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OLG München, Beschluss v. 22.08.2023 – 23 U 6799/20
Titel:

VW-Dieselskandal: Keine Ansprüche gegen Motorherstellerin bei Motortyp EA 288 (hier: Audi A 3 2.0 TDI Sportback)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Abs. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; BeckRS 2023, 22177; OLG München BeckRS 2023, 22881; OLG Schleswig BeckRS 2022, 10559 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Falle eines Abgasrückführungssystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Herstellerin nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Fahrkurvenerkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Schutzgesetzverletzung ist nicht als schuldhaft begangen anzusehen, wenn sie auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung der Herstellerin beruht, die vom KBA bestätigt wurde bzw. bei Einholung einer entsprechenden Erkundigung bestätigt worden wäre (Ausschluss eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums). (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, OBD, NSK-Katalysator, (kein) Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 26.10.2020 – 43 O 805/19
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22928

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.10.2020, Az. 43 O 805/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sechs Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

1
Die zulässige Berufung besitzt keine Aussicht auf Erfolg.
2
1. Streitgegenständlich ist vorliegend ein Pkw Audi A 3 2.0 TDI Sportback, in dem ein Motor des Typs EA288 (Euro 6) mit NSK-Katalysator verbaut ist.
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Die Klagepartei stützt in der Berufung den Klageanspruch darauf, dass das Fahrzeug mit einem Thermofenster und einer Fahrkurvenerkennung ausgestattet sei. Darüber hinaus sei das OBD-System manipuliert.
4
Für das Fahrzeug liegt kein Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
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2. Soweit die Klagepartei weiterhin (nunmehr mit dem Hauptantrag) die Erstattung des Kaufpreises im Wege des „großen“ Schadensersatzes Zug-um-Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verfolgt, ist die Berufung unbegründet.
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Die Beklagte war nicht Verkäuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so dass keine vertraglichen, sondern nur deliktische Ansprüche in Betracht kommen.
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Die Klagepartei besitzt jedoch auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB, da es bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten fehlt.
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2.1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 15 m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH a.a.O.).
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Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeugherstellers vor, wenn dieser sich im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung die Typengenehmigungen durch arglistige Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) erschleicht und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr bringt und sich die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze macht (BGH a.a.O., Rz.25). Dies ist der Fall, wenn der Automobilhersteller zwecks Erlangung der Typengenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), dem KBA wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten – so im Fall des VW-Motors EA189 (BGH, a.a.O.; Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, Rz. 17).
10
Im Falle eines Abgasrückführungssystems, das – anders als die Umschaltlogik – nicht danach differenziert, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (zum Thermofenster: BGH, Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, Rz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, a.a.O; Beschluss vom 9.3.2021, VI ZR 889/20, Rz. 28).
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2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es an einer Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB.
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2.2.1.Soweit die Klagepartei behauptet, aufgrund einer Fahrkurvenerkennung schalte das Fahrzeug bei Erkennen der Prüfstandsituation, und nur dann, in einen schadstoffoptimierten Modus, bei dem allein die Grenzwerte eingehalten werden würden, liegt ein schlüssiger und substantiierter Sachvortrag im Hinblick auf ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht vor.
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Das Landgericht hat deshalb zu Recht von der Einholung der angebotenen Beweise abgesehen.
2.2.1.1.
14
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung i.S. der Art. 3 Nr.10, 5 Abs. 2 S.1 der VO (EG) Nr. 715/2007 trifft den Kläger als Anspruchsteller (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21). Demgegenüber obliegt der Beklagten als Anspruchsgegnerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine festgestellte Abschalteinrichtung zulässig ist gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 (BGH a.a.O.).
15
2.2.1.2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, Rn. 20). Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (BGH a.a.O., Rn. 21 m.w.N.). Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH a.a.O., Rn. 22 m.w.N.; BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21).
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2.2.1.3. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe können entsprechende greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht ihrem Vorbringen zu angeblichen Manipulationen im Zusammenhang mit der Fahrkurvenerkennung entnommen werden, denn es fehlt insoweit schon an greifbaren Anhaltspunkten für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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Die Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung setzt zwar keinen Rückruf des KBA voraus. Ein solcher Rückruf stellt aber grundsätzlich einen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung dar, wie er von der Rechtsprechung im Rahmen des Substantiierungserfordernisses verlangt wird. Auf einen solchen Rückruf für den streitgegenständlichen EA288-Motor kann sich die Klagepartei aber vorliegend nicht stützen.
