Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 04.08.2023 – 7 WF 153/23
Titel:

Zurückverweisung wegen unterlassener Bestellung eines Verfahrensbeistandes

Normenketten:
FamFG § 69 Abs. 1 S. 2, § 158 Abs. 3 Nr. 1
BGB § 112
Leitsätze:
1. Nach zutreffender Ansicht liegt ein Fall des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG stets dann vor, wenn in der ersten Instanz ein notwendig zu Beteiligender nicht beteiligt wurde. (Rn. 11)
2. Für das betroffene Kind ist gemäß § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG ein Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn das Interesse des Kindes in erheblichem Gegensatz zu dem Interesse seiner gesetzlichen Vertreter steht. (Rn. 13)
3. Steuerrechtliche Angelegenheiten der Eltern – wie hier die steuerrechtliche Anerkennung einer Photovoltaikanlage an den 12-jährigen Sohn – sind für das Kind regelmäßig nicht von Belang und damit auch nicht Maßstab für eigene Entscheidungen. (Rn. 14)
4. Dass sich für das Kind später ein Rechtsanwalt anzeigte, lässt die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht entfallen. Denn weil ein Rechtsanwalt Willensvertreter ist, besteht die Gefahr, dass er bei Beauftragung durch die Eltern nicht zuallererst das Kindeswohl im Blick hat, sondern als weisungsgebundener Interessensvertreter seiner Mandanten vorrangig deren Willen. (Rn. 16)
Schlagworte:
Voraussetzungen der Zurückverweisung gem. § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG und der Bestellung eines Verfahrensbeistandes in Fällen des § 112 BGB, Zurückverweisung, Verfahrensbeistand, Kind, Interessengegensatz, Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, Rechtsanwalt, Kindeswohl
Vorinstanzen:
AG Schweinfurt, Berichtigungsbeschluss vom 11.07.2023 – 53 F 134/22
AG Schweinfurt, Beschluss vom 26.05.2023 – 53 F 134/22
Fundstellen:
JurBüro 2023, 539
FamRZ 2024, 61
FGPrax 2023, 265
RPfleger 2024, 32
BeckRS 2023, 23262
LSK 2023, 23262
NJW 2023, 3732

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Schweinfurt vom 26.05.2023 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
3. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Schreiben vom 15.12.2022 beantragten die Eltern V. und M. beim Familiengericht die Genehmigung für den Betrieb einer Photovoltaik-Anlage durch ihren damals 12 Jahre alten Sohn K.
2
Die Eltern erklärten, sie hätten die Anlage, die auf ihrem Wohnhaus installiert und seit 2008 in Betrieb ist, auf ihren Sohn überschrieben, da er ihr einziger Sohn sei und auch das Wohnhaus bekommen werde. Der Strom aus der Anlage werde verkauft.
3
Das Familiengericht ließ sich vom Betroffenen einen Businessplan vorlegen sowie die beiden letzten Schulzeugnisse. Zudem wurde eine schriftliche Stellungnahme des Leiters der Schule … erholt. Am 15.05.2023 wurde schließlich das Kind angehört.
4
Mit Beschluss vom 26.05.2023 wurde die beantragte Genehmigung versagt und zur Begründung unter anderem ausgeführt:
5
Nach der erfolgten Anhörung und unter Berücksichtigung der Umstände kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass das Kind zwar eine altersgerechte Auffassung über Solaranlagen hat, jedoch nicht einmal annähernd das bei einem Volljährigen zu Grunde zu legende allgemeine Wissen über das Wesen, den Betrieb und die unternehmerischen Risiken einer solchen Anlage. Nach Ansicht des Gerichts erfasst das Kind die rechtlichen, steuerrechtlichen und Buchführungs-Fragen jedenfalls bisher überhaupt nicht. Es bestehen nach eingehender Prüfung aller Umstände keine Anhaltspunkte dafür, dass der Minderjährige die Reife und die erforderlichen Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten hat, den selbstständigen Betrieb des beabsichtigten Erwerbsgeschäftes zu führen und somit in der Lage ist, die mit dem Geschäft verbundene Verantwortung und Verpflichtung dritten Personen und der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllen.
