Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.01.2023 – 10 CE 22.2618, 10 CS 22.2630
Titel:

Kein Anspruch auf Rückholung eines abgeschobenen Ausländers

Normenketten:
GG Art. 6, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3
VwGO § 100
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1, § 25a Abs. 1, § 60a Abs. 2
Leitsätze:
1. Einem Eilantrag auf Rückholung in das Bundesgebiet im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann nur stattgegeben werden, wenn − neben der besonderen Eilbedürftigkeit − eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache glaubhaft gemacht wird. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es obliegt dem Beteiligten, von seinem prozessualen Recht nach § 100 VwGO Gebrauch zu machen und sich rechtzeitig um Akteneinsicht zu bemühen; eine Pflicht des Gerichts, über das Akteneinsichtsrecht zu belehren oder gar eine Akteneinsicht anzuregen, besteht nicht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerden, Einstweilige Anordnung, Erfolgte Abschiebung, Folgenbeseitigungsanspruch, Rückholung, Anordnungsanspruch, Glaubhaftmachung, Rückgängigmachung der Abschiebung, Akteneinsicht
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 08.12.2022 – Au 6 E 22.2243, Au 6 S 22.2284
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.01.2023 – 10 C 22.2631, 10 C 22.2632
Fundstelle:
BeckRS 2023, 240

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 22.2618 und 10 CS 22.2630 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
IV. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 2.500,- Euro festgesetzt.
V. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren - unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. T., B. M. 36, 2... H. − werden abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, ein bestandskräftig abgelehnter Asylantragsteller türkischer Nationalität, wendet sich mit seinen am 21. Dezember 2022 eingelegten Beschwerden gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. Dezember 2022, mit dem dieses seine Anträge gerichtet auf Abschiebungsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO (10 CE 22.2618 − Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen u. Verpflichtung zur Verlängerung d. Duldung d. Antragstellers über d. 30.11.2022 hinaus) sowie auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (10 CS 22.2630) abgelehnt hat, und begehrt der Sache nach - im Anschluss an seine am 16. Dezember 2022 erfolgte Abschiebung - nunmehr im Beschwerdeverfahren (10 CE 22.2618) seine Rückholung in das Bundesgebiet sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die genannten Beschwerdeverfahren.
2
Der am ... 2007 geborene Antragsteller reiste am 15. Juni 2018 zusammen mit seinen Eltern sowie seinem älteren Bruder aufgrund eines bis zum 19. Juni 2018 gültigen Visums in das Bundesgebiet ein. Die am 7. August 2018 von ihm und den übrigen Familienmitgliedern gestellten Asylanträge wurden mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 12. September 2018 abgelehnt, zugleich wurden der Antragsteller sowie seine Eltern aufgefordert, innerhalb von dreißig Tagen nach unanfechtbarem Abschluss der Asylverfahren die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung angedroht. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (vgl. VG Augsburg, U.v. 20.1.2021 - Au 6 K 18.31563), ebenso wie der Antrag auf Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2021 - 24 ZB 21.30301).
3
Am 27. November 2018 wurde die jüngere Schwester des Antragstellers geboren. Ihr seit dem 29. Januar 2019 als gestellt geltender Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 26. Februar 2019 abgelehnt. Zugleich wurde auch sie aufgefordert, innerhalb von dreißig Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung angedroht. Der Bescheid erwuchs am 15. März 2019 in Bestandskraft. Da die Geburt der Schwester nicht in der Türkei registriert ist, stellt ihr die türkische Republik auch keinen Reisepass aus. Die Frage, ob die Geburt seiner Tochter mittlerweile bei türkischen Behörden registriert worden und für die Tochter ein türkischer Reisepass ausgestellt ist, verneinte der Vater des Antragstellers zuletzt am 19. Oktober 2022 (vgl. Sitzungsprotokoll v. 19.10.2022 im Verfahren Au 6 K 22.974 u.a., S. 5). Aufgrund dessen wurde die Familie einschließlich des Antragstellers im Bundesgebiet geduldet. Dabei wurden dem Antragsteller, seiner Mutter sowie den beiden Geschwistern am 5. Juli 2021 bis zum 31. Oktober 2021 befristete Duldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt, gleichzeitig wurde seinem Vater eine bis zum 28. Februar 2023 befristete Duldung ausgestellt, die mit dem Zusatz „Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“ versehen ist und auf der unter anderem auch der Antragsteller als begleitendes Kind eingetragen ist.
