Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 08.09.2023 – 101 VA 117/23
Titel:

Akteneinsichtsrecht der früheren Partei eines Zivilprozess – Sachentscheidung des Gerichts bei Ermessensreduzierung "auf Null"

Normenketten:
ZPO § 299
EGGVG § 23 Abs. 1 S. 1, § 24 Abs. 1, § 26 Abs. 1, § 28 Abs. 3
GNotKG § 36 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Begehrt eine frühere Partei eines Zivilprozesses Einsicht in die Akten des abgeschlossenen Rechtsstreits, ist ihr rechtliches Interesse in der Regel zu bejahen. (Rn. 33)
2. Wendet sich die Person, die der Gewährung von Akteneinsicht widersprochen hat, mit einem Anfechtungsantrag nach § 23 Abs. 1 EGGVG gegen die Bewilligung von Akteneinsicht, führt ein Ermessensfehler der Justizbehörde in  Form des Ermessensnichtgebrauchs dann nicht zur Aufhebung des  Bewilligungsbescheids und Zurückverweisung an die Justizverwaltung, wenn das  Ermessen der Justizbehörde „auf Null“ reduziert und deshalb eine eigene Sachentscheidung des Gerichts ausnahmsweise zulässig ist. (Rn. 46)
Das Akteneinsichtsgesuch der Partei eines abgeschlossenen Rechtsstreits unterfällt § 299 Abs. 2 ZPO (Anschluss an BGH BeckRS 2015, 8913; entgegen OLG Nürnberg BeckRS 2015, 3153). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteinsicht, frühere Partei, Zivilprozess, rechtliches Interesse, Justizverwaltungsakt, Ermessensnichtgebrauch, Ermessensreduzierung auf Null, eigene Sachentscheidung des Gerichts
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 16.08.2008 – 21 O 11879/02
Fundstelle:
BeckRS 2023, 24257

Tenor

I. Der Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung vom 19. April 2023 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert des Verfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die weitere Beteiligte, eine eingetragene société civile französischen Rechts mit Sitz in Paris, und ihre damaligen Gesellschafter erstritten am 16. August 2006 ein Endurteil des Landgerichts München I (Az. …), durch das die Antragstellerin und einer ihrer damaligen Geschäftsführer (im Folgenden auch: „Beklagte“) zur Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs des Sessels mit der Bezeichnung „…“ sowie zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verurteilt wurden, der verklagte Geschäftsführer darüber hinaus zur Einwilligung in die Löschung eines Eintrags in der Urheberrolle des Deutschen Patent- und Markenamts. Daneben traf das Landgericht die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, der weiteren Beteiligten jeglichen Schaden infolge der vom Unterlassungsgebot umfassten Handlungen zu ersetzen. In dem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht München (Az. …) schlossen die Parteien des Ausgangsrechtsstreits einen Vergleich, in dem sich die Beklagten unter anderem zur Zahlung eines Geldbetrags zur Abgeltung der Schadensersatzansprüche der Kläger verpflichteten. Infolge der – ebenfalls im Vergleich vereinbarten – Berufungsrücknahme seitens der Beklagten wurde das landgerichtliche Urteil, soweit es nicht durch den Vergleich abgeändert worden war, rechtskräftig.
2
Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2023 beantragte die V. AG, eine Lizenznehmerin der weiteren Beteiligten mit Sitz in CH-… (Kanton …), bei dem Landgericht München I die Gewährung von Einsicht in die Akten des Ausgangsrechtsstreits durch Übersendung der Akten an die Kanzlei ihrer anwaltlichen Bevollmächtigten in Zürich. Zur Begründung führte sie unter Vorlage einer Kopie des zwischen ihrer Rechtsvorgängerin, der … AG, und der weiteren Beteiligten abgeschlossenen Lizenzvertrags vom 15. Oktober 2014 aus, dass sie zur Durchsetzung ihrer Rechte an den Möbeln von YYY insbesondere die im Endurteil des Landgerichts München I vom 16. August 2008 genannten Sachverständigengutachten vom 23. Dezember 2003, 30. April 2004 und 11. November 2004 benötige.
3
Die hierzu angehörte Antragstellerin widersprach der Gewährung von Akteneinsicht mit der Begründung, dass die V. AG das nach § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse nicht glaubhaft gemacht habe. Deren Legitimation zur Durchsetzung von Rechten an den Möbeln von YYY beruhe auf der exklusiven Rechtsstellung, die ihr die „Erben GbR“ mit Lizenzvertrag vom 14. Dezember 2014 eingeräumt habe, weshalb sie für die Durchsetzung ihrer Rechte „gegen Nachahmungen und deren Urheber“ nicht auf die begehrte Akteneinsicht angewiesen sei. Tatsächlich gehe es der V. AG um die Einsichtnahme in die drei genannten Sachverständigengutachten; sie hoffe, dadurch Tatsachen ermitteln zu können, mit denen sie anderweitige, der Antragstellerin nicht bekannte Ansprüche verfolgen wolle. Die Antragstellerin habe – auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten – kein Interesse daran, dass Dritten Gutachten zugänglich gemacht würden, die in einem gegen sie eingeleiteten Verfahren zu ihrem Nachteil erstellt worden seien. Dadurch könnten Sachverhalte und Prüfungsergebnisse in die (Fach-)Öffentlichkeit gelangen, deren zukünftige Auswirkungen im geschäftlichen Verkehr nicht zu überschauen seien.
4
Der Antrag auf Übersendung der Gerichtsakten nach Zürich und damit in das Gebiet einer anderen Jurisdiktion sei ebenfalls nicht begründet. Weder die V. AG noch deren Bevollmächtigte unterlägen den Anforderungen der deutschen (auch standesrechtlichen) Rechtsordnung; Rückforderungsansprüche müssten nach Schweizer Recht begründet und durchgesetzt werden. Auch wenn diese Überlegungen angesichts der „unbestreitbaren Seriosität“ der Bevollmächtigten der V. AG nur theoretischer Natur seien, sollten im vorliegenden Fall „natürliche wie rechtliche Grenzen“ grundsätzlich nicht überschritten werden.