6
Gegen diese ihm am 31.05.2023 zugestellte Entscheidung legte der Betroffene mit am 09.06.2023 beim Familiengericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein.
7
Das Familiengericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 21.07.2023 nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.
II.
8
Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Betroffenen ist (vorläufig) begründet und führt zur Aufhebung der am 26.05.2023 getroffenen Entscheidung.
9
Das Verfahren wird nach § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Bislang hat das Familiengericht in der Sache noch nicht entschieden.
10
Der Senat hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht abgesehen, weil dadurch für die im Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).
11
1) Nach zutreffender Ansicht liegt ein Fall des § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG stets dann vor, wenn in der ersten Instanz ein notwendig zu beteiligender Verfahrensbeteiligter nicht beteiligt wurde (Seiler in Thomas / Putzo, ZPO, 44. Auflage, 2023, FamFG § 69 Rn. 7; Sternal in Sternal, FamFG, 21. Auflage, 2023, § 69 Rn. 19).
12
Gegenstand des Verfahrens ist eine Kindschaftssache im Sinn des § 151 Nr. 1 FamFG, die die Person des Kindes betrifft (Schäder in Sternal, a.a.O., § 151 Rn. 6 und § 158 Rn. 5). Der Anwendungsbereich des § 158 FamFG ist damit eröffnet.
13
Im Hinblick auf das Vorbringen der Eltern hätte das Amtsgericht für das betroffene Kind gemäß § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG einen Verfahrensbeistand bestellen müssen. Denn nach ihrem eigenen Vortrag geht es den Eltern in erster Linie darum, dass die Übergabe der Anlage an ihren Sohn steuerlich anerkannt wird. Andernfalls müssten die Einnahmen bei ihnen angesetzt werden. Der Antrag auf Genehmigung (Eingang bei Gericht: 20.12.2022) wurde erkennbar nicht gestellt, weil der damals 12 Jahre alte Sohn aufgrund seiner besonderen Reife sowie seiner Fähigkeiten und Kenntnisse feststellte, dass er künftig einen selbständigen Betrieb leiten will, sondern deshalb, weil die Eltern die mit der Anlage erzielten Einkünfte für das Kalenderjahr 2021 steuerlich als Einkünfte ihres Sohnes behandelten und das zuständige Finanzamt … Anfang Dezember 2022 mitteilte, dass die Einkünfte im Steuerbescheid der Eltern angesetzt werden müssen, wenn nicht bis zum 30.12.2022 eine gerichtliche Genehmigung nach § 112 BGB vorgelegt wird.
14
Das Interesse des Kindes steht somit in erheblichem Gegensatz zu dem Interesse der gesetzlichen Vertreter. Denn die steuerlichen Angelegenheiten der Eltern sind für das Kind regelmäßig nicht von Belang und damit auch nicht Maßstab für eigene Entscheidungen.
15
Auch die Ausführungen der Beschwerde zeigen, dass das betroffene Kind seine eigenen Interessen nicht oder jedenfalls nicht in ausreichender Weise im Blick hat. Denn geplant ist danach, dass das Kind mit den Einnahmen später seine Weiterbildung (wie etwa ein Studium) finanziert. Offensichtlich ist dem Kind nicht bekannt, dass hierfür (im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit) nach §§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB grundsätzlich die Eltern verantwortlich sind.
16
Dass sich für das Kind später ein Rechtsanwalt anzeigte, lässt die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistandes nicht entfallen. Denn weil ein Rechtsanwalt Willensvertreter ist, besteht die Gefahr, dass er bei Beauftragung durch die Eltern nicht zuallererst das Kindeswohl im Blick hat, sondern als weisungsgebundener Interessensvertreter seiner Mandanten vorrangig deren Willen (Schäder in Sternal, a.a.O., § 158 Rn. 10).