4
Mit rechtskräftigem Urteil vom 19. Oktober 2022 (Au 6 K 22.472) verpflichtete das Verwaltungsgericht den Antragsgegner unter Aufhebung von dessen Bescheid vom 10. Februar 2022 bezüglich des Antragstellers, über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wies es die Klage des Antragstellers ab. Zur Begründung führte es an, dass die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG im Entscheidungszeitpunkt gegeben seien, jedoch der Antragsgegner sein Ermessen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für ein Absehen von dem Visumerfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG noch nicht ausgeübt habe.
5
In Bezug auf den Antragsteller ist in den Behördenakten ein Rückführungsantrag des Antragsgegners vom 17. November 2022 an die Einheit „Schubantrag“ des Landesamts für Asyl- und Rückführungen vermerkt.
6
Mit Bescheid vom 23. November 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25a Abs. 1 AufenthG und § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ab, da sich der Antragsteller mangels abgeschlossener Berufsausbildung nicht hinreichend in die Lebensverhältnisse nach § 25a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG integriert habe - der Schulbesuch allein genüge hierfür nicht - und er zudem vollziehbar ausreisepflichtig sei.
7
Am 25. November 2022 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, gegen ihn aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu unterlassen sowie seine Duldung über den 30. November 2022 hinaus zu verlängern und ihm für das Eilverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen (Au 6 E 22.2243). Am 2. Dezember 2022 hat er sodann − neben der Klageerhebung gegen den die begehrte Aufenthaltserlaubnis versagenden Bescheid vom 23. November 2022 (Au 6 K 22.2283) − beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und ihm für das Eilverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen (Au 6 S 22.2284). Zur Begründung der Eilanträge führt die Antragstellerseite im Wesentlichen an, dass der minderjährige Antragsteller, der sich seit fast viereinhalb Jahren − zusammen mit seinen Eltern, seinen beiden Geschwistern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen sowie der Großmutter − im Bundesgebiet befinde und in die Abschlussklasse der Mittelschule gehe, einen Anordnungsanspruch habe, weil er einen Anspruch auf die Erteilung einer Verfahrensduldung gemäß § 25a Abs. 1 AufenthG und § 25 Abs. 4 AufenthG sowie hilfsweise aufgrund seiner familiären und persönlichen Bindungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG habe. Der Antragsgegner habe entgegen dem Urteil vom 19. Oktober 2022 (A 6 K 22.472) entschieden. Die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG lägen. Der Anordnungsgrund bestehe darin, dass der Antragsgegner die Duldung des Anspruchstellers trotz Vorsprache am 27. November 2022 nicht verlängert, sondern dessen Vater zur erneuten Vorsprache am 30. November 2022 aufgefordert habe.
8
Mit angegriffenem Beschluss vom 8. Dezember 2022 hat das Verwaltungsgericht die Anträge des Antragstellers abgelehnt (Nr. I.). Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unzulässig, weil mangels rechtmäßigen Aufenthalts die Fiktionen des § 81 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG nicht eingetreten seien. Der Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil der Antragsteller auf der bis zum 28. Februar 2023 gültigen Duldung des Vaters eingetragen sei. Jedenfalls sei er unbegründet, weil der seit dem 2. Juni 2021 aufgrund des rechtskräftigen ablehnenden Asylbescheids vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller keinen Anspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 und 3 AufenthG glaubhaft gemacht habe. Der Antragsteller habe zwar im Schuljahr 2022/2023 mit dem Besuch der 9. Klasse zur Erreichung des Mittschulabschlusses begonnen, dieses werde allerdings erst im Frühsommer 2023 zu Ende gehen, so dass der Schulabschluss nicht kurzfristig bevorstehe. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung nach § 25a Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, weil der Antragsgegner bei summarischer Prüfung hiervon nicht ermessensfehlerhaft absehe. Umgekehrt habe der nicht schutzbedürftige Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, aus welchem Grund ihm die Nachholung des Visumverfahrens nicht zumutbar sein sollte. Ein Anspruch aus § 25 Abs. 4 AufenthG scheitere daran, dass der Antragsteller ebenso wie die übrigen Mitglieder der Kernfamilie vollziehbar ausreisepflichtig sei. Dringende persönliche Gründe im Sinne von § 25 Abs. 4 AufenthG schieden ebenfalls aus. Auf den Beistand entfernter Verwandter sei er nicht angewiesen. Dass er wegen des aus § 58 Abs. 1a AufenthG resultierenden Abschiebungsverbots nicht ohne einen personensorgeberechtigten Elternteil abgeschoben werden könne, sei dem Antragsgegner bewusst, der die Duldung des Antragstellers mit der des Vaters synchronisiert habe. Damit sei den Rechten auf Wahrung der Familieneinheit nach Art. 8 EMRK und Art. 6 GG genüge getan. Aus genannten Gründen hat das Verwaltungsgericht auch die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Nr. IV.). Der Beschluss wurde der Antragstellerseite nach eigenem Vorbringen am 8. Dezember 2022 zugestellt.
