Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 30.08.2023 – 10 U 28/23 e
Titel:

VW-Dieselskandal: Keine Ansprüche gegen Herstellerin bei Motortyp EA 288 (hier: VW Golf Sportsvan)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Abs. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 286, § 287 Abs. 1, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; BeckRS 2023, 22177; OLG München BeckRS 2023, 22881; BeckRS 2023, 22928; OLG Schleswig BeckRS 2022, 10559 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Herstellerin haftet nicht für den Einbau einer „prüfzyklusabhängigen NSK-Steuerung“, da diese Steuerung der Vermeidung verzerrter NEFZ-Testergebnisse gedient hat, also einem nicht-manipulativen, grundsätzlich anerkennenswerten Zweck. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung der einem Verbotsirrtum unterliegenden Herstellerin deren Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn die Herstellerin eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat ("hypothetische Genehmigung"). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Ermittlung des ersatzfähigen Differenzschadens sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, NSK-Katalysator, hypothetische Genehmigung, (kein) Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Bamberg, Urteil vom 12.04.2023 – 11 O 1168/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24363

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 12.04.2023 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 2.814,45 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 20.09.2023.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
Die Klagepartei erwarb am 23.10.2017 von einem Händler einen erstmals am 19.10.2016 zugelassenen Gebrauchtwagen der Marke VW, Typ Golf Sportsvan zum Kaufpreis von 18.763,00 € (Anlage K 1). Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 3.596 km, zum 28.12.2022 betrug er 78.618 km (Bl. 38). Den Kaufpreis finanzierte die Klagepartei teilweise mit einem Darlehen der Bank, wodurch ihr Finanzierungskosten in Höhe von insgesamt 1.299,66 € entstanden (Anlage K 1a). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 mit 2,0 Litern Hubraum und einer Nennleistung von 110 kW ausgestattet. Die Abgasreinigung erfolgt bei dem Fahrzeug über die Abgasrückführung („Thermofenster“) und über einen NOx-Speicherkatalysator („NSK“). Für das Fahrzeug wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) betroffen. Die Beklagte bietet jedoch eine sog. „freiwillige Servicemaßnahme“ für das Fahrzeug im Rahmen des Nationalen Forums Diesel an.
3
Das Landgericht hat die zuletzt auf den sog. „kleinen“ Schadensersatz in Höhe von 20% des Bruttokaufpreises und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.732,64 € gerichtete Klage mit Endurteil vom 12.04.2023 abgewiesen.
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Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
5
Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die Berufung der Klagepartei, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:
6
In ihrem Fahrzeug sei zum Kaufzeitpunkt eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer sog. „Umschaltlogik mittels Fahrkurvenerkennung“ vorhanden gewesen, so dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV bestehe. Die Umschaltstrategie unterscheide zwischen einem Betriebsmodus im und außerhalb des Zyklus. Die Unterscheidung der Betriebsmodi erfolge mit Hilfe einer sog. „Fahrkurvenerkennung/Fahrkurve“. Die Fahrkurve sei zur Erkennung des Prüfzyklus verwendet worden. Auf dem Prüfstand steuere das Emissionskontrollsystem die Regeneration des NSK abweichend zum realen Straßenverkehr.
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Das Landgericht habe zudem Verfahrensfehler begangen. Es habe das der Klagepartei zustehende Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das nach Art. 19 Abs. 4 GG geschützte Recht auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes verletzt, indem es das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 ausgesetzt habe. Das Landgericht habe zudem gegen § 313 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO sowie das Recht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, denn die Klagepartei habe mit Schriftsatz vom 13. Juni 2022 explizit den klägerischen Anspruch mit § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als Anspruchsgrundlage begründet. Von Seiten des erstinstanzlichen Gerichts seien in den Urteilsgründen dennoch jegliche Ausführungen diesbezüglich unterblieben. Schließlich habe das Landgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise auch dadurch verletzt, indem es die Anforderungen an die klägerische Substantiierungspflicht überspannt habe.
