Titel:
Ermächtigung zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts
Normenkette:
BGB § 112 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Diese besondere Reife des Minderjährigen zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ergibt sich nicht allein aus technischen Fertigkeiten. Vielmehr muss er sich auch im Rechts- und Erwerbsleben schon im Wesentlichen wie ein Volljähriger benehmen können. (Rn. 6) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Erwerbsgeschäft, Minderjähriger, Genehmigung
Rechtsmittelinstanzen:
AG Schweinfurt, Berichtigungsbeschluss vom 11.07.2023 – 53 F 134/22
OLG Bamberg, Beschluss vom 04.08.2023 – 7 WF 153/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 23263
Tenor
1. Die Genehmigung gem. § 112 BGB zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts betreffend den Betrieb einer Photovoltaikanlage für wird familiengerichtlich versagt.
2. Dieser Beschluss wird erst mit Rechtskraft wirksam.
3. Der Verfahrenswert wird auf 4.600,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 15.12.2022, bei Gericht eingegangen am 20.12.2022, der Vater des Kindes, stellvertretend den Antrag auf Genehmigung gem. § 112 BGB zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts betreffend den Betrieb einer Photovoltaikanlage für sein Kind gestellt.
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Nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen mit Genehmigung des Familiengerichts zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ermächtigen, mit der Konsequenz, dass der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig ist, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt.
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Für die Erteilung der Genehmigung zum selbstständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts muss der Minderjährige die psychische und charakterliche Reife wie ein Volljähriger haben.
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Zudem muss er über die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, um sich im Geschäftsleben angemessen zu verhalten und die sich aus dem Erwerbsgeschäft ergebenden Verpflichtungen Dritten und der Allgemeinheit gegenüber erfüllen können.
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Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung ist, dass der Minderjährige über seine Jahre hinaus gereift ist und sich im Rechts- und Erwerbsleben schon im Wesentlichen wie ein Volljähriger benehmen kann und dies seiner Veranlagung nach auch tun wird. Auf dieser Grundlage ist dann zu erwägen, ob er die zum selbständigen Betrieb des beabsichtigten Erwerbsgeschäfts erforderlichen Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten hat und ob er gewillt und in der Lage ist, die mit dem Geschäft verbundene Verantwortung und Verpflichtung dritten Personen und der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllen, und ob ihn etwa sonstige tatsächliche Gründe daran hindern, sich in der gebotenen Weise um das Geschäft zu kümmern (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12. April 2021 – 7 WF 64/21 –, juris; Staudinger-Klumpp, BGB, 2017, § 112 Rn. 12).
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Als Indizien dafür, dass diese gebotene Reife vorliegt, werden z.B. die schulischen Leistungen, die Kenntnisse in unternehmensbezogenen Bereichen wie Finanzierung, Steuern oder die bisherige Mitarbeit in einem Erwerbsgeschäft herangezogen. Diese besondere Reife des Minderjährigen ergibt sich nicht allein aus technischen Fertigkeiten. (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. August 2022 – 5 WF 72/22 –, juris). Vielmehr muss er sich nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch im Rechts- und Erwerbsleben schon im Wesentlichen wie ein Volljähriger benehmen können (OLG Naumburg vom 22.08.2013 – 8 UF 144/13, juris Rn. 17).
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Das Kind besucht derzeit die Mittelschule . Seine Noten im Abschlusszeugnis des Schuljahres 2021/2022 betrugen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Informatik jeweils die Note befriedigend (3), Wirtschaft und Berug gut (2) und in Englisch ausreichend (4). Derzeit besucht das Kind, nach eigenen Angaben, den M-Zweig der Mittelschule.
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Mit Stellungnahme vom 27.02.2023 teilt der Rektor der Mittelschule mit, dass der Schüler weder die psychische und charakterliche Reife eines Volljährigen hat, noch in der Lage ist, die mit dem Gewerbe verbundenen Haftungsrisiken einzuschätzen und im Geschäftsleben wie ein Volljähriger aufzutreten und zu handeln.
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Der Klassenleiter des Schülers hat sich im Telefonat vom 23.03.2023 den Ausführungen des Rektors angeschlossen.
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Laut Mitteilung der Eltern und gemäß der Bescheinigung der IHK hat das Kind, zusammen mit seinem Vater an dem Seminar „Wie mache ich mich selbständig“ am 01.02.2023 teilgenommen.
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Am 15.05.2023 fand die Anhörung des Kindes statt. Um dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich dem Rechtspfleger gegenüber frei zu äußern, persönliche Mitteilungen zu machen und sich insbesondere kritisch zu seiner Interessenvertretung bzw. deren Stellungnahmen und Beweggründe zu äußern, erfolgte die Anhörung in Anwesenheit der Eltern als auch des bestellten Rechtsanwaltes. Der Erstellung eines förmlichen Protokolls und dessen Vorlage an die Beteiligten bedarf es nicht (OLG Celle, 28.02.2013 – 10 UF 12/13, FamRZ 2014, 413,414)
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Im Gespräch wurden thematisch die Schule, die Familie, Hobbys und Freizeit, Taschengeld und dessen Verwendung, Kaufvertrag, Steuern/Steuerpflicht, Haftung, Verträge, die Dokumentation von Ein- und Ausgaben sowie die gegenständliche Solaranlage behandelt.
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Nach der erfolgten Anhörung und unter Berücksichtigung der Umstände kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass das Kind zwar eine altersgerechte Auffassung über Solaranlagen hat, jedoch weder das, auch nur annähernd eines normalen volljährigen zugrunde zu legende allgemeine Wissen über das Wesen, den Betrieb und die unternehmerischen Risiken einer solchen Betriebsanlage.
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Nach Ansicht des Gerichts erfasst das Kind die rechtlichen, steuerrechtlichen und Buchführungs-Fragen jedenfalls bisher überhaupt nicht.
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Auf den Vortrag der Beteiligten, es bestehe lediglich ein geringes wirtschaftliches Risiko, kommt es danach nicht an. (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. August 2022 – 5 WF 72/22 –, juris).
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Es bestehen, nach eingehender Prüfung aller Umstände, keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Minderjährige ausnahmsweise die Reife und die erforderlichen Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten hat den selbständigen Betrieb des beabsichtigten Erwerbsgeschäfts zu führen und somit in der Lage ist, die mit dem Geschäft verbundene Verantwortung und Verpflichtung dritten Personen und der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllen.
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Dass das Kind derzeit gem. § 19 StGB noch nicht einmal strafmündig ist, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
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Es erscheint schwer verständlich, warum die Eltern im vorliegenden Fall versucht haben, eine familiengerichtliche Genehmigung auf der Basis von § 112 BGB zu erreichen. Steuerliche Gründe begründen jedenfalls nicht die Genehmigungsfähigkeit eines Erwerbsgeschäftes gem. § 112 BGB.
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Die Genehmigung gem. § 112 BGB zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts betreffend Betrieb einer, nicht unter die steuerliche Kleinanlagenregelung fallende Photovoltaikanlage für entspricht nicht dem Kindeswohl und war daher familiengerichtlich zu versagen.
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Der Eintritt der Wirksamkeit des Beschlusses beruht auf § 40 Abs. 2 FamFG.
21
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 36 FamGKG.