9
Am 16. Dezember 2022 wurde der Antragsteller zusammen mit seinem Vater auf dem Luftweg in die Türkei abgeschoben.
10
Die Antragstellerseite hat am 21. Dezember 2022 unmittelbar bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Beschwerden eingelegt, mit den Anträgen,
11
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts (Au 6 S 22.2284 u. Au 6 E 22.2243) die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen beziehungsweise wiederherzustellen und dem Antragsteller - unter Beiordnung der Bevollmächtigten - im Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
12
Zur Begründung trägt sie vor, dass der Antragsteller, der in Nacht vom 15. Dezember auf den 16. Dezember 2022 um 2.30 Uhr abgeholt, zum Flughafen verbracht und dann abgeschoben worden sei, einen Folgenbeseitigungsanspruch auf Rückgängigmachung der rechtswidrigen Abschiebung habe. Unter Berücksichtigung der gewichtigen irreversiblen Nachteile und unter Berücksichtigung der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG sei eine Vorwegnahme der Hauptsache notwendig. Das Verwaltungsgericht habe noch in dem Verfahren Au 6 K 22.472 entschieden, dass der die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ablehnende Bescheid aufgehoben und diese dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zu erteilen sei. Die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG hätten vorgelegen. Der Antragsteller habe zum Zeitpunkt der Antragstellung, der gerichtlichen Entscheidung und der Abschiebung über eine Duldung verfügt, die bis zum 28. Februar 2023 gültig sei. Bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 Satz 1 AufenthG spiele entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts das fehlende Einreisevisum keine Rolle, wie sich aus Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe. Der Antragsteller sei Schüler der Abschlussklasse der Mittelschule und habe daher einen Anspruch aus § 25 Abs. 4 AufenthG, damit er in wenigen Monaten seinen Abschluss machen könne. Außerdem sei die Abschiebung rechtswidrig gewesen, weil der Antragsteller krank gewesen sei, ein ärztliches Attest werde nachgeliefert. Die Abschiebung verstoße gegen den Grundsatz der fairen Verfahrensführung, weil der Antragsteller durch den Antragsgegner von der Abschiebung am 16. Dezember 2022 überrascht und dadurch die Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereitelt worden sei. Das Verwaltungsgericht hätte auf die in den Behördenakten dokumentierte Absicht des Antragsgegners, den Antragsteller abzuschieben, hinweisen müssen. Es habe der Bevollmächtigten die Behördenakten vorenthalten, weil es die Akteneinsicht nicht beziehungsweise nicht rechtzeitig gewährt oder angeboten habe, wie es die Hinweis- und Fürsorgepflicht erfordert habe. Das Verwaltungsgericht hätte vor der Abschiebung in der Sache entscheiden oder einen Hängebeschluss erlassen müssen. Ein Anordnungsgrund liege vor, weil der minderjährige Antragsteller mitten im Schuljahr aus seinem Leben im Bundesgebiet herausgerissen worden sei und so am Schulabschluss gehindert werde.
13
Am 27. Dezember 2022 hat der Antragsgegner dem Senat vorab die Behördenakten sowie am 28. Dezember 2022 die Duldung des Vaters des Antragstellers mit der Eintragung bezüglich des Antragstellers aus der Behördenakte des Vaters vorgelegt. Am 2. Januar 2022 hat das Verwaltungsgericht dem Senat die Gerichtsakten vorgelegt.
