Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 22.08.2023 – 8 U 9416/21
Titel:

VW-Dieselskandal: Keine Ansprüche gegen Motorherstellerin bei Motortyp EA 288 (hier: VW Caddy 2.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Abs. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; BeckRS 2023, 22177; OLG Schleswig BeckRS 2022, 10559 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Motor EA189 um den Vorgängermotor zum Motor EA288 handelt, kann nicht geschlossen werden, dass auch in dem Nachfolgemodell eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Fahrkurven- bzw. Prüfstanderkennung ist für eine Haftung nach § 826, § 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kommt nicht in Betracht, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung der Herstellerin bestätigt hätte, selbst wenn diese eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, Schadensersatz, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, OBD, SCR-Katalysator, (kein) Differenzschaden
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 03.12.2021 – 6 O 863/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22881

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 03.12.2021, Az. 6 O 863/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht für die Klagepartei Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15.09.2023.
3. Binnen derselben Frist können beide Seiten zu Streitwert des Berufungsverfahrens Stellung nehmen, den der Senat beabsichtigt auf 13.608,94 € festzusetzen.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Klagepartei erwarb am 25.06.2015 von dritter Seite einen neuen VW Caddy 2.0 TDI, EU 6, für 19.822,12 € netto, in dem ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor EA288 verbaut war. Am 13.10.2021 betrug die Fahrleistung des Fahrzeugs 94.034 km. Für dieses existiert kein Rückruf seitens des KBA.
2
Die Klagepartei trägt schriftsätzlich vor, sie habe ein umweltfreundliches Fahrzeug gewollt. Im Pkw befinde sich indessen eine Manipulationssoftware entsprechend der im Motor EA189. Es seien mehrere „unzulässige Abschalteinrichtungen“ verbaut, d.h. eine Fahrkurvenerkennung, ein Thermofenster und eine Akustikfunktion, bei deren Aktivierung die Einspritzstrategie und die AGR-Rate die Stickoxidemissionen im Wesentlichen nur auf dem Prüfstand vermindere. Bei Drehzahlen von 2500, 2750 bzw. 3000 Umdrehungen/min würde die Abgasrückführung abgeschaltet. Am SCR-Katalysator seien Manipulationen vorgenommen worden. Das OBD-System sei so eingerichtet, dass es Fehler in der Abgasmessung nicht aufzeichne. Zudem habe die Beklagte die Typengenehmigung erschlichen, indem sie dem KBA einen falschen Ki-Faktor genannt habe. Abgasmessungen verschiedener Einrichtungen würden belegen, dass der Emissionsausstoß im realen Fahrbetrieb um ein Vielfaches höher sei als auf dem Prüfstand. Auch durch das interne Schreiben von der Beklagten mit der Überschrift „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288“ sei eine unzulässige Abschalteinrichtung belegt. Dieses Vorgehen, über das sie bewusst im Unklaren gelassen worden sei, sei mit Kenntnis des Vorstands der Beklagten allein aufgrund des Strebens nach Gewinn und nach der Marktführerschaft gewählt worden. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte sie den Kauf nicht getätigt.
3
Das Verhalten der Beklagten stelle eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung dar. Diese habe über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht. Es könne daher Schadensersatz beansprucht werden insbesondere aus §§ 826, 31 BGB.
4
Die Beklagte bestreitet den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für den Motortyp EA288, für den es auch keinen amtlichen Rückrufbescheid des KBA wegen dessen Emissionsverhaltens gebe. Sie hat insbesondere eingewandt, im Gegensatz zum Motor EA189 sei die im Motorsteuergerät hinterlegte Fahrkurve nicht mit einer Umschaltlogik bezüglich der Abgasreinigung verknüpft. Das verwendete Thermofenster, das keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, sei die einzige Möglichkeit, gewisse Bauteile vor Schäden zu schützen. Die Verwendung von Thermofenstern entspreche auch dem Stand der Wissenschaft und Technik. Das OBD-System diene der Fahrzeugüberwachung und wirke nicht auf Systeme zur Emissionskontrolle ein. Das KBA habe den Motor EA288 zwischen Oktober 2015 und April 2016 eingehend untersucht und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt.
