Titel:
Kein Schadensersatz im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A6)
Normenketten:
BGB § 276, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; BeckRS 2023, 23033; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; BeckRS 2023, 11790; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Koblenz BeckRS 2023, 22919; OLG Köln BeckRS 2021, 61549; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; BeckRS 2022, 34107; BeckRS 2022, 36850; BeckRS 2022, 41600; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2023, 12847; BeckRS 2023, 13677; BeckRS 2023, 12797; BeckRS 2023, 13675; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die besondere Verwerflichkeit besteht (nur), wenn dem KBA vorgespiegelt wird, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, oder im Typengenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht werden oder bei einem implantierten Thermofenster weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Herstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist; dies gilt sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch hinsichtlich der Grenzwerte für Emissionen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hätte die Herstellerin das KBA um entsprechende Auskunft gebeten oder gegenüber dem KBA schon vor Erteilung der Typgenehmigung alle Funktionen der Motorsteuerung offengelegt und hätte das KBA dabei diese verwendeten Funktionen nicht als unzulässig beurteilt, liegt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Herstellerin vor, auch wenn sich später die Unzulässigkeit einzelner Funktionen herausstellen sollte. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA 896 Gen 2, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Fahrzykluserkennung, OBD, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 22.09.2022 – 11 O 333/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22909
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 22.09.2022, Az. 11 O 333/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 10.125,00 Euro festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis einschließlich 21.08.2023.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger verlangt Schadensersatz von der Beklagten als Fahrzeug- und Motorenherstellerin nach dem Kauf eines Pkw.
2
Der Kläger erwarb am 24.10.2013 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Händler einen gebrauchten Pkw Audi A6 zu einem Kaufpreis von 40.500,00 Euro mit einer Fahrleistung von 24.468 km (Anlage K1). Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 896 Gen 2 (Euro 5) ausgestattet, den die Beklagte hergestellt hat. Die Erstzulassung des Fahrzeugs erfolgte am 08.11.2011. Der Kläger nutzte das Fahrzeug in der Folgezeit. Ein Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes (nachfolgend: KBA) aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung existiert in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeugmodell bzw. den in diesem Fahrzeug verbauten Motor nicht.
3
Der Kläger hat in der ersten Instanz vorgetragen, der in dem Fahrzeug verbaute Dieselmotor sei mit einer Software ausgestattet, die bei der Messung der Abgaswerte, insbesondere der Stickstoffdioxidwerte, auf dem Prüfstand den Motor in einen Modus schalte, der nicht dem Modus entspreche, der im Normalbetrieb verwendet werde. Hierdurch würden die gesetzlichen Emissionswerte auf dem Prüfstand eingehalten, im Realbetrieb dagegen überschritten (sog. Akustikfunktion). Es lägen weiterhin zureichende Anhaltspunkte dafür vor, dass über eine Lenkwinkelerkennung ein besonderer Rollenprüfstandsmodus aktiviert werde, bei dem ein deutlich verminderter NOx-Ausstoß angesteuert werde. Dieses sei kombiniert mit einer Manipulation des OBD, so dass Fehlermeldungen umgangen würden. Auch ein Rückruf des Fahrzeugs durch die Beklagte sei ein Hinweis auf die von ihr nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals als erforderlich angesehene Entfernung der illegalen Abschalteinrichtungen.
4
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von mindesten 25 % des Kaufpreises nebst Prozesszinsen sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu verurteilen.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, des Verfahrenshergangs und der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe die Voraussetzungen für eine deliktische Haftung der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Urteil Bezug genommen.
7
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Er ist der Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch verneint. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts komme der Kraftfahrzeug-Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2007/46/EG) in Verbindung mit Art. 5 der Typgenehmigungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 715/2007) drittschützende Wirkung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu, sodass damit die Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB gegeben und keine Sittenwidrigkeit sowie kein Vorsatz mehr erforderlich seien. Außerdem sei die bisherige Vorteilsausgleichung mit Europarecht nicht vereinbar. Der Vortrag des Klägers zu eingebauten Abschalteinrichtungen in der Software des Motors sei ausreichend substantiiert, das Landgericht habe die Anforderungen an die Substantiierung überspannt und durch die Nichterhebung der angebotenen Beweise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Die Verwendung der illegalen Abschalteinrichtungen unter Täuschung des KBA stelle sich zudem als sittenwidrig dar. Die für das Fahrzeug erteilte EG-Typengenehmigung entfalte entgegen der Auffassung des Landgerichts keine anspruchsausschließende Tatbestandswirkung.
Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 22.09.2022 wie folgt abgeändert:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25 % des Kaufpreises des Fahrzeugs (40.500,00 €), mindestens somit nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.214,99 € freizustellen.
- 3.
-
Hilfsweise: Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
9
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
10
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung und die Berufungserwiderung, jeweils mit Anlagen.
