der Kläger und seine beiden Elternteile mit ihrer einzigen Wohnung im D* … W** … in … G* … gemeldet (Bl. 313-315 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Auch wenn die Voraussetzungen der § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 3 UVG unabhängig von der sozial- und melderechtlichen Lage zu prüfen und festzustellen sind, sind dies gewichtige Indizien dafür, dass der Vater des Klägers jedenfalls in dem Zeitraum vom 1. August 2018 bis 31. Juli 2021 mit dem Kläger und dessen Mutter zusammenlebte. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Sozialhilfeträger und die Meldebehörde offenkundig nicht gegen den Willen der Eltern des Klägers von den dargestellten Umständen ausgegangen sind, sondern ihre Feststellungen auf Angaben der Eltern selbst beruhten. Das Gericht ist angesichts dieser Umstände im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO überzeugt davon, dass die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 3 UVG im Zeitraum vom 1. August 2018 bis 31. Juli 2021 nicht vorlagen. Es obliegt in der streitgegenständlichen Konstellation dem Kläger, bei derart gewichtigen Beweisanzeichen diesen substantiiert entgegenzutreten. Der Kläger hat indes nicht ansatzweise Gründe dafür vorgetragen, die die widersprüchlichen Angaben seiner Eltern im Sozialhilfeverfahren und Meldeverfahren einerseits und im Unterhaltsleistungsverfahren andererseits nachvollziehbar aufzulösen vermögen. Es ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, dass seine Eltern im Sozialhilfeverfahren und bei der polizeilichen Anmeldung des Kindsvaters falsche Angaben gemacht haben sollten. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Bescheid vom 12. Juli 2018 und der offenbar jedenfalls faktisch erfolgten Einstellung der Unterhaltsleistungen für den Kläger zum 31. Mai 2017 legt zur Überzeugung des Gerichts vielmehr nahe, dass die Eltern des Klägers die Aufdeckung ihres Zusammenlebens durch die Behörden zum Anlass nahmen, die rechtliche Lage der tatsächlichen Lage anzupassen.
58
Das Gericht geht davon aus, dass die weitere Sachaufklärung und Beweiswürdigung im Klageverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit zu dem Ergebnis führen wird, dass die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 3 UVG auch schon vor dem 1. August 2018 in dem Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 31. Juli 2018 nicht vorlagen.
59
Unstreitig lebten der Kläger, seine Mutter und sein Bruder im vorgenannten Zeitraum nicht allein in der Wohnung H* … * in A* … Der Kläger gibt selbst an, dass in der Wohnung neben ihm, seiner Mutter und seinem Bruder auch ein Mann lebte. Streitig ist allein, ob es sich bei diesem um seinen Vater oder dessen Bruder handelt, mit dem nach klägerischen Angaben eine Wohngemeinschaft bestand (S. 3 der Widerspruchsbegründung = Bl. 291 BA, S. 4 der Klageschrift vom 3.12.2020 = Rückseite Bl. 2 GA).