5
Die Klagepartei hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.608,94 € nebst näher bezeichneten Zinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Pkw.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Klagepartei Schadensersatzansprüche weder aus §§ 826, 31 BGB noch aus anderen Vorschriften zustünden.
7
Die Klagepartei habe, wie weiter ausgeführt, bereits die Kausalität zwischen behaupteter Täuschung und Kaufvertragsschluss nicht nachgewiesen.
8
Die Klagepartei habe zudem nicht ausreichend vorgetragen, dass in ihrem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert seien.
9
Zwar sei unstreitig eine Software zur Fahrkurvenerkennung verbaut. Die Beklagte habe jedoch nachvollziehbar und bei Vorlage von Auskünften des KBA (Anlage B18 und B28) dargelegt, dass die Fahrkurve nicht mit einer Umschaltlogik zur Abgasreinigung verknüpft sei. Dem sei die Klagepartei nicht ausreichend entgegengetreten. Weiter sei nicht ausreichend vorgetragen, warum das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit dem verbauten Thermofenster – unabhängig von der Frage seiner Zulässigkeit – als sittenwidrige Handlung zu bewerten sei. Eine Sittenwidrigkeit käme hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten im Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Dass die Gesetzeslage nicht eindeutig sei, zeige neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2a) VO (EG) 2007/715 auch der Umstand, dass sich das KBA wie auch BMVI offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des Thermofensters im streitgegenständlichen Fahrzeug überzeugen hätten können. Insoweit helfe auch die Bezugnahme auf verschiedene Testberichte und Abgasmessungen, etwa der DUH, nicht weiter. Auch daraus lasse sich kein bewusstes Täuschen der Beklagten ableiten. Das Vorhandensein der vorgetragenen Akustikfunktion besage nur, dass es eine elektronisch gesteuerte Modulation des Motors und der Abgasrückführung gebe. Ein ausreichend konkreter Anhalt für eine Umschaltlogik folge daraus nicht. Entsprechendes gelte für die behauptete Abschaltung bei bestimmten Drehzahlbereichen. Bezüglich des OBD-Systems sei die Klagepartei dem Vortrag, dass hier keine Einwirkung auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs vorliege, nicht näher entgegengetreten. Die Behauptung, das OBD-System sei bewusst so programmiert, dass es keine Fehler bei einer unzureichenden Abgasreinigung anzeige, sei weder unstreitig noch ansatzweise nachvollziehbar dargelegt. Auch beim SCR-Katalysator habe das KBA keine Manipulationen erkannt. Die Ausführungen zur Täuschung beim Ki-Faktor und zum Rückruf beim Modell T6 gingen an der Sache vorbei, da die Klagepartei einen VW Caddy erworben habe. Zudem habe das KBA trotz Prüfung insoweit keine unzulässigen Abschalteinrichtungen erkannt.
10
Schließlich stehe dem geltend gemachten Anspruch jedenfalls – wie weiter ausgeführt – die sog. Tatbestandswirkung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes entgegen. Dass die Beklagte die EG-Typengenehmigung durch eine arglistige Täuschung erschlichen hätte und sich deshalb nicht auf die Tatbestandswirkung berufen könne, sei nicht ersichtlich.
11
Mit der Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlich gestellten Anträge weiter.
B.
12
Die Berufung ist offensichtlich unbegründet. Das angegriffene Urteil hält den von der Berufung erhobenen Einwendungen ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des BGH jedenfalls im Ergebnis stand. Die Berufung konnte nicht aufzeigen, dass die Entscheidung des Landgerichts auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung gem. §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO beruht oder dass nach § 529 ZPO zugrunde zulegende Tatsachen im Ergebnis eine andere Entscheidung rechtfertigen würden.
13
1. Vorauszuschicken ist, dass der Senat, soweit die Berufungsbegründung Vorbringen enthält, das sich im Ersturteil so nicht findet, davon ausgehen muss, dass es im Berufungsverfahren neu ist und schon mangels entspr. Berufungsrüge i.S.v. § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO dort nicht mehr gem. § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden kann und deshalb auch nicht mehr zugelassen wird.