11
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung des Klägers die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers erweist sich als unbegründet, weil ihm keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen.
12
1. Einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB steht entgegen, dass es an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
13
a) Eine bewusst sittenwidrig-schädigende Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargestellt.
14
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Die unstreitige Verwendung eines „Thermofensters“ durch die Beklagte in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist nicht per se, sondern nur unter – hier nicht dargelegten – weiteren Voraussetzungen sittenwidrig (BGH, Beschluss v. 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20). Überdies ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile des BGH vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf die – jedenfalls damals und auch nachfolgend für jeden Einzelfall bis heute bestehende! – unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt:
15
Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig in den Fahrzeugen der Kläger verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen – ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung des Klägers hätte aufdrängen müssen. Von der Klagepartei wird nichts vorgetragen, was auf eine besondere Verwerflichkeit im Handeln der Beklagten schließen lässt. Die besondere Verwerflichkeit besteht, wenn dem Kraftfahrtbundesamt vorgespiegelt wird, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, oder im Typengenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht werden (BGH, Beschluss v. 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19) oder bei einem implantierten Thermofenster weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss v. 09.03.2021, Az. VI ZR 889/20).
16
b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers sowie den getroffenen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten der Beklagten in diesem Sinne als sittenwidrig zu qualifizieren ist.
17
aa) Es fehlt bereits an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass der streitgegenständliche Motor mit einer Prüfstandserkennung ausgestattet ist.
18
(1) Der Senat verkennt hierbei nicht, dass eine unter Beweis gestellte Behauptung erst dann unbeachtlich ist, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können. Es ist einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH, Beschluss v. 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19 m.w.N. – verfahrensgegenständlich Motor Daimler OM 651).
19
(2) Unstreitig hat das Kraftfahrtbundesamt für den im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Motor keinen Rückruf angeordnet. Vielmehr hat die Beklagte unbestritten dargelegt, dass nach Auskunft des KBA vom 11.09.2020 (Anlage B1) in Motoren des Typs EA896Gen2 (EU5) 3.0-Liter-Monoturbo keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist, was nach Auskunft des KBA vom 15.12.2020 (Anlage B2) auch für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp gilt.
20
Der Senat geht nicht davon aus, dass ein Rückruf des KBA zwingend erforderlich wäre, um entsprechende Anhaltspunkte zu begründen. Ein Rückruf des KBA hinsichtlich eines bestimmten Motortyps wegen einer nach dessen Ansicht unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware würde allerdings regelmäßig einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür darstellen, dass eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung auch in anderen Fahrzeugen mit demselben Motortyp vorhanden ist. Fehlt es aber an einem solchen Rückruf für den konkreten Motortyp, müssen die erforderlichen hinreichenden Anhaltspunkte in anderer Weise dargelegt werden (OLG München, Beschluss v. 01. März 2021, Az. 8 U 4122/20 –, Rn. 39). Das ist indes dem Kläger nicht gelungen.
21
Dem hat der Vortrag der Klagepartei nichts Substantielles entgegenzusetzen. Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Prüfstandserkennung trägt der Kläger auch im Hinblick auf die gerügte „Zykluserkennung“ nicht ansatzweise vor. Der klägerische Vortrag zu den von ihm in den Raum gestellten Abschalteinrichtungen „Fahrzykluserkennung“ lässt keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Prüfstandserkennung im streitgegenständlichen Fahrzeug erkennen. Unterstellt, eine solche Funktion wäre im Fahrzeug verbaut, würde diese beim realen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie in der Prüfstandsituation. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Außentemperatur, Fahrzeuggeschwindigkeit, Umdrehungsgeschwindigkeit des Motors) entspräche die Rate der Abgasrückführung danach im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (OLG München, Beschluss v. 08.04.2021, Az. 8 U 4122/20).
22
(3) Auch der Hinweis auf Messungen der DUH und des KBA, die ergeben hätten, dass die NOx-Emissionen im realen Fahrbetrieb deutlich höher seien als die im sog. Prüfstandsbetrieb gemessenen Werte, ist nicht geeignet, hinreichende Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu geben. Die Tatsache, dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb höhere Emissionen aufweist als im Prüfstandsbetrieb, begründet ebenfalls keinen Anhaltspunkt (so auch OLG München, Urteil v. 05.09.2019, Az. 14 U 416/19). Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist. Dies gilt sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch hinsichtlich der Grenzwerte für Emissionen. Auf dem Prüfstand wird eine bestimmte „ideale“, nicht der Praxis entsprechende Situation vorgegeben, etwa hinsichtlich der Umgebungstemperatur, der Kraftentfaltung (Beschleunigung und Geschwindigkeit) oder der Abschaltung der Klimaanlage, sodass der erzielte Wert zwar zu einer relativen Vergleichbarkeit unter den verschiedenen Fahrzeugfabrikaten und -modellen führen mag, absolut genommen aber jeweils nicht mit dem Straßenbetrieb übereinstimmt (OLG Stuttgart, Beschluss v. 14.12.2020, Az. 16a U 155/19).
