Inhalt

VG München, Beschluss v. 24.08.2023 – M 13 ES 21.32795
Titel:

Asylrecht Nigeria

Normenketten:
AsylG § 34, § 71
VwGO § 88, § 122, § 123 Abs. 1
Rückführungs-RL Art. 5
GG Art. 6
GRCh Art. 7
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Zur Frage, ob es einer jungen Frau mit minderjährigen Kindern gelingen wird, sich in Nigeria eine Lebensgrundlage am Rande des Existenzminimums aufzubauen. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Frage, ob die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung wegen der Gefahr einer Beschneidung besteht. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es unbedenklich, die Betroffenen auf die Geltendmachung von Abschiebungsverboten gegenüber der Ausländerbehörde zu verweisen. (Rn. 73) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland / Zielstaat: Nigeria, Antragsteller: Mutter sowie zwei minderjährige Kinder;, in Bundesgebiet noch: Lebensgefährte sowie zwei weitere Töchter / Schwestern;, Töchter / Schwester aktuell mit Aufenthaltsgestattung;, Folgeantrag (als unzulässig abgelehnt);, Boko Haram;, Kriminalität allgemein;, Beschneidung;, Existenzminimum (gesichert);, inlandsbezogenes Abschiebungsverbot zum Schutze der Familieneinheit;, Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich bestandskräftiger Abschiebungsandrohung aus dem Erstverfahren (abgelehnt), Nigeria, Mutter mit zwei minderjährigen Kindern, Boko Haram, Beschneidung, inlandsbezogenes Abschiebungsverbot zum Schutze der Familieneinheit, Wiederaufgreifen des Verfahrens, bestandskräftige Abschiebungsandrohung aus dem Erstverfahren, RL 2008/115/EG
Fundstelle:
BeckRS 2023, 23440

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller, drei nigerianische Staatsangehörige, wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung ihres Asylfolgeantrages und eine etwaige Abschiebung nach Nigeria.
2
Die am … … 1996 in Ni... geborene Antragstellerin zu 1, eine aus dem Bundesstaat Imo State stammende Angehörige der Volksgruppe Ibo, reiste am 29. Juli 2016 in das Bundesgebiet ein. Ihre beiden Kinder, die am … … 2017 geborene Antragstellerin zu 2 sowie der am … … 2019 geborene Antragsteller zu 3, wurden im Bundesgebiet geboren.
3
Mit Bescheid vom 4. April 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylerstanträge der Antragstellerinnen zu 1 und zu 2 als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 1 – 3) und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen (Nr. 4). Die hiergegen erhobene Klage (M 7 K 17.36903) wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 26. März 2021 insoweit abgewiesen, ein hiergegen gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung (6 ZB 21.30598) mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München vom 19. Mai 2021 abgelehnt. Geltend gemacht worden waren im Wesentlichen wirtschaftliche Gründe.
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Die zugleich in Nr. 5 des Erstbescheids hinsichtlich dem Zielstaat Nigeria unter Setzung einer Wochenfrist zur freiwilligen Ausreise (beginnend mit Bekanntgabe der Entscheidung, ohne weitere Zusätze) ausgesprochene Abschiebungsandrohung hingegen wurde (wie auch die in Nr. 6 getroffene Befristungsentscheidung) mit o.g. Urteil wegen fehlerhaft gesetztem Beginn der Ausreisefrist aufgehoben.
5
Mit ergänzendem Bescheid vom 2. August 2021 forderte daraufhin das Bundesamt die Antragstellerinnen zu 1 und zu 2 erneut auf, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihnen für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise erneut die Abschiebung nach Nigeria an (Nr. 1), setzte nun aber die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und den Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht aus.
6
Auch der Asylerstantrag des 2019 geborenen Antragstellers zu 3 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 24. Januar 2020 als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nr. 1 – 3) und zugleich festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 / Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen (Nr. 4). Auch seine Klage blieb insoweit erfolglos (siehe VG München, U.v. 11.6.2021 – M 28 K 20.30265), wie zuvor schon ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (siehe VG München, B.v. 9.4.2020 – M 28 S 20.30266). Zur Begründung waren lediglich Erkenntnismittel zur Verwirklichung der Kinder- und Menschenrechte in Ni... vorgelegt worden.
7
Jedoch wurde auch bei ihm die in Nr. 5 des Erstbescheids hinsichtlich dem Zielstaat Nigeria ausgesprochene Abschiebungsandrohung (aus den gleichen Gründen wie bei seiner Mutter und seinen Schwestern, s.o.) aufgehoben und später mit Bescheid des Bundesamtes vom 1. Februar 2022 erneut ausgesprochen und – wie schon bei seiner Mutter und seinen Schwestern – nun aber die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt.