5
Der Vorsitzende der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I (im Folgenden auch: „der Vorsitzende“) wies mit Beschluss vom 21. März 2023 das Akteneinsichtsgesuch der V. AG zurück, weil diese das gemäß § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche Interesse an der begehrten Akteneinsicht nicht dargelegt habe.
6
Daraufhin beantragte die weitere Beteiligte ihrerseits mit Schriftsatz derselben Schweizer Rechtsanwaltskanzlei vom 4. April 2023 Akteneinsicht. Dem Antrag lag eine von CCC und DDD unterzeichnete Vollmacht im Original bei. Dieses Akteneinsichtsgesuch wies der Vorsitzende mit Beschluss vom 5. April 2023 „unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 21. März 2023“ zurück. Auf den telefonischen Hinweis des anwaltlichen Vertreters der weiteren Beteiligten vom 11. April 2023, dass er nunmehr die Vollmacht einer Partei des Ausgangsrechtsstreits vorgelegt habe, hob der Vorsitzende mit Beschluss vom 12. April 2023 seinen früheren Beschluss vom 5. April 2023 mit der Begründung auf, der „antragstellende Klägervertreter“ sei als auch in der Bundesrepublik Deutschland zugelassener Rechtsanwalt zur Akteneinsicht befugt. Mit Verfügung vom selben Tag genehmigte er den Antrag der weiteren Beteiligten vom 4. April 2023 auf Akteneinsicht und gestattete die Übersendung der Akten in die Kanzlei des „Antragstellers“.
7
Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19. April 2023, eingegangen am selben Tag, bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG gestellt.
8
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, nach ihrer derzeitigen Beurteilung handele es sich nach wie vor um einen Fall der „Drittakteneinsicht“. Die von der weiteren Beteiligten erteilte Vollmacht liege ihr nicht vor, was aber zur Prüfung des Sachverhalts unerlässlich wäre. Bei der weiteren Beteiligten handele es sich um eine „Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach französischem Recht“. Zur Zeit des Ausgangsrechtsstreits habe diese Gesellschaft aus fünf Gesellschaftern bestanden. Nach mehr als 20 Jahren sei nicht sicher, dass die Gesellschaft noch in der ursprünglichen Zusammensetzung fortbestehe. Nach einem Wechsel der Gesellschafter wäre die weitere Beteiligte – was nach französischem Recht zu beurteilen sei – nicht mehr mit der ursprünglichen Prozesspartei identisch. Es komme deshalb darauf an, wer die „antragstellenden Klägervertreter“ bevollmächtigt habe. Allein die Namensgleichheit der angeblichen Vollmachtgeberin sei noch kein Nachweis für die Identität der weiteren Beteiligten mit der ursprünglich klagenden Gesellschaft.
9
In den Gründen des angefochtenen Beschlusses vom 12. April 2023 werde ausgeführt, dass der Bevollmächtigte der weiteren Beteiligten ein im Inland zugelassener Rechtsanwalt sei. Dafür fehle jeglicher Nachweis. Nach wie vor vertrete eine in Zürich ansässige Kanzlei das Gesuch auf Akteneinsicht und bitte um Übersendung der Gerichtsakten in die Schweiz. Daher sei unerheblich, ob einzelne Sozietätsangehörige auch über eine deutsche Rechtsanwaltszulassung verfügten. Es bestünden weiterhin grundsätzliche Bedenken, die komplette Gerichtsakte in die Schweiz zu versenden. Unabhängig davon hätten im Inland zugelassene Rechtsanwälte kein allgemeines Recht auf Akteneinsicht. Es bleibe allein zu prüfen, ob der weiteren Beteiligten ein Recht auf Akteneinsicht zustehe. Sachliche Gründe hierfür seien derzeit nicht ersichtlich.
10
Mit Verfügung vom 24. April 2023 hat der Vorsitzende der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I die Antragstellerin und die weitere Beteiligte davon in Kenntnis gesetzt, dass er die Akten bis zur Klärung der Berechtigung des Akteneinsichtsgesuchs nicht an die Verfahrensbevollmächtigten der weiteren Beteiligten hinausgeben werde.
11
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 19. April 2023 als unbegründet zu verwerfen und den Geschäftswert auf 5.000,00 € festzusetzen.
12
Zur Begründung führt er aus, die Gewährung von Akteneinsicht an die weitere Beteiligte richte sich nach § 299 Abs. 1 ZPO; dessen Voraussetzungen lägen vor. Die weitere Beteiligte sei die Klägerin zu 1) des Ausgangsrechtsstreits gewesen. Nach zutreffender Auffassung ende die Parteistellung nicht mit Abschluss des Prozesses und Eintritt der Rechtskraft, insbesondere würden die Parteien mit dem Abschluss des Prozesses nicht zu Dritten im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO. Ein etwaiger Gesellschafterwechsel auf Seiten der weiteren Beteiligten sei entgegen den Ausführungen der Antragstellerin irrelevant, da die weitere Beteiligte als registerpflichtige französische société civile als juristische Person („personne morale“) einzustufen sei und damit Rechtssubjektsqualität aufweise. Ein Wechsel in der Person der Gesellschafter, die persönlich, aber nicht gesamtschuldnerisch hafteten, ändere hieran nichts. Da die weitere Beteiligte eine ehemalige Streitpartei sei, bestehe hinsichtlich des „Ob“ der Akteneinsicht keinerlei Ermessen.