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Die Klagepartei beantragt im Berufungsverfahren, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Entschädigungsbetrag bezüg – lich des Fahrzeugs der Marke VW mit der Fahrzeugidentifikationsnummer zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch mindestens EUR 2.814,45 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit betra – gen muss.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei für alle künftige Schäden, die aus einem Verstoß gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 18 der RL 2007/46/EG Art resultieren und das Fahrzeug der Marke VW mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) betreffen, Schadensersatz zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtli – chen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.732,64 freizustellen.
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Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung .
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Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.
II.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die zulässige Berufung des Klägers offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
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1. Die Annahme des Landgerichts, ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht, ist im Ergebnis zutreffend. Der Bundesgerichtshof hat für die – so wörtlich – „prüfzyklusabhängige NSK-Steuerung“ eine Haftung der Beklagten abgelehnt, da diese nachvollziehbar erläutert habe, dass die Steuerung der Vermeidung verzerrter NEFZ-Testergebnisse gedient habe, also einem nicht-manipulativen, grundsätzlich anerkennenswerten Zweck, und die Beklagte alle Vorgaben zur NSK-Steuerung in der Entscheidungsvorlage vom 18.11.2015 ausdrücklich unter den Vorbehalt gesetzmäßigen Handels gestellt habe (BGH, Beschluss vom 21.03.2022, VIa ZR 334/21, juris Rn. 20).
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2. Die Klageforderung ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Es kann hinsichtlich der unstreitig im Fahrzeug der Klagepartei vorhandenen Fahrkurvenerkennung dahingestellt bleiben, ob es sich um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 handelt. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob es für die Qualifizierung der Fahrkurvenerkennung als Abschalteinrichtung auf die Frage der Grenzwertkausalität ankommt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 51). Selbst wenn man zu Gunsten der Klagepartei unterstellt, dass die Voraussetzungen des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 erfüllt sind, fehlt es jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten und an einem der Klagepartei entstanden Schaden.
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a) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte scheidet jedenfalls deswegen aus, weil es aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums am Verschulden der Beklagten fehlt, was aber Voraussetzung für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB wäre (ebenso: OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.07.2023, 10 U 27/23, BeckRS 2023, 17809; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.07.2023, 7 U 4/21, BeckRS 2023, 17815).
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aa) Ein Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit desselben konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 63). Zu seiner Entlastung kann der Fahrzeughersteller darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt.
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Auf eine „hypothetische Genehmigung“ darf aufgrund von Indizien, insbesondere auch aufgrund einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn 67).
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bb) Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine „hypothetische Genehmigung“ vor. Die maßgeblichen Indizien sind im vorliegenden Fall zwischen den Parteien unstreitig.
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Das KBA hat nach den von der Beklagten eingereichten Anlagen Auskünfte erteilt, nach denen die Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerung der Aggregate des EA 288 nach den Untersuchungen des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt würde und ausgeführt: „Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen im KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt.“ (Anlagen BE 81, B 18, B 41, B 48, B 57, B 58, B 61, B 78). Dabei betrifft die als Anlage B 58 vorgelegte Auskunft ebenfalls – wie der Streitfall – einen Motor mit 2,0 l Hubraum und 110 kW Nennleistung.
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Es ist davon auszugehen, dass das KBA diese Frage nicht anders beurteilt hätte, wenn es zu einem früheren Zeitpunkt mit der betreffenden Fragestellung konfrontiert gewesen wäre. Dies ergibt sich aus der als Anlage BE 145 vorgelegten Auskunft des KBA, in der es heißt: „Die Rechtslage nach Art. 5 Abs. 2 lit c) EG (VO) 715/2007 ist im Übrigen seit dem Jahr 2007 unverändert und die Bewertung der Rechtsfrage, dass die Verwendung einer Fahrkurven- oder Prüfstandserkennung keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, wenn auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, wäre in 2014 oder 2015 nicht anders ausgefallen als zum heutigen Zeitpunkt.“
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Ob diese Rechtsmeinung richtig ist, spielt für die Frage des Verschuldens der Beklagten keine Rolle (OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.07.2023, 10 U 27/23, BeckRS 2023, 17809). Es gibt auch keinen Grund für die Annahme, dass die Mitarbeiter oder Organe der Beklagten besser als die hierfür zuständige Behörde in der Lage sind, den Sachverhalt in technischer und rechtlicher Hinsicht zu beurteilen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.07.2023, 7 U 4/21, BeckRS 2023, 17815). Im Übrigen entsprach die Auffassung des KBA zur Relevanz der Grenzwertkausalität – jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 – der Rechtsprechung vieler Oberlandesgerichte (siehe etwa OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2022, 8 U 235/21, BeckRS 2022, 10880 Rn. 31; OLG Brandenburg, Urteil vom 05.04.2023, 4 U 185/21, BeckRS 2023, 7905, Rn. 39 und 31; OLG Dresden, Beschluss vom 21.02.2023, 4 U 2359/22, BeckRS 2023, 3556 Rn. 26; OLG Naumburg, Urteil vom 17.12.2021, 8 U 8/21, BeckRS 2021, 48386 Rn. 30).
