Inhalt

AG München, Beschluss v. 21.02.2023 – 1542 IN 1308/20
Titel:

Entlassung aus dem Gläubigerausschuss auf eigenen Antrag

Normenkette:
InsO § 22a, § 67 Abs. 3, § 70
Leitsätze:
1. Die Entlassung eines Mitglieds des Gläubigerausschusses auf eigenen Antrag erfordert die Darlegung eines wichtigen Grundes, nach welchem dem Ausschussmitglied ein weiteres Verbleiben im Ausschuss unzumutbar ist. Der Eigenantrag muss sich auf sachliche und nachvollziehbare Gründe stützen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Wegfall der Gläubigerstellung durch Verkauf der angemeldeten Insolvenzforderungen stellt keinen wichtigen Grund zur Entlassung dar. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da die Mitglieder des Gläubigerausschusses, die sich freiwillig um das Amt beworben haben und das Vertrauen der Gläubigergesamtheit genießen, von Beginn an die Interessen aller Gläubiger und nicht ihre eigenen Individualinteressen vertreten, kommt es auf diese für die weitere Tätigkeit im Gläubigerausschuss nicht an. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der mangelnde Wille des Ausschussmitglieds zur Fortführung seines Amtes stellt keinen wichtigen Grund zur Entlassung dar. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzverfahren, Gläubigerausschuss, Entlassung, Ausschussmitglied, Entlassungsantrag, wichtiger Grund, Wegfall der Gläubigerstellung, Wegfall des Interesses
Fundstellen:
RPfleger 2023, 531
ZIP 2023, 2534
ZRI 2024, 123
BeckRS 2023, 24051
NZI 2023, 870
LSK 2023, 24051

Tenor

Der Antrag des Gläubigerausschussmitglieds […] auf Entlassung aus dem Gläubigerausschuss gemäß § 70 InsO wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Der Entscheidung liegt der Entlassungsantrag als Mitglied des Gläubigerausschusses der […] (im Weiteren: Antragstellerin), vom 22.11.2022 zugrunde.
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Die Antragstellerin wurde mit Beschluss vom 29.06.2020 als Repräsentantin der Bankengläubiger zum Mitglied des vorläufigen Gläubigerausschusses im Sinne der §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a InsO bestellt. Im Eröffnungsbeschluss vom 25.08.2020 setzte das Insolvenzgericht die Antragstellerin als Mitglied des Gläubigerausschusses gemäß § 67 Abs. 1 InsO ein. Schließlich bestimmte die Gläubigerversammlung im Berichtstermin vom 18.11.2020, den Gläubigerausschuss und die Mitgliedschaft der Antragstellerin im weiteren Verfahren beizubehalten. Die Antragstellerin nahm das Amt zu Protokoll an. Als weitere Ausschussmitglieder sind der Anlegervertreter Herr […], die Arbeitnehmervertreterin Frau […], sowie die weiteren Finanzgläubiger […] und […] bestellt.
3
Ihren Antrag auf Entlassung aus dem Gläubigerausschuss stützt die Antragstellerin auf den Verlust der Gläubigerstellung. Sie habe sämtliche gegen die Insolvenzschuldnerin bestehenden Forderungen zwischenzeitlich vollumfänglich an zwei Erwerberinnen veräußert und abgetreten, wodurch sie ihre Beteiligtenstellung verloren habe und die eigenen ökonomischen Interessen am Verfahrensverlauf in Wegfall geraten seien. Die weitere Wahrnehmung der Interessen der Gläubigergesamtheit stelle sich nun als Herausforderung dar, insbesondere sei es nicht Aufgabe einer internationalen Großbank, fremde Gläubigerinteressen in einem Insolvenzverfahren zu vertreten, an welchem sie selbst nicht mehr beteiligt sei, weshalb die weitere Tätigkeit als unzumutbar empfunden werde. Dass der Verlust des Bezuges zum Insolvenzverfahren ein wesentlicher Gesichtspunkt sei, ergebe sich bereits aus der Entscheidung des AG Norderstedt (Beck LSK 2008, 242535). Jedenfalls seien im Falle eines Eigenantrages auf Entlassung aus dem Amt geringere Anforderungen zu stellen als bei einem Fremdantrag. Daneben sei eine Entlassung aus dem Amt bereits in Hinblick auf das nach § 67 Abs. 2 InsO als „Soll“-Vorschrift geregelte Repräsentationsprinzip geboten, da im derzeitigen Ausschuss die Banken- und Finanzgläubiger überrepräsentiert seien. Auch ohne eine weitere Mitgliedschaft der Antragstellerin seien die Interessen der Gläubigergesamtheit mit ausreichender Kompetenz vertreten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Verwertungsprozess im vorliegenden Insolvenzverfahren bereits weitgehend abgeschlossen sei und der Schwerpunkt der Insolvenzverwaltung nunmehr im Wesentlichen in der Aufarbeitung diverser insolvenzrechtlicher Sonderaktiva sowie der Passivseite liege. Bankenspezifische Kompetenz sei dabei nicht erforderlich. Vorgeschlagen werde daher die Bestellung eines neuen Gläubigerausschussmitgliedes, das über ausgewiesene Sachkunde für die wesentlichen zukünftigen Fragen verfüge.