8
Am 20. Oktober 2021 stellten die Antragsteller zu 1 bis 3 beim Bundesamt erneut einen Asylantrag (Folgeantrag). Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 21. Oktober 2021 lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig ab (Nr. 1), wie auch eine Abänderung der Bescheide vom 4. April 2017 bzw. 24. Januar 2020 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG (Nr. 2). Eine (erneute) Abschiebungsandrohung wurde im streitgegenständlichen Bescheid nicht ausgesprochen, vielmehr in den Gründen darauf verwiesen, dass die (mittlerweile aufgehobene) Abschiebungsandrohung weiter gültig sei.
9
Hiergegen hat die Antragstellerin zu 1, auch im Namen der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3, mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2021, am selben Tage eingegangen bei Gericht, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Oktober 2021 in Ziffer 1 bis 2 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen, hilfsweise die Antragstellerinnen als Asylberechtigte anzuerkennen und die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
10
Zugleich haben die Antragsteller im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
gemäß § 123 VwGO zu beschließen, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG einstweilen zurückzunehmen und der Ausländerbehörde mitzuteilen,
dass ein Asylfolgeverfahren durchgeführt wird,
hilfsweise: dass das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG geprüft wird.
11
Für den Fall, dass das Gericht der Auffassung ist, dass anstelle eines Antrages nach § 123 Abs. 1 VwGO vielmehr ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO das richtige Rechtsmittel ist, wurde zudem hilfsweise beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
12
Die Antragsgegnerin hat die Behördenakten auf elektronischem Weg vorgelegt, ohne sich in der Sache zu äußern oder einen Antrag zu stellen.
13
Zur Begründung von Klage und Eilantrag haben die Antragsteller neben der bereits gegenüber dem Bundesamt zur Begründung ihres Folgeantrages geltend gemacht Bedrohung durch Boko Haram aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ibo darüber hinaus (erstmals) geltend gemacht, ihnen drohe auch seitens anderer militanter Gruppen Entführung, Vergewaltigung, Versklavung u.Ä., der Antragstellerin zu 2 zudem entweder Genitalverstümmelung infolge traditioneller Beschneidung oder aber, für den Fall einer Weigerung, Diskriminierung, soziale Ächtung bis hin zur Isolation.
14
Des Weiteren wurde geltend gemacht, die Antragsteller seien nicht in der Lage, in Ni... ihr Existenzminimum zu sichern, insbesondere da es an einem familiären Netzwerk dort fehle.
15
Ferner wurde geltend gemacht, die Antragsteller dürften nicht von ihren sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhaltenden Familienangehörigen getrennt werden („Wahrung der Familieneinheit“).
16
Laut Behördenakten halten sich derzeit im Bundesgebiet noch der am 3. Oktober 1993 geborene Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1, ein malischer Staatsangehöriger, sowie zwei weitere, am 2. Januar 2022 sowie am 20. Juni 2023 jeweils im Bundesgebiet geborene weiteren Töchter (der Antragstellerin zu 1) bzw. Schwestern (der Antragsteller zu 2 und zu 3), beide ebenfalls nigerianische Staatsangehörige, auf.
17
Das Erstsowie zwei Asylfolgeverfahren des Lebensgefährten wurden allesamt negativ und unanfechtbar abgeschlossen. Derzeit verfügt er über eine Duldung gemäß § 60b Abs. 1 AufenthG, befristet bis 20. Oktober 2023.
18
Auch der Asylantrag der 2022 geborenen Tochter / Schwester wurde abgelehnt, über die hiergegen erhobene Klage (M 9 K 22.31866) ist bislang noch nicht entschieden worden.
19
Über den Asylantrag der 2023 geborenen Tochter / Schwester ist bislang noch nicht entschieden worden.
20
Das Bundesamt wiederum hat in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids seine Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, im Wesentlichen damit begründet, dass sich weder die Sachlage entscheidungsrelevant verändert habe noch neue Beweismittel hinsichtlich bereits geltend gemachter Bedrohungen vorgelegt worden seien. Insbesondere sei den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht zu entnehmen, dass Volksangehörige der Ibo im Bundesstaat Imo State, der Herkunftsregion der Antragstellerin zu 1, seitens Boko Haram nennenswerten Bedrohungen ausgesetzt seien (Bescheid, Seite 4 Abs. 1, Abs. 2).
21
Auch hätten die Antragsteller keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Nigeria. Insbesondere sei es der Antragstellerin zu 1 mit Hilfe der im Falle einer freiwilligen Ausreise zur Verfügung stehenden Start- und Rückkehrhilfen auch weiterhin möglich, für sich und die Antragsteller zu 2 und zu 3 das Existenzminimum zu sichern (Bescheid, Seite 6).