14
Weiter sind pauschale Bezugnahmen auf erstinstanzlichen Vortrag bekanntermaßen unzulässig (vgl. z.B. BGHZ 35, 103; BGH NJW 1998, 155; Thomas/Putzo ZPO 25. Aufl., Rn. 2 vor § 284 ZPO). Was die Klagepartei wo konkret zu den von ihr behaupteten diversen Abschalteinrichtungen substantiiert vorgetragen haben will, ist der Berufungsbegründung indessen nicht zu entnehmen.
15
Unabhängig davon ist die Berufung auch sonst erfolglos.
16
2. So besteht die 43seitige Berufungsbegründung überwiegend aus einer Aneinanderreihung von Entscheidungen, insbesondere auch solchen von Instanzgerichten, die teils schon keinen direkten Bezug zum vorliegenden Fall aufweisen und/oder überholt sind.
17
Bei der allein auf 10 Seiten wiedergegebenen Entscheidung des OLG Naumburg (Urt. vom 09.04.2021, 8 U 68/20) geht es zwar um den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung aufgrund der Fahrkurve beim VW-Motor EA288. Dort hat es sich jedoch um einen Motor EA288 mit NKS-Technologie gehandelt. Die Klagepartei rügt indessen Manipulationen am SCR-Katalysator, d.h. ihr Fahrzeug verfügt bereits über eine andere Technologie. Im Übrigen hat der BGH in einem zwischenzeitlich ergangenen Beschluss vom 21.03.22, a 334/21, zu einem dort unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Naumburg vom 09.04.2021, 8 U 68/20, erfolgten Vortrag, dass und weshalb es sich bei der prüfzyklusabhängigen NSK-Steuerung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, ausgeführt: Dass die Steuerung evident unzulässig wäre, woraus womöglich ohne weiteres – wie im Fall der „Umschaltlogik“ im Motor EA 189 der Schluss auf ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen gezogen werden könnte, ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht erkennbar.
2.1. Die Beklagte haftet danach zweifelsfrei nicht gem. §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB.
18
Der Senat hat bereits vielfach im Einklang mit der obergerichtlichen Rspr. entschieden, dass entsprechende Schadensersatzansprüche von Käufern von Fahrzeugen mit einem Motor EA288 weder in der Ausführung Euro 5 noch in der Ausführung Euro 6, sei es mit NOx-Speicher-Katalysator (NSK) oder SCR-Katalysator (SCR), in Betracht kommen.
19
Diese Rspr. der Oberlandesgerichte ist ersichtlich vom BGH gebilligt worden (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom 01.08.2022 – VIa ZR 110/21, vom 09.05.2022 – VIa ZR 303/21; BGH, Beschluss vom 21.03.2022 – VIa ZR 334/21).
20
Dass uns weshalb hier anders zu entscheiden wäre, ist nicht erkennbar.
21
Eine entsprechende Haftung setzt nämlich hinreichenden Vortrag bei Aufzeigen unstreitiger oder nachgewiesener Anhaltspunkte dafür voraus, dass entweder (nachfolgend 1) eine evident unzulässige Prüfstanderkennungssoftware im Sinne einer Umschaltlogik oder (nachfolgend 2) eine andere verwaltungsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war bzw. ist und im Fall einer nur verwaltungsrechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zugleich Hinweise auf besondere Umstände i.S.d. Rspr. des BGH vorliegen, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021, Endbeschluss vom 08.04.2021, Gz. 8 U 4122/20, veröffentlicht in Beck-Online und Juris, NZB BGH Az. ZR 453/21 zurückgenommen).
22
Nach höchstrichterlicher Rspr. (Urt. v. 13.07.2021 – ZR 128/20) darf dabei zwar eine Partei selbst von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Ein auf Vermutungen gestützter Sachvortrag ist aber dann unbeachtlich, wenn ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt werden, wobei bei der Annahme von Willkür Zurückhaltung geboten ist und eine solche i.d.R. nur bei Fehlen von jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten vorliegen wird (BGH, Urt. v. 18.05.2021 – ZR 401/19; v. 25.04.1995 – ZR 178/94).