13
Die Gewährung von Akteneinsicht an eine Partei erfolge grundsätzlich in den Räumen des Gerichts. Allerdings stehe es im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden des Prozessgerichts, auf Antrag des Bevollmächtigten eine Versendung der Akten an diesen zuzulassen. Bei seiner Ermessensentscheidung habe der Vorsitzende alle für eine Versagung oder Gestattung der Aktenüberlassung zu beachtenden Umstände zu berücksichtigen. Eines der Kriterien, die im Rahmen der Ermessensausübung Bedeutung erlangen könnten, sei die Zuverlässigkeit des Rechtsanwalts, die insbesondere bei einer deutschen Zulassung angenommen werden könne, was nicht zuletzt durch die Regelung für die Übermittlung elektronisch geführter Prozessakten in § 299 Abs. 3 Satz 2 ZPO zum Ausdruck komme. Es erschließe sich deshalb nicht, inwieweit die beanstandete Entscheidung rechtswidrig sein und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzen solle.
14
Die vom Senat angehörte weitere Beteiligte führt unter Verweis auf einen vorgelegten Auszug aus dem französischen Unternehmensregister („Registre national des entreprises“) vom 30. Mai 2023 aus, dass sie bei Erteilung der Vollmacht an ihre Verfahrensbevollmächtigten durch ihre Geschäftsführerinnen („gérants“) CCC und DDD wirksam vertreten worden sei. Gemäß der zwingenden Vorschrift des Artikels 1849 des französischen Code Civile habe jeder Geschäftsführer Einzelvertretungsbefugnis. In der Sache schließt sich die weitere Beteiligte den Ausführungen des Antragsgegners an, wonach ihr Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO zu gewähren sei.
15
Die Antragstellerin hat zu dem ihr übermittelten Schriftsatz der weiteren Beteiligten vom 30. Mai 2023 erklärt, dass eine weitere Stellungnahme nicht beabsichtigt sei.
II.
16
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nur zum Teil zulässig und im Übrigen unbegründet.
17
1. Soweit die Antragstellerin sich ausdrücklich dagegen wendet, dass zur Gewährung der beantragten Akteneinsicht die Akten des Ausgangsrechtsstreits an die Verfahrensbevollmächtigten der weiteren Beteiligten in Zürich übersandt werden sollen, ist ihr Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits mangels Darlegung der erforderlichen Antragsbefugnis unzulässig,
a) Der Antrag ist zwar gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG insgesamt statthaft.
18
Die Antragstellerin, die keinen konkreten Antrag gestellt hat, greift die Entscheidung des Vorsitzenden der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 12. April 2023 an, durch die der weiteren Beteiligten unter Aufhebung des vorausgegangenen ablehnenden Beschlusses vom 5. April 2023 Akteneinsicht durch Versendung der Akten des Ausgangsrechtsstreits an deren Schweizer Verfahrensbevollmächtigte bewilligt wird. Die Gewährung von Einsicht in die Akten eines bereits abgeschlossenen Rechtsstreits stellt einen Justizverwaltungsakt dar, gegen den der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist (vgl. BGH, Beschl. v. 29. April 2015, XII ZB 214/14, NJW 2015, 1827 Rn. 10 f.).
19
Während eines laufenden Rechtsstreits ergibt sich das Recht der Parteien auf Einsicht in die Prozessakten aus § 299 Abs. 1 ZPO. Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht in die Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht ist (§ 299 Abs. 2 ZPO).
20
Nach herrschender Meinung unterfällt auch das Akteneinsichtsgesuch der Partei eines abgeschlossenen Rechtsstreits der Regelung des § 299 Abs. 2 ZPO; denn das Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO dient allein der Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist (vgl. BGH NJW 2015, 1827 Rn. 11; BFH, Beschluss vom 20. Oktober 2005, VII B 207/05, BFHE 211, 15 [juris Rn. 6]; OLG München, Beschluss vom 20. Mai 2009, 9 VA 5/09, MDR 2009, 1065 [juris Rn. 10]; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 299 Rn. 6c; Huber in Musielak/ Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 299 Rn. 2; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 299 Rn. 1b; a. A.: OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2015, 4 VA 2462/14, juris Rn. 6; Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 299 Rn. 10; Prütting in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 299 Rn. 9).
21
b) Die Antragstellerin legt aber nicht dar, dass sie nicht nur durch die Bewilligung von Akteneinsicht an die weitere Beteiligte als solche, sondern auch durch die angekündigte Versendung der Akten des Ausgangsrechtsstreits in die Schweiz in eigenen Rechten verletzt wird, weshalb ihr insoweit die erforderliche Antragsbefugnis (§ 24 Abs. 1 EGGVG) fehlt.
22
Nach § 24 Abs. 1 EGGVG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die behauptete Verletzung muss sich unmittelbar aus der angegriffenen Maßnahme ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2019, VI AR [VZ] 1/18, juris Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 20. Oktober 2020, 101 VA 107/20, juris Rn. 11; Lückemann in Zöller, ZPO, § 24 EGGVG Rn. 1), wobei umstritten ist, ob hierfür eine schlüssige Darlegung der geltend gemachten Rechtsverletzung erforderlich ist oder ob – wie es der herrschenden Meinung zu § 42 Abs. 2 VwGO in Bezug auf den Verwaltungsprozess entspricht – lediglich ein Sachverhalt vorgetragen werden muss, der eine Rechtsverletzung möglich erscheinen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018, IV AR [VZ] 1/18, juris Rn. 11; BayObLG, Beschluss vom 18. November 2020, 101 VA 136/20, juris Rn. 29 m. w. N.).
23
Gegen die Absicht der Justizverwaltung, die Gerichtsakten zur Gewährung der bewilligten Akteneinsicht in die Schweiz zu versenden, macht die Antragstellerin lediglich abstrakte Bedenken geltend: Die Schweizer Verfahrensbevollmächtigten der weiteren Beteiligten unterlägen nicht den Anforderungen der deutschen Rechtsordnung, weshalb ein Anspruch (scil: der Justizverwaltung) auf Rückgabe der Akten nach Schweizer Recht begründet und durchgesetzt werden müsse. Die Antragstellerin legt nicht nachvollziehbar dar, welche Nachteile für ihre eigene Rechtsstellung mit dem – aus Sicht des Senats ohnehin fernliegenden – Risiko verbunden ist, dass der Anspruch auf Rückgabe der Akten des längst abgeschlossenen Ausgangsrechtsstreits in der Schweiz gerichtlich durchgesetzt werden müsste. Die Seriosität der Schweizer Verfahrensbevollmächtigten der weiteren Beteiligten zieht die Antragstellerin ausdrücklich nicht in Zweifel.