14
Der Antragsgegner hat am 3. Januar 2023 erwidert und beantragt,
15
die Beschwerden zurückzuweisen.
16
Im Übrigen wird auf die vorgelegten Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
17
1. Die Verfahren 10 CE 22.2618 und 10 CS 22.2630 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
18
2. Die Beschwerden des Antragstellers haben in der Sache keinen Erfolg.
19
Dabei ist der Antrag des rechtsanwaltlich vertretenen Antragstellers im Beschwerdeverfahren bei verständiger Würdigung des Begehrens nach § 88 VwGO in Verbindung mit § 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass er zum einen weiterhin ausdrücklich − trotz der Ausführungen des Verwaltungsgerichts insoweit − beantragt, unter Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers anzuordnen (10 CS 22.2630), zum anderen angesichts der erfolgten Abschiebung jedoch nunmehr begehrt, dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, den Antragsteller umgehend auf Kosten des Antragsgegners in das Bundesgebiet zurückzuholen (10 CE 22.2618), sowie ihm schließlich für beide Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
20
a) Die Beschwerde in dem Verfahren 10 CS 22.2630, welcher dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zugrunde liegt, ist unbegründet, weil dieser bei summarischer Prüfung aus den von dem Verwaltungsgericht genannten Gründen unzulässig ist (vgl. BA S. 5 f.). Die Antragstellerseite hat hierzu auch nichts an Substanz vorgetragen.
21
b) Die Beschwerde in dem Verfahren 10 CE 22.2618, welcher der Eilantrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO − ursprünglich gerichtet auf Abschiebungsschutz, nunmehr auf Rückholung des Antragstellers in das Bundesgebiet, zugrunde liegt − ist ebenfalls unbegründet. Die von dem Antragsteller in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Gründe, die der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern.
22
aa) Dabei ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 10) festzustellen, dass der ursprüngliche Eilantrag des Antragsstellers gemäß § 123 Abs. 1 VwGO nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig war. Dass der Antragsteller auf der bis zum 28. Februar 2023 gültigen Duldung des Vaters eingetragen war, lässt das Bedürfnis nach gerichtlichem einstweiligem Rechtsschutz nicht entfallen, da der Antragsgegner, wie sich aus seinem Schubantrag vom 17. November 2022 an das Landesamt für Asyl- und Rückführungen ergibt, der in den dem Verwaltungsgericht vorgelegten Behördenakten dokumentiert ist (s.o., vgl. Behördenakte, Bl. 616 ff.), die Abschiebung des Antragstellers aktiv betrieben und lediglich auf die Mitteilung des Abschiebungstermins gewartet hat, ohne dass insofern tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten dokumentiert wären, welche weitere erhebliche Verzögerungen indiziert hätten.
23
bb) Allerdings hat der Antragsteller für seine begehrte Rückholung in das Bundesgebiet nicht den erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.
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(1) Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Rückholung des Antragstellers in das Bundesgebiet kommt der gewohnheitsrechtlich anerkannte und aus dem Grundsatz der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitende Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Der Folgenbeseitigungsanspruch knüpft nicht an die Rechtswidrigkeit des Eingriffsakts an, sondern an die Rechtswidrigkeit des dadurch geschaffenen Zustands (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1989 - 7 C 2.87 - juris Rn. 80). Im Falle der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung einer ausländischen Person kann sich ein vorläufig über § 123 Abs. 1 VwGO sicherungsfähiger Folgenbeseitigungsanspruch auf Rückgängigmachung der Abschiebung ergeben, wenn durch den hoheitlichen Eingriff ein noch andauernder rechtswidriger Zustand entstanden ist, dessen Beseitigung tatsächlich und rechtlich möglich ist, und der ein subjektives Recht der betroffenen Person verletzt, weil diese über ein Aufenthaltsrecht oder zumindest einen Duldungsgrund verfügt (vgl. OVG Bremen, B.v. 20.12.2022 - 2 B 435/21 - juris Rn. 10; B.v. 3.12.2021 - 2 B 432/21 − juris Rn. 3; B.v. 19.5.2017 - 1 B 47/17− juris Rn. 20; OVG R-P, B.v. 24.8.2021 - 7 B 10843/21 − juris Rn. 4; OVG Saarl, B.v. 14.4.2021 - 2 B 54/21 − juris Rn. 16 ff.; OVG Hamburg, B.v. 2.8.2019 - 4 Bs 219/18 − juris Rn. 14; OVG NW, B.v. 22.10.2014 - 18 B 104/14 − juris Rn. 6 u. 8; VGH BW, B.v. 11.3.2008 - 13 S 418/08 - juris Rn. 7; noch zweifelnd: BayVGH, B.v. 28.1.2016 - 10 CE 15.2653 - juris Rn. 18).