23
bb) Der seitens der Beklagten bestrittene weitere Vortrag des Klägers, die Beklagte habe nach Installation des Software-Updates in Bezug auf das On-Board-Diagnosesystem (OBD) erneut getäuscht, zeitigt ebenfalls nicht die geltend gemachten Ansprüche. Unabhängig davon, ob – wie der Kläger offenbar meint – das OBD-System selbst überhaupt eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 darstellen kann, obwohl es unstreitig die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems selbst weder aktiviert, verändert, verzögert noch deaktiviert (vgl. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007), ist ein auf die Programmierung des OBD gestützter Anspruch ausgeschlossen, soweit dieses im normalen Straßenverkehr sowie im Rahmen der Abgasuntersuchung und der Inspektion keine Fehlfunktion des Abgassystemes anzeigt. Denn wenn – wie hier – die für die Typengenehmigung zuständige Behörde die vorgelegte Software in Kenntnis der darin enthaltenen Abschalteinrichtungen (insbesondere des Thermofensters) auch und gerade im Hinblick auf das dadurch beeinflusste weitere Emissionsverhalten absegnet, muss das OBD dies dergestalt nachvollziehen können, dass die Warnlampe im Realbetrieb gerade nicht schon dann anspringt, wenn die angebliche Grenzwertüberschreitung allein auf nach Ansicht des KBA zulässiges Verhalten zurückzuführen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil v. 30.10.2020, Az. 17 U 296/19).
24
Hinsichtlich der behaupteten Abschalteinrichtung mittels der sog. „Akustikfunktion“ war der Vortrag bereits erstinstanzlich substanzarm. Der Schluss von der Verwendung in einem anderen Motortyp (mit der Abgasnorm EU4) auf eine illegale Verwendung in der vorliegenden Fahrzeug- und Motorspezifikation ist von vornherein unbehelflich. Wie sich aus der teilweise vollständig unterschiedliche Einordnung der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen bei Motoren des gleichen Fahrzeugherstellers aber abweichender Baureihen durch das KBA ergibt, bedarf es substantiierten Vortrags der darlegungspflichtigen Klagepartei zu dem konkret verwendeten Motortyp. Daran fehlt es vorliegend.
25
c) Schließlich fehlt es an jedwedem substantiierten Vortrag der Klagepartei hinsichtlich in Bezug auf die Entwicklung des streitgegenständlichen Motors im Konzern der Beklagten erfolgten Entscheidungsprozesse sowie die inhaltliche Auseinandersetzung der Organe der Beklagten mit den Voraussetzungen nach Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007. Dabei ist zu beachten, dass über eine Wissenszusammenrechnung kein Weg zu dem für das Merkmal der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB erforderlichen moralischen Unwerturteil (BGH, Urteil v. 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15) führt. Die die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung lässt sich nicht dadurch konstruieren, dass die im Hause der juristischen Person vorhandenen kognitiven Elemente „mosaikartig“ zusammengesetzt werden, weil eine solche Konstruktion dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB nicht gerecht würde (BGH, Urteil v. 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19).
26
2. Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind ebenfalls nicht gegeben. Diese würden jeweils den Nachweis eines deliktischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen Täuschungshandlung voraussetzen. Dieser ist – wie oben dargelegt – dem Kläger nicht gelungen. Im Übrigen scheitert dieser Anspruch bereits am Fehlen der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden. Der subjektive Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB setzt die Absicht voraus, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Dabei müssen der vom Täter erstrebte Vermögensvorteil und der verursachte Vermögensschaden einander „spiegelbildlich“ entsprechen. Einen Vermögensschaden hat der Käufer dann erlitten, wenn das von ihm erworbene Fahrzeug im Hinblick auf die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und etwaige damit verbundene Risiken den vereinbarten und bezahlten Kaufpreis nicht wert war. Zwischen dieser etwaigen Vermögenseinbuße mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten, etwa den Fahrzeughändler, erstrebt haben könnte, besteht jedoch keine Stoffgleichheit (vgl. BGH, Urteil v. 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20).
27
3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 zu. Auf das Vorliegen eines Schutzgesetzes entsprechend der Entscheidung des EuGH (EuGH, Urt. v. 21.03.2023 – C-100/21) kommt es dabei weniger an. Denn eine Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB erfordert auch ein Verschulden i.S.d. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB (§ 823 Abs. 2 Satz 2 BGB), das hier nicht festzustellen ist.
