Titel:
Keine Gerichtsstandsbestimmung bei gemeinsamem besonderem Gerichtsstand
Normenketten:
ZPO § 29, § 35, § 36 Abs. 1 Nr. 3, § 690 Abs. 1 Nr. 5, § 696 Abs. 1 S. 1
Brüssel Ia-VO Art. 7 Nr. 1
BGB § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4, § 488 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt nicht in Betracht, wenn schon bei Mahnbescheidsantrag für den Antragsteller erkennbar ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für sämtliche Antragsgegner bestand, der Antragsteller aber dennoch als Streitgerichte für den Fall des Widerspruchs die jeweiligen unterschiedlichen (Wohn-) Sitzgerichte der Antragsgegner angegeben hat. (Rn. 15 – 23)
Nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist bei einer Klage auf Darlehensrückzahlung das Gericht örtlich und international zuständig, in dessen Bezirk die Darlehensgewährung erfolgt ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtsstandsbestimmung, besonderer Gerichtsstand, gemeinsamer Gerichtsstand, Darlehensrückzahlungsanspruch, örtliche und internationale Zuständigkeit, bindende Ausübung des Wahlrechts
Fundstellen:
NJW-RR 2024, 119
LSK 2023, 22749
BeckRS 2023, 22749
Tenor
Der Antrag auf Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Antragstellerin macht Darlehensrückzahlungsansprüche gegen die Antragsgegner geltend.
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Nach ihrem Vortrag hat die Antragstellerin beiden Antragsgegnern 2007 ein verzinsliches Darlehen über 70.000,00 € und 2008 über 30.000,00 € gewährt. Die Antragsgegner hafteten daher gesamtschuldnerisch für die Rückzahlungsansprüche. Der Antragsgegner zu 1) sei geschäftsführender Gesellschafter der Antragsgegnerin zu 2) gewesen. Da die Antragsgegner seinerzeit keine Bankfinanzierung mehr erhalten hätten, habe die Antragstellerin mit privaten Mitteln ausgeholfen, um für kurzfristige Liquidität zu sorgen. Bei Kündigung des Darlehens mit Schreiben vom 29. Juli 2019 seien noch die Rückzahlung der gesamten Valuta und teilweise Zinsansprüche offen gewesen.
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Die Antragstellerin hat gegen beide Antragsgegner als Gesamtschuldner am 27. Dezember 2022 jeweils einen Mahnbescheid über die Gesamtvaluta nebst Zinsen beantragt. Als Prozessgericht, an das im Fall des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden soll, hat die Antragstellerin für die Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 1) das Landgericht Ingolstadt, für die Ansprüche gegen die Antragsgegnerin zu 2) das Landgericht Osnabrück angegeben. Der Mahnbescheid gegen den Antragsgegner zu 1) wurde ausweislich des Aktenausdrucks am 30. Dezember 2022 in den Briefkasten der … XX, … I. eingelegt, der gegen die Antragsgegnerin zu 2) am selben Tag in den Briefkasten an ihrem Sitz in der … XX, … N.. Nach Widerspruch beider Antragsgegner hat das Amtsgericht das Verfahren gegen den Antragsgegner zu 1) an das Landgericht Ingolstadt abgegeben. Für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 2) steht die Abgabe mangels Antrags noch aus.
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Die Antragstellerin hat in der Anspruchsbegründung bezogen auf den Antragsgegner zu 1) beantragt, diesen zur Zahlung von 100.000,00 € nebst Zinsen zu verurteilen, und angekündigt, das für das Verfahren gegen beide Antragsgegner zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmen zu lassen. Nach Abgabe des Verfahrens an das Landgericht Ingolstadt hat die Antragstellerin noch hilfsweise beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht München I als Gericht des Erfüllungsorts zu verweisen. Bei Kreditgewährung habe der Antragsgegner zu 1) in S. bei M. gewohnt, die Antragsgegnerin zu 2) habe ihren Sitz in der … in M. gehabt. Erfüllungsort für die Darlehensrückzahlungsansprüche sei der Sitz des Schuldners bei Abschluss des Darlehensvertrags. Eine Verweisung des Rechtsstreits ist noch nicht erfolgt.
