Inhalt

VG München, Urteil v. 08.08.2023 – M 1 K 19.4125
Titel:

Beseitigungsanordnung für Carport

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1
BayBO Art. 76 S. 1
Leitsatz:
Eine Errichtung von Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist gegeben, wenn für das Vorhaben weder die erforderliche Baugenehmigung vorliegt (formelle Illegalität), noch das Vorhaben genehmigungsfähig ist (materielle Illegalität). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, keine landwirtschaftliche Privilegierung, formelle Illegalität, materielle Illegalität
Fundstelle:
BeckRS 2023, 23433

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Anordnung zur Beseitigung verschiedener Anlagen, die der Beklagte gegenüber dem Kläger erlassen hat.
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Der Kläger ist (u.a.) Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 2139, 2160, 2161 und 2198 Gem. … Die FlNr. 2139 ist mit einem ehemals landwirtschaftlich ge-nutzten Anwesen samt Wohnteil und Anbau bebaut.
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Anlässlich einer Ortsbesichtigung am 7. Februar 2019 wurde seitens des Beklagten folgendes festgestellt:
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- Auf FlNr. 2139 wurde nördlich des Anwesens ein Carport mit den Maßen ca. 10,50 m auf 5,5, m und einer Höhe von ca. 2,99 m errichtet.
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- Auf FlNr. 2198 befinden sich mehrere abgestellte Fahrzeuge, Gitterboxen mit Baumaterialien, einige Abstellflächen mit Baumaterialien.
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- Auf FlNr. 2160 und 2161 werden ebenfalls versch. Baumaterialien inkl. Kreissäge abgestellt.
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- Auf FlNr. 2198 befindet sich die Bodenplatte für ein vom Kläger beantragtes Austragshaus/ Hengststall.
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Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 29. April 2019 zur beabsichtigten Beseitigungsanordnung an. Es handle sich um genehmigungspflichtige Anlagen im Außenbereich, die als sonstiges Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans, der für den Bereich Flächen für die Landwirtschaft vorsehe, widersprechen. Darüber hinaus werde die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert beeinträchtigt, ein rechtserheblicher Bezugsfall entstehe.
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Bei einer Ortseinsicht am 2. Juli 2019 wurde festgestellt, dass die Gitterboxen mit Baumaterialien entfernt worden waren.
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Mit Schreiben vom ... Juli 2019 wies der Kläger darauf hin, dass der Carport im Hinblick auf seine Schwerbehinderung breiter sei und lediglich zwei Stellplätze biete.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. Juli 2019 verpflichtete der Beklagte den Kläger, einen Teil des Carports („Maße 4,5 m x 5,50 m“) binnen drei Monaten nach Bestandskraft des Bescheids zu beseitigen (Nr. 1). Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500,00 Euro angedroht (Nr. 4). Zudem verpflichtete der Beklagte den Kläger, die abgestellten Fahrzeuge inkl. Anhänger und Kompressor-Anhänger und die Abstellflächen mit Baumaterialien (u.a. Dachpfannen) auf FlNrn. 2160 und 2161 binnen drei Monaten nach Bestandskraft zu beseitigen (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro angedroht (Nr. 5). Auch wurde der Kläger verpflichtet, die bereits errichtete Bodenplatte mit Fundament auf FlNr. 2198 binnen drei Monaten nach Bestandskraft zu beseitigen (Nr. 3). Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro angedroht (Nr. 6). Nach Art. 76 Satz 1 BayBO könne die Bauaufsichtsbehörde die vollständige oder teilweise Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die baulichen Anlagen seien als nicht privilegierte Vorhaben im Außenbereich nicht genehmigungsfähig. Sie widersprechen der Darstellung des Flächennutzungsplans als landwirtschaftliche Fläche – das Vorhaben diene offenkundig nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb – der Eigenart der natürlichen Landschaft und stellen einen rechtserheblichen Bezugsfall dar. Insbesondere seien im Außenbereich nur Stellplätze mit einer Breite bis zu je 3 m zulässig, sodass der vorhandene Carport mit einer Länge von 10,50 m und einer Breite von 5,50 m entsprechend zurück zu bauen sei, dass er lediglich eine Länge von 6 m, entsprechend zwei Stellplätzen, aufweise. Die Beseitigung rechtswidrig errichteter baulicher Anlagen liege grundsätzlich im Interesse der Allgemeinheit an rechtmäßigen Bauzuständen und einer geordneten baulichen Entwicklung, ein Abweichungsgrund sei nicht erkennbar. Die Beseitigung sei verhältnismäßig. Die Höhe des Zwangsgeldes orientiere sich jeweils am wirtschaftlichen Interesse des Klägers.
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Der Kläger hat gegen den Bescheid am 14. August 2019 Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid aufzuheben.
