Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.01.2023 – 23 ZB 22.31328
Titel:

kein Abschiebungsverbot bzgl. Äthiopien

Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht, entzieht sich in der Regel einer verallgemeinernden, fallübergreifenden Betrachtung; die Frage kann nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes haben primär Gefahren für deutsche Staatsangehörige, die das betreffende Land bereisen, zum Gegenstand; hieraus lässt sich für die Zwecke eines Asylverfahrens nicht ohne Weiteres etwas herleiten, denn es ist auszuschließen, dass die für eine Reisewarnung maßgebenden rechtlichen Maßstäbe mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG sowie des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG zu beurteilen ist.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Äthiopien, Tigray, Herkunftsregion Addis Abeba, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Sicherheitslage, Versorgungslage
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 21.11.2022 – RO 12 K 22.30574
Fundstelle:
BeckRS 2023, 243

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. November 2022 - RO 12 K 22.30574 - wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt ist bzw. nicht vorliegt.
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1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete und gleichzeitig verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, zweitens ausführt, aus welchen Gründen diese klärungsfähig ist, also für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war, und drittens erläutert, aus welchen Gründen sie klärungsbedürftig ist, mithin aus welchen Gründen die ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 - 13a ZB 17.31832 - juris Rn. 3; B.v. 10.1.2018 - 10 ZB 17.30487 - juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 36. EL, Februar 2019, § 124a Rn. 102 ff.). Die Grundsatzfrage muss zudem anhand des verwaltungsgerichtlichen Urteils rechtlich aufgearbeitet sein. Dies erfordert regelmäßig, dass der Rechtsmittelführer die Materie durchdringt und sich mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 - 13a ZB 17.31832 - juris Rn. 3). Bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge muss der Rechtsmittelführer zudem Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2017 - 11 ZB 17.30602 - juris Rn. 2). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
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1.1. Hinsichtlich der von der Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage,
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ob alleinstehende Rückkehrerinnen vom Volk der Tigray bei einer Rückkehr nach Äthiopien bei Berücksichtigung der aktuellen Situation alleine durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der RL 2011/95/EU ausgesetzt zu sein,
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fehlt es dem Zulassungsvorbringen an der erforderlichen rechtlichen Aufarbeitung der geltend gemachten Grundsatzfrage nach Maßgabe und anhand des Verwaltungsgerichtsurteils und an einer Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit entsprechend den aufgezeigten Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, weil die Klagepartei nicht an ihre Fragestellung anknüpfend einen landesweiten innerstaatlichen bewaffneten Konflikt darlegt.
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Die Klagepartei hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, die seit November 2020 andauernden brutalen Auseinandersetzungen zwischen den äthiopischen Streitkräften und deren eritreischen Verbündeten einerseits und der Volksbefreiungsfront von Tigray andererseits, die viele Opfer forderten, hätten sich mittlerweile auch auf andere Regionen Äthiopiens ausgeweitet. Im Juli 2021 habe der bewaffnete Konflikt auf die Nachbarregionen Amhara und Afar übergegriffen. So hätten tigrayische Truppen im Juli 2021 die Stadt Kobo in der Region Amhara eingenommen und Einheimische exekutiert (unter Verweis auf Report of the International Commission of Human Rights Experts on Ethiopia, Stand 19.9.2022, https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/ichre-ethiopia/index). Auch in den Regionen Benishangul-Gumuz, Oromia und Somali sei Gewalt ausgebrochen. Damit seien fast alle Regionen Äthiopiens von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. Seitens der äthiopischen Streitkräfte komme es zu