Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 15.08.2023 – 204 StObWs 172/23
Titel:

Strafvollzug – Widerruf von Lockerungen – Sicherheit und Ordnung

Normenkette:
BayStVollzG Art. 13 Abs. 1 Nr. 1, Art. 16 Abs. 2, Art. 19 Abs. 3
Leitsätze:
1. Der Widerruf der Zulassung eines Strafgefangenen zur Außenbeschäftigung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 2 BayStVollzG ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 BayStVollzG zulässig. (Rn. 18)
2. Nr. 4 Abs. 2 e) der VV zu Art. 13 BayStVollzG kann keine darüber hinaus gehenden Widerrufstatbestände begründen, sondern lediglich die gesetzlich normierten auskleiden. (Rn. 21)
3. Eine Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung nach Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG ist nur aufgrund eines vollständig aufgeklärten Sachverhalts zulässig, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale konkret belegt. (Rn. 24)
4. Eine nicht (mehr) mögliche Aufklärung des Sachverhalts geht zu Lasten der Justizvollzugsanstalt. Eine Beweislastzuordnung ist auch in Verfahren zulässig, die dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegen, wobei der spezifischen Situation des Strafgefangenen und dessen besonderen Beweisproblemen Rechnung zu tragen ist. (Rn. 30 – 31)
5. Wendet sich der Strafgefangene gegen von ihm für rechtswidrig gehaltenes Verhalten Justizvollzugsbediensteter, ist dies grundsätzlich zulässig und kann eine Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung nach Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG nicht rechtfertigen. (Rn. 38)
1. Unter den Begriff der Sicherheit fällt zunächst die äußere Sicherheit, welche die Abwendung konkreter Gefahren für den Gewahrsam, dh für die Gewährleistung des Anstaltsaufenthaltes bedeutet. Unter der inneren Sicherheit versteht man die Abwendung von konkreten Gefahren bzw. Schäden für Personen oder Sachen. Der Begriff der Sicherheit der Anstalt umfasst alle in der Justizvollzugsanstalt befindlichen Personen, also auch Bedienstete und Besuchende. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff der Ordnung bezeichnet die Voraussetzungen für ein geordnetes und menschenwürdiges Zusammenleben in der Anstalt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass im Behandlungsvollzug das geordnete verantwortliche Zusammenleben gerade durch die Notwendigkeit und das Austragen von Konflikten gekennzeichnet ist und nicht jede Unbotmäßigkeit bereits einen Ordnungsverstoß darstellt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Außenbeschäftigung, Widerrufstatbestände, Einschränkungen, gemeinschaftliche Unterbringung, Beweislast, Sicherheit, Ordnung
Vorinstanz:
LG Augsburg, Beschluss vom 24.02.2023 – 2 NöStVK 758/18
Fundstellen:
StV 2024, 50
BeckRS 2023, 24308
LSK 2023, 24308

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen L. vom 9.3.2023 wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungsklammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 24.2.2023 in den Ziffern 2. und 3. aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Verfügung der JVA K. vom 14.11.2018, mit der die Zulassung des Strafgefangenen L. zur Außenbeschäftigung widerrufen wurde (Art. 13 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 2 BayStVollzG), rechtswidrig war und der Strafgefangene hierdurch in seinen Rechten verletzt wurde.
3. Es wird festgestellt, dass die Verfügungen der JVA K. vom 14.11.2018 und 19.11.2018, mit der die gemeinschaftliche Unterbringung des Strafgefangenen L. eingeschränkt wurde (Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG), und deren Vollzug vom 14.11.2018 bis 23.11.2018 rechtswidrig waren und der Strafgefangene hierdurch in seinen Rechten verletzt wurde.
4. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.
5. Der Strafgefangene trägt die Kosten dieses Rechtsbeschwerdeverfahrens zu 1/3. Die restlichen Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Strafgefangenen, einschließlich der Kosten und der notwendigen Auslagen des Strafgefangenen des ersten Rechtsbeschwerdeverfahrens (204 StObWs 2781/19), trägt die Staatskasse.
6. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich des Sachverhalts bis zum Erlass des Beschlusses des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 5.6.2020 wird auf die in diesem Beschluss erfolgte Sachverhaltsdarstellung, dort unter I., Bezug genommen.
2
Mit Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 5.6.2020 wurde der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 7.11.2019 nebst den Sachverhaltsfeststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen zurückverwiesen.