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(2) Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Verpflichtung zur Rückholung in das Bundesgebiet im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO bereits eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeutet. Das Eilrechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO dient jedoch grundsätzlich lediglich der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Einem Antragsteller soll nicht bereits das gewährt werden, was er gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann. Daraus folgt, dass die Anforderungen für die Glaubhaftmachung im Sinne von § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO hoch sind. Einem Eilantrag auf Rückholung in das Bundesgebiet im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann nur stattgegeben werden, wenn − neben der besonderen Eilbedürftigkeit − eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache glaubhaft gemacht wird (vgl. OVG Bremen, B.v. 20.12.2022 - 2 B 435/21 - juris Rn. 10 m.w.N.; OVG Saarl, B.v. 14.4.2021 - 2 B 54/21 − juris Rn.17; VGH BW, B.v. 11.3.2008 - 13 S 418/08 - juris 7 f.). Auch mit Blick auf eine lediglich ausnahmsweise zulässige Antragsänderung im Beschwerdeverfahren, die darauf beruht, dass die Funktion der Beschwerde als Rechtsmittel grundsätzlich auf die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO: „Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist“ - Unterstreichung d. Senats), ergibt sich insoweit kein anderer Maßstab (vgl. OVG Hamburg, B.v. 2.8.2019 - 4 Bs 219/18 − juris Rn. 14).
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(3) Gemessen daran genügt das Beschwerdevorbringen den Anforderungen an die Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsanspruchs nicht.
27
(a) Dies gilt zunächst für den Einwand der Antragstellerseite, die erfolgte Abschiebung sei schon mangels vorheriger Ankündigung rechtswidrig.
28
Unabhängig davon, ob in der Eintragung des Antragstellers (als begleitendes Kind) in der Duldung des Vaters, auf die allein sich die Antragstellerseite zu ihren Gunsten berufen kann, weil es sonst an einer Duldung fehlte, eine förmliche Duldungsbescheinigung im Sinne von 60a Abs. 4 AufenthG zu sehen ist (vgl. OVG NW, B.v. 11.8.2003 - 17 B 1389/03 −juris Rn. 14), ergibt sich daraus jedenfalls, dass die Abschiebung des Antragstellers für denselben Zeitraum und unter der Geltung derselben Nebenbestimmungen ausgesetzt sein sollte wie für dessen Vater und dass damit folglich eine Duldung des Antragstellers erloschen ist. Die bis zum 28. Februar 2023 gültige Duldung war mit der Nebenbestimmung versehen „Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins“. Diese von Antragstellerseite nicht angegriffene auflösende Bedingung ist mit der Bekanntgabe des Abschiebungstermins am 16. Dezember 2022 eingetreten.
29
Die Antragstellerseite rügt zwar in diesem Zusammenhang die fehlende vorherige Ankündigung des Antragsgegners. Hierfür kann indes nicht § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entsprechend herangezogen werden. Der Gesetzgeber hat die Ankündigungspflicht für die Fälle des Erlöschens der Duldung durch Zeitablauf bei einer über ein Jahr ausgesetzten Abschiebung, wie sie § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG a.F. vorsah, gestrichen und die Ankündigungspflicht bewusst ausschließlich auf Fälle des Widerrufs einer bestehenden Duldung beschränkt (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 24 i.V.m. S. 188: „Die Ausländer tauchen erfahrungsgemäß vor dem angekündigten Termin kurzfristig unter“ u. „Die Ausländer, die aufgrund eines Widerrufs des Aufenthaltstitels ausreisepflichtig wurden, werden privilegiert“). Die Norm, welche den Widerruf als das Erlöschen der Duldung auslösenden Rechtsakt privilegiert, ist für die Fälle der auflösenden Bedingung nicht als analogiefähig anzusehen (vgl. OVG Bremen, B.v. 20.12.2022 - 2 B 435/21 - juris Rn. 13; NdsOVG, B.v. 11.1.2019 - 13 ME 220/18 - juris Rn. 12 ff. m.w.N.; Dollinger in Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60a Rn. 64; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand: Februar 2021, § 60a Rn. 115; Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2022, § 60a Rn. 152).