gezielten Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, bei denen regelmäßig Zivilpersonen ums Leben kämen. So seien beispielsweise bei einem Angriff auf die Stadt Axum am 5. Februar 2021 30 Menschen gestorben. Am 22. Juni 2021 seien bei einem Luftangriff auf den Markt des Dorfes Edaga Selus mehr als 50 Zivilisten getötet worden. Von Beginn an seien Hinrichtungen, Vergewaltigungen, sexuelle Gewalt und Aushungern der Zivilbevölkerung Mittel der Kriegsführung der beteiligten Kriegsparteien. Beobachter der Vereinten Nationen gingen von mehr als einer halben Million Toten seit Kriegsbeginn aus. Der Konflikt sei nach Angaben des Forschungsinstituts International Crisis Group (ICG) „einer der tödlichsten weltweit“. Die Zahl der Binnenvertriebenen werde auf 2,6 Millionen Menschen geschätzt (unter Verweis auf tagesschau.de, Sterben unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Bericht vom 15.10.2022, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/aethiopien-krieg-101.html). Amnesty International berichte, dass alle Konfliktparteien im Berichtszeitraum 2021 schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hätten, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ethnische Säuberungen, außergerichtliche Hinrichtungen und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Der Konflikt werde auch zum Anlass genommen, die Meinungs- und Informationsfreiheit einzuschränken. Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen forderten allein mindestens 1.500 Menschenleben. In der Hauptstadt Addis Abeba seien im Jahr 2021 willkürlich Tausende Menschen inhaftiert worden, mutmaßlich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit (unter Verweis auf Amnesty International Report, Äthiopien 2021, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/aethiopien-2021). Die Führung in Addis Abeba sei mittlerweile dazu übergegangen, willkürlich Zivilisten mit tigrayischer Abstammung zu verhaften und zu verschleppen. Hab und Gut von Tigrayern im ganzen Land werde geplündert. In Addis Abeba seien von der Regierung initiierte Bürgerwehren aktiv und spürten Bürger aus Tigray auf, um sie den äthiopischen Sicherheitsorganen zu übergeben. Ein rassistisches Klima gegenüber Tigrayern werde vom Regime systematisch geschürt. Tigrayer versuchten, ihre Identität zu verbergen, indem sie regionaltypische Musik vermeiden, Kleidung und Haartracht verändern, das Haus nicht mehr verlassen und ihre Sprache nicht mehr sprechen würden. Dennoch würden Berichten von vor Ort zufolge Zehntausende allein in Addis Abeba verhaftet und verschleppt. Lokale Medien berichteten von einer massiven Präsenz eritreischer Geheimdienstler in Addis Abeba. Nachdem bereits viele tigraystämmige Einwohner nach Eritrea verschleppt worden seien, drohten nun weitere Deportationen dorthin. Aus dem von amharischen Milizen und starken eritreischen Verbänden besetzten West-Tigray kämen ebenfalls Berichte über Massenverhaftungen von tigrayischen Zivilisten, vorwiegend Kinder, Frauen und Alte. Zudem warne die äthiopische Regierung vor Aktivitäten der somalischen Terrororganisation Al-Shabaab.
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Das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Urteil (s. UA S. 12 f.) festgestellt, dass im Fall der Klägerin von einer Rückkehr nach Addis Abeba, ihrer Herkunftsregion, auszugehen sei. Daher könne dahinstehen, ob der Konflikt in der Region Tigray und den angrenzenden Gebieten für sich die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfülle. Zwar sei die Sicherheitslage auch außerhalb der Regionen Tigray, Amhara und Afar mit 237 Kämpfen, 214 gewalttätigen Vorfällen gegen Zivilisten und 3.114 gemeldeten Todesfällen weiterhin unbeständig geblieben (unter Verweis auf UNHCR, Position On Returns To Ethiopia, März 2022, S. 1). Ein landesweiter Konflikt sei insbesondere in Anbetracht der Größe Äthiopiens aktuell allerdings nicht gegeben. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des zeitweisen Vorrückens der TPLF in Richtung Addis Abeba u.a. durch die verkündete Allianz mit der OLA. Gefahrerhöhende individuelle Umstände in der Person der Klägerin seien nicht ersichtlich. Insbesondere seien bisher keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen oder gar einer Festnahme oder Misshandlung ausgesetzt gewesen seien (unter Verweis auf Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 14.6.2021, S. 22, und Adhoc Bericht vom 18.1.2022, S. 24).