22
Im ergänzenden Bescheid vom 1. Februar 2022 im Erstverfahren des Antragstellers zu 3 (welcher nach Geburt der im Januar 2022 geborenen Tochter / Schwester der Antragsteller erging), wiederum hatte das Bundesamt (wie schon im Ergänzungsbescheid im Erstverfahren der Antragstellerinnen zu 1 und zu 2) hinsichtlich der Befristungsentscheidung ausgeführt, dass der Antragsteller über keine berücksichtigungsfähigen Bindungen im Bundesgebiet verfüge. Eine Berücksichtigung eventueller familiärer Beziehungen im Rahmen der nochmals vorgenommenen Abschiebungsandrohung erfolgte weder bei Erlass der o.g. Ergänzungsbescheide noch im Verlauf des Folgeverfahrens oder des sich hieran anschließenden Gerichtsverfahrens.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem Verfahren, im Hauptsacheverfahren sowie in den Erstverfahren der Antragstellerinnen zu 1 und zu 2 sowie des Antragstellers zu 3 (Aktenzeichen, s.o.) Bezug genommen.
II.
24
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.
25
1. Der gemäß § 88, 122 VwGO auszulegende Antrag der anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes umfasst nach Würdigung des in der Klage- und Antragsschrift zum Ausdruck kommenden Begehrens drei einzelne, jeweils auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gerichtete, in einen Hauptsowie zwei gleichberechtigt nebeneinanderstehende Hilfsanträge gestaffelte Verfahrensgegenstände folgenden Inhalts:
26
Einen Hauptantrag, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass einstweilen keine (!) aufenthaltsbeende Maßnahmen gegenüber den Antragstellern ergriffen werden dürfen – unter Verweis darauf, dass voraussichtlich ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
27
Des Weiteren einen (ersten) Hilfsantrag, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass einstweilen aufenthaltsbeende Maßnahmen im Hinblick auf eine Abschiebung nach Nigeria (!) gegenüber den Antragstellern nicht ergriffen werden dürfen – unter Verweis darauf, dass voraussichtlich hinsichtlich Nigeria das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen ist.
28
Sowie darüber hinaus einen weiteren, gleichberechtigt zum ersten Hilfsantrag stehendenden zweiten Hilfsantrag, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass einstweilen keine (!) aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber den Antragstellern ergriffen werden dürfen – unter Verweis darauf, dass infolge eines, einer Abschiebung der Antragsteller generell derzeit entgegenstehenden inlandsbezogenen Abschiebungsverbots nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK zum Schutze der Familieneinheit aufgrund der derzeitigen Aufenthaltsgestattung der 2022 sowie 2023 geborenen Töchter bzw. Schwestern der Antragsteller voraussichtlich die im Erstverfahren mit Bescheid des Bundesamtes vom 2. August 2021 (Antragstellerinnen zu 1 und zu 2) bzw. 1. Februar 2022 (Antragsteller zu 3) erlassene Abschiebungsandrohung im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens aufgehoben bzw. dahingehend abgeändert wird, dass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung sowie der Lauf der Ausreisefrist bis zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung der 2022 bzw. 2023 geborenen Töchter ausgesetzt wird.
29
Der seitens der Antragsteller hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht der Auffassung ist, dass anstelle eines Antrages nach § 123 VwGO vielmehr ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO das richtige Rechtsmittel ist, gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO musste vorliegend nicht berücksichtigt werden, da das Gericht, wie sogleich ausgeführt, hinsichtlich aller seitens der Antragsteller verfolgter Ziele einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO für statthaft hält.
30
(1) Ziel des zu Grunde liegenden Hauptsache-Rechtsbehelf der Antragsteller ist es zunächst und vornehmlich, die Durchführung eines erneuten Asylverfahrens durch das Bundesamt zu erzwingen (um im Zuge dessen schließlich die Zuerkennung Internationalen Schutzes bzw. die Anerkennung als Asylberechtigte und auf Basis dessen wiederum eine längerfristige Aufenthaltsberechtigung für die Bundesrepublik zu erlangen).
31
Zu Grunde liegendes Ziel des flankierend erhobenen Antrags auf einstweiligen Rechtsschutzes ist es daher, bis zu einer Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung in der Hauptsache (mit der Konsequenz, dass ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, die Antragsteller für die Dauer dieses Verfahrens erneut über eine Aufenthaltsberechtigung in Gestalt einer Aufenthaltsgestattung besitzen und eine Abschiebung nach Nigeria oder einen sonstigen Staat infolge dessen für die Dauer des Asylverfahrens nicht mehr ansteht), aufenthaltsbeendende Maßnahmen seitens der allgemeinen Ausländerbehörden durch entsprechende Intervention (hier: Mitteilung) des Bundesamtes zu verhindern.