4
Nach Anhörung des Insolvenzverwalters wurde die Antragstellerin mit gerichtlichem Schreiben vom 06.12.2022 darauf hingewiesen, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 70 InsO bislang nicht glaubhaft dargelegt worden sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 03.02.2023 ergänzte die Antragstellerin sodann ihren Vortrag und führte dabei an, dass die Problematik eines erschwerten Ausscheidens eines Gläubigerausschussmitglieds in der Praxis dazu führe, dass es immer schwieriger werde, qualifizierte Mitglieder insbesondere im Bankenbereich zu finden. Im Hinblick auf das Repräsentationsprinzip sei es nicht im Sinne der Gläubigergesamtheit, an der derzeitigen Besetzung des Ausschusses festzuhalten. Ohne eigenes ökonomisches Interesse am Verfahrensausgang sei das Mitglied faktisch nur noch eingeschränkt geeignet, deren Interessen zu vertreten. Zudem wurde nochmals darauf hingewiesen, dass die Tätigkeit im weiteren Verfahrensverlauf von möglicherweise mehr als zehn Jahren kaum noch wirtschaftliche Expertise erfordere. Hilfsweise wurde beantragt, die Gläubigerversammlung über die Bestellung eines neuen Mitglieds entscheiden zu lassen.
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Der Eigenantrag auf Entlassung ist gemäß § 70 InsO zulässig, aber nicht begründet.
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Das Insolvenzgericht kann ein Mitglied des Gläubigerausschusses aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen, auf Antrag des Mitglieds des Gläubigerausschusses oder auf Antrag der Gläubigerversammlung erfolgen (§ 70 S. 1, 2 InsO). Die Regelung soll die Kontinuität des einmal gewählten Ausschusses sicherstellen, der die Interessen aller Gläubiger wahrnimmt (vgl. dazu Schmid-Burgk in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage 2019, § 70 Rn. 3). Dementsprechend sind hohe Anforderungen an einen Entlassungsantrag zu stellen, auch wenn er durch das betroffene Ausschussmitglied selbst erfolgt. Selbst wenn im Falle eines Eigenantrages von geringeren Anforderungen auszugehen ist, muss auch in diesem Fall ein wichtiger Grund dargelegt werden, nach welchem dem Ausschussmitglied ein weiteres Verbleiben im Ausschuss unzumutbar sei (vgl. BGH 29.3.2012 – IX ZB 310/11, BeckRS 2012, 9054; LG Göttingen NZI 2011, 909). Entscheidend ist, ob sich der Eigenantrag auf Entlassung auf sachliche und nachvollziehbare Gründe stützt (Gundlach/Schirrmeister NZI 2003, 660; K/P/B/Kübler § 70 Rn 9).
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Die Antragstellerin sieht eine Unzumutbarkeit der weiteren Amtsausübung im Wegfall eigener ökonomischer Interessen am Verfahrensausgang begründet, da sie nicht mehr Inhaberin von Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin ist. Dabei ist es in der Literatur einhellige Meinung, dass allein der Verkauf der angemeldeten Insolvenzforderungen keinen wichtigen Grund darstellt, der eine Entlassung rechtfertigt (Schmid-Burgk in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 70 Rn. 16; ausführlich dazu auch Graf, Der wichtige Grund iSd § 70 S. 1 InsO beim Eigenantrag des Gläubigerausschussmitglieds, NZI 2016, 757, 759).
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Die Antragstellerin hat sich im Berichtstermin zur Wahl durch die Gläubigerversammlung gestellt. Dabei wurden die bisherigen Ausschussmitglieder mit einer Mehrheit von 74,85% bestätigt. Diese Wahl erfolgte im Vertrauen darauf, dass die Kandidaten, welche sich bereits als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses bewährt hatten, die Interessen der Gläubigergesamtheit bis zum Verfahrensende wahrzunehmen bereit sind. Ist ein Ausschuss einmal bestellt, ist er ein unabhängiges und eigenständiges Organ der Insolvenzverwaltung, dem die ihm nach der Insolvenzordnung zugewiesenen Aufgaben zukommen. Die Wahl zum Ausschussmitglied wurde durch die Antragstellerin in der Kenntnis seiner Bedeutung angenommen. Dabei sollte dem Mitglied auch nicht unbekannt gewesen sein, dass eine Entlassung aus dem Amt nur im Rahmen des § 70 InsO unter strengen Voraussetzungen in Frage kommt. Diese Kenntnis ist dem Mitglied auch zum Zeitpunkt des Verkaufs der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen zuzurechnen. Es ist nicht unüblich, dass das konkrete wirtschaftliche Interesse eines Ausschussmitglieds am Ausgang im Verfahrensverlauf nachlässt oder auch die Gläubigerposition infolge einer Veräußerung vollständig aufgegeben wird. Auch ist denkbar, dass Ansprüche einzelner Ausschussmitglieder im Verfahrensverlauf ganz oder teilweise bestritten werden bzw. sich herausstellt, dass die Ansprüche nicht bestehen. Würde der Wegfall der Gläubigerstellung bereits einen wichtigen Grund im Sinne des § 70 InsO rechtfertigen, würde wohl die Funktionsfähigkeit eines jeden Ausschusses bedroht. Auch regelt bereits § 67 Abs. 3 InsO für den bei Eröffnung einzusetzenden Ausschuss, dass eine Gläubigerstellung keine Voraussetzung für die Amtsausübung darstellt.
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Soweit sich die Antragstellerin in ihrer Begründung auf den Beschluss des AG Norderstedt vom 10.08.2007 (ZInsO 2007, 1008) bezieht, ist zunächst festzustellen, dass diese Entscheidung in der Literatur und weiteren Rechtsprechung sehr kritisch gesehen wird. Nach der dortigen Ansicht liege im Falle eines Eigenantrags auf Entlassung aus dem Gläubigerausschuss dann ein wichtiger Grund vor, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen dem beteiligten Gläubiger und dem Ausschussmitglied endet und das Mitglied des Gläubigerausschusses hierdurch jede weitere Beziehung zum Verfahren verliert. Der Wechsel des Arbeitgebers reicht für ein Ausschussmitglied hingegen nach herrschender Meinung in der Literatur nicht aus, seine Entlassung aus wichtigem Grund beantragen zu können (Vallender WM 2002, 2040, 2043; MK InsO-Schmid-Burgk § 70 Rn 16; Gundlach/Frenzel/Schmidt InVo 2003, 49, 50). Dieser herrschenden Meinung folgt auch das LG Aurich in seiner aktuellen Entscheidung vom 28.9.2022 (NZI 2023, 104), wonach die Fortsetzung der Tätigkeit als Gläubigerausschussmitglied eben nicht allein aufgrund eines Arbeitgeberwechsels unzumutbar werde. Der Argumentation der Antragstellerin, von der Entscheidung des AG Norderstedt auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes im eigenen Fall zu schließen, kann daher nicht gefolgt werden. Eine aus dem Wegfall der Gläubigerstellung resultierende Unzumutbarkeit der Amtsfortführung ist der Antragsbegründung nicht zu entnehmen. Die zeitliche Belastung durch die meist monatlichen Sitzungen des Ausschusses dürfte sich zudem in Grenzen halten. Daneben ist über § 73 InsO auch für eine angemessene Vergütung der Mitglieder gesorgt.
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Da Ausgangspunkt der Entscheidung über den Entlassungsantrag die Frage bleibt, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 70 InsO vorliegt, welcher das Verbleiben im Ausschuss unzumutbar erscheinen lässt, geht die weitere Argumentation, die Entlassung sei bereits aufgrund des Repräsentationsprinzips, § 67 Abs. 2 InsO, geboten, fehl. Die Vorschrift betrifft die Einsetzung eines (vorläufigen) Ausschusses durch das Gericht noch vor dem Berichtstermin. Der endgültige Gläubigerausschuss wird hingegen nicht durch das Gericht, sonders mittels Beschlussfassung der Gläubigerversammlung durch Abstimmung im Berichtstermin eingesetzt. Gemäß § 68 Abs. 2 InsO kann diese vom Insolvenzgericht bestellte Mitglieder abwählen und andere oder zusätzliche Mitglieder des Gläubigerausschusses wählen. Eine gerichtliche Überprüfung, inwieweit verschiedene Gläubigergruppen hierbei angemessene Repräsentanz erfahren, ist von der InsO nicht vorgesehen und würde auch der Selbstbestimmung der Gläubigerversammlung zuwiderlaufen. Das Gericht kann sein Ermessen eben nicht an die Stelle der Entscheidungshoheit der Gläubigerversammlung setzen. Gleichermaßen kann nicht auf die Frage abgestellt werden, ob der Gläubigerausschuss nach Austritt eines Mitgliedes in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt ist. Wäre die Beurteilung der Auswirkungen eines konkreten Austritts bedeutsam, wäre im schlimmsten Szenario gar ein „Wettlauf“ um den Austritt vorstellbar. Zudem wären bei nur noch vier Ausschussmitgliedern vor dem Hintergrund des § 72 InsO Probleme bezüglich etwaiger Mehrheitsentscheidungen denkbar (NZI 2023, 104 Rn. 6, beck-online).
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Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist für die Entscheidung auch nicht von Bedeutung, in welchem Stadium sich das Insolvenzverfahren befindet, da auch eine solche Würdigung über die Beurteilung des „wichtigen Grundes“ hinausgeht. Es ist davon auszugehen, dass die im vorliegenden Insolvenzverfahren noch anstehenden Entscheidungen auch dann noch von erheblicher Tragweite und Bedeutung für die Gläubiger sind, wenn deren Fokus auf der Geltendmachung von Haftungsansprüchen und der Begleitung der Passivseite beruht.
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In der Gesamtschau liegt ein wichtiger Grund und damit die Voraussetzung des § 70 InsO zur Überzeugung des Gerichts nicht vor. Da die Ausschussmitglieder, die sich freiwillig um das Amt beworben haben und das Vertrauen der Gläubigergesamtheit genießen, von Beginn an eben die Interessen aller Gläubiger vertreten und nicht ihre jeweiligen Individualinteressen, kommt es auf diese für die weitere Tätigkeit im Gläubigerausschuss auch nicht an. Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass es ihr nicht zuzumuten sei, dem Amt als Mitglied im Gläubigerausschuss gegen ihren Willen nachzukommen, ist festzuhalten, dass der mangelnde Wille des Mitglieds zur Fortführung seines Amtes keinen wichtigen Grund zur Entlassung darstellt (KPB/Kübler InsO § 70 Rn. 9). Der bloße Umstand, dass das Mitglied selbst Anlass sieht, seine eigene Entlassung zu beantragen, genügt mithin zur Begründung eines wichtigen Grunds nicht (K. Schmidt/Jungmann InsO § 70 Rn. 24).
13
Der hilfsweise Antrag, die Gläubigerversammlung gemäß § 68 InsO über die Bestellung eines Ersatzmitgliedes entscheiden zu lassen, geht fehl, da dem Antrag auf Entlassung durch das Gericht nicht stattgegeben wird und damit keine Notwendigkeit zur Wahl eines neuen Mitglieds besteht.