Inhalt

AG Amberg, Beschluss v. 21.07.2023 – 6b Gs 1771/23
Titel:

In der Regel keine Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens 

Normenkette:
StPO § 142 Abs. 1, § 143 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers für ein abgeschlossenes Verfahren oder einen abgeschlossenen Instanzenzug ist in aller Regel unzulässig und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und in der Sache hätte Erfolg haben können. Denn die Bestellung des Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers, sondern verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist. Eine Ausnahme kommt allenfalls bei einer wesentlichen Verzögerung der Entscheidung über den Beiordnungsantrag in Betracht. (Rn. 1 – 3) (red. LS Alexander Kalomiris)
2. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens ist auch nach dem neuen Recht der Pflichtverteidigung nicht zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pflichtverteidigerbestellung, Abschluss des Verfahrens, rückwirkende Bestellung, verzögerte Entscheidung, Beiordnungsantrag
Rechtsmittelinstanz:
LG Amberg, Beschluss vom 18.10.2023 – 11 Qs 73/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22742

Tenor

Der Antrag des Beschuldigten vom 22.06.2023, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wird abgelehnt.

Gründe

1
Das Gericht hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für ein abgeschlossenes Verfahren oder einen abgeschlossenen Instanzenzug unzulässig ist und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und in der Sache hätte Erfolg haben können. Denn die Bestellung des Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers, sondern verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechts-kundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist.
2
Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vergleiche OLG Nürnberg, Entscheidung vom 06.11.2020, Aktenzeichen Ws 962, 963/20; OLG Bamberg, Entscheidung vom 29.04.2021, Aktenzeichen 1 Ws 260/21) – nunmehr auch mit Blick auf den mit dem am .13.12.2019 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 verfolgten Zweck – teilweise die Auffassung vertreten wird, unter besonderen Umständen sei eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Beiordnung zu machen, namentlich wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung vorlagen und das Begehren in verfahrensfehlerhafter Weise, insbesondere wesentlich verzögert, behandelt wurde, führt dies vorliegend nicht zu einem anderen Ergebnis:
3
Der Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger erfolgte am 22.06.2023, die verfahrensabschließende Entscheidung bereits am 05.07.2023. Von einer wesentlichen Verzögerung der Entscheidung über den Beiordnungsantrag kann daher keine Rede sein.