60
Dafür, dass der Kläger, sein Bruder, seine Mutter und sein Vater, nicht aber dessen Bruder in der Wohnung H* … * in A* … lebten, spricht zunächst der Mietvertrag vom 1. Mai 2017 über diese Wohnung. Dieser wurde von der Mutter des Klägers und A* … A** S* …, die damals zwei gemeinsame Kinder hatten, für vier Personen abgeschlossen. Zwar wird im Mietvertrag, ebenso wie in der Mieterselbstauskunft vom 22. April 2017, (Bl. 45-54 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) nicht der Name des Kindsvaters genannt, sondern der seines Bruders, A* … M* … S* … (in den genannten Dokumenten fälschlicherweise mit einem „m“ statt mit Doppelbuchstabe geschrieben). Tatsächlich wurde der Mietvertrag indes durch A* … A** S* … unterzeichnet. Dass A* … A** S* … den Mietvertrag unterzeichnet hat, ergibt sich daraus, dass der Vermieter diesen gegenüber der Polizei als den Unterzeichner und Mieter identifizierte. Zudem stimmt die im Mietvertrag als bisherige Anschrift angegebene Anschrift von „A* … M* … S* …“ nicht mit der Anschrift des in F* … lebenden Bruders von A* … A** S* … überein. Vielmehr handelt es sich um die Anschrift S* … S* … * in A* … Unter dieser Anschrift war zum Zeitpunkt der Abgabe der Mieterselbstauskunft und der Unterzeichnung des Mietvertrags die Mutter des Klägers und am 2. Januar 2017 für einen Tag A* … A** S* … (Bl. 77 BA), nicht jedoch A* … M* … S* … gemeldet. A* … A** S* … hat diese Anschrift nach seinen Angaben bereits zuvor im Rechtsgeschäftsverkehr verwendet, und zwar bei der Beantragung eines Führungszeugnisses (vgl. Telefonvermerk vom 16.1.2017, Bl. 59, Schreiben des Kindsvaters vom 27.3.2017, Bl. 79 BA). Schließlich hat die Polizei festgestellt, dass die Unterschrift unter dem Mietvertrag mit der Unterschrift von A* … A** S* … unter seiner Beschuldigtenvernehmung übereinstimmt (Bl. 38 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Diese Feststellung konnte das Gericht anhand der Unterschriften unter dem Wohnungsmietvertrag (Bl. 45 BA im Verfahren W 3 K 20.1976), dem Übergabeprotokoll (Bl. 44 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) und dem Garagenmietvertrag (Bl. 42 BA im Verfahren W 3 K 20.1976), welche sämtlich auf den Namen des Bruders des Kindsvaters laufen, einerseits und der Unterschriften unter der Beschuldigtenvernehmung des Kindsvaters (Bl. 131 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) und einem Schreiben von ihm an den Beklagten vom 22. März 2017 (Bl. 79 BA) andererseits nachvollziehen.
61
Das Gericht geht davon aus, dass der Abschluss eines Mietvertrags, ohne dass es an dieser Stelle einer Beurteilung der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Vertrags im Hinblick auf die Verwendung eines falschen Namens bedarf, für sich allein nicht zwingend bedeuten muss, dass die Person, die den Vertrag abgeschlossen hat, auch die Person ist, die in der Wohnung lebt. Ebensowenig vermögen vereinzelte Beobachtungen eines Aufenthalts des Kindsvaters in der Wohnung des Klägers und seiner Mutter durch die Polizei (Beobachtung am 2.1.2018, Bl. 146 BA im Verfahren W 3 K 20.1976; Antreffen am 7.2.2018, Bl. 68 im Verfahren W 3 K 20.1976) für sich allein genommen ein Zusammenleben von Kind, Kindsmutter und Kindsvater nachzuweisen, da sich hieraus nicht auf die Häufigkeit des Aufenthalts schließen lässt. Im streitgegenständlichen Fall ist der Mietvertrag indes ein starkes Indiz dafür, dass der Kläger, seine Mutter und A* … A** S* … im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam in der gemeinsam angemieteten Wohnung lebten. Dies folgt aus den sonstigen Umständen des Einzelfalls. Sowohl in der Mieterselbstauskunft vom 22. April 2017 als auch im Mietvertrag vom 1. Mai 2017 wird explizit angegeben, dass vier Personen in die Wohnung einziehen. Zudem hat der Vermieter, welcher in einem benachbarten Haus wohnt, gegenüber der Polizei angegeben, A* … A** S* … regelmäßig dort zu sehen. Auch ein von der Polizei befragter Bekannter von A* … A** S* … gab an, dass dieser im H* … * in A* … wohne. Diesen Eindruck gewannen auch die eine Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 durchführenden Polizeibeamten (Vermerk vom 8.2.2018, Bl. 90 BA im Verfahren W 3 K 20.1976).
63
Die Mutter des Klägers gab am 15. März 2017 gegenüber der Beklagten an, dass der Kindsvater die Kinder lediglich zweimal die Woche besuche, bei ihnen übernachte und am nächsten Tag wieder gehe (Bl. 7 f., 10 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Der Vater des Klägers hat über seinen Bevollmächtigten gegenüber der Beklagten unter Bestreiten des Bestehens eines gemeinsamen Haushalts angegeben, sich „oft“ dort aufzuhalten und „ab und an“ auch dort zu übernachten (Schriftsatz des Bevollmächtigten des Kindsvaters vom 23. Juli 2018, Bl. 160 BA im Verfahren W 3 K 20.1976).