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Der Antragsgegner zu 1) hat in der Klageerwiderung die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Ingolstadt gerügt. Er sei im Jahr 2019 nach Italien verzogen und wohne nicht mehr in der … in I.. Für den Gerichtsstand des Erfüllungsorts sei der Wohnsitz des Schuldners maßgeblich, vorliegend daher Italien. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet und daher abzuweisen.
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Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2023 hat die Antragstellerin beim Bayerischen Obersten Landesgericht beantragt, nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gemeinsam für die Antragsgegner zuständiges Gericht das Landgericht München I, hilfsweise das Landgericht Ingolstadt, äußerst hilfsweise das Landgericht Osnabrück zu bestimmen. Der Vortrag des Antragsgegners zu 1) zu seinem angeblichen Wegzug sei mangels Angabe einer neuen Adresse unsubstantiiert und unbeachtlich. Ferner bleibe unklar, wieso trotz des vermeintlichen Auszugs die Zustellung des Mahnbescheids in I. habe erfolgen können.
7
Die Antragsgegner haben beantragt, den Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung zurückzuweisen. Der Hauptwohnsitz des Antragsgegners zu 1) befinde sich seit 2019 in … … (…), … XX, … C. (..), Italien. Der Mahnbescheid sei daher nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Von diesem habe der Antragsgegner zu 1) nur erfahren, da die jetzigen Bewohner den Umschlag angenommen und dem Antragsgegner zu 1) mittels Messengerdienstes ein Foto des Mahnbescheids zugeleitet hätten. Nach Art. 18 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO könne eine Darlehensrückzahlungsklage gegen einen Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz habe, in Bezug auf den Antragsgegner zu 1) daher in Italien. Beim Landgericht München I habe es einen gemeinsamen Gerichtsstand gegeben, da beide Antragsgegner bei Darlehensauszahlung dort ihren Sitz gehabt hätten. Diese Möglichkeit sei durch die von der Antragstellerin selbst getroffene, bindende Wahl eines anderen Gerichts aber verloren gegangen.
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Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung ist zurückzuweisen.
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1. Die deutschen Gerichte sind für die Entscheidung über die Gerichtsstandsbestimmung auch dann international zuständig, wenn der Antragsgegner zu 1) seinen Wohnsitz nach Vertragsschluss nach Italien verlegt hat. Dies folgt ungeachtet des Umstands, dass der Auslandsbezug erst nach Abschluss der Verträge entstanden ist, aus Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO. Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) ist gemäß deren Art. 1 anwendbar. Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a) Brüssel-Ia-VO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. b) Spiegelstrich 2 Brüssel-Ia-VO ist mangels anderer Vereinbarung Erfüllungsort der Verpflichtung für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Als „Dienstleistung“ anzusehen ist nach der notwendigen autonomen Auslegung auch die Gewährung eines verzinslichen Darlehens durch eine Bank (EuGH, Urt. v. 15. Juni 2017, C-249/16, ZIP 2017, 1734 Rn. 36 f.; BGH, Urt. v. 12. Mai 2020, XI ZR 371/18, ZIP 2020, 1629 Rn. 13 [zu Art. 5 Nr. 1 Buchst. b) zweiter Spiegelstrich LugÜ II]; Urt. v. 28. Februar 2012, XI ZR 9/11, NJW 2012, 1817 Rn. 16 ff.) oder durch eine Privatperson (OLG Hamm, Urt. v. 11. Januar 2017, 30 U 107/16, IPRax 2018, 57 [juris Rn. 32]). Nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO ist für sämtliche Klagen aus dem Darlehensvertrag der Ort maßgeblich, an dem die für diesen Vertrag charakteristische Leistung, die Darlehensgewährung, erbracht worden ist. Die Verpflichtung des Darlehensnehmers, das Darlehen zurückzuzahlen, stellt hingegen nur die Folge der Leistung des Darlehensgebers dar. Danach ist auch für den Rückzahlungsanspruch maßgeblich der Ort, an dem die Gewährung des Darlehens erfolgte (EuGH ZIP 2017, 1734 Rn. 40 ff.; BGH ZIP 2020, 1629 Rn. 13; NJW 2012, 1817 Rn. 23 f.).
