Titel:
Streitwertfestsetzung im Beweissicherungsverfahren
Normenketten:
ZPO § 485 Abs. 2
GKG § 48 Abs. 1 S. 1, § 61
ZPO § 3
Leitsatz:
Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren ist nach Einholung des Sachverständigengutachtens bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers festzusetzen. Eine durch den Antragsteller bei der Antragstellung vorgenommene Schätzung ist weder bindend noch maßgeblich. Dies gilt auch dann, wenn er – ohne sich bei der Antragsschrift auf einen bestimmten Reparaturweg festgelegt zu haben – ergänzende Fragen an den Sachverständigen zu Mangelbeseitigungsmaßnahmen stellt und der Sachverständige diese Maßnahmen nicht für erforderlich hält. (Rn. 8 – 15)
Schlagworte:
Streitwert, Beweissicherungsverfahren, Schätzung bei Antragstellung, Bindung, Frage zum Gutachten, Festlegung auf Reparaturweg, keine Mängelfeststellung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 14.10.2022 – 17 OH 2466/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24302
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.10.2022, Az. 17 OH 2466/21, abgeändert:
Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az. 17 OH 2466/21, wird festgesetzt auf 10.000,00 €.
Gründe
1
Die Antragstellerin greift mit ihrer Beschwerde die Streitwertfestsetzung des Landgerichts an.
2
Die Antragstellerin hat in der Antragsschrift vom 26.04.2021 Beweiserhebung zu behaupteten Mängeln am Dach ihres Einfamilienhauses beantragt. Als Mangelsymptom wurden Ablaufspuren unterhalb des Traufpunkts behauptet. Der Antrag ist damit begründet worden, dass der Antragsgegner am 29.10.2013 ein Schiedsgutachten erstellt habe, in dem er Mängel am Dach festgestellt habe. Im Jahr 2014 sei daraufhin die gesamte Dachkonstruktion erneuert worden, der Antragsgegner habe die Mängelbeseitigung im Auftrag der Antragstellerin überwacht. Im Jahr 2020 hätten sich wieder Ablaufspuren gezeigt. Die Mängelbeseitigungskosten hat die Antragstellerin in der Antragsschrift mit 10.000,00 € angegeben (Bl. 6 d. A.). Der Antragsschrift waren Anlagen AS1 bis AS6 beigefügt. Bei der Anlage AS1 handelt es sich um das Schiedsgutachten des Antragsgegners. Auf Seite 30 hat er den Kostenaufwand „um den Parteien einen Anhalt für die zu erwartenden Kosten zu geben … in einer einstweilen grob geschätzten Größenordnung ohne Verbindlichkeit mit 35.000,00 € brutto“ beziffert. In dem als Anlage AS5 vorgelegten Anwaltsschreiben vom 19.03.2021 hat die Antragstellerin den geschätzten Kostenaufwand für die Dachsanierung mit ca. 30.000,00 € beziffert.
3
Der vom Gericht beauftragte Sachverständige H. hat die Mangelbehauptung der Antragstellerin bestätigt und den erforderlichen Mangelbeseitigungsaufwand in seinem Gutachten vom 13.04.2021 mit gerundet 10.000,00 € beziffert.
4
Mit Schriftsatz vom 28.06.2022 (Bl. 74/75) hat die Antragstellerin ausgeführt, dass in dem Gutachten keine Angaben zu den Kosten des Austauschs der nassen Dämmung enthalten seien und den Sachverständigen gefragt, auf welchen Betrag sich die Kosten des Austauschs der nassen Dämmung beliefen. In der 1. Ergänzung zum Gutachten vom 01.08.2022 hat der Sachverständige im Ergebnis ausgeführt, dass keine Kosten für den Austausch der nassen Dämmung angesetzt worden seien, weil er davon ausgehe, dass nach einer fachgerechten Instandsetzung der Dampfsperre/Luftsperre im Winterhalbjahr keine Auffeuchtungsvorgänge über Konvektion mehr stattfänden und die Konstruktion in den Sommermonaten vollständig rücktrockne, da die Oberseite der Wärmedämmung mit einer diffusionsoffenen Unterdeckbahn abgedeckt sei und darüber eine Gefachbelüftung vorgesehen sei.
5
Das Landgericht hat den Streitwert auf 30.000,00 € festgesetzt. Der Streitwertbeschwerde der Antragstellerin, mit der eine Streitwertfestsetzung auf 10.000,00 € beantragt worden ist, hat das Landgericht mit Beschluss vom 09.01.2023 nicht abgeholfen.
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Die zulässige Streitwertbeschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist nach dem vollen Hauptsachewert zu bemessen. Dabei ist der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert (§ 61 GKG) weder bindend noch maßgeblich; das Gericht hat nach Einholung des Gutachtens den „richtigen“ Hauptsachewert, bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers, festzusetzen (BGH, Beschluss vom 16.09.2004 – III ZB 33/04 –, Rn. 14, 18, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 06.02.2018 – 1 W 35/18 –, Rn. 5, juris; OLG München, Beschluss vom 02.01.2020 – 20 W 1569/19 –, Rn. 7, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2015 – 10 W 3/15 –, Rn. 19, juris; OLG Celle, Beschluss vom 02.09.2014 – 4 W 127/14 –, Rn. 3, juris). Ergibt sich also im Laufe des selbständigen Beweisverfahrens aus einem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten, dass der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert (§ 61 GKG) nicht zutrifft, so sind die Feststellungen des Sachverständigen für die Wertfestsetzung maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.2005 – XII ZR 92/02 –, Rn. 9, juris).