32
Zwar werden die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht durch bzw. im Auftrag des Bundesamtes, sondern im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörden ausgeführt. Auch ist gegen die Ablehnung eines Folgeantrages als unzulässig im Hauptsacheverfahren in der Hauptsache Anfechtungsklage zu erheben (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris), so dass gemäß § 123 Abs. 5 VwGO demnach eigentlich um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu ersuchen ist.
33
Jedoch enthält der streitgegenständliche Bescheid keine erneute Abschiebungsandrohung. Grundlage einer etwaigen Abschiebung ist vielmehr die bereits im Erstverfahren verfügte, vollziehbar da bestandskräftig gewordene Abschiebungsandrohung des Bundesamtes, welche infolge des gestellten Folgeantrages jedoch erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes an die zuständige Ausländerbehörde, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorliegen, vollzogen werden darf (§ 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Die Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig hingegen hat selbst keinen vollzugsfähigen Inhalt.
34
Effektiver einstweiliger Rechtsschutz kann in diesem Fall nur dergestalt gewährt werden, wenn die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet wird, eine derartige Mitteilung bis zur Entscheidung in der Hauptsache einstweilen zu unterlassen (bzw., soweit eine solche bereits erfolgt sein sollte, diese zurückzunehmen) und der Ausländerbehörde vielmehr mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorläufig nicht ergriffen werden dürfen (vgl. HessVGH, B.v. 13.9.2018 – 3 B 1712/18.A – juris Rn. 3 m.w.N.; VGH BW, B.v. 29.11.2018 – 12 S 2504/18 – juris Rn. 15 m.w.N.; VG München, B.v. 12.4.2022 – M 23 E 22.30178 – juris Rn.14; B.v. 6.7.2022 – M 1 E 22.31346 – juris Rn. 16).
35
(2) Sollte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (und damit die Zuerkennung von Internationalem Schutz bzw. die Anerkennung als Asylberechtigte) nicht durchsetzbar sein, begehren die Antragsteller ausweislich ihres Vorbringens in der Hauptsache zumindest Schutz vor einer zwangsweisen Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet (Abschiebungsschutz):
36
(a) Zum einen partiellen (!), zielstaatsbezogenen Schutz vor einer Abschiebung nach Nigeria – unter Verweis u.a. auf die geltend gemachten akteursbezogenen Bedrohungsszenarien (Boko Haram sowie Kriminalität allgemein) sowie die fehlende Möglichkeit, ihr Existenzminimum ohne familiäre Unterstützung vor Ort sicherstellen zu können – durch entsprechende Feststellung seitens des Bundesamtes unter Abänderung der im Erstbescheid getroffenen Feststellungen zu Art. 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
37
(b) Zugleich aber explizit auch generellen (!) Abschiebungsschutz – unter Verweis auf sich im Bundesgebiet aufhaltende Familienmitglieder und ein sich hieraus ergebendes (inlandsbezogenes) Abschiebungsverbot zum Schutze der Familieneinheit.
38
Zwar waren zum Zeitpunkt von Klageerhebung und Antragstellung (Ende Oktober 2021) die beiden 2022 sowie 2023 geborenen Töchter / Schwestern (welche, anders als der Lebensgefährte derzeit über eine Aufenthaltsgestattung infolge noch nicht unanfechtbar abgeschlossenen Asylverfahrens verfügen) noch nicht geboren, so dass sich die damaligen Ausführungen explizit nur auf den Lebensgefährten sowie auf das bereits gezeugte, aber noch ungeborene, erst knapp zwei Monate später Anfang Januar 2022 geborene Kind bezogen. Jedoch haben die Antragsteller damit ausreichend zum Ausdruck gebracht, eine Trennung von anderen, sich im Bundesgebiet bereits aufhaltenden, oder erst später in den Familienverbund hineingeborenen Familienmitgliedern verhindern zu wollen, so dass der Antrag dahingehend auszulegen ist, dass auch später in den Familienverbund hineingeborene Familienmitglieder ebenfalls zu berücksichtigen sind.
39
Auch hat – so die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115 (vgl. EuGH, B.v. 15.2.2023 – C 484/22 – juris) – das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsandrohung entgegen der bisherigen nationalen ständigen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung nicht nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zu prüfen, sondern auch ein etwaiges, auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gestütztes, einer Abschiebung generell (weil inlandsbezogen) entgegenstehendes Abschiebungsverbot zum Schutze der Familieneinheit.
40
Im Hinblick auf die prozessuale Einordnung des Begehrens der Antragsteller war zudem zu berücksichtigen, dass die seitens des Bundesamtes (vor der o.g. EuGH-Entscheidung) im Erstverfahren erlassene Abschiebungsandrohung bei Klageerhebung / Antragstellung bereits bestandskräftig war.