30
Zwar ist bei einer Abschiebung dem Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG dergestalt Rechnung zu tragen, dass die abzuschiebende Person hinreichend Gelegenheit erhält, um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner vor der Abschiebung eine Verlängerung der Duldung abgelehnt hat und das Verwaltungsgericht das Eilrechtsschutzbegehren auch als unbegründet abgelehnt hat (s.o.). Zum anderen hat die Antragstellerseite zu den näheren Umständen der Abschiebung, abgesehen von dem ungefähren Zeitpunkt der Abholung, nichts konkret vorgetragen. Auch Gründe für die Einlegung des Rechtsmittels erst am 21. Dezember 2022 hat sie nicht benannt. Ungeachtet dessen würde eine etwaige rechtswidrige Abschiebung der abgeschobenen Person allein noch nicht zu einem Folgenbeseitigungsanspruch verhelfen (s.o.).
31
(b) Gleiches gilt, soweit die Antragstellerseite rügt, das Verwaltungsgericht habe auf den Inhalt der Behördenakten nicht hingewiesen beziehungsweise keine Einsicht in die Behördenakten gewährt oder angeboten. Es obliegt der Antragstellerseite, von ihrem prozessualen Recht nach § 100 VwGO Gebrauch zu machen und sich rechtzeitig hierum zu bemühen. Die Antragstellerseite hat bereits nicht vorgetragen, bei dem Verwaltungsgericht eine Akteneinsicht beantragt zu haben. Ein solcher Antrag ist in den Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts auch nicht dokumentiert (vgl. VG Augsburg, Gerichtsakten Au 6 S 22.2284 u. Au .6 E 22.2243). Entgegen der Auffassung der Antragstellerseite besteht auch keine Pflicht des Gerichts, über das Akteneinsichtsrecht zu belehren oder gar eine Akteneinsicht anzuregen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG entsprechend vor der Abschiebung des Antragstellers im Eilverfahren zur Sache entschieden, für den Erlass einer Zwischenentscheidung in Form eines Hängebeschlusses bestand insoweit erkennbar kein Anlass.
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(c) Die Antragstellerseite hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller einen Anspruch aus § 25a Abs. 1 AufenthG hat. Insofern kann sie nichts zu ihren Gunsten daraus herleiten, dass der Antragsgegner in dem Bescheid vom 23. November 2022 im Hinblick auf das Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Nr. 4 AufenthG von der bindenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts in dem Urteil vom 19. Oktober 2022 abgewichen ist. Zwar erwächst bei Bescheidungsurteilen auch die Rechtsauffassung des Gerichts in Rechtskraft (vgl. BVerwG, U.v. 18.7.2013 - 5 C 8.12 − juris Rn. 15 m.w.N.; OVG Hamburg, B.v. 3.2.2020 - 5 Bf 228/18.Z - juris Rn. 21). Das Verwaltungsgericht hat jedoch gerade im vorliegenden Fall die für das nach § 121 Nr. 1 VwGO bindende rechtskräftige Bescheidungsurteil anlassgebende Rechtsauffassung wiederholt, dass der Antragsteller lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens nach § 25a Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG hat (vgl. BA S. 11 f.).