64
Demgegenüber hat der Zeuge H* … C* …, Vermieter der Wohnung H* … * in A* …, in der (u.a.) der Kläger, sein Bruder und seine Mutter im streitgegenständlichen Zeitraum lebten, in seiner polizeilichen Vernehmung am 21. Juni 2018 (Bl. 55-59 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) angegeben, dass in der Wohnung neben dem Kläger, dessen Bruder und Mutter auch A* … A** S* … wohne. Letzteren identifizierte der Zeuge anhand eines Lichtbildes als den Vater des Klägers. Dieser habe auch den Mietvertrag unterzeichnet. Er, der Vermieter, sei aufgrund von Schäden und Reparaturen fünf- bis sechsmal in der Wohnung gewesen, zuletzt im April 2018. Bei diesen Besuchen habe für ihn nie infrage gestanden, dass die Eltern des Klägers kein Paar seien und nicht zusammenwohnen würden. Er habe A* … A** S* … zudem einen am 30. Juni 2017 abgeschlossenen Mietvertrag über eine Garage an dem Haus H* … * in A* … vermittelt, damit dieser dort seinen Porsche unterstellen könne. Inzwischen stehe seit ca. zwei Monaten stattdessen ein abgemeldeter Corsa in der Garage. Wohl deshalb stehe der Porsche jetzt bei ihm, dem Vermieter, in der Straße (J* …*) und nicht mehr an der Wohnanschrift H* … *. Er sehe A* … A** S* … fast täglich, wie er mit einem oder beiden Kindern zu dem Porsche gehe und wegfahre. A* … A** S* … nutze auch den Verbindungsweg durch seinen Garten hindurch. Vom Esszimmer aus habe er einen sehr guten Blick hierauf.
65
Diese Angaben sind glaubhaft. Insbesondere sind sie in sich widerspruchsfrei und der Zeuge hat nachvollziehbar erläutert, dass und weshalb er die geschilderten Beobachtungen machen konnte. Insbesondere erscheint es im Hinblick auf seine direkte Nachbarschaft zu dem von dem Kläger und seiner Mutter seinerzeit bewohnten Haus und der räumlichen Lage seines Esszimmers plausibel, dass er Angaben zur Häufigkeit der Anwesenheit des Kindsvaters machen kann. Der nicht mehr berufstätige Zeuge wohnt im Haus Nr. … in der J* …, einer Parallel straße der Straße „H* …“. Dieses Grundstück grenzt unmittelbar an das Grundstück H* … * an. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum der Zeuge falsche Angaben machen sollte. So hat er zwar angegeben, dass es Beschwerden darüber gab, dass die Mutter des Klägers Putzwasser aus einem Fenster ausgeschüttet habe, und dass in einem von der Klägerseite genutzten Speicher unter dem Dach Unordnung geherrscht habe. Allerdings hatte er nach seinen eigenen Angaben noch keine Veranlassung gesehen, wegen der Beschwerde über das Ausschütten des Putzwassers tätig zu werden, weil er dies „selber erst beobachten wollte“. Die Unordnung im Speicher wiederum hatte sich auf seinen Hinweis an die Eltern des Klägers hin im Zeitpunkt der polizeilichen Vernehmung bereits gebessert. Es ist daher nicht ansatzweise erkennbar, dass der Zeuge ausreichend verärgert gewesen sein könnte, um die Eltern des Klägers durch falsche Angaben zu belasten. Dass der Zeuge von sich aus der Polizei im Strafverfahren noch weitere Angaben zukommen ließ (Bl. 132 Strafverfahrensakte) und sich nach der Terminierung einer mündlichen Verhandlung erkundigte (Bl. 112 Strafverfahrensakte), zeigt dies lediglich, dass er am Ausgang des Strafverfahrens interessiert war. Hieraus ergibt sich nichts Neues für die Würdigung seiner Aussage. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Vermieter wissen möchte, ob seine Mieter verurteilte Straftäter sind oder nicht, ohne dass sich hieraus irgendetwas zur Frage seiner Glaubwürdigkeit ableiten ließe.