41
Das Begehren auf Abschiebungsschutz zum Schutze der Familieneinheit unter Verweis auf familiäre Beziehungen zu Familienangehörigen, die erst nach Eintritt der Bestandskraft geboren und/oder eine Aufenthaltsberechtigung für die Bundesrepublik erlangt haben, war daher dahingehend zu verstehen, dass im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens die im Erstverfahren erlassene Abschiebungsandrohung seitens des Bundesamtes aufgehoben bzw. dahingehend abgeändert werden soll, dass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung sowie der Lauf der Ausreisefrist bis zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung der 2022 bzw. 2023 geborenen Töchter ausgesetzt wird.
42
Zwar ermöglicht nicht schon allein die seitens des EuGH vorgenommene Klarstellung zu Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115 ein Wiederaufgreifen nach § 51 VwVfG. So stellt der EuGH – formaljuristisch gesehen – lediglich verbindlich den bereits seit Erlass der o.g. Norm geltenden Regelungsinhalt klar. Eine Änderung der Rechtslage liegt damit gerade nicht vor. Die Tatsache allein, dass die Norm vor dieser Klarstellung entsprechend der bis zur Entscheidung des EuGH herrschenden ständigen nationalen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung anders angewandt wurde, die Abschiebungsandrohung somit (das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes vorausgesetzt) rechtswidrig wäre, ermöglicht allein noch kein Durchbrechen der Bestandskraft.
43
Kommt es jedoch zusätzlich – wie vorliegend der Fall – zu einer Änderung der Sachlage (hier: Geburt Töchter sowie Erlangung Aufenthaltsgestattung durch Betreiben eines noch nicht / nicht unanfechtbar abgeschlossenen Asylverfahrens), welche nach der (nun im Lichte der erfolgten Klarstellung durch den EuGH auszulegenden) geltenden Rechtslage zu einer anderen (nun positiven) Entscheidung führt / führen kann, ermöglicht dies grundsätzlich (!) ein Durchbrechen der Bestandskraft im Wege des Wiederaufgreifens (zu den Erfolgsaussichten im konkreten (!) Fall, siehe sogleich unter Ziffer 4. der Entscheidungsgründe).
44
Soweit also seitens der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt (!) bzw. der Antragsgegnerin als dessen Rechtsträgerin unter Verweis auf ein sich aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK ergebendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot ein „Verhindern“ einer (durch die Ausländerbehörden veranlassten) Abschiebung durch entsprechende Mitteilung geltend gemacht wird, kann dieses Begehren prozessual nur dergestalt abgebildet werden, als dass in der Hauptsache im Wege einer Verpflichtungsklage beantragt wird, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die im Erstverfahren erlassene Abschiebungsandrohung des Bundesamtes im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung sowie der Lauf der Ausreisefrist bis zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung der 2022 bzw. 2023 geborenen Töchter ausgesetzt wird.
45
(c) Im Hinblick auf den begehrten zielstaatsbezogenen (partiellen) Abschiebungsschutz und die in diesem Zusammenhang in der Hauptsache ersuchte Verpflichtung der Antragsgegnerin, unter Abänderung der im Erstbescheid getroffenen Feststellung festzustellen, dass hinsichtlich Nigeria zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen, für die im Hauptsacheverfahren eine Verpflichtungsklage statthaft ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 20) war vorläufiger Rechtsschutz dementsprechend nach § 123 Abs. 1 VwGO zu ersuchen (VG München, B.v. 8.5.2017 – M 2 E 17.37375 – juris Rn. 18).
46
Im Hinblick auf den parallel dazu gegenüber dem Bundesamt (!) begehrten generellen (!) inlandsbezogenen Abschiebungsschutz, welcher, wie oben ausgeführt, im Weg der Verpflichtungsklage, gerichtet auf eine entsprechende Aufhebung bzw. Abänderung der im Erstverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung im Wege des Wiederaufgreifen des Verfahrens (s.o.) zu verfolgen ist, war ebenfalls vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft (siehe § 123 Abs. 5 VwGO), wobei sich anders als hinsichtlich der begehrten Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote die Mitteilung nicht nur aufenthaltsbeende Maßnahmen im Hinblick auf eine Abschiebung nach Nigeria, sondern generell auf jegliche aufenthaltsbeende Maßnahmen zu beziehen hat.
47
2. Der im Rahmen der Auslegung als Hauptantrag bezeichnete Antrag, darauf gerichtet, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde (unter Verweis auf voraussichtlich durchzuführendes weiteres Asylverfahren) mitzuteilen, dass aufenthaltsbeende Maßnahmen einstweilen nicht ergriffen werden dürfen, ist zwar zulässig, insbesondere statthaft (s.o.), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
48
(1) Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um etwa wesentliche Nachteile abzuwenden. Eine derartige Regelungsanordnung setzt das Glaubhaftmachen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds voraus.