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2. Ausgehend vom Vorstehenden ist vorliegend der Streitwert entsprechend dem Antrag der Antragstellerin auf 10.000,00 € festzusetzen. Dass in dem Schiedsgutachten (Anlage AS1) und in dem vorgerichtlichen Schreiben der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin (Anlage AS5) ein höherer Kostenaufwand angegeben wurde, ist bereits deshalb unerheblich, da dieser Wert ausdrücklich aufgrund einer groben Schätzung abgegeben wurde. In der Antragsschrift hat die Antragstellerin den geschätzten Kostenaufwand mit 10.000,00 € angegeben, wobei sie offenbar auch die Kosten des Austauschs der nassen Dämmung berücksichtigt hat, wie sich aus ihrem Schriftsatz vom 28.06.2022 ergibt.
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3. Der Umstand, dass die Antragstellerin vor Aufklärung durch den Sachverständigen angenommen hatte, es bedürfe zur Mangelbeseitigung auch des Austausches der Dämmung, führt entgegen der Ansicht des Antragsgegners (vgl. Schriftsatz vom 29.12.2022, Bl. 95/96 d. A.) nicht zu einer Streitwerterhöhung.
10
a) Soweit der Antragsgegner die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Stuttgart (Beschluss vom 14.03.2006, Az. 1 W 9/06) und Köln (Beschluss vom 24.01.2012, Az. 5 U 188/11) zitiert, ist anzumerken, dass auch diese Entscheidungen eine Streitwertfestsetzung im vorliegenden Fall, die über 10.000,00 € hinausgeht, nicht rechtfertigen können. Beide Oberlandesgerichte folgen der Rechtsprechung, gemäß der sich der Streitwert nach den Feststellungen des Sachverständigen zu den für die Behebung der geltend gemachten Mängel objektiv erforderlichen Kosten richtet, wenn es sich bei den ursprünglichen Angaben des Antragstellers erkennbar um eine Schätzung gehandelt hatte (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.03.2006 – 1 W 9/06 –, Rn. 8, juris).
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Etwas anderes gilt nur dann, und darum geht es in der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart, wenn der Antragsteller nicht – wie vorliegend – die Kosten der letztlich objektiv und damit auch nach Auffassung des Sachverständigen erforderlichen Reparaturmaßnahmen ermitteln lassen will, sondern er einen bestimmten aufwändigeren Reparaturweg – im vom Oberlandesgericht Stuttgart entschiedenen Fall war dies eine Totalsanierung – vorgibt. Nur in letzterem Fall wären die Kosten für den objektiv nicht zur Mängelbeseitigung erforderlichen teureren Reparaturweg maßgeblich für den Streitwert des Beweisverfahrens. Genau diese Abgrenzung bestätigt auch das Oberlandesgericht Köln, indem es feststellt, dass allein die objektiv erforderlichen Kosten maßgeblich sind, solange sich die Partei in ihrem Antrag nicht schon auf eine bestimmte Mängelbeseitigungsmaßnahme festgelegt hat (OLG Köln, Beschluss vom 24.01.2012 – 5 U 188/11 –, juris).
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b) Vorliegend hat die Antragstellerin in ihrem Antrag gerade nicht einen bestimmten Mängelbeseitigungsweg vorgegeben, sondern ausdrücklich danach gefragt, welche Maßnahmen (objektiv) erforderlich sind und welche Kosten hierfür anfallen. Der Sachverständige hat den Mangelbeseitigungsaufwand auf 10.000 € beziffert, was sich – am Rande bemerkt, da es letztlich nicht entscheidend ist – mit der vom Antragsteller im verfahrenseinleitenden Antrag für die Mangelbeseitigung veranschlagten Summe deckt.
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Allein der Umstand, dass ein Antragsteller im Laufe des Beweisverfahrens ergänzend nachfragt, ob bestimmte zusätzliche Maßnahmen über die vom Sachverständigen angenommenen hinaus erforderlich sind – vorliegend etwa der Austausch der Dämmung –, führt noch nicht dazu, dass dies – abweichend vom gestellten Antrag – als streitwerterhöhende Reparaturwegvorgabe zu werten wäre.
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4. Nur am Rande sei angemerkt, dass die im Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts geäußerte Ansicht, der Streitwert wäre auf 0,00 € festzusetzen, wenn der Sachverständige keine Mangelbehauptung bestätigen würde, nicht zutrifft.
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Wird eine Mängelbehauptung nicht bestätigt, so sind für die Streitwertfestsetzung selbstverständlich die Kosten für die Beseitigung der im Beweisverfahren behaupteten, jedoch nicht festgestellten Mängel zu berücksichtigen, die gegebenenfalls zu schätzen wären (BGH, Beschluss vom 16.09.2004 – III ZB 33/04 –, Rn. 18, juris). Hierum geht es aber vorliegend nicht. Im vorliegenden Fall haben sich die Mängel bestätigt, es ging allein um die Frage, ob auch die Kosten eines hypothetischen anderen Reparaturwegs als dem vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen zu berücksichtigen sind. Dafür ist aber, wie bereits ausgeführt, nur dann Raum, wenn der Antragsteller beantragt hat, gerade für diesen abweichenden Reparaturweg die Kosten festzustellen und nicht allgemein die erforderlichen Mangelbeseitigungskosten.
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Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).