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Mit diesen entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil setzt sich die Klagepartei nicht in der erforderlichen Weise auseinander und legt nicht dar, dass - anders als dort angenommen - die Konflikte und gewaltsamen Unruhen in Äthiopien landesweit, i.e. auch außerhalb der Tigray-Region und den angrenzenden Gebieten, das Gewicht eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinn von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erreichen könnten, von dem die Klägerin bei Rückkehr nach Äthiopien derart betroffen wäre, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass sie allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Auch mit den von der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (vgl. EuGH, U.v. 10.6.2021 - C 901/19 - juris; BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 - juris), die im angegriffenen Urteil ebenfalls ausführlich dargestellt wurden (UA S. 9 ff.) befasst sich das Zulassungsvorbringen nicht ansatzweise. Insbesondere setzt es sich nicht hinreichend mit der aktuellen Sicherheitslage außerhalb der unmittelbar vom Tigray-Konflikt betroffenen Gebiete, insbesondere in Addis Abeba, auseinander. Die genannten Opferzahlen und das dargestellte Vorgehen der Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung beziehen sich auf die Region Tigray und die angrenzenden Gebiete. Soweit unter Bezugnahme auf einen Bericht von Amnesty International darauf verwiesen wird, dass in der Hauptstadt Addis Abeba und anderen Städten tausende Menschen aus Tigray mutmaßlich aus ethnischen Gründen inhaftiert worden seien, wird kein Bezug zu der aufgeworfenen Fragestellung hergestellt, weil nicht dargelegt wird, inwiefern sich hieraus für Rückkehrerinnen vom Volk der Tigray tatsächlich eine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ergeben könnte. Gleiches gilt - abgesehen davon, dass Quellen zum Beleg der entsprechenden Behauptungen nicht angegeben werden - hinsichtlich der Ausführungen in der Zulassungsschrift (vgl. S. 7 f.) zu angeblichen Plünderungen des Besitzes von Tigrayern im ganzen Land, zu Aktivitäten von Bürgerwehren und zur Präsenz eritreischer Geheimdienstler in Addis Abeba; auch insoweit ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass und inwiefern diese Sachverhalte unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu subsumieren wären. Die des Weiteren angeführte Warnung vor Aktivitäten der somalischen Terrororganisation Al-Shabaab bleibt pauschal. Soweit die Klagepartei schließlich darauf verweist, dass ethnische Auseinandersetzungen mindestens 1.500 Menschenleben gefordert hätten, bezieht sich dies dem genannten Bericht von Amnesty International zufolge auf Gewalt zwischen ethnischen Gruppen in den Regionen Oromia, Amhara, Benishangul-Gumuz, Afar und Somali, so dass hiermit bereits aus diesem Grund kein Konflikt in der Herkunftsregion der Klägerin Addis Abeba oder ein landesweiter Konflikt dargelegt wird.
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1.2. Hinsichtlich der des Weiteren aufgeworfenen Frage,
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ob die Versorgungs- und Sicherheitslage in Nigeria [richtig: Äthiopien] aktuell so desolat ist, dass hieraus Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für alleinstehende Rückkehrerinnen vom Volk der Tigray abzuleiten sind,
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fehlt es ebenfalls an der Darlegung der grundsätzlichen Klärungsfähigkeit.
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a) Betreffend die Sicherheitslage wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf obige Ausführungen unter 1.1. Bezug genommen. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. EuGH, U.v. 10.6.2021 - C 901/19 - juris; BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 11/19 - juris) sind auch im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zumindest orientierend heranzuziehen (vgl. OVG NW, U.v. 18.6.2019 - 13 A 3930/18 - juris Rn. 91 ff. m.w.N.). Dass und inwiefern der Tigray-Konflikt oder gewaltsame Unruhen, die im Rahmen der bestehenden ethnischen Konflikte auftreten, am Zielort der Abschiebung und der Herkunftsregion der Klägerin Addis Abeba oder landesweit das Gewicht eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erreichen könnten, von dem die Klägerin bei einer Rückkehr tatsächlich und derart betroffen wäre, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass sie allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein, wird nicht dargelegt.
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b) Soweit das Zulassungsvorbringen die Versorgungslage in den Blick nimmt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich die Frage des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Regel - so auch hier - einer verallgemeinernden, fallübergreifenden Betrachtung, wie sie für eine Grundsatzrüge erforderlich ist, entzieht, weil sie nur nach jeweiliger Würdigung der Verhältnisse im Einzelfall beurteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2020 - 23 ZB 20.31311 - Rn. 3 ff.; B.v. 8.12.2021 - 15 ZB 21.31689 - juris Rn. 8). Bezogen auf § 60 Abs. 5 AufenthG kann die Frage, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot besteht, nur unter Berücksichtigung der individuellen Person und bei Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, in denen sich die Person nach ihrer Rückkehr befinden wird (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 11 a.E.). Hierzu gehören insbesondere das Alter, die Erwerbsfähigkeit, die Ausbildung und beruflichen Kenntnisse, die finanziellen Verhältnisse, Versorgungs- und Unterhaltspflichten sowie familiäre Verbindungen und sonstigen Netzwerke. Nichts anderes gilt für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 13).