3
Mit Schreiben vom 09.11.2020 nahm die Justizvollzugsanstalt K. ergänzend zum Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 5.6.2020 Stellung und legte insbesondere die Verfügung zum Widerruf der Außenbeschäftigung vom 14.11.2018, die Anordnung der getrennten Unterbringung gemäß Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG vom 14.11.2018 sowie die Anordnung der getrennten Unterbringung gemäß Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG vom 19.11.2018 vor.
4
Hierauf antwortete der Strafgefangene mit Schreiben vom 8.4.2021 und weiterem Schreiben vom 23.2.2023.
5
Mit Beschluss vom 24.2.2023 stellte die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen fest, dass die Nichtweiterleitung eines Briefes des Strafgefangenen vom 13.11.2018 an eine J.S. rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte. Im Übrigen wurde der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 14.11.2018 – soweit er nicht erledigt ist – zurückgewiesen.
6
Gegen diesen, dem Strafgefangenen am 4.3.2023 zugestellten Beschluss, legte dieser mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 9.3.2023, eingegangen bei Gericht am 10.03.2023, Rechtsbeschwerde ein und erhob die Sachrüge.
7
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Schreiben vom 26.4.2023, die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 24.2.2023 als unzulässig kostenfällig zu verwerfen und den Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 50 € festzusetzen. Zur Begründung verwies sie darauf, dass hinsichtlich der Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses eine Beschwer nicht gegeben wäre und hinsichtlich Ziffer 2 des angefochtenen Beschlusses die Nachprüfung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten sei.
8
Der Strafgefangene hat hierzu mit Schreiben vom 10.5.2023 Stellung genommen.
II.
9
1. Soweit die unbeschränkt eingelegte Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen sich gegen Ziffer 1 des Beschlusses der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 24.2.2023 richtet, ist sie unzulässig, weil es insoweit dem Strafgefangenen an einer Beschwer fehlt. In Ziffer 1 des Beschlusses wurde antragsgemäß festgestellt, dass die Nichtweiterleitung eines Briefes des Strafgefangenen vom 13.11.2018 an eine J.S. rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte.
10
2. Im Übrigen ist die gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 118 Abs. 1 bis 3 StVollzG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde zulässig. Es erscheint geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 116 Abs. 1 StVollzG).
11
Das für die Zulässigkeit erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor.
12
Das Feststellungsinteresse im Sinne des Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 115 Abs. 3 StVollzG besteht, weil der Strafgefangene in der Sache durch den Widerruf der Zulassung zur Außenbeschäftigung und die Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung einen Eingriff in seine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geltend machen kann, weil dies auf die weitere Resozialisierung negative Auswirkungen gehabt haben konnte (BVerfG, Beschluss vom 04.01.2021 – 2 BvR 673/20 –, juris). Auf die Frage des Feststellungsinteresses wegen der beabsichtigten Geltendmachung von Schadensersatz und Schmerzensgeld kommt es somit nicht mehr an.
III.
13
Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, hat sie in der Sache auch Erfolg, weil die Strafvollstreckungskammer die Bedeutung der anzuwendenden Vorschriften des Bayerischen Strafvollstreckungsgesetzes nicht umfassend gewürdigt hat.
14
Die vom Strafgefangenen angegriffenen Verfügungen der Justizvollzugsanstalt K. vom 14.11.2018 und 19.11.2018 sind rechtswidrig und verletzen den Strafgefangenen in seinen Rechten. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 24.2.2023 war insoweit aufzuheben. Über den Feststellungsantrag des Strafgefangenen konnte das Rechtsbeschwerdegericht selbst entscheiden, da die Sache spruchreif war, da eine weitere Aufklärung der Sache nicht mehr erforderlich bzw. möglich war (Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 119 Rn. 5).
15
1. Der Widerruf der Lockerungen nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG war rechtswidrig.
16
Lockerungen des Vollzugs, so wie hier die ab 8.10.2018 angeordnete regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt, können aufgrund der in Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG genannten Tatbestände widerrufen werden.
17
Vorliegend hat die Justizvollzugsanstalt K. den Widerruf damit begründet, dass sie aufgrund nachträglich eingetretener Umstände berechtigt gewesen wäre, die Maßnahme zu versagen, Art. 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayStVollzG. Die Justizvollzugsanstalt K. hat insoweit darauf abgestellt, dass der Strafgefangene für Lockerungen ungeeignet sei, weil zu befürchten sei, dass er einen negativen Einfluss ausübe, insbesondere die Erfüllung des Behandlungsauftrags bei anderen Gefangenen gefährde, und sich hierbei auf die Nr. 4 Abs. 2 e) der VV zu Art. 13 BayStVollzG bezogen. Der Strafgefangene gefährde mit seinem Herantreten an Mitgefangene die zwischen Inhaftierten und dem psychologischen Dienst für die Erfüllung des Behandlungsauftrages entscheidende Gesprächsgrundlage und damit die Erfüllung des Behandlungsauftrages bei anderen Gefangenen.