24
2. Soweit die Antragstellerin die Bewilligung von Akteneinsicht an die weitere Beteiligte als solche angreift, ist ihr Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig.
25
a) In Bezug auf dieses Rechtsschutzziel hat die Antragstellerin eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten schlüssig dargelegt. Sie beruft sich auf „datenschutzrechtliche Gesichtspunkte“ und will insbesondere verhindern, dass der Inhalt der im Ausgangsrechtsstreit eingeholten Sachverständigengutachten der (Fach-)Öffentlichkeit bekannt wird, wovon sie Nachteile für sich im geschäftlichen Verkehr befürchtet. Damit macht die Antragstellerin geltend, dass sie durch die Gewährung von Akteneinsicht an die weitere Beteiligte in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018, 2 BvR 1405/17 u. 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 Rn. 61; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020, V ZB 98/19, NJW 2020, 1511 Rn. 17) sowie in ihrem Recht an ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt werde.
26
b) Der Antrag ist auch form- und fristgerecht gestellt worden. Nach § 26 Abs. 1 EGGVG muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb eines Monats nach der Zustellung oder schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids gestellt werden. Ausweislich des Ausführungsvermerks der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle sind Beschluss und Verfügung vom 12. April 2023 jeweils am 18. April 2023 formlos an die Bevollmächtigten der Verfahrensbeteiligten hinausgegeben worden. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist bereits am 19. April 2023 beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen.
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3. Der Antrag ist aber unbegründet. Die der weiteren Beteiligten bewilligte Akteneinsicht verletzt die Antragstellerin nicht in eigenen Rechten, auch nicht in ihrem subjektiven Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 28 Abs. 3 EGGVG).
28
a) Das gemäß § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse der weiteren Beteiligten an der begehrten Akteneinsicht ist nach Aktenlage zu bejahen.
29
aa) Aus den oben unter Ziffer 1 lit. a dargelegten Gründen kann der weiteren Beteiligten Einsicht in die Akten des abgeschlossenen Ausgangsrechtsstreits nur unter den Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 ZPO gewährt werden. Ein rechtliches Interesse im Sinne dieser Vorschrift besteht, wenn der Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, für die rechtlichen Belange des Akteneinsicht Begehrenden von konkreter rechtlicher Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020, IX AR [VZ] 2/19, NJW-RR 2021, 48 Rn. 14; BayObLG, Beschl. v. 18. August 2022, 102 VA 68/22, juris Rn. 31 f.; Beschluss vom 2. September 2021, 101 VA 100/21, ZIP 2022, 233 [juris Rn. 20]).
30
bb) Zum rechtlichen Interesse der weiteren Beteiligten hat der Vorsitzende der 21. Zivilkammer keinerlei Feststellungen getroffen. Die weitere Beteiligte, die unter Übernahme der Argumentation des Antragsgegners ihr Akteneinsichtsrecht aus § 299 Abs. 1 ZPO ableiten will, hat ihr Gesuch ebenfalls nicht näher begründet.
31
cc) Der aus den Akten ersichtlichen Vorgeschichte kann der Senat aber eindeutig entnehmen, dass die weitere Beteiligte mit ihrem Akteneinsichtsgesuch im Wesentlichen bezweckt, ihrer Lizenznehmerin V. AG Kenntnis von den drei im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits eingeholten Sachverständigengutachten zu verschaffen. Der Inhalt dieser Gutachten ist, wie sich aus dem von der V. AG vorgelegten Endurteil des Landgerichts München I vom 16. August 2006 (Az.: …) ergibt, für die Legitimation der weiteren Beteiligten als Inhaberin der Rechte an den Möbeln von YYY von konkreter rechtlicher Bedeutung. Dies genügt, um das erforderliche rechtliche Interesse der weiteren Beteiligten an der begehrten Akteneinsicht zu bejahen.
32
(1) Bei der Prüfung des rechtlichen Interesses ist zunächst zu berücksichtigen, dass die weitere Beteiligte mit der Klägerin zu 1) des Ausgangsrechtsstreits identisch ist.
33
Begehrt eine frühere Partei Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen Rechtsstreits, ist ihr rechtliches Interesse in der Regel zu bejahen (vgl. Greger in Zöller, ZPO, § 299 Rn. 6c). Denn in Bezug auf den Gegenstand eines Rechtsstreits, an dem sie selbst beteiligt war, ist die frühere Partei nicht lediglich in ihrer wirtschaftlichen Sphäre, sondern in ihrer Rechtsstellung berührt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. April 2015 (NJW 2015, 1827). Dort wird lediglich ausgeführt, dass die Aufbewahrung und Verwaltung von Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens nicht dem Spruchkörper, der mit ihm befasst war, obliegt, sondern Aufgabe der Gerichtsverwaltung ist (a. a. O., Rn. 11).
34
Bei der weiteren Beteiligten handelt sich um eine société civile nach französischem Recht, die ausweislich des vorgelegten Auszugs aus dem französischen „Registre national des entreprises“ vom 30. Mai 2023 am 22. August 2000 eingetragen worden war. Ein Vergleich der im Registerauszug aufgeführten „dirigeants et associés“ mit dem Rubrum des Ausgangsrechtsstreits lässt zwar erkennen, dass sich der Kreis der Gesellschafter nach der Beendigung des Ausgangsrechtsstreits geändert hat. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin berührt ein Wechsel der Gesellschafter nach französischem Recht die Identität der Gesellschaft aber nicht.