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Zudem werden seine Schilderungen durch die Angaben des Zeugen S* … W* … sowie Beobachtungen der Polizei am 2. Januar 2018 gedeckt und durch das Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 gestützt:
67
Am 13. Dezember 2017 hielt die Polizei den Zeugen S* … W* …, einen Bekannten von A* … A** S* …, an. Der Zeuge war zu diesem Zeitpunkt mit einem auf A* … A** S* … zugelassenen und von der Mutter des Klägers genutzten Kraftfahrzeug in der B* … in A* … unterwegs. Von der B* … zweigt der H* … in der Nähe der Mehrzweckhalle O* … ab. Bei der Befragung durch die Polizei (Bl. 147 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) gab der Zeuge an, dass Halter des Fahrzeugs A* … A** S* … sei. Die Mutter des Klägers habe mit diesem Fahrzeug einen Unfall gehabt. Als Bekannter des Kindsvaters sei er mit der Schadensbegutachtung beauftragt worden. Nun fahre er das Fahrzeug dem Halter nach Hause. Dieser wohne zwei Straßen weiter. Dass dieser in D* … wohne, sei ihm, dem Zeugen, unbekannt.
68
Am 2. Januar 2018 beobachtete eine zivile Polizeistreife, wie A* … A** S* … die Wohnung im H* … * in A* … aufsuchte (Bl. 146 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Hierbei nutzte A* … A** S* … den weißen Porsche, welchen der Vermieter nach seinen Angaben fast täglich beobachtete, wie A* … A** S* … mit einem oder beiden Kindern zu dem Fahrzeug gehe und wegfahre. Bei der Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 gab A* … A** S* … an, Halter des Porsches zu sein. Seine Schwester komme zwar für die Kosten des Fahrzeugs auf, er dürfe es jedoch nutzen (Bl. 128 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Der Porsche war ausweislich von ZEVIS-Anfragen vom 5. Dezember 2017 und vom 10. April 2018 ab 8. Februar 2017 auf ihn zugelassen, ab 9. März 2018 auf seinen Bruder (Bl. 73, 76 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Nach der Schilderung des als Zeugen vernommenen Vermieters der Wohnung H* … * in A* … hat sich die Person des Fahrzeugnutzers durch den Halterwechsel indes nicht geändert. Zudem ergibt sich aus der Strafverfahrensakte, dass der Vater des Klägers später einen BMW fuhr, welcher ebenfalls auf seinen Bruder zugelassen war (Bl. 127, 132 Strafverfahrensakte). Dies bestätigt, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass von A* … A** S* … genutzte Gegenstände – hier die Wohnung und Fahrzeuge – auf den Namen von A* … M* … S* … laufen.
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Bei der Wohnungsdurchsuchung am 7. Februar 2018 wurde der Vater des Klägers in der Wohnung H* … * in O* …, A* … angetroffen. Er hielt sich dort alleine mit einem Kind auf. Die Mutter des Klägers war einkaufen. Im Rahmen ihrer telefonischen Unterrichtung bezeichnete sie den Kindsvater als ihren Freund (Zwischenbericht vom 2.5.2018, Bl. 68 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Bei Eröffnung der Wohnungsdurchsuchung erklärte der Kindsvater, dass er mehrfach während der Woche seine Zeit in O* … verbringe. Im Rahmen seiner Vernehmung durch die Polizei (Bl. 128-132 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) gab er an, in der Wohnung übernachtet zu haben. Er habe ein gutes Verhältnis zu seiner Ex-Freundin, der Mutter des Klägers, und besuche seine Kinder sehr häufig. Er wohne allerdings in Darmstadt bei seinen Eltern. Zuvor habe er bei seinem Bruder in F* … gewohnt. In O* … sei er unterschiedlich oft, manchmal dreimal die Woche, manchmal weniger, manchmal mehr.