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Diese rechtlichen Erwägungen hat die Antragstellerseite auch nicht mit dem pauschalen Hinweis auf Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Norm substantiiert in Zweifel gezogen. Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung des § 25a AufenthG davon ausgegangen, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat, dass § 5 AufenthG uneingeschränkt Anwendung findet. Lediglich in Bezug auf das Kriterium der Sicherung des Lebensunterhalts hat er Abstriche gemacht (vgl. BT-Drs. 17/5093, S. 15: „Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 müssen grundsätzlich erfüllt sein. Allerdings ist die … Sicherung des Lebensunterhalts …“). Diese Auffassung spiegelt sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich der Antragsgegner bezogen hat. Danach enthält die Vorschrift des § 5 AufenthG allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, die von so grundlegendem staatlichen Interesse sind, dass der Gesetzgeber sie „vor die Klammer“ gezogen hat. Sie gelten für alle weiteren Abschnitte des Zweiten Kapitels und damit für jede Erteilung eines Aufenthaltstitels. Fälle, in denen von der Anwendung ganz oder zumindest hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen zwingend abzusehen ist oder im Ermessenswege abgesehen werden kann, hat der Gesetzgeber beim jeweiligen Aufenthaltstitel ausdrücklich kenntlich gemacht (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 - 1 C 17.12 - juris Rn. 22 m.w.N.). Dies ist bei § 25a Abs. 1 AufenthG indes nicht geschehen (vgl. Kluth/Bohley in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Aufl., Stand: 1.10.2022, AufenthG § 25a Rn. 17; Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 25a Rn. 8). Die Antragstellerseite hat insoweit, worauf das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, keine Anhaltspunkte für eine Ermessensreduktion auf Null aufgezeigt. Mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts diesbezüglich setzt sie sich nicht auseinander. Ein bei summarischer Prüfung somit allein in Betracht kommender Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens reicht für den hier geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruch nicht aus.
34
(d) Die Antragstellerseite hat weiter nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller einen Anspruch aus § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hat. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Norm setzt voraus, dass der Ausländer nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist. Der Antragsteller ist indes, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat (vgl. BA S. 12), ebenso wie die übrigen Mitglieder der Kernfamilie nach dem unanfechtbaren negativen Abschluss des Asylverfahrens gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG und § 58 Abs. 2 AufenthG sowie § 67 Abs. 1 Nrn. 4 und 6 AsylG vollziehbar ausreisepflichtig.
35
(e) Gleiches gilt für den geltend gemachten Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG sowie einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aufgrund von familiären und persönlichen Beziehungen sowie wegen Reiseunfähigkeit aufgrund Krankheit.
36
Die Antragstellerseite hat keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise wegen Verstoßes gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK aufgrund familiärer und persönlicher Bindungen im Bundesgebiet aufgezeigt.
37
Die in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 - BVerfGE76, 1 <46 u. 49 ff.> = juris Rn. 85 a.E. u. Rn. 100 ff.; B.v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 − BVerfGE 80, 81 <93> = juris Rn. 39). Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und den übrigen Familienmitgliedern nur im Bundesgebiet stattfinden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 17 m.w.N.).
38
Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebieten jedoch nicht stets den gemeinsamen Verbleib sämtlicher Familienmitglieder im Bundesgebiet. Vielmehr kann die getrennte Abschiebung zulässig sein, wenn dies nur zu einer vorübergehenden Trennung der Familienmitglieder für einen überschaubaren Zeitraum führen wird, weil auch der im Bundesgebiet verbleibende Teil der Familie in absehbarer Zeit in das gemeinsame Heimatland zurückkehren und dort die Familieneinheit wiederhergestellt werden kann. Davon ist grundsätzlich auszugehen, wenn die verbleibenden Familienmitglieder nach dem unanfechtbaren negativen Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig sind, wobei im Falle minderjähriger Personen zudem die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1a AufenthG einzuhalten sind (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2022 - 19 CE 21.2652 − juris Rn. 13; OVG Rh-Pf, B.v. 24.8.2021 - 7 B 10843/21 - juris Rn. 12 ff.).
39
Gemessen daran gebietet Art. 6 GG − ebenso wie Art. 8 EMRK - im vorliegenden Fall bei Abwägung der betroffenen Belange den weiteren Verbleib des mit dem Vater abgeschobenen Antragstellers im Bundesgebiet nicht. Er durfte ohne die übrigen Mitglieder der Kernfamilie abgeschoben werden. Diese sind ebenso wie der Antragsteller selbst vollziehbar ausreisepflichtig (s.o.). Die familiäre Lebensgemeinschaft kann nach deren Rückkehr auch im Herkunftsland fortgeführt werden. Auch mit Blick auf das Alter des Antragsstellers ergibt sich ein solches Gebot unter Berücksichtigung familiärer Bindungen nicht (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 22 m.w.N: „bereits 15 Jahre alt war“). Dass der Antragsteller auf den Beistand der entfernteren im Bundesgebiet sich aufhaltenden Verwandten, zu deren Aufenthaltsstatus im Übrigen nichts vorgetragen ist, angewiesen ist, ist nicht dargetan oder anderweitig ersichtlich. Zudem stünde insoweit ein auch dem Antragsteller zurechenbares Verschulden nach § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG aufgrund fehlender Mitwirkungshandlungen hinsichtlich der Registrierung und Passbeschaffung bezüglich der Schwester des Antragstellers entgegen (vgl. BA S. 3).