49
Zudem ergibt sich aus § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG, dass einstweiliger Rechtsschutz hier nur gewährt werden kann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
50
Auch im Anwendungsbereich des § 71 Abs. 5 AsylG hat das Verwaltungsgericht (schon mangels Einschränkung der gerichtlichen Aufklärungspflicht) aufgrund einer eigenständigen Beurteilung wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren erschöpfend zu prüfen, ob nach Stellung eines Folgeantrags die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Dies geht über eine lediglich summarische Prüfung hinaus. Das dabei erforderliche Maß an Richtigkeitsgewissheit darf nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben, die von Verfassungs wegen an die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet zu stellen sind (vgl. BVerfG, E.v. 23.7.2020 – 2 BvR 939/20 – juris Rn. 18 f. m.w.N.).
51
(2) Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es vorliegend bereits an einem Anordnungsanspruch.
52
Nach Auffassung des Gerichts bestehen vorliegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Entscheidung, den Folgeantrag der Antragsteller als unzulässig abzulehnen und kein erneutes Asylverfahren durchzuführen (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 i.V.m. § 71 und § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
53
(a) Das Gericht verweist insoweit, insbesondere hinsichtlich der bereits gegenüber dem Bundesamt geltend gemachten Bedrohung (Volkszugehörigkeit Ibo; Boko Haram; Imo State, s.o.) zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids, denen das Gericht vollumfänglich folgt (§ 77 Abs. 3 AsylG). Eine nennenswerte Veränderung der allgemeinen Umstände im Bundesstaat Imo State hinsichtlich einer etwaigen Bedrohung durch Boko Haram seit Erlass des streitgegenständlichen Bescheids ist den ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.
54
(b) Im Hinblick auf die erstmals vor Gericht geltend gemachte Gefahr einer Beschneidung der Antragstellerin zu 2 (bzw. eine im Falle einer Verweigerung folgende gesellschaftliche Ächtung der Antragstellerin zu 2) wird ergänzend ausgeführt, dass dies bereits im Erstverfahren geltend gemacht hätte werden können (§ 51 Abs. 2 VwVfG) und keine Änderung der Sach- oder Beweislage geltend gemacht wurde, die nun zu einer anderen asylrechtlichen Bewertung führen könnte (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, Nr. 2 VwVfG).
55
(c) Im Hinblick auf die ebenfalls erstmals vor Gericht geltend gemachte Bedrohung durch sonstige militante Gruppen (Vergewaltigung, Versklavung, Entführung etc.) ist ebenfalls keine Änderung der Sach- oder Beweislage geltend gemacht worden (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, Nr. 2 VwVfG).
56
(d) Die im Übrigen geltend gemachten Bedrohungen (Existenzminimum nicht gesichert, insbesondere da kein familiäres Netzwerk vor Ort) sind als nicht-akteursbezogene Bedrohungen für sich allein genommen für die Zuerkennung Internationalen Schutzes (§§ 3 ff, 4 AsylG) oder die Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) nicht ausreichend (zum Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote infolge derartiger Bedrohungen siehe sogleich unter Ziffer 3.).
57
3. Auch der im Rahmen der Auslegung als erster Hilfsantrag bezeichnete Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der zuständigen Ausländerbehörde (unter Verweis darauf, dass voraussichtlich hinsichtlich Nigeria das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen ist) mitzuteilen, dass einstweilen aufenthaltsbeende Maßnahmen im Hinblick auf eine Abschiebung nach Nigeria (!) gegenüber den Antragstellern nicht ergriffen werden dürfen, über welchen infolge der Ablehnung des Hauptantrages zu entscheiden war, ist zwar zulässig, insbesondere statthaft (s.o.), bleibt jedoch ebenfalls in der Sache ohne Erfolg.
58
Die Antragstellerinnen haben zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) voraussichtlich keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und/oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
59
(1) Das Gericht verweist zunächst auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen des streitgegenständlichen Bescheids, denen das Gericht vollumfänglich folgt (§ 77 Abs. 3 AsylG). Eine nennenswerte Veränderung der allgemeinen Umstände im Bundesstaat Imo State seit Erlass des streitgegenständlichen Bescheids, etwa die wirtschaftliche Lage oder die Versorgung mit Lebensmitteln betreffend, ist den ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.
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(2) Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass das Gericht auch unter Berücksichtigung der seit Erlass des streitgegenständlichen Bescheids eingetreten Veränderungen der individuellen Umstände innerhalb des Familienverbunds der Antragsteller (Geburt von zwei weiteren, eineinhalb Jahre sowie zwei Monate alten versorgungsbedürftigen minderjährigen Kindern) davon ausgeht, dass es der Antragstellerin zu 1 mit Hilfe der Rückkehrhilfen sowie entweder mit Hilfe ihres Lebensgefährten, sofern dieser als malischer Staatsangehöriger mit nach Nigeria einreisen darf, andernfalls aber auch allein, jedoch mittels finanzieller Unterstützung durch den Lebensgefährten von Deutschland aus, auch mit vier betreuungspflichtigen Kindern gelingen wird, eine Lebensgrundlage am Rande des Existenzminimums aufzubauen, selbst wenn sie vor Ort kein familiäres Netzwerk vorfinden würde.