35
In seinem Endurteil vom 16. August 2006 hatte das sachverständig beratene Landgericht München I hierzu ausgeführt, dass die Rechtsfähigkeit einer société civile in Frankreich bereits seit einer Entscheidung des Cour de cassation aus dem Jahre 1891 allgemein anerkannt sei. Durch die Novelle vom 4. Januar 1978 sei Art. 1842 Abs. 1 Satz 1 Code Civil dahin neu gefasst worden, dass die Gesellschaft nach ihrer Eintragung in das Handelsregister Rechtsfähigkeit genieße (vgl. Endurteil, S. 18).
36
Die weitere Beteiligte wird auch durch die beiden Geschäftsführerinnen („gérants“), welche die Vollmacht der Verfahrensbevollmächtigten vom 30. März 2023 unterzeichnet haben, wirksam vertreten. In dem vorgelegten aktuellen Registerauszug werden CCC und DDD – und nur diese – als „gérants“ der Gesellschaft genannt. Beide Damen haben die Vollmachtsurkunde unterzeichnet, weshalb dahinstehen kann, ob sie gemäß Art. 1849 Code Civil auch über Einzelvertretungsbefugnis verfügt hätten, wie die weitere Beteiligte behauptet.
37
(2) Wie die aus den Akten ersichtliche Vorgeschichte eindeutig erkennen lässt, will die weitere Beteiligte ihrer Lizenznehmerin V. AG die gewünschte Kenntnis vom Inhalt der drei im Ausgangsrechtsstreit eingeholten Sachverständigengutachten verschaffen.
38
Ihr eigenes Akteneinsichtsgesuch vom 4. April 2023 hat die weitere Beteiligte erst gestellt, nachdem der Vorsitzende der 21. Zivilkammer mit Beschluss vom 21. März 2023 das Akteneinsichtsgesuch der V. AG vom 1. Februar 2023 zurückgewiesen hatte. Neben dem zeitlichen Ablauf lässt auch der Umstand, dass die in Paris ansässige weitere Beteiligte dieselbe Schweizer Rechtsanwaltskanzlei mandatiert hat wie ihre in der Schweiz ansässige Lizenznehmerin, erkennen, dass sie ihr eigenes Akteneinsichtsgesuch in deren Interesse gestellt hat und beabsichtigt, die aus der Einsichtnahme in die Akten des Ausgangsrechtsstreits gewonnenen Erkenntnisse an ihre Lizenznehmerin weiterzugeben, um letztere bei der Durchsetzung der ihr übertragenen Lizenzrechte an den Möbeln von YYY zu unterstützen. In der Sache geht es dabei – unstreitig – vor allem um den Inhalt des im Ausgangsrechtsstreit erholten Sachverständigengutachtens vom 23. Dezember 2003 sowie der Ergänzungsgutachten vom 30. April und 11. November 2004.
39
(3) Die V. AG hatte zur Begründung ihres Akteneinsichtsgesuchs vorgetragen, dass sie für die Durchsetzung ihrer Rechte an den Möbeln von YYY insbesondere Kenntnis von den im Ausgangsrechtsstreit eingeholten drei Sachverständigengutachten benötige. Zur Glaubhaftmachung hatte sie den zwischen ihrer Rechtsvorgängerin … AG und der weiteren Beteiligten abgeschlossenen Lizenzvertrag vom 14. Dezember 2014 in französischer Originalfassung und einer im Zuge des Vertragsschlusses erstellten deutschen Übersetzung vorgelegt. Die für das vorliegende Verfahren relevanten Bestimmungen dieses Vertrags lauten in der deutschen Übersetzung wie folgt:
„Vorbemerkung Abs. 2:
„Die GbR … ist ein Familienunternehmen, das alle Nachkommen des im Jahre … verstorbenen … in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter umfasst. Die GbR … ist Inhaberin der Rechte am geistigen Eigentum von … und kümmert sich daher um die Verwaltung seines Erbes.“
Ziffer 2 (auszugsweise):
„Die GbR … versichert, dass sie einziger und exklusiver Eigentümer aller Rechte am geistigen und gewerblichen Eigentum der Werke ist (im Folgenden: „Rechte“) und dass nach ihrer Kenntnis die Werke Rechte Dritter nicht beeinträchtigen.“
(…)
40
Die GbR … gewährt …, welche sich damit einverstanden erklärt, für die in dem vorliegenden Vertrag gewährte Dauer und unter den im vorliegenden Vertrag genannten Bedingungen die Ausübung folgender Rechte:
- das exklusive Recht, die gesamten Rechte am geistigen und gewerblichen Eigentum, die ihr weltweit an den Werken zustehen können, zu nutzen,
- das exklusive Recht zur Serienproduktion und zum Verkauf der Neuauflagen gemäß den Bedingungen des vorliegenden Vertrages, (…)
41
(4) Ausweislich der Entscheidungsgründe des vorliegenden Endurteils vom 16. August 2006 (Az. …) hatte das Landgericht München I das Sachverständigengutachten vom 23. Dezember 2003 zur Klärung der Erbfolge nach YYY nach französischem Recht eingeholt (Endurteil, S. 19), das Ergänzungsgutachten vom 30. April 2004 zu der – von den damaligen Beklagten bestrittenen – Rechtswirksamkeit einer Schenkung von YYY zugunsten seiner Ehefrau auf den Überlebensfall (a. a. O., S. 21 f.), und das weitere Ergänzungsgutachten vom 11. November 2004 zur Frage fehlender letztwilliger Verfügungen von YYY (a. a. O., S. 24).“
42
Die weitere Beteiligte leitet ihre Rechte am geistigen und gewerblichen Eigentum von YYY aus der Stellung ihrer Gesellschafter als Erben nach YYY ab. Es bedarf daher weder einer näheren Begründung noch der Glaubhaftmachung, dass sie auch nach Abschluss des Ausgangsrechtsstreits ein erhebliches rechtliches Interesse an einer Einsichtnahme in die vorgenannten Sachverständigengutachten hat, weil sie mit deren Hilfe gegenüber ihrer Lizenznehmerin V. AG den Nachweis führen kann, dass ihre Gesellschafter im Wege der Erbfolge diejenigen Rechte erworben haben, deren Ausübung sie unter Ziffer 2 des Lizenzvertrags vom 14. Dezember 2014 der … AG gestattet hat.