18
Das bloße Vorhandensein einer Prüfstand- bzw. Fahrkurvenerkennung, die hier unstreitig ist, kann nicht als unzulässig beurteilt werde, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 VO (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen des KBA haben gezeigt, dass auch bei Deaktivierung entsprechender Funktionen die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht unbedingt überschritten werden. Eine Fahrkurvenerkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB vielmehr nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, Rz.48).
19
Die EA288-Motoren wurden vom KBA insgesamt dreimal überprüft: zunächst im Rahmen der Untersuchungskommission „Volkswagen“ von Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 vor Freigabe des freiwilligen Software-Updates im Hinblick auf das Nationale Forum Diesel und nochmals in den Jahren 2019 und 2020, wobei das KBA als Marktüberwachungsbehörde dabei spezifische Feldüberwachungen an verschiedenen aus dem Feld gezogenen EA288-Fahrzeugen durchgeführt hat. Bei den Untersuchungen war das KBA durch die vorher bekannt gewordene, auch nach Ansicht des KBA unzulässige Umschaltlogik im Rahmen des EA189-Motors sensibilisiert. Das KBA kam bei jeder der Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht vorliege und die Grenzwerte im NEFZ auch ohne die Fahrkurvenerkennung eingehalten würden. Die Fahrkurvenerkennung wurde daher im Ergebnis vom KBA als zulässig erachtet. Die Implementierung einer Funktion, die vom KBA nach mehrfachen ausführlichen Untersuchungen als zulässig angesehen wurde, vermag den Vorwurf einer arglistigen Erschleichung der Typengenehmigung nicht zu tragen.
20
2.2.2. Die Beklagte hat eingeräumt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Thermofenster verbaut sei.
21
Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation jedoch nicht (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, Rz. 26 f.; BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, Rz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit, wie oben bereits ausgeführt (Ziff. 2.1), gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließe (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, Rz. 18, 19). Solche konkreten Umstände sind hier nicht vorgetragen und erscheinen angesichts der intensiven Überprüfung des EA288-Motors durch das KBA und den daraus gewonnenen Ergebnissen auch fernliegend.
22
Überdies war die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht, bei Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Jahr 2014 noch nicht in der Diskussion und später hoch umstritten. Das KBA hat nach den durchgeführten Felduntersuchungen für den VW-Motor EA288 das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen im verneint. Auch der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 ging von der Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte, mithin sittenwidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, Rz. 30).
23
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters würde kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer folgen; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, AZ. VII ZR 190/20, Rz. 32; Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 2/21, Rz. 23).
24
2.2.3. Ein unzulässiger Eingriff in das On-Board-Diagnosesystem (OBDS) ergibt sich entgegen der Ansicht der Klagepartei nicht daraus, dass dieses keine Fehlermeldung bei einer (behaupteten) unzureichenden Abgasreinigung anzeigt. Vielmehr ist es selbstverständlich, dass die Systeme in einem Pkw aufeinander abgestimmt sind und bei programmierungsgemäß arbeitenden Komponenten Fehlermeldungen nicht erscheinen. Soweit die Klagepartei darüber hinaus ihren Anspruch darauf stützen will, dass das OBD-System fehlerhaft die Überschreitung der Grenzwerte nicht melde, überwacht das OBD-System nur die abgasbeeinflussenden Systeme, wirkt aber auf diese nicht ein und kann schon deshalb als solches keine unzulässige Abschalteinrichtung sein. Es ist auch nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen und zu speichern. Unterbliebene Fehlermeldungen durch das OBD-System besitzen solange keinen Indizcharakter für eine sittenwidrige Täuschung, als keine greifbaren Anhaltspunkte für eine damit verschleierte unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen.
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2.3. Weiterhin ergibt sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV kein Anspruch des Klägers auf Gewährung des „großen“ Schadensersatzes, da die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i.V.m. Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 zwar das Vertrauen des einzelnen Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf schützen, sich der Schutz aber nicht auf das Interesse des Käufers erstreckt, nicht am Vertrag festgehalten zu werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, Rz. 19). Das Unionsrecht verlangt daher nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen.
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Ein deliktischer Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags ergibt sich nicht (Rz.22 ff).