23
Danach fehlt es vorliegend an dem gebotenen Vortrag der Klagepartei. Selbst wenn diese die von ihr beanstandeten Funktionen hinreichend beschrieben hätte, fehlen jedenfalls jegliche greifbaren Anhaltspunkte für deren Vorliegen in dem unstreitig mit einem Motor EA288 ausgestatteten Fahrzeug. Der als unterblieben gerügten Beweisaufnahme hat es deshalb nicht bedurft.
Zu (1)
24
Soweit die Berufung das Vorhandensein einer Umschaltlogik, vergleichbar der im Motor EA189, d.h. den Verbau einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung, behaupten will, ist schon der diesbezügliche Vortrag unzureichend bzw. unschlüssig.
25
(a) Das gerügte Thermofenster stellt keine solche dar.
26
Eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im Fahrbetrieb auf der Straße arbeitet, ist nach höchstrichterlicher Rspr. nicht mit einer solchen gleichzusetzen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – ZR 433/19). Dies ist auch dann noch der Fall, wenn die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15°C und 33°C in vollem Umfang stattfindet und außerhalb dieser Bedingungen deutlich reduziert wird, und selbst dann noch, wenn nur unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) die Rate der AGR im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand entspricht (BGH, Beschluss v. 09.03.2021 – ZR 889/20).
27
Weshalb für das hier verbaute Thermofenster, zu dessen warum und wie angenommenen Auslegung und damit Unzulässigkeit ohnehin substantiierter Vortrag der Berufung fehlt, etwas anderes gelten sollte, erschließt sich nicht. Die Ausführungen, die Abschalteinrichtung funktioniere auf dem Prüfstand eben nicht genau wie im Straßenbetrieb, oder relevant sei nur, ob die Funktion faktisch nur unter Prüfstandbedingungen arbeite, nicht jedoch, dass die Möglichkeit bestehe, dass sie aufgrund der hinterlegten Daten auch im realen Fahrbetrieb anspringen könne, also praktisch nichts anderes sei als eine Zykluserkennung, sind in Bezug auf ein nur temperaturabhängiges Thermofenster offenkundig verfehlt, zumal auf dem Prüfstand durchaus Temperaturen herrschen wie sie auch im Straßenbetrieb vorkommen.
28
(b) Soweit darüber eine Fülle weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen behauptet wird, fehlt es – schlüssigen Vortrag zu einer Funktionsweise unterstellt, die einer Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik gleichzusetzen wäre – jedenfalls an greifbaren Anhaltspunkten für deren Vorliegen, handelt es sich also diesbezüglich um bloße Behauptungen ins Blaue hinein.
29
Zwar ist als Hinweis auf das Vorhandensein einer solchen Umschaltlogik im Fahrzeugmotor nicht zwingend ein Rückruf des KBA wegen einer Prüfstanderkennungssoftware bzw. einer sonst unzulässigen Abschalteinrichtung erforderlich (BGH, Beschluss vom 28.01.2020; ZR 57/19). Fehlt es aber an einem solchen Rückruf müssen entsprechende Anhaltspunkte in anderer Weise dargelegt werden. Dies gilt hier umso mehr, als bekanntermaßen umfassende Prüfungen des streitgegenständlichen Motors EA288 durch das KBA stattgefunden haben. Wie von der Beklagten anhand amtlicher Auskünfte des KBA gegenüber verschiedenen Gerichten belegt, hat dieses aber weder Nebenbestimmungen angeordnet, noch besteht ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen (vgl. amtliche Auskunft des KBA vom 15.12.2020 gegenüber dem LG Bayreuth, Az. 21 O 367/20, Anlage B 15; Anlagenkonvolut B 40 zu amtlichen Auskünften des KBA für das Aggregat EA288 EU6 mit SCR, EA288 EU6 mit NSK und EA288 EU5).
30
Die demgemäß erforderlichen Anhaltspunkte für den Verbau einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik im Motor ihres Fahrzeugs hat die Klagepartei bzw. Berufung aber nicht aufgezeigt.
31
Worin diese bestehen sollen, ist der Berufungsbegründung schon nicht weiter zu entnehmen.