43
b) Die rudimentäre und – soweit überhaupt vorhanden – nicht tragfähige Begründung der angefochtenen Entscheidung vom 12. April 2023 lässt zwar nicht erkennen, dass der als Organ der Justizverwaltung tätig gewordene Vorsitzende der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I (vgl. hierzu die Verfügung der Präsidentin des Landgerichts München I vom 6. Februar 2023, Az.: LG M I 1451E745/2020) sich des Umstands bewusst war, dass § 299 Abs. 2 ZPO ihm bei der Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch der weiteren Beteiligten einen Ermessensspielraum einräumt, und er eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Auf diesen Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauchs kann sich die Antragstellerin aber ausnahmsweise nicht berufen, weil aufgrund der aus den Akten ersichtlichen Umstände infolge einer Ermessensreduzierung „auf Null“ jede andere Entscheidung als die Bewilligung der von der weiteren Beteiligten beantragten Akteneinsicht ermessensfehlerhaft gewesen wäre.
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aa) Im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG prüft das Gericht auch, ob eine im Ermessen der Justizbehörde stehende Maßnahme oder deren Ablehnung deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 28 Abs. 3 EGGVG).
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§ 28 Abs. 3 EGGVG beschränkt die Kontrolle des Gerichts bei Ermessensentscheidungen der Justizbehörden und konkretisiert damit die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Die Justizbehörden sollen bei ihrem Handeln auch Zweckmäßigkeits- und Billigkeitserwägungen einbeziehen können, um ihre Aufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können. Den Gerichten steht keine Kompetenz zur Ersetzung der behördlichen Zweckmäßigkeitserwägungen durch eigenes Urteil zu (vgl. Papst in Münchener Kommentar zur ZPO, § 28 EGGVG Rn. 18; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 28 EGGVG Rn. 3; vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 21. Januar 2020, 15 VA 35/19, RuS 2020, 502 [juris Rn. 17]).
46
Eine eigene Sachentscheidung des Gerichts kommt allerdings ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Ermessen der Justizbehörde „auf Null“ reduziert ist, wenn also nach Aktenlage nur eine bestimmte Entscheidung rechtmäßig wäre und das Bekanntwerden neuer entscheidungsrelevanter Tatsachen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, nicht mehr zu erwarten ist (vgl. hierzu: OLG Dresden, Beschluss vom 12. Februar 2016, 2 VAs 26/15, juris Rn. 56; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Juni 2010, 2 VAs 19/10, juris Rn. 13; eine Ermessensreduzierung „auf Null“ im konkreten Fall verneinend: OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Dezember 2019, 4 VAs 6/19, juris Rn. 20; KG, Beschluss vom 27. Januar 2009, 1 VAs 2/09, juris Rn. 6). Zum Teil wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch die Ansicht vertreten, dass im Falle einer (evidenten) Nichtausübung des ihr zustehenden Ermessens seitens der Justizbehörde das Gericht berechtigt sei, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. zu einem Antrag auf Bewilligung von Akteneinsicht: OLG Hamm, RuS 2020, 502 [juris Rn. 17]).
47
bb) Im vorliegenden Fall wäre jede andere Entscheidung der Justizbehörde als die Bewilligung der von der weiteren Beteiligten beantragten Akteneinsicht rechtswidrig gewesen.
48
Bei der Entscheidung über die Gewährung von Einsicht in die Akten des Ausgangsrechtsstreits ist das Interesse der Antragstellerin an der Geheimhaltung des Verfahrensstoffs, das von ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) umfasst ist, mit dem gegenläufigen, gleichfalls geschützten Informationsinteresse der weiteren Beteiligten abzuwägen. Die gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen hat der Vorsitzende der 21. Zivilkammer nicht erkennbar vorgenommen. Da mit dem Akteneinsichtsgesuch aber unstreitig vor allem die Einsichtnahme in die drei im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits erholten Sachverständigengutachten begehrt wird und diese Gutachten ausschließlich die Rechtsstellung der (damaligen) Gesellschafter der weiteren Beteiligten als Erben nach YYY zum Gegenstand haben, wäre jede andere Entscheidung als die Bewilligung der beantragten Akteneinsicht ermessensfehlerhaft.
49
(1) § 299 Abs. 2 ZPO statuiert weder einen allgemeinen Vorrang des Informationsinteresses des Einsicht Begehrenden, der ein rechtliches Interesse für sich in Anspruch nehmen kann, noch umgekehrt einen generellen Vorrang der Verfahrensbeteiligten an der Geheimhaltung ihrer in den Akten gespeicherten Daten und am Schutz ihrer übrigen Belange. Vielmehr bedarf es stets einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung der relevanten Gesichtspunkte.
50
(2) Die Antragstellerin hatte der Gewährung von Akteneinsicht an die V. AG mit der Begründung widersprochen, sie habe – auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten – kein Interesse daran, dass Dritten Sachverständigengutachten zugänglich gemacht würden, die in einem gegen sie eingeleiteten Verfahren zu ihrem Nachteil erstellt worden seien. Sie befürchtete, dass dadurch Sachverhalte oder Prüfungsergebnisse in die (Fach-)Öffentlichkeit gelangen, deren zukünftige Auswirkungen im geschäftlichen Verkehr nicht zu überschauen seien.