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Damit liegt der Erfüllungsort für den eingeklagten Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Antragsgegner zu 1) nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO im Bezirk des Landgerichts München I. Unstreitig wohnte bei Darlehensgewährung der Antragsgegner zu 1) in S. bei M.. Wie sich aus den als Anlagen K 1 und K 2 vorgelegten Kontoauszügen ergibt, hatte damals die Antragstellerin ebenfalls in M. ihren Wohnsitz. Damit im Einklang hat der Antragsgegner zu 1) vorgetragen, die Darlehensauszahlung sei im Bezirk des Landgerichts München I erfolgt.
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Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Antragsgegner nicht aus Art. 18 Abs. 2) Brüssel-Ia-VO. Danach kann die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Indessen kommt Art. 18 Brüssel-Ia-VO nur zur Anwendung, wenn eine Verbrauchersache nach Art. 17 Brüssel-Ia-VO vorliegt. Daran fehlt es hier. Weder diente das Darlehen der Finanzierung eines Kaufs beweglicher Sachen (Art. 17 Abs. 1 Buchst. b] i. V. m. Buchst. a] Brüssel-Ia-VO), noch fällt die Darlehensgewährung in den Bereich einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der Antragstellerin (Art. 17 Abs. 1 Buchst. c] Brüssel-Ia-VO). Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte im Vortrag und den vorgelegten Anlagen der Parteien. Vielmehr hat die Antragstellerin unbestritten dargetan, die Kreditgewährung sei aus privaten Mitteln erfolgt.
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2. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für die Entscheidung über den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zuständig. Das im Rechtszug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht für beide Antragsgegner ist der Bundesgerichtshof.
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Die Antragsgegnerin zu 2) hat ihren Sitz in N. und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 Abs. 1 ZPO) im Bezirk des Landgerichts Osnabrück. Im Rechtszug zunächst übergeordnet sind deshalb das Oberlandesgericht Oldenburg und sodann der Bundesgerichtshof.
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Wohnt der Antragsgegner zu 1) noch in I., hat er seinen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt. Im Rechtszug zunächst übergeordnet wären das Oberlandesgericht München und sodann der Bundesgerichtshof. Sofern der Antragsgegner zu 1), wie er behauptet, seit 2019 seinen Wohnsitz in Italien hat, fehlt es an einem allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland. Abzustellen ist in einer derartigen Fallkonstellation daher auf die im Inland eröffneten besonderen Gerichtsstände, wenn – wie vorliegend – die deutsche internationale Zuständigkeit eröffnet ist (BGH, Urt. v. 6. Mai 2013, X ARZ 65/13, NJW-RR 2013, 1399 Rn. 10 und 16; BayObLG, Beschluss vom 23. Januar 2023, 101 AR 64/22, NJW-RR 2023, 353 [juris Rn. 22]). Da, wie oben unter Ziffer 1 ausgeführt, für die Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 1) ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO beim Landgericht München I eröffnet ist, wäre das im Rechtszug zunächst höhere Gericht das Oberlandesgericht München und sodann der Bundesgerichtshof. An Stelle des Bundesgerichtshofs entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das Landgericht Ingolstadt und damit ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst gewesen ist. Das nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Mahnantragstellers zuständige Mahngericht bleibt als für die Feststellung des nach § 36 Abs. 2 ZPO zuständigen Gerichts außer Betracht (BayObLG, Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 12; Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 15; Beschluss vom 17. September 1998, 1Z AR 67/98, juris Rn. 3).
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3. Jedoch liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht vor, weil die Antragstellerin die Landgerichte Ingolstadt und Osnabrück als Prozessgerichte, an die die Verfahren im Falle des Widerspruchs abzugeben seien, in den Anträgen auf Erlass der Mahnbescheide benannt hat, obwohl für einen gegen beide Streitgenossen gerichteten Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand beim Landgericht München I gegeben war.