28
Weder dem Klagevortrag noch anderweitigen Umständen ist entnehmbar, dass die Beklagte zumindest fahrlässig (§ 276 Abs. 2 BGB) gehandelt hat und hierdurch, kausal, eine Schädigung eingetreten ist.
29
a) Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen, die der BGH in dem Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, zur Frage des unvermeidbaren Verbotsirrtums gemacht hat (dort Punkt IV. 4. c) cc), Rn. 65 f.): Der Fahrzeughersteller kann zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung).
30
Dies ist hier der Fall. Das Thermofenster war bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs des Klägers sog. Industriestandard und wurde weitreichend von einer Vielzahl von Autoherstellern in Dieselfahrzeugen eingesetzt, ohne dass dies vom KBA damals oder später beanstandet worden wäre. Der konkret verbaute Motortyp mit den konkret verwendeten Funktionsweisen wurde vom KBA mehrfach untersucht; unzulässige Abschalteinrichtungen wurden nicht festgestellt. Hätte also die Beklagte das KBA um entsprechende Auskunft gebeten oder gegenüber dem KBA schon vor Erteilung der hier einschlägigen Typgenehmigung alle Funktionen offengelegt, hätte das KBA die von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendeten Funktionen nicht als unzulässig beurteilt (vgl. zum Motor-Typ EA 288 der VW-AG, aber auf den streitgegenständlichen Fall übertragbar: OLG Hamm, Urteil v. 11.05.2023, Az. I-34 U 110/22; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss v. 17.04.2023, Az. 12 U 42/22; OLG München, Beschluss v. 18.04.2023, Az. 3 U 3704/22; OLG Bamberg, Beschluss v. 31.05.2023, Az. 10 U 123/22).
31
b) Der erstinstanzliche Sachvortrag der Beklagten zu den Einschätzungen des KBA genügt auch den Substantiierungsanforderungen, die der BGH in dem Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, aufgestellt hat (dort Punkt IV. 4. c) cc), Rn. 66). Der BGH hat nämlich noch mit Beschluss vom 08.05.2023, Az. VIa ZR 1561/22, die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG Braunschweig vom 11.10.2022, Az. 7 U 159/21, zurückgewiesen, in dem das Berufungsgericht eine Fahrlässigkeitshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 und den Vorschriften der RL 2007/46/EG ebenfalls mit der Begründung verneint hatte, dass das KBA als zuständige Aufsichtsbehörde angesichts der damaligen Üblichkeit solcher Schaltungen in Motorsteuerungen von Dieselfahrzeugen die Frage nach der Zulässigkeit eines Thermofensters positiv beantwortet hätte (Rn. 75 des Urteils des OLG Braunschweig; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 08.05.2023 – VIa ZR 1561/22 –; OLG Schleswig, Urteil v. 29.03.2023, Az. 12 U 119/22). Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der BGH mit dem Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, von dieser nur wenige Wochen zuvor (in Kenntnis der Entscheidung des EuGH) ergangenen Rechtsprechung abrücken wollte.
32
c) Zwar kann die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Schadensersatzanspruch nicht entgegengehalten werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, Punkt II. 1., Rn. 10 ff.) und auch ein Rückruf durch das KBA ist für das Bestehen eines entsprechenden Schadensersatzanspruchs nicht zwingend erforderlich. Dies ändert aber nichts daran, dass der Beurteilung und dem Verhalten des KBA für die Frage, inwieweit die Beklagte ein Verschulden hinsichtlich der Verwendung von (vermeintlich) unzulässigen Abschalteinrichtungen trifft, maßgebliche Bedeutung zukommt: Wenn das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde zum damaligen Zeitpunkt selbst von der Zulässigkeit der entsprechenden Funktionen ausging bzw. ausgegangen wäre, kann der Beklagten keine andere Einschätzung abverlangt werden (unvermeidbarer Verbotsirrtum). Eine vom Verschulden des Fahrzeugherstellers unabhängige Schadensersatzhaftung außerhalb einer vertraglichen Sonderverbindung kennt das deutsche Recht nicht (BGH, Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, Punkt II. 2. b) cc) (2), Rn. 36 f.).
33
d) Weitere unzulässige Abschalteinrichtungen wurden bereits nicht ausreichend substantiiert dargelegt (s.o. unter II. 1. b), so dass sich Ausführungen zur Frage einer etwaigen Fahrlässigkeit diesbezüglich erübrigen.
34
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO) sind nicht erfüllt. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der Senat beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen. Soweit Rechtsfragen zu beantworten sind, weicht der Senat nicht von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Der Senat schließt aus, dass hierdurch neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die in der Sache zu einer anderen Beurteilung führen würden. Es sind auch keine besonderen Gründe ersichtlich, die unter dem Aspekt der prozessualen Fairness die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich machen würden.
35
Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung von 4,0 auf 2,0 (KV Nr. 1220, 1222) hin.
36
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO festzusetzen sein.