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Im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung wurden persönliche Gegenstände des Kindsvaters in der Wohnung aufgefunden (Schuhe, diverse Kleidungsstücke im gemeinsamen Kleiderschrank im Kinderzimmer, Kleidungsstücke im Schlafzimmer, persönliche Unterlagen wie ein Bescheid der Stadt F* … a* M* … über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, ein Rentenbescheid, ein Schreiben der Finanzverwaltung D* …, Abt. Stadtkasse als Vollstreckungsbehörde, Gesundheitsunterlagen; vgl. Durchsuchungsbericht und dazugehörige Bilddokumentation, Bl. 90-123 BA im Verfahren W 3 K 20.1976, Zwischenbericht vom 2.5.2018, Bl. 65-68 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Sowohl im Fahrzeug der Klägerin als auch im Fahrzeug des Kindsvaters waren Kindersitze fest eingebracht (Bl. 91 BA). Der Gesamtzustand der Wohnung erweckte den Eindruck, dass hier eine bestehende Lebensgemeinschaft wohnt (Bl. 90 BA im Verfahren W 3 K 20.1976).
71
Hinzu kommt, dass die Mutter des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum über zwei von sechs Konten des Kindsvaters verfügungsberechtigt war (Auskunftsersuchen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 25.4.2018, Bl. 80-84 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Dies spricht für ein gemeinsames Wirtschaften mit dem Kindsvater.
72
Die gegenseitige partnerschaftliche Unterstützung zeigt sich schließlich auch darin, dass der Kindsvater die Mutter des Klägers bei der Durchführung von Behördenverfahren unterstützt. So war er es, der um die Überprüfung des Bescheids vom 12. Juli 2018 bat (E-Mail vom 28. September 2018 an den Beklagten, Bl. 236 BA im Verfahren W 3 K 20.1976). Erst auf Hinweis des Beklagten, dass nur die Kindsmutter als Bescheidadressatin hierzu befugt sei, ging am 9. September 2019 eine mit „G* …“ statt „S* …“ unterzeichnete E-Mail mit fast identischem Wortlaut beim Beklagten ein (Bl. 237 im Verfahren W 3 K 20.1976). Beide E-Mails wurden über das E-Mail-Postfach des Kindsvaters (* …de) versandt. Auch die Erinnerung der Mutter des Klägers an die Bearbeitung ihrer Eingabe vom 6. Dezember 2019 (Bl. 240 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) erfolgte über dieses E-Mail-Postfach. Eine weitere Erinnerung, unterzeichnet mit „G* … vom 8. Mai 2020 (Bl. 242 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) erfolgte hingegen über das E-Mail-Postfach „A* … S* … < …de>“. Der zunächst nicht formgerecht per E-Mail eingelegte Widerspruch der Mutter des Klägers vom 2. Juni 2020 (Bl. 250 BA im Verfahren W 3 K 20.1976) erfolgte wiederum über das Postfach …de. Auch in einem vorherigen Verfahren wegen des Erlasses des Bescheids vom 12. Januar 2017 hatte der Kindsvater telefonischen Kontakt mit dem Beklagten, um den Sachverhalt zu klären (Aktenvermerk, Bl. 59 BA).
73
Auch wenn die Unterzeichnung eines Mietvertrags und ein wiederholtes Antreffen bzw. Beobachten des Kindsvaters in bzw. an der Wohnung durch die Polizei für sich allein genommen nicht genügen würden, um den Nachweis eines Zusammenlebens zu führen, so ergibt sich jedoch in der Gesamtschau aller dargestellten Umstände ein eindeutiges Bild zum Nachteil des Klägers, ohne dass hinreichende Restzweifel am Ausgang der im Klageverfahren noch durchzuführenden weiteren Sachaufklärung und Beweiswürdigung verbleiben.