32
Insbesondere reicht als zureichender Anhaltspunkt nicht, dass es sich bei dem VW Euro-6-Diesel-Motor EA 288 um den EA189-Nachfolgemotor handelt.
33
Die Darlegung einer angeblich „unzulässigen Abschalteinrichtung“ muss nämlich grundsätzlich auf den im streitgegenständlichen Fahrzeug konkret verbauten Motor gerichtet sein. Denn es geht nicht an, alle Fahrzeuge eines Herstellers quasi „über einen Kamm zu scheren“, indem man behauptet, die Beklagte habe – wie andere Hersteller – Fahrzeuge mit illegalen Abschalteinrichtungen verkauft, das KBA habe auch für Fahrzeuge der Beklagten einen Zwangsrückruf angeordnet und deshalb sei auch das streitgegenständliche Fahrzeug von den Manipulationen betroffen. Eine solche „Vermutung“ sieht der Senat nicht, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. EU 6 statt EU 5) dem Generalverdacht einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterworfen werden würden (vgl. Senat, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19, WM 2019, 1937, Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH mit Besch. V. 15.09.2020 – ZR 389/19, ohne weitere Begründung zurückgewiesen).
34
Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Motor EA189 um den Vorgängermotor zum Motor EA288 handelt, kann daher nicht geschlossen werden, dass auch in dem Nachfolgemodell eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist (vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 22.09.2021 – 12 U 4034/20, juris Rn.21).
35
Auch aus der hinlänglich bekannten Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288 vom 18.11.2015 ergibt sich kein greifbarer Anhaltspunkt dafür, dass der Motor des klägerischen Pkw eine Umschaltlogik bzw. Manipulationssoftware entsprechend dem VW-Diesel-Motor EA189 aufweisen würde.
36
Zwar ist danach davon auszugehen, dass auch Fahrzeuge mit EA288-Aggregaten teils mit einer Fahrkurvenerkennung ausgestattet waren. Eine Fahrkurven- bzw. Prüfstanderkennung ist indessen nicht unzulässig, solange sie nicht auch als Abschalteinrichtung gemäß Art.3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Dies hat der BGH erst jüngst bestätigt. Danach ist eine Fahrkurvenerkennung für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21).
37
Auf eine entsprechende Nutzung weisen besagte Papiere dabei aber gerade nicht hin.
38
So ist der entsprechenden Applikationsanweisung Diesel zu entnehmen:
SOP vor 22/16 (für SOP, Modellpflege und KD-Master):
39
Die o.g. Umschaltungen anhand der Fahrkurven bleiben bestehen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen.
SOP ab 22/16 (für SOP, Modellpflege): Bei neuen Freigaben sind die Fahrkurven aus der Software entfernt. Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents muss auf Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen erfolgen.
40
Danach war die Fahrkurve ab Anfang Juni 2016 in neuen Fahrzeugen entfernt.
41
Zudem ist am 18.11.2015 bereits allgemein bekannt gewesen, dass in dem Vorgängermotor EA189 eine unzulässige Prüfstanderkennungssoftware verwendet worden war (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020 – ZR 5/20). Weiter wurde das Vorgehen mit dem KBA ersichtlich abgestimmt. Demgemäß kann das nur so verstanden werden, dass diese Software – so vorhanden – jedenfalls nicht als unzulässige Abschalteinrichtung genutzt worden ist, bevor sie ab Anfang Juni 2016 ganz entfernt wurde.
42
Dies wird auch durch den veröffentlichten, gerichtskundigen Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 bestätigt. Danach hat das KBA diverse Fahrzeugmodelle der Beklagten mit dem Motor EA288 ausführlich getestet. Der VW-Konzern hatte hierzu die Erklärung abgegeben, dass diese Fahrzeuge nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet wären. Diese Herstelleraussage war mit höchster Priorität durch die KBA-Felduntersuchung zu verifizieren, da diese Fahrzeuge der aktuellen Produktion entsprechen (Bericht S.60). Während bei den Fahrzeugen des VW-Konzerns mit den Motoren EA189 die unzulässige Abschalteinrichtung, die bewirkte, dass die gesetzliche Prüfung auf dem Prüfstand erkannt und in einem Emissionsminderungsmodus betrieben wird, in dem die NOx-Emissionen stärker reduziert werden, in ihrer Wirkung durch Messungen nachvollzogen werden konnte, konnte bei keinem anderen Motor der VW-AG bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichtes eine vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtung messtechnisch nachgewiesen werden (Bericht S. 119). Hinweise, die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA288 seien ebenfalls von Abgasmanipulationen betroffen, haben sich vielmehr auf Grundlage der Überprüfungen als unbegründet erwiesen (Bericht S.12).