27
2.4. Ein Anspruch auf Leistung des „großen“ Schadensersatzes ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, 31 BGB. Es fehlt jedenfalls an der Absicht der Beklagten, an einer stoffgleichen Bereicherung. Eine Absicht der für die Beklagte handelnden Personen zur Eigenbereicherung ist nicht ersichtlich, da die Beklagte selbst gar nicht Partei des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrags mit der Klagepartei geworden ist. Auch eine Drittbereicherungsabsicht zugunsten des Verkäufers kann nicht unterstellt werden. Namentlich ist dessen Bereicherung kein notwendiges Zwischenziel zur Erreichung der eigenen Ziele der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20).
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3. Im vorliegenden Fall kommt auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs1 EG-FVG auf Ersatz des Differenzschadens (“kleiner“ Schadensersatz), den der Kläger nunmehr mit Hilfsantrag gemäß Schriftsatz vom 09.08.2023 geltend macht, nicht in Betracht.
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3.1. Zwar hat der BGH mit Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21 entschieden, dass dem Käufer, dessen Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, ein Anspruch auf den Differenzschaden nach den genannten Vorschriften zustehen kann. Bei dem unstreitig verbaute Thermofenster dürfte es sich entsprechend der Rechtsprechung des EuGH um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln. Dies kann jedoch letztlich offen bleiben.
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Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist ein schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners, wobei ein fahrlässiger Verstoß genügt (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, Rz. 36, 38). Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (BGH, a.a.O., Rz.59ff). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für den Verbotsirrtum als solchen als auch für dessen Unvermeidbarkeit.
31
Eine Schutzgesetzverletzung ist jedoch nicht als schuldhaft begangen anzusehen, wenn sie auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung des Schädigers beruht, die von der für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständigen Behörde bestätigt wurde bzw. bei Einholung einer entsprechenden Erkundigung bestätigt worden wäre (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27.06.2017, Az. VI ZR 424/16, Rz. 15 ff.).
32
Der BGH hat in seinem Urteil vom 26.06.2023 im Verfahren VIa ZR 335/21 ausdrücklich bestätigt, dass die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätze zum Ausschluss eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch auf die Implementierung unzulässiger Abschalteinrichtungen durch Fahrzeughersteller anzuwenden sind.
33
3.2. Auf dieser Grundlage ist aufgrund der vorliegenden KBA-Auskünften zum Motor EA288, insbesondere den zuletzt von der Beklagten vorgelegten KBA-Auskünften Anl. BE72, BE90 und BE99, sowie den gerichtsbekannten Untersuchungen des KBA zum Motor EA288 und deren Ergebnissen ein fahrlässiges Handeln der Beklagten im vorliegenden, den EA288-Motor betreffenden, Verfahren zu verneinen, weil sich die Beklagte jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand.
34
Der EA288-Motor wurde, wie ausgeführt, von der in Deutschland für den Vollzug der VO (EG) 715/2007 zuständige Behörde, dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), bereits dreimal untersucht, von Oktober 2015 bis April 2016, sodann in den Jahren 2017 bis 2019 und nochmals in den Jahren 2019 und 2020 (vgl. oben Ziff. 2.2.1.3.). Sowohl die von der Klagepartie monierte Fahrkurvenerkennung als auch das Thermofenster wurden vom KBA ausdrücklich als zulässig erachtet, was sich u.a. aus den o.g. exemplarisch vorgelegten Auskünften des KBA ergibt und mittlerweile auch gerichtsbekannt ist.
35
Aus dem Umstand, dass das KBA, wie von der Beklagten vorgetragen und gerichtsbekannt, ausweislich etlicher in Parallelverfahren erteilter amtlicher Auskünfte die Auffassung vertrat, dass sowohl die Zykluserkennung bzw. Fahrkurvenerkennung als auch das Thermofenster in der in Motoren der Baureihe EA288 implementierten Form mit Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 vereinbar seien, ist zu schließen, dass die Behörde der Beklagten eine entsprechende Auskunft auch bereits vor Erteilung der Typgenehmigung erteilt hätte, wenn eine solche von der Beklagten seinerzeit eingeholt worden wäre. Das KBA hätte bei der gegebenen Sachlage die EG-Typengenehmigung auch dann erteilt, wenn ihr alle Einzelheiten in der konkreten Ausführung und unter Berücksichtigung etwaiger Kombinationen des – unterstellt – unzulässigen Thermofensters vorher bekannt gegeben worden wären (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, Rz. 64). Die Beklagte befand sich daher bei Ausstellung der (unrichtigen) Übereinstimmungsbescheinigung für das streitgegenständliche Fahrzeug in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum.
36
Der Senat regt aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung an.