51
Für diese Befürchtungen fehlt es indes an einer Tatsachengrundlage. Denn die im Ausgangsrechtsstreit eingeholten drei Sachverständigengutachten enthalten – wie der Antragstellerin als Partei des Ausgangsrechtsstreits bekannt sein müsste und wie sie dem von der V. AG vorgelegten landgerichtlichen Urteil vom 16. August 2006 hätte entnehmen können – gar keine „Sachverhalte“ oder „Prüfungsergebnisse“ zu den (unter anderem) gegen die Antragstellerin geltend gemachten Unterlassungs-, Löschungs- und Schadensersatzansprüchen, die für die „(Fach-)Öffentlichkeit“ von Interesse sein könnten und deren Bekanntwerden die geschäftlichen Interessen der Antragstellerin beeinträchtigen könnte, sondern betreffen ausschließlich die Rechtsstellung der Gesellschafter der weiteren Beteiligten als Inhaber der Rechte am geistigen und gewerblichen Eigentum von YYY. Aus diesem Grund kann die Gewährung von Einsicht in diese Gutachten das Grundrecht der Antragstellerin auf informationelle Selbstbestimmung gar nicht beeinträchtigen.
52
(3) In Bezug auf den übrigen Inhalt der Akten des Ausgangsrechtsstreits macht die Antragstellerin keine konkreten individuellen Geheimhaltungsinteressen geltend. Solche sind gegenüber der weiteren Beteiligten auch nicht erkennbar. Ausweislich des vorliegenden Endurteils vom 16. August 2006 hat vor dem Landgericht München I keine weitere Beweisaufnahme stattgefunden. Bei dem übrigen Akteninhalt handelt es sich im Wesentlichen um die eigenen Schriftsätze der weiteren Beteiligten und ihrer damaligen Streitgenossen, die Schriftsätze der Antragstellerin und ihres mitverklagten Geschäftsführers, die (auch) an die weitere Beteiligte gerichtet waren, sowie um Niederschriften über Verhandlungen, an denen die weitere Beteiligte selbst beteiligt war. Der wesentliche Inhalt des beiderseitigen Parteivortrags wurde zudem in den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts München I vom 16. August 2006, welches der V. AG bereits vorliegt, aufgenommen.
53
Im Übrigen wird der weiteren Beteiligten Akteneinsicht nur über ihre Rechtsanwälte, deren Seriosität die Antragstellerin ausdrücklich nicht in Zweifel zieht, gewährt. Dadurch ist gewährleistet, dass der weiteren Beteiligten nur solche Informationen zugänglich gemacht werden, die sie zur Verfolgung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche benötigt. Die mit der Akteneinsicht beauftragten Rechtsanwälte stehen als Organ der Rechtspflege in der Pflicht, ihrer Mandantin nur diejenigen Auskünfte zukommen zu lassen, die zur Verfolgung ihrer zivilrechtlichen Interessen dringend erforderlich sind (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2006, 2 BvR 2388/06, NJW 2007, 1052 [juris Rn. 8]).
54
(4) Bei Ausübung des gemäß § 299 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens sind mit Blick auf das zu beachtende Verhältnismäßigkeitsprinzip die Geeignetheit der begehrten Einsicht zur Verfolgung des rechtlichen Interesses, deren Erforderlichkeit sowie die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen. Erfordert es die Verfolgung des rechtlichen Interesses nicht, Einsicht in die gesamte Akte zu nehmen, so kommt die Gewährung von Einsicht in Aktenteile in Betracht, außerdem die Schwärzung sensibler Informationen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007, X ZR 56/05 (BPatG) – Akteneinsicht XVIII, GRUR 2007, 815 Rn. 3; BayObLG, Beschluss vom 2. September 2021, 101 VA 100/21, NZI 2021, 1078 Rn. 29 ff. [juris Rn. 31 ff.]; Bacher in BeckOK ZPO, 49. Ed. Stand: 1. Juli 2023, § 299 Rn. 33; Saenger in Saenger, ZPO, 10. Aufl. 2023, § 299 Rn. 13; Greger in Zöller, ZPO, § 299 Rn. 6b).
55
Der angefochtenen Entscheidung kann nicht entnommen werden, dass die Justizverwaltung in Erwägung gezogen hätte, die Gewährung der Akteneinsicht auf die drei im Ausgangsrechtsstreit eingeholten Sachverständigengutachten zu beschränken, auf die sich das Interesse der V. AG und damit auch der weiteren Beteiligten erkennbar konzentriert. Zu einer solchen Beschränkung bestand im vorliegenden Fall aber auch keine Veranlassung, weil es sich bei der weiteren Beteiligten um eine Klägerin des Ausgangsrechtsstreits handelt, die Antragstellerin ein Geheimhaltungsinteresse ausschließlich in Bezug auf die vorgenannten Sachverständigengutachten geltend macht und – wie unter Ziffer (4) näher dargelegt – der übrige Akteninhalt der weiteren Beteiligten bzw. deren Lizenznehmerin im Wesentlichen bereits bekannt ist.
III.
56
1. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst, weil sich die Kostentragungspflicht der Antragstellerin, deren Antrag auf gerichtliche Entscheidung in vollem Umfang zurückgewiesen wird, unmittelbar aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 3 Abs. 2 GNotKG in Verbindung mit Nr. 15301 der Anlage 1 zum GNotKG (Kostenverzeichnis) ergibt.
57
2. Die nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 3 Abs. 2 GNotKG in Verbindung mit Nr. 15301 erforderliche Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG. Mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts nach § 36 Abs. 1 GNotKG ist von einem Geschäftswert von 5.000,00 € auszugehen.
58
a) Das vorliegende Verfahren hat eine vermögensrechtliche Angelegenheit im Sinne von § 36 Abs. 1 GNotKG zum Gegenstand.
