Titel:
Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen Verwendung unzulässiger Abschaltvorrichtungen
Normenketten:
BGB § 199, § 823 Abs. 2, § 826
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet den Senat dazu, den gesamten Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen. Auch ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den Gründen einer Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grob fahrlässige Unkenntnis iSd § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners, wobei es auf eine zutreffende rechtliche Würdigung nicht ankommt. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos, Klage zu erheben. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verjährung, Differenzschaden, unzulässige Abschaltvorrichtung, grob fahrlässige Unkenntnis
Vorinstanz:
LG Augsburg, Endurteil vom 28.12.2022 – 123 O 1565/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22878
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28.12.2022, Aktenzeichen 123 O 1565/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Rahmen des sogenannten „Diesel -Abgasskandals“ geltend.
2
Der Kläger erwarb am 17.05.2017 von der A1. GmbH in den Pkw Audi A4 allroad 3.0 TDI (Erstzulassung: 28.04.2015) als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 41.150 km zu einem Preis von 36.950,- €. Der Pkw verfügt über einen 3,0 Liter V-TDI Motor, Abgasnorm Euro 6. Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Motors.
3
In der Klageschrift vom 09.05.2022 beantragte die Klagepartei: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 20.597,76 € aus dem bereits abgeschlossenen Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer 1055846375 sowie 3.519,30 € abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen und die Klagepartei von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der Bank aus dem als Anlage K1c beigefügten Darlehensvertrag mit der Vertragsnummerfreizustellen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi, Typ A4 Allround Quattro, mit der Fahrgestellnummer sowie Übertragung der Anwartschaftsrechte an dem Fahrzeug, Abtretung etwaiger Herausgabeansprüche an dem Fahrzeug und dem Fahrzeugbrief gegenüber der Bank aus dem Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer Die Klagepartei stellte in erster Instanz zuletzt (Protokoll vom 16.12.2022, S. 3) den Antrag aus der Klage vom 09.05.2022 mit der Maßgabe, dass der bezifferte Betrag erhöht wird auf 26.932,50 € und dass hiervon die Nutzungsentschädigung abzuziehen ist in Höhe von 10.676,02 €.
4
Der Beklagte beantragte Klageabweisung.
5
Im Übrigen wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28.12.2022, Az. 123 O 1565/22, Bezug genommen.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
7
Das Landgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass etwaige Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung jedenfalls verjährt wären. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28.12.2022, Az. 123 O 1565/22, Bezug genommen.
8
Gegen das Endurteil richtet sich die Berufung der Klagepartei, die in der Berufungsinstanz zunächst beantragte (Schriftsatz vom 14.04.2023:)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 20.597,76 aus dem bereits abgeschlossenen Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer sowie weiteren EUR 7.390,49 abzgl. einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, zu bezahlen und die Klagepartei von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der Bank aus dem als Anlage K1c beigefügten Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer freizustellen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi, Typ A4 Allround Quattro, mit der Fahrgestellnummer sowie Übertragung der Anwartschaftsrechte an dem Fahrzeug, Abtretung etwaiger Herausgabeansprüche an dem Fahrzeug und dem Fahrzeugbrief gegenüber der A2. Bank
aus dem Darlehensvertrag mit der Vertragsnummer hilfsweise
2. das Urteil des Landgerichts Augsburg, Az. 123 O 1565/22 aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Augsburg zurückzuverweisen; hilfsweise
3. die Revision zuzulassen
9
Mit Schriftsatz vom 27.06.2023 wurde mitgeteilt, dass nunmehr beantragt wird:
10
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 5.542,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
11
Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Klagepartei im Wesentlichen aus, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 14.04.2023 sowie die Schriftsätze vom 26.06.2023 und 26.07.2023 Bezug genommen.
12
Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts. Hinsichtlich des Vortrags wird auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 06.06.2023 Bezug genommen.
13
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 28.12.2022, Aktenzeichen 123 O 1565/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
14
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 12.05.2023 dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
15
Die Anträge der Klagepartei haben keinen Erfolg. Die Schriftsätze der Klagepartei vom 26.06.2023 und 26.07.2023 enthalten keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der Senat hat das Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, NJW 2021, 3525 Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 16.02.2022 – 101 Sch 60/21, BeckRS 2022, 2046 Rn. 50). Er hat die Angriffe der Berufung in vollem Umfang geprüft, aber die Beanstandungen sämtlich für nicht durchgreifend erachtet. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet den Senat dazu, den gesamten Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.08.2013 – 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07, BeckRS 2013, 55213 Rn. 67; BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – ZR 160/19, BeckRS 2021, 1265 Rn. 2; BGH, Beschluss vom 12.01.2017 – ZR 140/15, BeckRS 2017, 100836 Rn. 2). Soweit die Klagepartei der rechtlichen Einschätzung des Senats im Hinweisbeschluss vom 12.05.2023 mit rechtlichen Ausführungen entgegentreten ist (vgl. BGH, ZfBR 2022, 356 Rn. 7 ff.; BGH, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12 ff.; BGH, NJW 2020, 1740 Rn. 16), ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass es nicht erforderlich ist, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den Gründen einer Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, NJW 1997, 2310, 2312; BGH, Beschluss vom 20.09.2021 – ZR 46/19, BeckRS 2021, 31643 Rn. 1), deshalb lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
„Der Inhalt der zitierten Entscheidungen des EuGH vom 21.03.2023 (C-100/21) sowie des BGH vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) steht der Rechtsauffassung des Senats, dass Schadensersatzansprüche der Klagepartei verjährt sind, nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt, ergibt sich dies insbesondere aus dem Grundsatz der Schadenseinheit, der zur Folge hat, dass auch etwaige Ansprüche im Hinblick auf klägerseits über den Grund des Rückrufs hinaus thematisierten Abschalteinrichtungen verjährt sind.“
16
Die Verjährung bezieht sich auch auf einen geltend gemachten Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 RL 2007/46/EG, Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007. Dem von der Klagepartei in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten „großen“ Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die beide im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 26.06.2023 – VIa ZR 1031/22 –, Rn. 25, juris). Im Übrigen trägt die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen von Hemmung und Neubeginn (vgl. dazu Ellenberger in Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, Überbl v § 194, Rn. 24), diesbezüglich fehlt jeglicher Vortrag. Entgegen der Ansicht im Schriftsatz vom 26.07.2023 ist keine positive Kenntnis des Käufers hinsichtlich der Betroffenheit seines Fahrzeugs notwendig, vielmehr reicht auch eine grob fahrlässige Unkenntnis (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Grob fahrlässige Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können. Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners, wobei es auf eine zutreffende rechtliche Würdigung nicht ankommt. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos, Klage zu erheben (vgl. dazu BGH Urt. v. 21.02.2022 – VIa ZR 8/21, BeckRS 2022, 6222 Rn. 39, 40, beck-online). Gemessen an diesen Maßstäben ist Verjährung eingetreten. Ausweislich des Hinweisbeschlusses vom 12.05.2023 (dort auch Seite 5), war auch für den Senat das Verhalten des Klägers relevant, wobei sich ihm im Hinblick auf die Gesamtumstände die Betroffenheit seines Fahrzeugs geradezu aufdrängen musste. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss sowie im angefochtenen Endurteil Bezug genommen.
17
Anhaltspunkte für eine Zulassung der Revision ergeben sich weder aus den Ausführungen der Parteien noch sonst aus den Umständen.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
19
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.