18
Die Antragsgegnerin übersieht hier, dass der von ihr genannte Sachverhalt nicht geeignet ist, den Widerruf von Lockerungen zu begründen, da er nicht unter die gesetzlichen Voraussetzungen zu subsumieren ist. Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayStVollzG nimmt insoweit Bezug auf Art. 13 Abs. 2 BayStVollzG, wonach Lockerungen nur angeordnet werden dürfen, wenn nicht zu befürchten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen (Fluchtgefahr) oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werden (Mißbrauchsgefahr). Hierbei handelt es sich um die im Gesetz abschließend genannten Versagens- und damit auch Widerrufsgründe.
19
Bei den Versagungsgründen Flucht- und Missbrauchsgefahr handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, wobei der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist (Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Auflage 2020, 10. Kap. C. Rn. 51).
20
Umstände, die darauf schließen lassen könnten, dass sich der Strafgefangene dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werde, werden von der Justizvollzugsanstalt K. nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich.
21
Soweit die Justizvollzugsanstalt K. sich auf Nr. 4 Absatz 2 e) der VV zu Art. 13 BayStVollzG bezieht und als vorliegend erachtet, übersieht sie, dass die VV keine neuen Tatbestände bilden kann, sondern lediglich die im Gesetz genannten Widerrufstatbestände auskleidet. Insoweit ist anerkannt, dass die Nrn. 6 und 7 der VV-Bund, die den Nrn. 3 und 4 der VV-Bayern entsprechen, nur tatbestandinterpretierende Richtlinien zur Beurteilung der Flucht – oder Mißbrauchsgefahr darstellen (zu § 11 StVollzG Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 11 Rn. 14). Der in Nr. 4 Absatz 2 e) der VV zu Art. 13 BayStVollzG genannte negative Einfluss, der insbesondere die Erreichung des Vollzugsziels bei anderen Gefangenen gefährden würde, muss also ebenfalls im Zusammenhang mit der Befürchtung von Flucht oder des Missbrauchs der Lockerungen zur Begehung von Straftaten im Rahmen der Lockerung stehen. Das ist hier nicht der Fall.
22
2. Auch die Anordnung der Einschränkung der gemeinschaftlichen Unterbringung des Gefangenen nach Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG war rechtswidrig.
23
Nach Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG kann die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeit und Freizeit eingeschränkt werden, wenn ein schädlicher Einfluss auf andere Gefangene zu befürchten ist (Nr. 1), die Gefangenen nach Art. 8 untersucht werden, aber nicht länger als zwei Monate (Nr. 2), es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert (Nr. 3) oder die Gefangenen zustimmen (Nr. 4).
24
Die in den Nr. 1 – 4 genannten Voraussetzungen stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar, die der vollen Nachprüfung durch die Gerichte unterliegen (zu § 17 StVollzG Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 17 Rn. 4; BeckOK Strafvollzug Bund/Setton StVollzG § 17 Rn. 10; Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., 2. Kap. E. Rn. 9). Die Anordnung selbst steht bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dann im Ermessen der Vollzugsbehörde (OLG Hamm, Entscheidung vom 28.2.1994 – 1 Vollz (Ws) 279/93 –, juris).
25
Vorliegend hat die Justizvollzugsanstalt K. ihre Verfügungen damit begründet, dass zu befürchten sei, dass der Strafgefangene schädlichen Einfluss auf andere Gefangene ausübe und sein Verhalten die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt in erheblichem Maße gefährde. Die Überprüfung ergibt jedoch, dass die von der Justizvollzugsanstalt K. vorgenommene Subsumtion des Sachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale nicht trägt.
26
a) Soweit dem Strafgefangenen vorgeworfen wird, es sei zu befürchten, dass er schädlichen Einfluss auf andere Gefangene ausüben werde, ist die Antragsgegnerin nicht in der Lage, einen zur Begründung hierfür tauglichen Sachverhalt vorzutragen.
27
Unter schädlichem Einfluss ist hier sowohl krimineller Einfluss, der sich gegen die Erreichung des Vollzugsziels richtet, als auch Einfluss, der andere Insassen schädigt, etwa Streitereien, Schlägereien oder sexuelle Belästigungen provoziert, zu verstehen. Zum schädlichen Einfluss zu rechnen ist etwa auch die gegenseitige Unterstützung beim Hungerstreik. Die bloße Tatsache, dass ein Gefangener ein unbelehrbarer Überzeugungstäter ist und deshalb schädlichen Einfluss auf andere ausüben könnte, genügt noch nicht (Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., 2. Kap. E. Rn. 12).