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Der Bescheid sei schon deswegen rechtswidrig, weil er irrig davon ausgehe, dass der Carport nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb diene. Zudem sei der Kläger schwerbehindert. Die Überbreite sei notwendig, weil der Kläger ca. 2,10 m groß sei und etwa 200 kg wiege. Im Übrigen beziehe sich die Beseitigungsanordnung bezüglich des Carports auf die falsche Auffassung, dass der Kläger weitere Wohnungen eingebaut bzw. die Bestandswohnung aufgeteilt hätte, die Stellplätze also den vermeintlichen Wohnungen zugeordnet seien. Dabei verfüge der Kläger in seinem landwirtschaftlichen Anwesen derzeit über exakt eine Wohnung, weitere Wohnungen seien nicht geplant. Der Carport diene der Landwirtschaft des Klägers und stelle damit ein privilegiertes Vorhaben dar. Daher sei auch Nr. 2 des Bescheids rechtswidrig, denn die Fahrzeuge inkl. Anhänger und Kompressor-Anhänger sowie Baumaterialien dienten vollumfänglich und uneingeschränkt der Landwirtschaft des Klägers. Weshalb die Bodenplatte beseitigt werden müsse, entziehe sich der Auffassung des Klägers. Die vom Landratsamt aufgeführten Argumente griffen hier jedenfalls nicht. Sie sei ebenfalls privilegiert.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Beseitigungsanordnung sei rechtmäßig. Der Beklagtenvertreter nahm ergänzend Bezug auf die Stellungnahmen des Landratsamts vom 18. November 2019, welche im Wesentlichen den Gründen des angefochtenen Bescheids entspricht, sowie vom 24. Mai 2023: im Rahmen des klägerischen Bauantrags zum Neubau eines Hengststalls vom 17. Oktober 2019 habe das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine negative Stellungnahme (Bl. 29-31 des behördlichen Vorgangs …) abgegeben hinsichtlich der Privilegierung, da der Kläger den Hof nicht selbst bewirtschaften könne und der Betrieb nicht rentabel sei.
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Die Verpflichtungsklage zur Erteilung der Baugenehmigung für den Hengststall (M 1 K 21.3354), welcher sich nach den Eingabeplänen auf die in Nr. 5 des angefochtenen Bescheids zur Beseitigung angeordnete Bodenplatte gründen soll, hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 8. August 2023 abgewiesen.
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Hinsichtlich des Carports hat der Kläger einen Bauantrag „Neubau einer Fahrzeugunterstelle“ (…) gestellt, dessen Verbescheidung seitens des Beklagten im Hinblick auf die anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren zurückgestellt worden ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, sowie die beigezogenen Behördenakten, auch im Verfahren M 1 K 21.3354 und M 1 K 21.3352 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert, so kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können, Art. 76 Satz 1 BayBO. Eine Errichtung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist nach herrschender Meinung (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 146. EL 2022, Art. 76 Rn. 79 m.w.N.) gegeben, wenn für das Vorhaben weder die erforderliche Baugenehmigung vorliegt (formelle Illegalität), noch das Vorhaben genehmigungsfähig ist (materielle Illegalität).
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Dabei liegt für keine der streitgegenständlichen baulichen Anlagen im Außenbereich eine Baugenehmigung vor. Sie sind darüber hinaus materiell-rechtlich rechtswidrig, denn als sog. sonstige Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigen sie öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Weder der Carport, die Lagerflächen noch die Bodenplatte können sich auf eine Privilegierung (§ 35 Abs. 1 BauGB) berufen. Sie dienen insbesondere nicht einem landwirtschaftlichen Betrieb. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insofern Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO) auf die den Beteiligten bekannten Entscheidungsgründe der Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts München in den Verfahren M 1 K 21.3352 und M 1 K 21.3354, jeweils vom 8. August 2023, aus denen sich ergibt, dass weder für den vom Kläger beantragten Hengststall noch den Pferdestall mit Nebenanlagen eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gegeben ist. Die streitgegenständlichen baulichen Anlagen widersprechen als sonstige Vorhaben den Darstellungen des einschlägigen Flächennutzungsplans, welcher die Flächen als Flächen für die Landwirtschaft festgesetzt hat, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB, und sind daher bauplanungsrechtlich unzulässig.
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Die angefochtene Beseitigungsanordnung erweist sich darüber hinaus als verhältnismäßig. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass hinsichtlich des Carports trotz dessen materieller Baurechtswidrigkeit im Außenbereich lediglich eine Teilbeseitigung im Sinne einer Reduzierung auf die für zwei Stellplätze erforderliche Größe angeordnet worden ist. Im Übrigen sind – sofern überhaupt einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich, § 114 Satz 1 VwGO – Ermessensfehler weder vorgetragen noch erkennbar.
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2. Die Klage war deshalb mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. VwGO.