43
Da der Bericht bereits vom April 2016 stammt, können ihm nur vor Mai 2016 produzierte Fahrzeuge und damit nur solche zugrunde gelegen haben, bei denen eine etwaige NEFZ-Erkennung vorhanden, aber nicht mehr angewandt worden war. Daher bieten die Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288 auch für früher in Verkehr gebrachte Fahrzeuge keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Prüfstanderkennungssoftware.
44
Dies belegen im Übrigen auch diverse von anderen Gerichten bereits erholte amtliche Auskünfte des KBA zum Motor EA288, die – soweit hier bekannt – samt und sonders ergebnislos waren (vgl. z. B. OLG Dresden, Urteil vom 04. Dezember 2020 – 9a U 2074/19 –, Rn. 31, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 07. Oktober 2020 – 4 U 171/18 –, Rn. 39, juris oder das von der Beklagten vorgelegte Anlagenkonvolut BE 40).
45
Selbst ausgehend von einem – hier aber zweifelsfrei fehlendem – Vortrag greifbarer Anhaltspunkte für das Vorliegen einer evident unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware, wären diese damit widerlegt.
Zu (2)
46
Bezüglich eines, unterstellt unzulässigen, Thermofensters bzw. einer sonstigen verwaltungsrechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung, bedarf es, wie dargelegt, zusätzlich des Vorliegens besonderer Anhaltspunkte i.S.d. Rspr. des BGH (Beschluss vom 19.01.2021 – ZR 433/19), die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.
47
Der BGH hat dies in einem Urteil v. 16.09.2021, ZR 190/20, bezüglich des Thermofensters bekräftigt. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setze jedenfalls ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagten handelnden Personen voraus. Eine u.U. nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genüge aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des Thermofensters gegenüber dem KBA würden sich noch keine Anhaltspunkte für ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein ergeben. Sollte die Beklagte erforderliche Angaben unterlassen haben, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz nämlich gemäß § 24 Abs. 1 S.1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen.
48
(a) Die Beklagte hat bezüglich des unstreitig implementierten Thermofensters substantiiert vorgetragen, dass bei dem Motor EA288 die Abgasrückführung von -24°C bis +70°C voll aktiv sei und auch nicht kontinuierlich abgestuft werde. Sie hat diesbezüglich zudem auf eine vor dem Landgericht Landshut durchgeführte Beweisaufnahme verwiesen, im Rahmen derselben der Zeuge K. dies bestätigt habe.
49
Welche Auslegung des Thermofensters die Klagepartei bzw. Berufung demgegenüber konkret behaupten will bzw. worauf sie sich dabei stützt, ist hingegen schon unklar. Ein zureichender Anhalt für eine von der Darstellung der Beklagten abweichende Ausgestaltung des Thermofensters ist damit nicht erkennbar.
50
(b) Stellt sich an dieser Stelle schon die Frage, ob es sich bei dem von der Beklagten beschriebenen Thermofenster überhaupt um eine Abschalteinrichtung handelt, fehlen jedenfalls jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte – wie bestritten – falsche Angaben gegenüber dem KBA gemacht oder diesbezüglich Angaben gezielt verschwiegen hätte. Insbesondere hat die Beklagte im Einzelnen zu ihren dem KBA erteilten Informationen vorgetragen. Das KBA, das gegebenenfalls bei Unklarheiten weiter nachfragen hätte müssen, hat außerdem nach eigenen Angaben diverse Fahrzeugmodelle der Beklagten mit dem Motor EA288 ausführlich getestet und – wie dargelegt – keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Ein heimliches oder manipulatives Vorgehen bzw. eine Überlistung des KBA sind vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.