28
Die Antragsgegnerin behauptet unter der von ihr gewählten Überschrift „Aufwiegelungs- und Manipulationsversuche“ lediglich, andere Gefangene hätten berichtet, dass der Strafgefangene bei ihnen Stimmung gegen die Psychologin L. machen würde, indem er unter den Gefangenen erzähle, dass er Frau L. anzeigen und dafür sorgen werde, dass disziplinarisch gegen sie vorgegangen werde. In welchem Umfang, auf welche Weise und mit welcher Intensität dies erfolgt sein soll, konnte die Antragsgegnerin weder darlegen, noch konnte dies aufgeklärt werden.
29
Der Strafgefangene hat insoweit zwar zugestanden, dass er auf Nachfrage anderen Gefangenen diesen über seine Sichtweise der Dinge und von ihm geplante Rechtsmittel berichtet habe. Allein der Umstand, dass ein Gefangener anderen Gefangenen mitteilt, dass er wegen eines von ihm für rechtswidrig gehaltenen Handelns einer Gefängnismitarbeiterin straf- und disziplinarrechtliche Maßnahmen ergreifen werde, ist nicht geeignet, schädlichen Einfluss auf andere Gefangene auszuüben. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Strafgefangene diese Aussagen nach eigenen nicht widersprochenen Angaben seit 11.11.2018 nicht mehr getätigt hat.
30
Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 5.6.2020 darauf hingewiesen, dass insoweit aufzuklären ist, welche Gefangenen der Psychologin wann welche Mitteilungen unter welchen Umständen zu dem Verhalten des Strafgefangenen gemacht haben und welche Qualität / Intensität, Umstände und Häufigkeit über welchen Zeitraum hinweg seine Aussagen den Mitgefangenen gegenüber hatten und ob diese geeignet waren, den Vorwurf eines Aufwiegelungs- und Manipulationsversuchs zu rechtfertigen. Eine Anfrage der Strafvollstreckungskammer bei der Justizvollzugsanstalt K. hinsichtlich der Benennung der Strafgefangenen, gegenüber denen der Strafgefangene L. Ausführungen gemacht haben soll, blieb ohne Erfolg. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass es ihr nicht mehr möglich sei, die Namen dieser Strafgefangenen mitzuteilen. Die insoweit nicht mehr mögliche Aufklärung geht zulasten der Antragsgegnerin, da diese den Beweis nicht führen kann, dass über den von ihr geschilderten und vom Strafgefangenen zugestandenen Sachverhalt hinaus Umstände gegeben sind, die eine andere Bewertung des Verhaltens des Strafgefangenen rechtfertigen würden.
31
Eine Beweislastzuordnung kann auch in Verfahren erforderlich werden, die – wie hier – dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegen, denn die Zuordnung der Beweislast für eine bestimmte Tatsache entscheidet nur darüber, zu wessen Lasten es geht, wenn das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Tatsache ungewiss bleibt (BVerfG, Beschluss vom 20.05.2014 – 2 BvR 2512/13 –, juris Rn. 23). Bleibt der Sachverhalt unaufklärbar und wird deshalb eine Entscheidung nach Beweislastregeln erforderlich, so darf die Beweislastverteilung nicht dazu führen, dass bestehende Rechtspositionen leerlaufen. Beweislasten dürfen nicht in einer Weise zugeordnet werden, die es den belasteten Verfahrensbeteiligten faktisch unmöglich macht, sie zu erfüllen. Soweit es um den Strafvollzug geht, muss das Beweisrecht der spezifischen Situation des Strafgefangenen und den besonderen Beweisproblemen, die sich daraus ergeben können, Rechnung tragen. Angesichts unvereinbarer Sachverhaltsdarstellungen von Gefangenen und Justizvollzugsanstalt dürfen die Gerichte nicht einseitig die Beweislast dem Gefangenen zuweisen, ohne zu prüfen, ob und wie der Gefangene grundsätzlich die Möglichkeit hat, dieser Beweislast zu genügen (BVerfG, Beschluss vom 20.05.2014 – 2 BvR 2512/13 –, juris Rn. 15).
32
Wenn, wie hier, sich die Justizvollzugsanstalt auf einen Sachverhalt beruft, bei dem der Strafgefangene nicht dabei war, ist es insoweit sachgemäß, die Justizvollzugsanstalt mit der Unerweislichkeit des Sachverhalts zu belasten.
