Titel:
Versäumte Beschwerdebegründungsfrist bei Störung der beA-Anwendung
Normenkette:
VwGO § 55a Abs. 5, § 55d, § 60 Abs. 2, § 146 Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichtes elektronisches Dokument ist wirksam bei Gericht eingegangen, wenn es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist. Ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist unerheblich. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Der Prozessbevollmächtigten muss demnach die ordnungsgemäße Übermittlung, dh insbesondere die Eingangsbestätigung gem § 55a Abs. 5 S. 2 VwGO, überprüfen bzw. das zuständige Personal anweisen, den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung zu kontrollieren, und dies zumindest stichprobenweise überprüfen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bleibt die Eingangsbestätigung aus, ist der Prozessbevollmächtigte weiter verpflichtet, dem nachzugehen und ggf. eine erneute Übermittlung zu veranlassen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Falle einer technischen Störung des elektronischen Rechtsverkehrs darf der Prozessbevollmächtigte gem § 55d S. 3 VwGO den Schriftsatz ersatzweise auf herkömmlichem Wege übermitteln, wobei die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen ist (§ 55d S. 4 VwGO). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist, Störung der beA-Anwendung, Eingangskontrolle, Obliegenheit zur Ersatzeinreichung, Pflicht zu unverzüglichen Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung über das beA, Beschwerde, Unzulässigkeit, Fristversäumnis, elektronischer Rechtsverkehr, Störung, beA, EGVP, Wiedereinsetzung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 18.10.2022 – AN 10 S 22.1493
Fundstellen:
BayVBl 2023, 349
LSK 2023, 242
BeckRS 2023, 242
Tenor
I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil sie entgegen § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungversehenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Oktober 2022 begründet worden ist.
2
Ausweislich des Empfangsbekenntnisses ist der mit der Beschwerde angegriffene Beschluss den früheren Bevollmächtigten des Antragstellers am 24. Oktober 2022 zugestellt worden. Somit wäre die Beschwerdebegründung bis spätestens 24. November 2022, 24:00 Uhr, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen gewesen (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Nach § 55a Abs. 5 Satz 1 VwGO ist ein elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ein über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichtes elektronisches Dokument ist wirksam bei Gericht eingegangen, wenn es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist. Ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist unerheblich (BGH, B.v. 29.9.2021 - VII ZR 94/21 - NJW 2021, 3471 Rn. 9 m.w.N.).
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Der Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 24. November 2022 ist nach einer gerichtsinternen Überprüfung der Eingänge beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof jedoch erst am 19. Dezember 2022 eingegangen.
4
Gründe, die eine nicht beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO rechtfertigen würden, sind nicht dargelegt.
5
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat nach richterlichem Hinweis auf das Ergebnis der Eingangsrecherche vorgetragen, Recherchen hätten ergeben, dass am 24. November 2022 eine Störung des beA-Systems vorgelegen habe und der Schriftsatz „wohl“ deshalb nicht habe versandt werden können. Dazu hat er eine Störungsdokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer vorgelegt, wonach vom 24. November 2022, 14:06 Uhr, bis 25. November 2022, 7:04 Uhr, eine beA-Anmeldung nicht möglich gewesen sei. Die vom Senat angeforderte Eingangsbestätigung und das Prüfprotokoll hat der Bevollmächtigte nicht vorgelegt.
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Aus diesem Vortrag ergibt sich bereits nicht, dass die elf Minuten nach dem Übermittlungsversuch am 24. November 2022, 13:55 Uhr, aufgetretene Störung der beA-Anwendung (Unmöglichkeit der Anmeldung) die Übermittlung der Beschwerdebegründung verhindert hat. Denn nach der Mitteilung auf der Rückseite der Beschwerdebegründung vom 24. November 2022, 13:55 Uhr, zu urteilen, ist es dem Prozessbevollmächtigten offenbar gelungen, sich beim beA anzumelden, so dass dies nicht die Ursache für die fehlgeschlagene Übermittlung gewesen sein kann. Ferner hat er nicht vorgetragen und belegt, dass er seinen anwaltlichen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist und den Versandvorgang kontrolliert hat. Dabei hätte ihm auffallen müssen, dass die Beschwerdebegründung nicht beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist. Dann wäre bis 24:00 Uhr noch eine fristwahrende Ersatzeinreichung per Telefax (§ 55d Satz 3 VwGO) möglich gewesen (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 16.12.2019 - 19 U 98/19 - BeckRS 2019, 55344 Rn. 7; offengelassen von BGH, B.v. 11.5.2021 - VIII ZB 9/20 - NJW 2021, 2201 Rn. 55). Somit trifft ihn ein dem Antragsteller gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden an der Fristversäumung.
7
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Der Prozessbevollmächtigten hätte demnach die ordnungsgemäße Übermittlung, d.h. insbesondere die Eingangsbestätigung gemäß § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO, überprüfen bzw. das zuständige Personal anweisen müssen, den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung zu kontrollieren, und dies zumindest stichprobenweise überprüfen müssen (vgl. BGH, B.v. 30.11.2022 - IV ZB 17/22 - juris Rn. 10; B.v. 11.5.2021 a.a.O. Rn. 22 ff.; BAG v. 7.8.2019 - 5 AZB 16/19 - BAGE 167, 221 Rn. 23 f.; OVG NW, B.v. 28.7.2022 - 6 A 798/22.A - juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 31.3.2022 - 11 ZB 22.39 - juris Rn. 4; OVG RP, B.v. 14.10.2021 - 8 B 11187/21 - juris Rn. 5 ff.; OVG LSA, B.v. 28.8.2019 - 2 M 58/19 - NJW 2019, 3663 Rn. 8 f. jeweils m.w.N.). Eine Bestätigung über einen erfolgreichen Eingang des elektronischen Dokuments hätte im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ beim Unterpunkt „Meldungstext“ die Meldung „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ die Meldung „erfolgreich“ aufgewiesen (vgl. BGH, B.v. 11.5.2021 a.a.O. Rn. 33 m.w.N.). Bleibt die Eingangsbestätigung aus, ist der Prozessbevollmächtigte weiter verpflichtet, dem nachzugehen und ggf. eine erneute Übermittlung zu veranlassen (vgl. BGH B.v. 11.5.2021 a.a.O. Rn. 22, 54). Im Falle einer technischen Störung des elektronischen Rechtsverkehrs darf er gemäß § 55d Satz 3 VwGO den Schriftsatz ersatzweise auf herkömmlichem Wege übermitteln, wobei die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen ist (§ 55d Satz 4 VwGO; vgl. auch BGH, B.v. 17.11.2022 - IX ZB 17/22 - juris Rn. 9 ff.).
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Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigende Beschwerdebegründung der Beschwerde auch in der Sache nicht zum Erfolg verholfen hätte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2021 - 11 CS 21.1631 - juris Rn. 34).
10
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).