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Damit ist eine Verwaltungspraxis belegt, nach der die Fahrkurvenerkennung über Jahre hinweg mangels Grenzwertkausalität nicht als Abschalteinrichtung eingestuft wurde. Diese lässt nur den Schluss zu, dass das KBA auch der Beklagten bestätigt hätte, dass es sich bei der Fahrkurvenerkennung um keine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, weil auch bei ihrem Abschalten die Grenzwerte eingehalten werden (ebenso: OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.07.2023, 10 U 27/23, BeckRS 2023, 17809; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.07.2023, 7 U 4/21, BeckRS 2023, 17815).
22
b) Darüber hinaus fehlt es an einem der Klagepartei entstandenen sog. „Differenzschaden“.
23
aa) Die Höhe des Schadens ist unter Würdigung aller Umstände nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach freier Überzeugung des Senats zu schätzen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 72). Dass für die Schätzung des „Differenzschadens“ auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, schließt eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Wege der Vorteilsausgleichung nicht aus. Insofern gelten die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zum „kleinen“ Schadensersatz nach § 826 BGB sinngemäß (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80). Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Die Vorteilausgleichung kann der Gewährung auch eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 80), da der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (EuGH NJW 2023, 1111 Rn. 94).
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bb) Der Senat schätzt die Nutzungsvorteile, welche die Klagepartei sich anrechnen lassen muss, ausgehend von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km auf 6.443,74 €. Dabei schätzt der Senat die aktuelle Laufleistung des Fahrzeugs auf Grundlage der zum 28.12.2022 mitgeteilten Laufleistung von 78.618 km auf nunmehr 88.218 km (durchschnittliche monatliche Laufleistung seit Erwerb: 1.200 km). Zusammen mit dem zutreffend von der Beklagten ermittelten Restwert (vgl. Anlage BE 00) in Höhe von 12.856 € muss sich die Klagepartei mithin Vorteile in einer Gesamthöhe von 19.299,74 € anrechnen lassen. Diese übersteigen den von der Klagepartei behaupteten tatsächlichen Wert des Fahrzeugs (15.948,55 €, entspricht 85% des Kaufpreises) um 3.351,19 € und zehren daher den geltend gemachten „Differenzschaden“ in Höhe von 2.814,45 € vollständig auf.
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3. Die von der Klagepartei geltend gemachten Verfahrensfehler liegen offensichtlich nicht vor.
26
a) Das Recht der Klagepartei auf ein faires Verfahren ist nicht verletzt, da die aktuelle Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch des BGH jedenfalls im Berufungsverfahren Berücksichtigung findet.
27
b) § 313 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO ist durch das Landgericht beachtet worden, denn es hat „Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften des EU-Typengenehmigungrechts“ ausdrücklich geprüft (LGU, Seite 6).
28
c) Das Landgericht hat die Substantiierungsanforderungen jedenfalls nicht in entscheidungserheblicher Weise überspannt, da es seine klageabweisende Entscheidung maßgeblich auf die Tatbestandswirkung der Typgenehmigung sowie einen nicht eingetretenen Schaden gestützt hat (LGU, Seiten 5 und 7).
III.
29
Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
30
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
31
Der Senat regt daher – unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme – die kostengünstigere Rücknahme der Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).