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Unabhängig hiervon fehlt es auch an einer rechtlichen Aufarbeitung der von der Klägerseite geltend gemachten Grundsatzfrage nach Maßgabe des Verwaltungsgerichtsurteils, da sich das Zulassungsvorbringen mit den entsprechenden entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil nicht konkret auseinandersetzt, sowie an einer Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (zu den Darlegungsanforderungen vgl. BayVGH, B.v. 18.1.2018 - 8 ZB 17.31372 - juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 12.12.2016 - 4 A 2939/15.A - juris Rn. 4 f., jeweils m.w.N.).
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Die Klagepartei hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, die medizinische Versorgung sei im ganzen Land, selbst in der Hauptstadt, technisch, apparativ und hygienisch hoch problematisch und eine zeitgemäße Notfallversorgung nicht vorhanden (unter Verweis auf Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise Äthiopien, Stand 19.10.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/ aethiopiensicherheit/209504). Eine existenzielle Versorgung mit Lebensmitteln sei in weiten Teilen Äthiopiens nicht möglich. Von den rund sieben Millionen Einwohnern der Region Tigray seien etwa 5,2 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die humanitäre Lage in Tigray sei nach der jahrelangen Blockade durch die Regierung in Addis Abeba verheerend. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge hätten rund 89 Prozent der gut sieben Millionen Einwohner in Tigray keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln. Fast jedes dritte Kind in der Region leide an Unterernährung. Aufgrund der wiederholten Angriffe auf zivile Ziele hätten auch Uno-Hilfsorganisationen angekündigt, ihre Arbeit in Tigray einzustellen. In absehbarer Zeit werde es daher für Millionen von Menschen praktisch unmöglich, ihre elementaren Bedürfnisse an Lebensmitteln zu befriedigen und die eigene Gesundheits- und Hygieneversorgung sicherzustellen. Die Situation im Hinblick auf Lebensmittel entspanne sich keineswegs. Noch immer seien zwei Drittel der Erwerbstätigen im landwirtschaftlichen Bereich tätig (unter Verweis auf WKO, Länderprofil Äthiopien, Stand Oktober 2022, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-aethiopien.pdf). Rund 9,9 Millionen Menschen befänden sich wegen andauernder Dürre in einer Ernährungskrise. Es herrsche großer Wassermangel; vor allem im Süden Äthiopiens und damit der Region, die noch am ehesten von gewaltsamen Konflikten verschont sei, sei die Situation lebensbedrohlich, aber auch in den anderen Regionen des Landes sei sie kaum besser. Nicht nur der Krieg in Äthiopien, sondern auch die Ukraine-Krise verschärfe die Notlage. Durch den ausbleibenden Import von Weizen seien die Lebensmittel noch teurer und damit für viele Familien schlicht unerschwinglich geworden. Im Welthunger-Index werde Äthiopien auf Rang 104 von 121 eingestuft und die Hungersituation als ernst gewertet (unter Verweis auf Welthunger-Index 2022, https://www.globalhungerindex.org/de/ranking.html). Knapp ein Viertel der Menschen in Äthiopien sei unterernährt, rund 5,5 Millionen Menschen steckten in einer Hungerkrise. Mehr als ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren leide an Wachstumsverzögerungen (vgl. Welthungerhilfe, Äthiopien - Dürre und drohende Hungersnot, Stand 19.10.2022, https://www.welthungerhilfe.de/spenden-aethiopien/aethiopien-duerre-und-drohende-hungersnot). Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen habe im April 2022 ihre Unterstützung ausweiten müssen. Im Dupti-Krankenhaus, der einzigen Klinik in einem Gebiet mit 1,1 Millionen Menschen, hätten bis Juni 2022 bereits drei bis vier Mal so viele schwer mangelernährte Kinder behandelt werden müssen als im Vorjahreszeitraum. Zum Teil liege die Sterblichkeitsrate aufgrund von Mangelernährung bei 20 Prozent. Auch Ärzte ohne Grenzen hätten auf Anordnung der äthiopischen Behörden ihr Engagement in den Regionen Amhara, Gambella und Somali sowie im Westen und Nordwesten von Tigray einstellen müssen. In diesen Gebieten, den Epizentren der kriegerischen Auseinandersetzungen, habe sich die ohnehin desolate medizinische Versorgung daher weiter verschlechtert (unter Verweis auf Ärzte ohne Grenzen e.V., Die aktuelle Situation in Äthiopien, Bericht vom 14.6.2021). Binnenvertriebene und Rückkehrer gehörten in Äthiopien zu einer besonders vulnerablen Gruppe. Sie litten vielerorts unter Mangelernährung, unzureichendem Zugang zu Wasser und einem Mangel an wetterfesten Unterkünften (unter Verweis auf Deutsches Rotes Kreuz, Äthiopien: Hilfe für Binnenvertriebene und Rückkehrer, Stand 19.10.2022, https://www.drk.de/hilfe-weltweit/wo-wir-helfen/afrika/aethiopien/hilfe-fuer-binnenvertriebene-und-rueckkehrende/). Es sei zwingend notwendig, Arbeit zu finden, da es keine Grundversorgung gebe.