33
Der von der Antragsgegnerin weiter genannte Umstand der Nachfrage nach der vormals in der Justizvollzugsanstalt beschäftigten Beamtin P. führt hier nicht weiter, da diese zum Zeitpunkt der Nachfrage nicht mehr in der Justizvollzugsanstalt K. beschäftigt war.
34
Auch der Inhalt der von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Briefe vom 24.8.2018, 13.11.2018 und 21.11.2018 kann insoweit keine andere Entscheidung begründen, da diese Briefe andere Gefangenen nicht erreicht haben und somit nicht haben beeinflussen können.
35
b) Soweit die Antragsgegnerin dem Strafgefangenen vorwirft, die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt zu gefährden, können dies die vorgetragenen Umstände ebenfalls nicht begründen.
36
Unter den Begriff der Sicherheit fällt zunächst die äußere Sicherheit, welche die Abwendung konkreter Gefahren für den Gewahrsam, d. h. für die Gewährleistung des Anstaltsaufenthaltes bedeutet. Unter der inneren Sicherheit versteht man die Abwendung von konkreten Gefahren bzw. Schäden für Personen oder Sachen. Der Begriff der Sicherheit der Anstalt umfasst alle in der Justizvollzugsanstalt befindlichen Personen, also auch Bedienstete und Besuchende (Schwind/Böhm/ Jehle/Laubenthal, a.a.O., 11. Kap. A. Rn. 5).
37
Der Begriff der Ordnung bezeichnet die Voraussetzungen für ein geordnetes und menschenwürdiges Zusammenleben in der Anstalt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass im Behandlungsvollzug das geordnete verantwortliche Zusammenleben gerade durch die Notwendigkeit und das Austragen von Konflikten gekennzeichnet ist und nicht jede Unbotmäßigkeit bereits einen Ordnungsverstoß darstellt (Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., 11. Kap. A. Rn. 5).
38
Die Antragsgegnerin begründet ihre Verfügung mit dem Umstand, dass der Strafgefangene, wie er eingeräumt hat, seinen Mitgefangenen erzählt hat, dass er die Psychologin L. anzeigen und dafür sorgen werde, dass disziplinarisch gegen sie vorgegangen werde. Daraus ist eine Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt aber nicht begründbar. Es handelt sich bei dem vom Strafgefangenen zugestandenen Verhalten um ein zulässiges, da der Strafgefangene damit nur ein Verhalten, nämlich die Anzeige von von ihm für rechtswidrig gehaltenem Verhalten bei den hierfür zuständigen Stellen, ankündigt, wie es jedermann, auch Gefangenen, zusteht. Niemand, auch ein Strafgefangener, darf daran gehindert werden, von ihm für rechtswidrig gehaltene Verhaltensweisen bei den hierfür zuständigen Stellen anzuzeigen. Insoweit geht von solch einem Verhalten auch keine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt aus.
39
Auch aus den Briefen vom 24.8.2018 und 21.11.2018, deren Überwachung zum Schutz bedeutsamer Rechtsgüter, wie Gefahren für das Vollzugsziel und die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt, sowie Verhinderung der Vertuschung begangener oder der Begehung neuer Straftaten, verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist (BVerfG, Beschluss vom 17.3.2021, 2 BvR 194/20, juris Rn. 33), und dem Brief an Frau L. vom 13.11.2018 allein oder in Zusammenschau mit den oben näher dargestellten Umständen kann eine entsprechende Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt nicht festgestellt werden. Die von der JVA zur Begründung herangezogenen Zitate aus den Schreiben lassen nur erkennen, das der Strafgefangene erkennbar über das Verhalten der Frau L, das er in den Briefen beschreibt, entrüstet ist und gegebenenfalls Straf- und Disziplinaranzeigen ankündigt.
40
Insoweit kann es dahinstehen, ob die getroffene Maßnahme der Justizvollzugsanstalt K. eine solche nach Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG oder nach Art. 96 Abs. 1 BayStVollzG war, nachdem bereits die weniger strengen Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 BayStVollzG nicht erfüllt sind.
41
3. Durch die rechtswidrigen Anordnungen der Antragsgegnerin ist der Strafgefangene in seinen Rechten verletzt worden, weshalb dies entsprechend festzustellen war.
IV.
42
1. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf Art. 208 BayStVollzG i.V.m. § 121 Abs. 1 StVollzG, §§ 464 Abs. 1, 464d, 467 Abs. 1 StPO.
43
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für beide Instanzen beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52, 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG.