Titel:
Leinenpflicht und weitere Anordnungen zur Hundehaltung
Normenketten:
LStVG Art. 18 Abs. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsatz:
Die Frage, ob das ausschließliche Ausführen eines Hundes an der Leine mit dem Tierschutz vereinbar ist, stellt sich nicht, wenn eine generelle Anleinpflicht nur für den Innenbereich angeordnet wird und Hunde außerhalb der bewohnten Bereiche unter Auflagen frei laufen dürfen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnungen zur Hundehaltung, Leinenpflicht innerorts und außerorts (mit Freilaufmöglichkeit), Bestimmtheitsgebot, tierschutzrechtliche Anforderungen, Darlegungsanforderungen der Beschwerdebegründung, bloße Bezugnahme auf erstinstanzliches Vorbringen
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 16.11.2022 – B 1 S 22.1019
Fundstelle:
BeckRS 2023, 237
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz überwiegend erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bezüglich Anordnungen zur Hundehaltung der Antragsgegnerin gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG mit Bescheid vom 26. September 2022 (Leinenzwang innerorts und außerorts, Verpflichtung zur Absicherung des Haltergrundstücks, Verpflichtung zur Unterbindung unzulässiger Lärmbelästigungen durch die Hunde während der Nachtzeit, Sicherstellung der Beachtung dieser Verpflichtungen durch mit der Betreuung und Ausführung der Hunde beauftragte Dritte).
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Die Beschwerde ist, soweit sie überhaupt den Darlegungsanforderungen gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt, jedenfalls unbegründet. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung über eine bloße Bezugnahme auf erstinstanzlichen Vortrag hinaus aufgeführten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung.
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§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt, dass die Beschwerdebegründung die Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, darlegen und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss. Der Beschwerdeführer muss sich mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgericht auseinandersetzen und konkret begründen, warum die Entscheidung änderungsbedürftig bzw. unrichtig sein soll. Das Darlegungsgebot soll zu einer sorgfältigen Prüfung vor Einlegung des Rechtsmittels anhalten und dem Oberverwaltungsgericht eine Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses ermöglichen. Der Beschwerdeführer muss darlegen, welche tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts er in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält; er hat substantiiert auszuführen, weshalb die Überlegungen des Verwaltungsgerichts falsch sind, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Er muss das Entscheidungsergebnis, die entscheidungstragenden Rechtssätze oder die für die Entscheidung erheblichen Tatsachenfeststellungen mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen (vgl. zuletzt etwa BayVGH, B.v. 1.6.2022 - 10 CE 21.2270 - juris Rn. 3 m.w.N.).
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Eine solche einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts leistet die Beschwerdebegründung nicht, soweit mehrfach ohne sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses lediglich auf den Inhalt des Antrags- und Klageschriftsatzes in erster Instanz Bezug genommen wird (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 22b m.w.N.; BayVGH, B.v. 2.9.2020 - 11 CS 20.814 - juris Rn. 9; B.v. 9.7.2018 - 9 CE 18.1033 - juris Rn. 13).
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Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde erneut geltend macht, der angeordnete Leinenzwang innerhalb (mit einer maximal 1 m langen Leine) und außerhalb bewohnter Gebiete (mit einer maximal 2 m langen Leine) seien nicht hinreichend bestimmt und aus Gründen des Tierschutzes (§ 2 TierSchG) rechtswidrig bzw. unverhältnismäßig, und sich diesbezüglich auf eine schon dem Verwaltungsgericht vorgelegte Veröffentlichung im deutschen Tierärzteblatt (12/2008) sowie eine inzwischen vorliegende gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen für das Hundewesen H.S. vom 4. November 2022 bezieht, werden die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Erstgerichts nicht durchgreifend infrage gestellt.
6
Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zu Recht festgestellt, dass die Anordnung eines Leinenzwangs „innerhalb bewohnter Gebiete“ im Sinne von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinreichend klar zum Ausdruck bringt, dass damit ein Leinenzwang für den Innenbereich (in Abgrenzung zum Außenbereich), d.h. den Bereich innerhalb einer Ortschaft bzw. im Zusammenhang bebauter Ortsteile, verfügt worden ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 10 CS 18.1717 - juris; zur Bestimmtheit einer vergleichbaren Formulierung „innerhalb geschlossener Ortschaft“ vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2021 - 10 NE 20.2831 - juris Rn. 56 m.w.N.). Dem setzt die Beschwerdebegründung nichts an Substanz entgegen.
7
Der Einwand, das „ausschließliche Ausführen an der Leine“ sei nicht mit dem Tierschutzgesetz (§ 2 TierSchG) vereinbar, weil dadurch der artgemäße Sozialkontakt und das Bewegungs- und Erkundungsverhalten der Hunde unzumutbar eingeschränkt würden, und der diesen Einwand (angeblich) stützende Verweis auf die (erneut vorgelegte) Veröffentlichung im deutschen Tierärzteblatt (12/2008) greifen schon deshalb nicht, weil die Antragsgegnerin eine generelle Anleinpflicht nur für den Innenbereich angeordnet hat und der Antragsteller außerhalb der gewohnten Bereiche seine beiden Hunde frei laufen lassen darf, wenn das Gelände übersichtlich ist und sich in einem Radius von 200 m um den Hundeführer keine Personen und/oder andere Tiere sichtbar befinden (Nr. 1. Satz 3 des angefochtenen Bescheids). Ein genereller Leinenzwang für die Hunde des Antragstellers im gesamten Gemeindegebiet der Antragsgegnerin besteht also gerade nicht. Demgemäß ist die angefochtene Anordnung des Leinenzwangs in der konkreten Ausgestaltung nach zutreffender Bewertung des Verwaltungsgerichts auch im Hinblick auf eine artgerechte Haltung der Hunde und entsprechende tierschutzrechtliche Anforderungen nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 10 CS 18.1717 - juris Rn. 18; B.v. 15.4.2021 - 10 NE 20.2831 - juris Rn. 60 f. m.w.N.; U.v. 25.1.2022 - 10 N 20.1227 - juris Rn. 121). Aus der vom Antragsteller vorgelegten Veröffentlichung, die einen „generellen Leinenzwang“ als „tierschutzrelevant“ ansieht, ergibt sich nichts Anderes. Die von Antragstellerseite im Beschwerdeverfahren vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen für das Hundewesen H.S. vom 4. November 2022 zur Wesenseigenschaft der beiden (Kangal-) Hunde verhält sich im Wesentlichen zur Frage, ob die Hunde als gesteigert aggressiv und gefährlich anzusehen sind. Den durch die Antragsgegnerin angeordneten Leinenzwang in bewohnten Gebieten hält der Sachverständige im Übrigen selbst „nach dem Augenschein (als) ausreichend“ und er empfiehlt bei den von ihm abschließend vorgeschlagenen „präventiven Maßnahmen“ unter anderem die Auflage, dass die Hunde außerhalb des Halteranwesens „in bewohnten Gebieten … wie im Bescheid vorgeschrieben stets an der Leine zu führen“ sind (S. 10/11 des Gutachtens). Dass der Sachverständige eine „2 m lange und dicke Lederleine“ zum Führen der Hunde empfiehlt, weil der Antragsteller „die Leine mit zwei Händen gut halten kann und den Hund dadurch besser im Griff hat“, vermag die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die durch die Antragsgegnerin angeordneten Länge der Leine von 1 m (innerorts) halte sich noch im rechtlich zulässigen Rahmen, nicht durchgreifend infrage zu stellen.
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Die Beschwerdebegründung zur Leinenpflicht außerhalb bewohnter Gebiete erschöpft sich in dem Verweis auf die Wesensbeurteilung der beiden Hunde durch den Sachverständigen H.S., wonach die Hunde als „normal aggressiv“ bzw. „nicht aggressiv“ einzustufen seien und ihre Leinenführigkeit als gut zu beurteilen sei. Die erforderliche einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, das hinsichtlich der Nr. 1. Sätze 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids (Leinenzwang in Außenbereich mit Freilaufmöglichkeit) im Hinblick auf die Gefahrenprognose noch Klärungsbedarf im Hauptsacheverfahren gesehen und demgemäß bei diesbezüglich offenen Erfolgsaussichten im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung ein überwiegendes öffentliches Interesse am wirksamen Schutz vor Gefahren für die Gesundheit von Menschen und Tieren angenommen hat, fehlt jedoch.
9
Die Beschwerdebegründung bezüglich der Anordnungen Nr. 2. (Verpflichtung zur Absicherung durch geeignete Einfriedung des Haltergrundstücks), Nr. 3. (Verpflichtung zur Unterbindung unzulässiger Lärmbelästigungen durch die Hunde während der Nachtzeit) und Nr. 4. (Sicherstellung der Beachtung der Verpflichtungen durch mit der Betreuung und Ausführung der Hunde beauftragte Dritte) beschränkt sich wiederum auf die Bezugnahme auf den Inhalt des Antrags- und Klageschriftsatzes in erster Instanz und den Verweis auf die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen H. S., ohne sich mit den tragenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts im Einzelnen auseinanderzusetzen.
10
Soweit die Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2022 unter Hinweis auf „eine Mitteilung im Netz“ über einen „Hund ohne Herrchen im Kürengrund“ und Fotos des Antragstellers mit seinen Hunden in Österreich noch einwendet, dies belege, dass bei dem von der Antragsgegnerin beanstandeten Ausbrechen aus dem umfriedeten Grundstück des Antragstellers, dem lauten Bellen sowie dem Streunen und Beißen eines anderen Hundes „gegebenenfalls eine Verwechslung“ vorliege, hat die Antragsgegnerin diesen Vortrag in ihrem Beschwerdeerwiderung zu Recht als „unbehelflich“ bewertet, die aktenkundigen Feststellungen der Sicherheitsbehörde und die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen.
11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
12
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).