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Dieses Vorbringen setzt sich nicht hinreichend mit den entsprechenden Feststellungen und Erwägungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil, namentlich zu den o.g. individuellen Faktoren sowie den Erwerbsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen wie die Klägerin, auseinander. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich im Wesentlichen darauf abgestellt, dass trotz der für große Teile der Bevölkerung schwierigen Situation keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass Rückkehrer allgemein keine Nahrungsmittelhilfe erhielten. Grundsätzlich böten sich für Rückkehrer Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Die Klägerin sei eine junge, gesunde und arbeitsfähige Frau mit nach eigenen Angaben achtjähriger Schulausbildung, der es vor ihrer Ausreise wirtschaftlich gut/durchschnittlich gegangen sei - sie habe in Äthiopien ein Restaurant betrieben und nach eigener Angabe ca. 4.000 Birr im Monat verdient. Die erlangte schulische und berufliche Praxis werde ihr bei Rückkehr das Finden einer Arbeit erleichtern. Die Klägerin spreche neben Amharisch ein bisschen Englisch. Sie habe eine Tante in Addis Abeba, die sich nach ihrer Ausreise um ihren Sohn gekümmert habe. Bei dieser Ausgangslage sei davon auszugehen, dass die Klägerin ausreichende Möglichkeiten habe, sich bei einer Rückkehr durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu sichern, sich allmählich (wieder) in die äthiopische Gesellschaft zu integrieren und damit ihr Existenzminimum zumindest so weit zu sichern, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu erwarten sei. Darüber hinaus könne die Klägerin ihre finanzielle Situation durch die Inanspruchnahme umfangreicher Leistungen aus verschiedenen Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen verbessern (wird näher ausgeführt, s. UA S. 15 ff.).
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Im Übrigen wird nicht dargelegt, dass entgegen den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts betreffend nach Äthiopien zurückkehrender alleinstehender weiblicher Staatsangehöriger vom Volk der Tigray grundsätzlich und unabhängig von den individuellen Umständen der Rückkehr die Schwellen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG landesweit überschritten sein könnten (vgl. zur erforderlichen landesweiten Betrachtung bei der Beurteilung des Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote HessVGH, U.v. 23.8.2019 - 7 A 2750/15.A - juris Rn. 49; NdsOVG, U.v. 29.1.2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 53; BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 41). Zwar zeichnen das Zulassungsvorbringen und die zu dessen Beleg angeführten Quellen ein durchaus sehr besorgniserregendes Bild der humanitären Situation in Äthiopien; jedoch legen sie nicht nahe, dass jede alleinstehende Rückkehrerin vom Volk der Tigray mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Äthiopien eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre, so dass die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären.