17
Weil das Unterlassen der Bestellung eines Verfahrensbeistandes in den Akten und der getroffenen Entscheidung weder erwähnt noch begründet worden ist, bedeutet dies, dass das Amtsgericht ohne einen hinzuzuziehenden Beteiligten im Sinn von § 7 FamFG entschieden und damit insoweit keine Sachentscheidung getroffen hat (OLG Frankfurt FamRZ 2021, 1817; OLG Hamm FamRZ 2018, 456; OLG Rostock FamRZ 2014, 2020).
18
2) Für das weitere Verfahren wird das Familiengericht nach § 69 Abs. 1 Satz 4 FamFG zudem zu beachten haben:
19
a) Nach § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG müssen auch die Eltern persönlich angehört werden. Schwerwiegende Gründe i.S.v. § 160 Abs. 3 FamFG, bei deren Vorliegen von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden kann, wurden vom Familiengericht nicht festgestellt und sind im vorliegenden Fall auch nicht ersichtlich.
20
b) Darüber hinaus ist nach § 162 FamFG zwingend die Mitwirkung des zuständigen Jugendamtes notwendig. Das Familiengericht muss deswegen nach § 162 Abs. 1 FamFG auch das Jugendamt anhören. Zudem ist das Amt auf entsprechenden Antrag hin am Verfahren zu beteiligen (§ 162 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Unabhängig von einer Beteiligung sind dem Jugendamt alle Entscheidungen des Gerichts bekannt zu geben.
21
c) Dass eine Kindesanhörung nicht förmlich protokolliert werden muss, folgt nicht aus der in FamRZ 2014, 413 veröffentlichen Rechtsprechung des OLG Celle, sondern aus § 28 Abs. 4 FamFG. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht über persönliche Anhörungen einen Vermerk zu fertigen, in dem die wesentlichen Vorgänge der Anhörung aufzunehmen sind.
22
Diesen gesetzlichen Anforderungen genügt der am 15.05.2023 angefertigte Vermerk erkennbar nicht, weil diesem zwar zu entnehmen ist, welche Dinge im Rahmen der Anhörung „thematisch behandelt“ wurden, allerdings aber nicht, in welcher Art und Weise sich das Kind hierzu tatsächlich äußerte.
23
Gerade bei der Anhörung eines Kindes, die in Abwesenheit der übrigen Beteiligten stattfindet, dient der Vermerk dazu, die übrigen Beteiligten über das Ergebnis der Anhörung zu informieren, damit diese ihr weiteres Verhalten darauf einstellen können. Zudem soll der Vermerk dem Beschwerdegericht die Entscheidung, ob eine Wiederholung eines einzelnen Verfahrensabschnitts angezeigt ist (§ 68 Abs. 3 FamFG), erleichtern bzw. ermöglichen (Sternal in Sternal, a.a.O., § 28 Rn. 31).
24
d) Falsch ist schließlich die Einschätzung, dass der Vermerk den Beteiligten nicht bekannt zu geben ist. Vom OLG Celle wurde dies so auch nicht behauptet. Vielmehr wurde im Leitsatz (vgl. FamRZ 2014, 413) ausgeführt, dass das wesentliche Ergebnis den übrigen Beteiligten in geeigneter Weise bekannt zu geben ist.
25
Zumindest „unglücklich“ ist die Formulierung in den Gründen der veröffentlichten Entscheidung, soweit dort hinsichtlich der Art der Bekanntgabe ausgeführt wurde:
26
Dies kann in Gestalt eines Vermerks oder eines Protokolls oder auch lediglich dadurch geschehen, dass der wesentliche Inhalt der Anhörung in den Gründen der abschließenden Entscheidung wiedergegeben wird, wie es hier der Fall ist.
27
Damit wird verkannt, dass das Gericht nach § 37 Abs. 2 FamFG eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf die Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen dieser Beteiligte sich (vorher) äußern konnte.
28
e) Nach Erlass einer Endentscheidung – eine solche liegt hier zweifelsfrei vor – ist das Amtsgericht zur Abhilfe nicht befugt (§ 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG).
III.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 20 Abs. 1 FamGKG, 81 Abs. 1 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 2 und 3 FamGKG.
30
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 70 Abs. 2 FamFG).