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(3) Hinsichtlich der geltend gemachten, bereits unter Ziffer 2. thematisierten akteursbezogenen Bedrohungen wird im Hinblick auf eine drohende Beschneidung der Antragstellerin zu 2 ergänzend ausgeführt, dass angesichts der Tatsache, dass laut Aussage der Antragstellerin keine Verwandtschaft mehr in der Heimatregion vorhanden ist und nicht vorgetragen wurde, dass die Antragstellerin zu 1 eine Beschneidung ihrer Tochter befürwortet, nach Auswertung der einschlägigen Erkenntnisquellen nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass die Antragstellerin zu 2 der Gefahr einer Beschneidung und damit einer unmenschlichen Behandlung i.S.v. Art. 3 Var. 2 EMRK ausgesetzt ist. Auch stellt die aus den Erkenntnismitteln hervorgehende mögliche Erschwerung des sozialen Standes bei Verweigerung einer Beschneidung innerhalb von Familie und Gesellschaft sowie eine mögliche Einschränkung bei der Partnerwahl wegen einzelner Ablehnungen einer Ehe stellt keine derart schwerwiegende, gravierende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte der Antragstellerin dar, dass sie sich deshalb – wegen der innerstaatlichen Unterscheide insbesondere nicht landesweit – in einer „ausweglosen Lage“ (vgl. Wittmann in BeckOK MigR, Stand 15.1.2022, § 3a Rn. 7 m.w.N.) im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG befände. Eine vollständige familiäre und soziale Isolation ist aufgrund der eine Beschneidung nicht befürwortenden Mutter sowie dem Vorhandensein von Geschwistern nicht zu erwarten.
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4. Und auch der im Rahmen der Auslegung als zweiter Hilfsantrag bezeichnete Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass einstweilen keine (!) aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber den Antragstellern ergriffen werden dürfen (unter Verweis auf eine voraussichtliche Aufhebung bzw. Abänderung der im Erstverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung wegen derzeit entgegenstehendem Abschiebungsverbot zum Schutze der Familieneinheit, siehe Ausführungen oben), über den infolge der Ablehnung des Hauptantrages ebenfalls zu entscheiden war, ist zwar statthaft (s.o.), bleibt jedoch, soweit er nicht schon mangels Rechtsschutzbedürfnis für unzulässig zu erachten ist, mangels Anordnungsanspruch jedenfalls in der Sache ohne Erfolg.
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(1) Hierbei konnte dahinstehen, ob vorliegend überhaupt ein aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK resultierendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot infolge der derzeitigen Aufenthaltsgestattung der 2022 bzw. 2023 geborenen Töchter / Schwestern besteht und damit insbesondere, ob eine Aufenthaltsgestattung als lediglich für die Zwecke des Asylverfahrens bestehendes, flüchtiges Aufenthaltsrecht überhaupt ausreicht, um den Schutzbereich der o.g. Normen zu eröffnen sowie (falls Ersteres bejaht werden sollte) ob im Rahmen der dann für den Einzelfall vorzunehmenden Interessensabwägung (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16) das Interesse am Erhalt dieser Beziehung und Fortbestand des Aufenthalts der Antragsteller in der Bundesrepublik gegenüber den hinter einer Beendigung des Aufenthalts stehenden Interessen überwiegt.
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Des Weiteren konnte dahinstehen, ob es für ein Wiederaufgreifen eines unmittelbar gegenüber dem Bundesamt (!) gestellten, formellen Antrags, gerichtet auf ein isoliertes (!) Wiederaufgreifen hinsichtlich der bestandskräftigen Abschiebungsandrohung, bedarf und – falls ja – ein solcher vorliegend (zumindest konkludent) vorgenommen wurde.
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(2) Denn jedenfalls fehlt es den Antragstellern im vorliegenden Fall an einem legitimen Bedürfnis für ein Wiederaufgreifen durch das Bundesamt.
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Zwar hat sich durch die Existenz der beiden 2022 bzw. 2023 geborenen Töchter / Schwestern der Antragsteller und deren derzeitige Aufenthaltsgestattung die Sachlage (ein sich hieraus ergebendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vorausgesetzt, s.o.) seit Eintritt der Bestandskraft der im Erstverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung – die Rechtslage im Lichte der oben genannten EuGH-Entscheidung betrachtet – entscheidungsrelevant verändert (siehe hierzu bereits die Ausführungen unter Ziffer 1. der Gründe II im Rahmen der Auslegung), so dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 VwVfG ein Wiederaufgreifensgrund vorliegt.