51
2.2. Ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB kommt gleichfalls nicht in Betracht. Ein solcher scheitert aus den vorstehend dargelegten Gründen schon an einer fehlenden Täuschung der Klagepartei.
52
2.3. Eine Haftung der Beklagten gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ist ebenso zu verneinen.
53
Ein Anspruch auf (Rück-)Abwicklung des (mit einem Dritten geschlossenen) Kaufvertrags (sog. „großer Schadensersatz), wie hier beantragt, besteht nach diesen Normen ohnehin nicht. Nach der jüngst ergangenen Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 26.06.2023 – VIa ZR 335/21) stünde allenfalls – dies aber selbst bei einer der Beklagten nur anzulastenden Fahrlässigkeit – ein Anspruch auf Ersatz des von der Klagepartei erlittenen Differenzschadens im Raum. Auch ein solcher Anspruch besteht hier aber nicht.
54
(a) Bei der von der Beklagten vorgetragenen Auslegung des Thermofensters ist schon nicht davon auszugehen, dass das klägerische Fahrzeug mit einer gem. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist.
55
Ob dies der Fall ist, richtet sich nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung, wobei bei der Subsumtion unter Art. 3 Nr. 10 nach der Rspr. des EuGH auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen ist, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind. Es bedarf also für die Frage des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach der zitierten Rechtsprechung des BGH eines Vergleichs der Wirksamkeit des unverändert funktionierenden und derjenigen des verändert funktionierenden Gesamtsystems, und zwar jeweils unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im gesamten Unionsgebiet.
56
Da Temperaturen außerhalb dieses Bereichs im gesamten Unionsgebiet, d.h. etwa auch in Skandinavien, nur ganz ausnahmsweise vorkommen dürften, stellt eine Veränderung unterhalb von -24 °C und oberhalb von + 70 °C nach Auffassung des Senats schon keine (unzulässige) Abschalteinrichtung dar. Die Abgasrückführung ist vielmehr gewissermaßen stets voll funktionsfähig.
57
(b) Zudem würde es auch an dem gem. § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten, die das Thermofenster nach wie vor für zulässig erachtet, fehlen.
58
Zwar würde die fahrlässige Verletzung eines Schutzgesetzes – abweichend von obigen Ausführungen zu (a) eine solche Verletzung unterstellt – genügen.
59
Eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB kommt insoweit aber dann nicht in Betracht, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (vgl. u.a. BGH, Urt. vom 27.06.2017 – ZR 424/16, juris Rn.15 ff.).
60
Der BGH hat dementsprechend in dem zitierten Urteil zum Differenzschaden ausgeführt, dass ein Fahrzeughersteller dann nicht schuldhaft gehandelt hat, wenn die für die EG-Typgenehmigung zuständige Behörde die konkret verwendete Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art.5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten in dem konkreten Motor einer bestimmten Baureihe genehmigt hätte. Aus einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis könne dabei gem. § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden.
61
Ausweislich des Urteils des EuGH vom 14.07.2022, C-134/20, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA189 aufgespielt wurde, obwohl es ein Thermofenster enthielt, das einen schadstoffarmen Modus nur bei einer Außentemperatur von 15°C bis 33°C und einen Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern gewährleistete. Daraus folgt, dass es ein entsprechend enges Thermofenster und erst recht das hier – wie vorgetragen – verbaute viel weitere im Motor EA288 ebenfalls genehmigt hätte. Die in zahlreichen „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünfte des KBA bestätigen dies im Übrigen. Danach hat das KBA sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit EA 288-Motoren durchgeführt und dabei – auch mit Blick auf das Thermofenster – keine Unzulässigkeit festgestellt. Mag diese Bewertung gegebenenfalls auch für inhaltlich falsch zu erachten sein, ist dies doch eindeutiger Beleg dafür, dass das KBA im Gesamttypgenehmigungsverfahren das hier verbaute Thermofenster nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte. Nichts anderes ergibt sich aus der in diversen OLG-Entscheidungen in Bezug genommenen Auskunft des KBA vom 11.09.2020 in dem Verfahren 16a U 194/19 des OLG Stuttgart. Danach hat das KBA bestätigt, dass es um die Verwendung von Thermofenstern gewusst habe. Weiter hat das KBA erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen sei, es die Genehmigung aber auch bei einer Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (vgl. u.a. OLG München, Beschluss vom 18.01.2023 – 35 U 4627/22 –, Rn. 29, juris)
62
Nach allem und den insoweit von Beklagtenseite vorgelegten Unterlagen hätte daher das KBA zweifelsfrei auch das hier verbaute Thermofenster in Kenntnis dessen konkreter Bedatung genehmigt. Ein Verschulden der Beklagten ist mithin nicht erkennbar (so auch: OLG Frankfurt, Urteil vom 22.09.2022 – 4 U 230/20, juris Rn. 38 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 10.01.2023 – 19 U 66/22, juris Rn. 12 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 24.11.2022 – 7 U 1038/22, juris Rn. 53 ff.).