59
Vermögensrechtlichen Charakter haben alle Angelegenheiten, die – zumindest auch – unmittelbar materielle Auswirkungen haben oder haben sollen, also auf Geld oder Geldeswert gerichtete Ansprüche sowie solche Ansprüche, die auf materiellen Beziehungen beruhen, mögen auch für ihre Geltendmachung andere Beweggründe als die Wahrnehmung eigener Vermögensinteressen im Vordergrund stehen (vgl. BGH, Urt. v. 25. Februar 1982, II ZR 123/81, BGHZ 83, 106 [109, juris Rn. 6]), sowie Ansprüche, die im Wesentlichen der Wahrung wirtschaftlicher Belange dienen (BGH, Urt. v. 20. Dezember 1983, VI ZR 94/82, BGHZ 89, 198 [200, juris Rn. 13]; vgl. Soutier in BeckOK Kostenrecht, 42. Ed. Stand: 1. Juli 2023, § 36 GNotKG Rn. 1; Bormann in Korintenberg, GNotKG, 22. Aufl. 2022, § 36 Rn. 10; Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Aufl. 2021, § 36 Rn. 6).
60
Die V. AG hatte ihren Antrag auf Akteneinsicht damit begründet, dass sie für die Durchsetzung der ihr übertragenen Rechte an den Möbeln von YYY insbesondere Kenntnis der im Ausgangsrechtsstreit erholten Sachverständigengutachten vom 23. Dezember 2003, 30. April 2004 und 11. November 2004 benötige. Die Antragstellerin hatte sich der Gewährung von Akteneinsicht an die V. AG mit der Begründung widersetzt, dass mit einer Offenlegung dieser Gutachten gegenüber Dritten Sachverhalte oder Prüfungsergebnisse in die (Fach-)Öffentlichkeit gelangen könnten, deren zukünftige (scil.: für die Antragstellerin nachteilige) Auswirkungen im geschäftlichen Verkehr nicht zu überschauen seien. Dieses der Wahrung eigener wirtschaftlicher Belange dienende Geheimhaltungsinteresse macht die Antragstellerin auch mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Bewilligung von Akteneinsicht an die weitere Beteiligte geltend, zumal letztere offensichtlich beabsichtigt, den Inhalt der vorgenannten Gutachten ihrer Lizenznehmerin V. AG zugänglich zu machen.
61
b) Der Wert des Verfahrens ist, da er sich nicht aus speziellen Vorschriften des Gerichts- und Notarkostengesetzes ergibt und auch sonst nicht feststeht, grundsätzlich im Wege der Schätzung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Im vorliegenden Fall fehlt es aber an hinreichenden Anhaltspunkten, an die zur Ermessensausübung angeknüpft werden kann.
62
aa) § 36 Abs. 1 GNotKG hat Vorrang gegenüber § 36 Abs. 3 GNotKG. Auf den Auffangwert darf nur zurückgegriffen werden, wenn keine Anhaltspunkte für eine sachgerechte Schätzung vorhanden sind. Es genügen Anhaltspunkte, die eine wenigstens annäherungsweise Schätzung erlauben, weil eine solche Schätzung dem wahren Wert immer noch näher kommt als ein Rückgriff auf § 36 Abs. 3 GNotKG (vgl. Soutier in BeckOK Kostenrecht, § 36 GNotKG Rn. 2; Bormann in Korintenberg, GNotKG, § 36 Rn. 7, Rn. 22; Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, § 36 Rn. 23). In vermögensrechtlichen Angelegenheiten kommt deshalb der Auffangwert des Absatzes 3 nur im Ausnahmefall zur Anwendung, weil sich ein vorrangiger Bezugswert, von dem der Geschäftswert des Verfahrens abgeleitet werden kann, in den meisten Fällen ermitteln lässt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27. Januar 2021, 101 VA 168/20, juris Rn. 14 ff.; Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, § 36 Rn. 23; Soutier in BeckOK Kostenrecht, § 36 GNotKG Rn. 34).
63
bb) Im vorliegenden Fall fehlt es dagegen an jeglichem Anhaltspunkt für eine Schätzung des Geschäftswerts.
64
Das wirtschaftliche Interesse eines Antragstellers, der im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG sein Gesuch um Einsicht in die Akten eines zivilprozessualen Verfahrens weiterverfolgt, bemisst der Senat regelmäßig mit einem – die Gegebenheiten des Einzelfalls berücksichtigenden – Bruchteil des im Hintergrund stehenden Durchsetzungs- oder Abwehrinteresses, welches wiederum durch die Höhe der eigenen Forderung oder der gegen den Antragsteller erhobenen Forderung bestimmt wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2019, 1 VA 86/19, juris Rn. 34). Nur sofern sich dem vorgetragenen Sachverhalt nicht entnehmen lässt, welches Interesse der Antragsteller mit der begehrten Akteneinsicht verfolgt, greift der Senat auf den Auffangwert des § 36 Abs. 3 GNotKG zurück (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 1 VA 92/19, juris Rn. 48, 51). Diese Grundsätze gelten entsprechend im vorliegenden Fall, in dem sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Bewilligung von Akteneinsicht an die weitere Beteiligte zur Wehr setzt.
65
Die Antragstellerin hat die von ihr befürchteten nachteiligen Auswirkungen im geschäftlichen Verkehr, die mit einer Offenlegung der drei im Ausgangsrechtsstreit erholten Sachverständigengutachten verbunden sein könnten, nicht näher konkretisiert. Eine Bewertung des abstrakten Risikos irgendwie gearteter nachteiliger Auswirkungen der bewilligten Akteneinsicht auf die geschäftlichen Interessen der Antragstellerin ist nicht möglich. Anhaltspunkte dafür, dass das Akteneinsichtsgesuch der weiteren Beteiligten der Vorbereitung von Ansprüchen – seien es eigene oder solche der V. AG – gegen die Antragstellerin dienen soll, sind nicht ersichtlich. Die Antragstellerin vermutete selbst, dass die V. AG mit der begehrten Akteneinsicht Tatsachen ermitteln wollte, mit denen sie anderweitige, der Antragstellerin nicht bekannte Ansprüche verfolgen wollte.
IV.
66
Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.