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a) Zwar ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach vorangegangenem Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner, die bei verschiedenen Gerichten ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand haben und als Streitgenossen verklagt werden sollen, grundsätzlich auch noch zulässig, nachdem Widerspruch eingelegt worden ist und die Verfahren daraufhin an die im Mahnbescheidsantrag angegebenen Streitgerichte abgegeben worden sind. In diesen Fällen kann das Antragsrecht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO noch mit der Anspruchsbegründung ausgeübt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2013, X ARZ 423/13, NJW-RR 2013, 1531 Rn. 7 f.; BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 2020, 1 AR 14/20, juris Rn. 17; Seibel in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 696 Rn. 15, § 697 Rn. 2).
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Hier hat die Antragstellerin noch vor der Abgabe des Verfahrens gegen die Antragsgegnerin zu 2) und mit der Anspruchsbegründung vom 6. Februar 2023 gegen den Antragsgegner zu 1) angekündigt, eine Zuständigkeitsbestimmung beim Oberlandesgericht München zu beantragen und damit hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Zusammenführung der beiden Verfahren durch eine Gerichtsstandsbestimmung beabsichtigt. Ob allerdings die Tatsache, dass tatsächlich der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung erst am 8. Mai 2023 beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist, insoweit eine andere Bewertung rechtfertigt, bedarf keiner Entscheidung, da eine Zuständigkeitsbestimmung ohnehin nicht in Betracht kommt (siehe nachfolgend b] und c]).
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b) Allerdings bestand bei Einreichung des Mahnbescheidsantrags ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand des Erfüllungsorts für die gegen beide Antragsgegner als Gesamtschuldner geltend gemachten Darlehensrückzahlungsansprüche beim Landgericht München I. Dies steht der beantragten Gerichtsstandsbestimmung entgegen (dazu unter c]).
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aa) Wenn der Antragsgegner zu 1), wie von ihm behauptet, seit 2019 in Italien wohnt, ist ein besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. a) und b) Spiegelstrich 2 Brüssel-Ia-VO beim Landgericht München I eröffnet (siehe oben Ziffer 1). Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO regelt nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit (EuGH, ZIP 2017, 1734 Rn. 46; Nordmeier in Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl. 2023, EuGVVO Art. 7 Rn. 13).
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Sofern der Antragsgegner zu 1) noch in I. wohnt, wie die Antragstellerin vorträgt, besteht der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO, § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB ebenfalls beim Landgericht München I. Der Erfüllungsort für einen Anspruch auf Darlehensrückzahlung nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB bemisst sich nach § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB (Schultzky in Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.16; Beurskens in beck-online.OGK, Stand: 1. Mai 2023, BGB § 269 Rn. 63). Wenn, wie vorliegend, der Ort für die Leistung weder bestimmt ist noch sich aus den Umständen ergibt, hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an dem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Der Anspruch auf Darlehensrückzahlung nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB entsteht bereits mit Abschluss des Darlehensvertrags. Lediglich die Fälligkeit des Anspruchs tritt je nach Vereinbarung der Parteien erst später beziehungsweise mit Kündigung nach § 488 Abs. 3 BGB ein (ganz h. M., s. z. B. Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 488 Rn. 9; Binder in beck-online.OGK, BGB § 488 Rn. 346 ff.; Berger in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 488 Rn. 43; Rohe in BeckOK BGB, 23. Ed., Stand 1. August 2023, § 488 Rn. 34). Vorliegend wurden die Darlehensverträge in den Jahren 2007 beziehungsweise 2008 geschlossen und valutiert. Damals wohnte der Antragsgegner zu 1) unstreitig noch in S. im Bezirk des Landgerichts München I.
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bb) Für den von der Antragstellerin geltend gemachten Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zu 2) bestand ebenfalls der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO, § 269 Abs. 1, § 270 Abs. 4 BGB beim Landgericht München I, da zum Zeitpunkt des behaupteten Vertragsschlusses sowie der Auszahlung des Darlehens die Antragsgegnerin zu 2) unstreitig ihren Sitz in M. hatte.