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Für den Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aufgrund von familiären Beziehungen gelten die vorstehenden Erwägungen entsprechend. Die Antragstellerseite setzt sich insofern auch nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der Rückkehr des Antragstellers zusammen mit seinem Vater auseinander und diesen dementsprechend auch nichts an Substanz entgegen. Eine Ver- und Entwurzelung im Sinne von Art. 8 EMRK, welche die Antragstellerseite in der Beschwerdeschrift mit dem pauschalen Verweis auf persönliche Bindungen andeutet, vermag der Senat angesichts aller Umstände nicht zu erkennen. Das Beschwerdevorbringen bezüglich einer Reiseunfähigkeit infolge Krankheit des Antragstellers ist gemessen an den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG gänzlich unsubstantiiert geblieben.
41
(f) Schließlich hat die Antragstellerseite nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG besitzt.
42
Zwar kann ein bevorstehender Schulabschluss durchaus einen dringenden persönlichen Grund im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG darstellen, worauf der Senat bereits in der vorangehenden, den Bruder des Antragstellers betreffenden Entscheidung hingewiesen hat (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2022 - 10 CS 22.1343, 10 CS 22.1345, 10 CS 22.1348, 10 CS 22.1350 u. 10 CS 22.1352 - Rn. 10). Die einschlägigen, die Verwaltungspraxis konkretisierenden Verwaltungsvorschriften, die Nr. 60a.2.3.1 VwV-AufenthG in Verbindung mit der Nr. 25.4.1.6.1 4. Spiegelstrich a.E. der VwV-AufenthG, gehen davon aus, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe bei dem Abschluss einer Schulausbildung angenommen werden können, sofern sich der Schüler bereits kurz vor dem angestrebten Abschluss, in der Regel also zumindest im letzten Schuljahr, befindet. Der Besuch des letzten Schuljahres bietet grundsätzlich einen tragfähigen Anhaltspunkt dafür, dass der Abschluss in einer überschaubaren Zukunft liegt (vgl. OVG Bremen, B.v. 21.7.2006 - 1 B 158/06 - juris Rn. 11; vgl. Kluth/Breidenbach in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 35. Aufl., Stand: 1.10.2022, § 60a Rn. 24).
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Jedenfalls aber ist das Ermessen der Ausländerbehörde in § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG grundsätzlich weit (vgl. Funke-Kaiser in Berlin, GK-AufenthG, Stand: März 2021, § 60a Rn. 341). Die Annahme dringender persönlicher Gründe macht die Ermessensausübung nicht obsolet, insbesondere indiziert sie nicht etwa generell eine Ermessensreduktion auf Null, sondern bei der Ausübung des Ermessens kommt es wie stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Auch insoweit ist von Antragstellerseite weder aufgezeigt noch anderweitig ersichtlich, dass das eröffnete behördliche Ermessen auf Null reduziert ist. Ein bei summarischer Prüfung allein in Betracht kommender Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens reicht, wie erörtert, für den hier geltend gemachten Folgenbeseitigungsanspruch wiederum nicht aus (s.o.).
44
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO
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4. Die Streitwertfestsetzung hierfür beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 39 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 sowie § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.1 und 1.5 (10 CS 22.2630) sowie Nr. 8.3 (10 CE 22.2618) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Streitwertkatalog). Da der Antragsteller in dem Beschwerdeverfahren 10 CE 22.2618 eine Entscheidung begehrt, welche die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt (s.o.), ist der für den Abschiebungsschutz anzusetzende Wert in Höhe von 2.500 Euro gemäß Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs nicht gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs zu mindern.
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5. Aus genannten Gründen kommt auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerdeverfahren unter Beiordnung der Bevollmächtigten nicht in Betracht.
47
6. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.