74
Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, dies infrage zu stellen. Er hat nicht bestritten, dass in der Wohnung im H* … vier Personen lebten, behauptet jedoch, es handele sich bei der vierten Person um A* … M* … S* …, nicht um A* … A** S* … Die beiden Brüder sähen sich sehr ähnlich, weshalb der Vermieter sie verwechsele (S. 4 der Widerspruchsbegründung = Bl. 290 BA, S. 4 f. der Klageschrift vom 3.12.2020 = Rückseite Bl. 2 und Bl. 3 GA). Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine Schutzbehauptung. Die Behauptung, der Bruder von A* … A** S* … lebe in der Wohnung und nicht A* … A** S* … selbst, ist nicht ansatzweise substantiiert worden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass statt des Kindsvaters dessen Bruder im streitgegenständlichen Zeitraum in der Wohnung im H* … * in A* … gewohnt hätte. Dem ist die Klägerseite nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Sie behauptet bloß pauschal, der Mietvertrag sei vom Bruder des Kindsvaters unterzeichnet worden und dieser habe mit der Mutter des Klägers in einer Wohngemeinschaft gelebt, ohne dies zu konkretisieren, etwa die Umstände des Vertragsabschlusses und des Zusammenlebens in der Wohnung und der Gründe hierfür auch nur ansatzweise näher darzulegen. So fehlt es beispielsweise an Ausführungen dazu, weshalb die Mutter des Klägers, der Kläger und sein Bruder mit A* … M* … S* … zusammengezogen sind, wie sich dieses Zusammenleben gestaltete und aus welchem Grund A* … M* … S* … von F* … nach A* … gezogen sein bzw. dort einen weiteren Wohnsitz begründet haben soll. Auch fehlt es an einer plausiblen Erklärung dafür, weshalb bei der Wohnungsdurchsuchung persönliche Unterlagen von A* … A** S* …, aber nicht von dem angeblich in der Wohnung lebenden A* … M* … S* … gefunden wurden.
75
Das Gericht ist daher überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon, dass es sich bei dem Mann, welcher mit dem Kläger, seiner Mutter und seinem Bruder in der Wohnung H* … * in A* … lebte, um A* … A** S* … und nicht um A* … M* … S* … handelte. Mit den geschilderten Unterstützungshandlungen des Kindsvaters (Aufpassen auf die Kinder, „Fahrdienste“ für die Kinder, Unterstützung bei Erledigung von behördlichen Angelegenheiten), der teilweisen Zugriffsmöglichkeit der Mutter des Klägers auf Konten des Kindsvaters und der Erkenntnis aus der Wohnungsdurchsuchung, dass keine getrennte Nutzung von Räumen der Kindseltern erkennbar ist, liegen zudem starke Indizien dafür vor, dass die Eltern des Klägers innerhalb der gemeinsam bewohnten Wohnung auch einen gemeinsamen Haushalt führten und eine häusliche Gemeinschaft bestand. Nach dem Grundsatz, dass derjenige, der sich auf für ihn günstige Tatsachen beruft, diese darzulegen und zu beweisen hat, und dem Gedanken der Beweisnähe hätte es daher der Klägerseite oblegen, dem substantiiert entgegenzutreten. Hieran fehlt es. Die Ausführungen der Klägerseite sind so unsubstantiiert, dass sie – auch in den engen Grenzen einer Beweisantizipation – nicht vermögen, ausreichende Restzweifel am voraussichtlichen Ausgang der Beweiswürdigung zu begründen, um wenigstens offene Erfolgsaussichten der Klage annehmen zu können. Der Kläger hat nicht ansatzweise dazu vorgetragen, wie sich das Zusammenleben in der Wohnung gestaltete. Stattdessen behauptete er pauschal, er und seine Mutter hätten überhaupt nicht mit dem Kindsvater, sondern mit dessen Bruder in der Wohnung gelebt, dies in Form einer Wohngemeinschaft, ohne dies näher darzulegen.
76
Nach alledem ist mit Beginn des Mietvertrags ab dem 1. Juni 2017 davon auszugehen, dass der Kläger, seine Mutter und sein Vater zusammenwohnten, die Kindsmutter den Alltag und die Erziehung der Kinder nicht auf sich allein gestellt bewältigen musste, sondern eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituation erfolgte und die Situation der Kindsmutter daher nicht der eines alleinerziehenden Elternteils entspricht, vielmehr eine faktisch vollständigen Familie vorlag. Mithin wird bei der im Klageverfahren vorzunehmenden Beweiswürdigung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein Zusammenleben der Kindseltern (§ 1 Abs. 3 UVG) und kein Getrenntleben im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG anzunehmen zu sein. Ein anderes Ergebnis der Beweiswürdigung ist sehr unwahrscheinlich.
77
Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussicht der Klage war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung der Prozessbevollmächtigten des Klägers abzulehnen, ohne dass es auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ankommt.