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Auch ist keinesfalls in Abrede zu stellen, dass – sofern die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach Art. 6 GG / Art. 8 EMRK zum Schutze der Familieneinheit nach Erlass und Bestandskräftigwerdung einer Abschiebungsandrohung vorliegen sollten (s.o.) – dies seitens der Antragsteller einer drohenden Abschiebung entgegengehalten werden darf.
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Auch hat das Bundesamt, sofern es anstelle der grundsätzlich hierfür zuständigen Ausländerbehörde die Abschiebungsandrohung bei negativem Abschluss des Asylverfahrens selbst vornimmt, wie oben dargestellt, bei korrekter Anwendung der unionsrechtlichen Vorgaben auch ein derartiges Abschiebungsverbot (obwohl inlandsbezogen) zu prüfen (s.o.).
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Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die vorliegend relevante Abschiebungsandrohung vor der Klarstellung des EuGH zu Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgte und in Bestandskraft erwuchs, in welchem nach ständiger Verwaltungspraxis und Rechtsprechung entsprechend der in der im nationalen Rechtssystem angelegten Zuständigkeitsverteilung das Bundesamt lediglich zielstaatsbezogene, nicht jedoch inlandsbezogene Abschiebungsverbote prüfte.
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Nach Auffassung des Gerichts ist Konsequenz der o.g. Klarstellung seitens des EuGH nicht, dass das Bundesamt gehalten ist, sämtliche vor dieser Klarstellung entsprechend der bis dato bestehenden ständigen Verwaltungspraxis / Rechtsprechung und damit unter Missachtung der nachträglich klargestellten Anforderungen von Art. 5 Buchst. a und b der RL 2008/115 ergangenen, bestandskräftigen Alt-Abschiebungsandrohungen im Wege des Wiederaufgreifens zu korrigieren.
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So kennt auch das Unionsrecht in Hinblick auf u.a. die Schaffung von Rechtsklarheit / -sicherheit den Gedanken des Bestandsschutzes (siehe z.B. EuGH, U.v. 21.2.1991 – C-143/88 und C-92/89 – InfoCuria Rn 49 m.w.N.), welcher funktional u.a. der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen, effizienten Verwaltungsapparats dient.
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Des Weiteren sind die Ausländerbehörden nach wie vor angehalten, bestehenden Abschiebungsverboten zum Schutze der Familieneinheit durch (vorübergehende) Aussetzung der Abschiebung und Erteilung einer Duldung Rechnung zu tragen (§ 60 Abs. 2 Hs. 1 Var. 2 AufenthG). Auch kann im Falle einer negativen Entscheidung oder einem unzulässigem Untätig-Bleiben der Ausländerbehörden entsprechender gerichtlicher Rechtsschutz, falls erforderlich auch im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO, eingeholten werden, gerichtet gegen den Rechtsträger der zuständigen Ausländerbehörde.
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Um Schutz vor einer Abschiebung zu Gunsten der Aufrechterhaltung schützenswerter familiärer Beziehungen zu aufenthaltsberechtigten Familienmitgliedern im Bundesgebiet zu erlangen, sind die Betroffenen damit gerade nicht exklusiv auf ein Tätigwerden des Bundesamtes angewiesen, so dass es im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unbedenklich, im Hinblick auf die Schaffung von Rechtssicherheit zugleich angezeigt ist, anders als in Verfahren, in denen die Abschiebungsandrohung noch nicht bestandskräftig geworden ist, in Fällen, in denen die Abschiebungsandrohung in bereits unanfechtbar abgeschlossenen Verfahren erlassen wurde, die Betroffenen darauf zu verweisen, nach Eintritt der Bestandskraft eingetretene etwaige Abschiebungsverbote zum Schutze der Familieneinheit gegenüber den Ausländerbehörden und deren Rechtsträger (behördlich sowie gegebenenfalls gerichtlich) geltend zu machen.
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Vor diesem Hintergrund fehlt es vorliegend an einem legitimen Bedürfnis der Antragsteller für ein Wiederaufgreifen, so dass selbst bei Annahme eines ordnungsgemäßen Antrags auf Wiederaufgreifen dieser unzulässig und auch ein Wiederaufgreifen von Amts wegen nicht angezeigt wäre.
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(3) Der im Rahmen der Auslegung als zweiter Hilfsantrag bezeichnete Antrag ist damit, soweit er nicht schon unter Verweis darauf, dass gerichtlicher Rechtsschutz nicht weiter reichen darf als auf Ebene des behördlichen Verfahrens erreicht werden könnte, mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig zu betrachten ist, jedenfalls in der Sache mangels Anordnungsanspruchs unbegründet.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).