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c) Der anfangs gegebene gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand steht einer Zuständigkeitsbestimmung entgegen. aa) Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt die Bestimmung eines einheitlich zuständigen Gerichts voraus, dass für den Rechtsstreit kein gemeinschaftlicher allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand im Inland eröffnet ist. Die Regelung geht auf die Überlegung zurück, dass eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht notwendig ist, wenn der Kläger von vornherein ein für alle Streitgenossen zuständiges Gericht anrufen kann (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, X ARZ 156/20, NJW-RR 2020, 1070 Rn. 29; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20, juris Rn. 14). Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts scheidet deshalb aus, wenn ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand bestanden hat, dieser durch die bindende Wahl (§ 35 ZPO ) eines anderen Gerichts aber verloren gegangen ist (BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20, juris Rn. 14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. April 2016, 209 AR 2/16, juris Rn. 10; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 23). Bei vorangegangenem Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner ist nach Abgabe der Verfahren an die im Mahnbescheidsantrag angegebenen Prozessgerichte die Gerichtsstandsbestimmung dann noch zulässig, wenn der Verfahrensstand nicht entgegensteht und kein besonderer gemeinschaftlicher Gerichtsstand bestanden hat. In einem solchen Fall kann das Antragsrecht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO noch gleichzeitig mit der Anspruchsbegründung ausgeübt werden (vgl. BGH NJW-RR 2013, 1531 Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 2020, 1 AR 14/20, juris Rn. 17; Seibel in Zöller, ZPO, § 696 Rn. 15). Sofern allerdings für den Antragsteller schon bei Einreichung des Mahnbescheidsantrags erkennbar ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für sämtliche Antragsgegner bestand, dieser aber gerade nicht angegeben wurde, scheidet eine Gerichtstandssbestimmung aus. Denn jedenfalls hätte prozessual die Möglichkeit bestanden, die Antragsgegner als Streitgenossen in einem einheitlichen Verfahren in Anspruch zu nehmen. Der Antragsteller eines Mahnbescheids ist nicht auf die Angabe des Wohnsitz-/Sitzgerichts als Streitgericht, an das die Sache bei Widerspruch abgegeben werden soll, beschränkt, sondern er kann auch einen besonderen Gerichtsstand wählen (BGH NJW-RR 2013, 1531 Rn. 7 a. E.; Beschluss vom 19. Januar 1993, X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273 [juris Rn. 3]; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 690 Rn. 15). bb) Danach kommt vorliegend aufgrund des ursprünglich gegebenen gemeinschaftlichen Gerichtsstands des Erfüllungsorts eine Zuständigkeitsbestimmung nicht in Betracht. Der Antragstellerin stand es frei, für den Fall des Widerspruchs gegen die Mahnbescheide durch die jeweilige Angabe des Landgerichts München I als Streitgericht zu bewirken, dass das streitige Verfahren gegen beide Antragsgegner an einem gemeinschaftlich zuständigen Gericht durchgeführt wird. Stattdessen hat sie schon mit der Angabe des jeweiligen Wohnsitz-/Sitzgerichts als Streitgericht in den Anträgen auf Erlass eines Mahnbescheids nach § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das für das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 2) bestehende Wahlrecht zwischen deren allgemeinem Gerichtsstand beim Landgericht Osnabrück (§§ 12, 17 ZPO ) und dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts in M. (§ 29 ZPO ) nach § 35 ZPO dahin ausgeübt, dass die Antragsgegnerin zu 2) in ihrem allgemeinen Gerichtsstand in Anspruch genommen werden soll. Mit der – bezüglich der Antragsgegnerin zu 2) unstreitig wirksamen – Zustellung des entsprechend ausgefertigten Mahnbescheids ist die getroffene Wahl für die Antragstellerin verbindlich und unwiderruflich geworden (vgl. BGH NJW 1993, 1273 [juris Rn. 2]). Dass ein gemeinsamer Gerichtsstand des Erfüllungsorts für beide Antragsgegner beim Landgericht München I bestand, war für die Antragstellerin, die die behaupteten Darlehensverträge mit den Antragsgegnern geschlossen und die Valuta ausbezahlt hat, bei Einreichung des Mahnbescheidsantrags auch ohne Weiteres erkennbar.
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Ohne Bedeutung ist insoweit, dass das Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 2) bislang noch nicht an das Prozessgericht abgegeben wurde. Eine Abgabe an das Landgericht München I wäre nur noch bei übereinstimmendem Antrag der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 2) möglich, § 696 Abs. 1 Satz 1 a. E. ZPO; die Antragstellerin kann ihre bereits getroffene Wahl nicht mehr einseitig abändern (BGH NJW 1993, 1273 [juris Rn. 2]; Seibel in Zöller, ZPO, § 696 Rn. 18; Voit in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 696 Rn. 3; Becker in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl. 2023, § 696 Rn. 14; Berger in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 690 Rn. 15).