63
(c) Letztlich könnte es auch an einem Schaden der Klagepartei fehlen.
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Ein gegebenenfalls zu ersetzender Differenzschaden würde sich – wie vom BGH weiter erläutert – auf 5% bis 15% des gezahlten Kaufpreises (hier also auf 991,11 € bis 2.973,32 €) belaufen. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs wären erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie dessen Wert bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen.
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Innerhalb des vom BGH aufgezeigten Schätzungsrahmens wären hier nur 5% des ursprünglichen Kaufpreises anzusetzen. Bei dem verbauten Thermofenster hat es sich nämlich keineswegs um eine leicht erkennbare Abschalteinrichtung bzw. unzulässige oder gar evident unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt, wie schon die diesbezügliche Bewertung des KBA und des Senats, deren Unrichtigkeit unterstellt, zeigen. Zudem drohte zu keinem Zeitpunkt eine Betriebsuntersagung, d.h. ein Rückruf ist nach wie vor trotz der zwischenzeitlich ergangenen EuGH-Rspr. nicht erfolgt. Damit wäre von einem Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags von 18.831,01 € auszugehen.
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Die Nutzungsvorteile sind nach der höchstrichterlich anerkannten Formel zu berechnen, wobei der Senat im Rahmen des § 287 ZPO im Einklang mit der überwiegenden Rechtsprechung bei entsprechenden Fahrzeugen regelmäßig eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km zugrunde legt.
67
Danach ergibt sich folgender Nutzungsvorteil:
19.822,12 € (Kaufpreis) x 94.034 (gefahrene Kilometer) ÷ 250.000 km (Gesamtlaufleistung) =
7.455,84 €.
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Hinzuzurechnen wäre aber noch der Nutzungsvorteil für die weiteren bis jetzt zurückgelegten Kilometer.
69
Weiter wäre der Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs, etwa bei Heranziehung der Internetplattform www.dat.de/gebrauchtfahrzeugwerte, zu ermitteln.
70
Ob danach noch Raum für einen zu erstattenden Differenzschaden ist bzw. ob und inwieweit dieser zwischenzeitlich teilweise bzw. sogar aufgezehrt ist, möge die Klagepartei ggf. anhand der ihr zur Verfügung stehenden Daten ermitteln.
C.
71
1. Bei dieser Sachlage wird schon aus Kostengründen empfohlen, die Berufung zurückzunehmen, zumal im Hinblick auf die beabsichtigte Streitwertfestsetzung ein weiteres Rechtsmittel nicht statthaft sein dürfte. Im Fall der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren vorliegend von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
72
2. Zu diesen Hinweisen kann der Berufungsführer binnen der oben gesetzten Frist Stellung nehmen. Der Senat soll nach der gesetzlichen Regelung die Berufung unverzüglich durch Beschluss zurückweisen, wenn sich Änderungen nicht ergeben. Mit einer einmaligen Verlängerung dieser Frist um maximal 3 Wochen ist daher nur bei Glaubhaftmachung konkreter, triftiger Gründe zu rechnen (vgl. OLG Rostock, OLGR 2004, 127 ff.).
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3. Der Streitwert ergibt sich aus dem bezifferten Hauptsache-Zahlungsantrag i.H.v. 13.608,94 €, zu dem beide Seiten binnen gesetzter Frist Stellen nehmen können.