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Dass derzeit in Äthiopien landesweit eine Hungersnot herrschen würde oder alleinstehende Rückkehrerinnen überwiegend oder in großer Zahl von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen wären, legen die angeführten Erkenntnismittel nicht nahe. Vielmehr wird hieraus - auch soweit in dem Bericht der Welthungerhilfe ausgeführt wird, dass sich 9,9 Millionen Menschen wegen andauernder Dürre in einer Ernährungskrise befänden, vor allem im Süden Äthiopiens die Situation wegen der Dürre lebensbedrohlich sei, knapp ein Viertel der Menschen in Äthiopien unterernährt sei und rund 5,5 Millionen Menschen in einer Hungerkrise steckten - deutlich, dass es für die Frage, ob eine Person der Gefahr der Mangelernährung ausgesetzt sein wird, auf die konkreten Umstände der Rückkehr, insbesondere die Verhältnisse am Rückkehrort, die Leistungsfähigkeit der Betreffenden sowie die Zahl der in einem Haushalt zu versorgenden Personen, ankommt. Allein aus den genannten Zahlen in Ernährungsunsicherheit lebender Menschen kann bei einer Einwohnerzahl Äthiopiens von rund 118 Millionen (vgl. Bericht der Welthungerhilfe, https://www.welthungerhilfe.de/spenden-aethiopien/aethiopien-duerre-und-drohende-hungersnot, abgerufen am 5.1.2023) eine alleinstehenden Rückkehrerinnen möglicherweise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung oder eine Gefahr für die Gesundheit schon deshalb nicht abgeleitet werden, weil - auch ausweislich des Zulassungsvorbringens und der dort angeführten Erkenntnisquellen - hiervon zunächst vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Alleinerziehende ohne familiäre Unterstützung, Familien mit mehreren Kindern, nicht arbeitsfähige, ältere oder kranke Personen sowie die unmittelbar vom Konflikt in der Region Tigray betroffenen Menschen besonders tangiert sind. Allein in der Region Tigray sollen dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Januar 2022 (Stand Dezember 2021) zufolge über 90% der Einwohner, deren Zahl sich in einer Größenordnung zwischen 5 und 7 Millionen bewegt (vgl. https://de.db-city.com/%C3%84thiopien-Tigray; https://de.wikipedia.org/wiki/Tigray_(Region), auf humanitäre Hilfe angewiesen sein (AA, Lagebericht v. 18.1.2022, S. 7). Dass landesweit bzw. in Addis Abeba, dem Zielort einer potentiellen Abschiebung und der Herkunftsregion der Klägerin, absehbar eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln generell nicht möglich wäre, geht entgegen der Darstellung der Klagepartei aus den angeführten Quellen nicht hervor.
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Soweit die Klagepartei unter Verweis auf die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts zu Äthiopienausführt, die medizinische Versorgung sei im ganzen Land, selbst in der Hauptstadt, technisch, apparativ und hygienisch hoch problematisch und eine zeitgemäße Notfallversorgung nicht vorhanden, ist darauf hinzuweisen, dass diese Reise- und Sicherheitshinweise primär Gefahren für deutsche Staatsangehörige, die Äthiopien bereisen, zum Gegenstand haben. Daher lässt sich für die Zwecke eines Asylverfahrens äthiopischer Staatsangehöriger hieraus nicht ohne Weiteres etwas herleiten, denn es ist auszuschließen, dass die für eine Reisewarnung maßgebenden rechtlichen Maßstäbe mit jenen identisch sind, anhand derer das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG sowie des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu beurteilen ist (vgl. zu § 60 Abs. 7 AufenthG BVerwG, B.v. 27.6.2013 - 10 B 11.13 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 5.12.2018 - 5 ZB 18.33041 - juris Rn. 15). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt im Übrigen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Es ist gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG. Konkret ist eine Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn die Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3.11 - InfAuslR 2012, 261 - juris Rn. 34). Mit ihrem Verweis auf die begrenzten Ressourcen des äthiopischen Gesundheitssystems legt die Klägerin vor dem Hintergrund der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin habe angegeben, nicht unter einer schwerwiegenden Erkrankung oder Gebrechen zu leiden (UA S. 19), nicht dar, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Abschiebung in engem zeitlichen Zusammenhang aufgrund zielstaatsbezogener Umstände zu einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung führen würde.
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Soweit die Klagepartei schließlich in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass die Organisation Ärzte ohne Grenzen ihre medizinische Hilfe auf Anordnung der äthiopischen Behörden aussetzen musste, erfolgte dies nicht landesweit, sondern betraf die Regionen Amhara, Gambella und Somali sowie den Westen und Nordwesten Tigrays; in Addis Abeba, Guji (Oromia), Southern Nations, Nationalities and People's Region (SNNPR) und Südost-Tigray leistet die Organisation weiterhin Hilfe (vgl. Ärzte ohne Grenzen, Pressemitteilung v. 10.9.2021, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/aethiopien-aussetzung).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG rechtskräftig.