24
Nicht maßgeblich ist ferner, ob der Antragsgegner zu 1) jetzt und bei Stellung des Mahnantrags in I. oder seit 2019 bereits in Italien wohnt. Zwar wäre in letzterem Fall die Wahl des Landgerichts Ingolstadt nach § 35 ZPO fehlerbehaftet und nicht bindend (BayObLG, Beschluss vom 20. Juli 2023, 101 AR 150/23 e, juris Rn. 46; Schultzky in Zöller, ZPO, § 35 Rn. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 35 Rn. 2). Indessen änderte dies nichts daran, dass die Wahl bezüglich der Antragsgegnerin zu 2) bereits bindend zugunsten des Landgerichts Osnabrück getroffen wurde, obwohl erkennbar auch für die Antragsgegnerin zu 2) der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts beim Landgericht München I bestand.
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Nur ergänzend sei auf Folgendes verwiesen:
26
Sollte die Wahl des Landgerichts Ingolstadt unwirksam sein, weil der Antragsgegner zu 1) seit Dezember 2019 in Italien wohnhaft und das Landgericht Ingolstadt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuständig ist, bedarf es ebenfalls keiner Gerichtsstandsbestimmung. Die Antragstellerin hat in diesem Fall ihr Wahlrecht aus § 35 ZPO im Verhältnis zum Antragsgegner zu 1), der sich beim Landgericht Ingolstadt auch nicht rügelos eingelassen hat (vgl. Art. 26 Brüssel-IaVO), noch nicht wirksam ausgeübt. Beantragt sie zusammen mit der Antragsgegnerin zu 2) nach § 696 Abs. 1 Satz 1 a. E. ZPO eine Abgabe des Mahnverfahrens an das Landgericht München I, so kann sie (wie bereits hilfsweise beantragt) die Verweisung auch des gegen den Antragsgegner zu 1) gerichteten Rechtsstreits an dieses auch insoweit zuständige Gericht erreichen. Wird das gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichtete Verfahren mangels übereinstimmenden Abgabeantrags an das Landgericht Osnabrück abgegeben, kann die Antragstellerin Verweisung der auf identischer Tatsachengrundlage beruhenden Klage gegen den Antragsgegner zu 1) an das dann nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO auch für diesen zuständige Landgericht Osnabrück beantragen. Ihren beim Landgericht Ingolstadt bereits hilfsweise gestellten Antrag auf Verweisung an das Landgericht München I könnte die Antragstellerin mangels erfolgter Verweisung noch zurücknehmen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 6. August 2002, 1Z AR 91/02, juris Rn. 14; OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. März 2008, 5 AR 2/08, juris Rn. 16; Anders in Anders/Gehle, ZPO, § 281 Rn. 8) und durch einen Verweisungsantrag an das Landgericht Osnabrück ersetzen. Somit kann in beiden Fällen eine Zusammenführung der Verfahren gegen die Antragsgegner durch Verweisungsbeschluss des Landgerichts Ingolstadt erfolgen. Alternativ könnte die Antragstellerin den gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichteten Mahnbescheidsantrag (kostenpflichtig) zurücknehmen, so dass das Mahnverfahren insoweit endet und der Mahnbescheid wirkungslos wird (vgl. Dörndorfer in BeckOK ZPO, § 690 Rn. 1a; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 690 Rn. 6). Damit würde die zugunsten des Landgerichts Osnabrück getroffene Wahl hinfällig und die nach Verweisung beim Landgericht München I gegen den Antragsgegner zu 1) anhängige Klage könnte auf die Antragsgegnerin zu 2) erweitert werden.
27
Wo der Antragsgegner zu 1) wohnhaft ist (bzw. bei Klagezustellung wohnhaft war), hat das Streitgericht von Amts wegen in eigener Zuständigkeit zu prüfen.
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4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957 Rn. 4 ff.)