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AG München, Endurteil v. 26.07.2023 – 322 C 3109/23 (2)
Titel:

Meldung von Daten an das Hinweis- und Informationssystem (HIS) der deutschen Versicherungswirtschaft bei fiktiver Schadensabrechnung in der Kaskoversicherung

Normenkette:
DS-GVO Art. 6, Art. 17
Leitsätze:
1. Im Fall einer fiktiven Abrechnung mit einem Fahrzeugschaden, der über 1.500,00 EUR liegt, ist die Kasko-Versicherung des Versicherungsnehmers berechtigt, die Vornahme einer fiktiven Abrechnung als Meldegrund, die Höhe des entstandenen Schadens und die Fahrzeugidentifikationsnummer des betroffenen Kfz an das HIS-Informationssystem zu melden.  (Rn. 15 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch im Fall einer bloß (pauschal) behaupteten Reparatur des Schadens bei einem verbleibenden Minderwert besteht ein überwiegendes Interesse an dieser Meldung fort, sodass keine Löschung nach Art. 17 DS-GVO vorzunehmen ist.  (Rn. 21 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst im Falle einer sach- und fachgerechten Reparatur besteht bei einer Güterabwägung nach Art. 6 DS-GVO ein fortbestehendes Interesse des Versicherers an der Meldung der Daten an das Hinweis- und Informationssystem (HIS) der deutschen Versicherungswirtschaft. Denn auch bei einer fachgerechten und umfassenden Reparatur bleibt der Umstand erhalten, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit einen nicht unerheblichen Schaden erlitten hatte, was im Verkaufsfall eine aufklärungspflichtige Information darstellt und in der Regel zu einem dauerhaft verbleibenden Minderwert des Fahrzeugs führt, insbesondere wenn keine konkreten Nachweise über eine Reparatur vorliegen. Um eine solche Bewertung vornehmen zu können, ist ein fortbestehendes Interesse an der Speicherung der Daten im HIS - unabhängig von der Qualität der durchgeführten Reparatur - zu bejahen (Anschluss an AG Düsseldorf BeckRS 2023, 12459; Abgrenzung zu LG Schweinfurt Urteil vom 12.4.2021 - 23 O 809/20; zur Rechtslage nach dem BDSG s. AG Coburg BeckRS 2013, 3586). (Rn. 25 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Kaskoversicherung, fiktive Schadensabrechnung, Hinweis- und Informationssystem, HIS, Datenverarbeitung, Löschungsanspruch, Versicherungsmissbrauch, personenbezogene Daten, berechtigtes Interesse
Fundstellen:
LSK 2023, 22736
ZD 2024, 226
BeckRS 2023, 22736

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 1.000,00 festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Löschung von Daten aus dem Hinweis- und Informationssystem (HIS).
2
Der Kläger erlitt mit seinem Fahrzeug mit der Fahrzeugidentifikationsnummer, welches bei der Beklagten versichert ist, am 28.03.2022 einen Schaden. Die Beklagte bearbeitete und regulierte diesen Schaden als eintrittspflichte Versicherung unter der Schadensnummer aufgrund eines vom Kläger vorgelegten Kostenvoranschlags. Die kalkulierten Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer betrugen EUR 3.351,93. Anschließend gab die Beklagte folgende Informationen an die Firma Informa HIS GmbH weiter, welche folgende Einmeldung in das HIS-Verzeichnis vornahm:
Fiktive Abrechnung vom 28.03.2022
Meldende Stelle:
Sparte: Kraftfahrt Referenznummer der meldenden Stelle:
3
Die Beklagte nahm trotz Aufforderung des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten keine Löschung des Eintrags vor bzw. veranlasste keine derartige Löschung.
4
Der Kläger behauptet, die Eintragungen im HIS Verzeichnis seien falsch, da das klägerische Fahrzeug repariert worden sei und insofern keine fiktive Abrechnung des Schadens vorliege. Überdies bestünde aufgrund der durchgeführten Reparatur kein Bedürfnis für eine Speicherung.
5
Der Kläger beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, die von ihr im HIS-Verzeichnis vorgenommene Einmeldung über den Kläger zu löschen bzw. löschen zu lassen:
Fiktive Abrechnung, vom 28.03.2022
Meldene Stelle:
Sparte: Kraftfahrt
Referenznummer der meldenden Stelle:
II. Die Beklagte wird weitergehend verurteilt, an den Kläger EUR 159,94 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.10.2022 zu bezahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung
7
Die Beklagte ist der Auffassung, dass keine personenbezogenen Daten gespeichert worden seien. Jedenfalls würde eine Güterabwägung ein überwiegendes Interesse der Versichertengemeinschaft ergeben. Die Beklagte behauptet zudem, das Klägerfahrzeug sei jedenfalls nicht vollständig sach- und fachgerecht instandgesetzt worden und ist der Ansicht, dass selbst bei einer vollständigen sach- und sachgerechten Reparatur ein Interesse an einer Meldung fortbestehe.
8
Zur Ergänzung wird verwiesen auf die Schriftsätze der Parteien.
9
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
Fehlender Anspruch auf Löschung
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus Artikel 17 Abs. 1d) DSGVO, darauf hinzuwirken, dass der streitgegenständliche Eintrag im HIS gelöscht wird.
12
Gemäß Art. 17 Abs. 1 d) DSGVO sind personenbezogene Daten zu löschen, sofern die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden.
13
Zwar handelt es sich bei den gemeldeten Daten wohl um personenbezogene Daten im Sinne der Verordnung, da über eine einfache Abfrage zu der FIN ein Zusammenhang mit dem Kläger als Person hergestellt werden kann.
14
Entgegen der Auffassung der Klägerseite liegt jedoch keine unrichtige Eintragung im HIS-Verzeichnis und damit keine unrechtmäßige Verarbeitung der Daten vor. Denn das Gericht sieht es als ausreichend nachgewiesen an, dass der streitgegenständliche Schaden am Klägerfahrzeug von der Beklagten aufgrund einer fiktiven Abrechnung reguliert wurde. Der Kläger hat unstreitig bei der Beklagten einen Kostenvoranschlag eingereicht. Anhand dieses Kostenvoranschlags hat die Beklagte mit Schreiben vom 26.04.2022 (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 25.05.2023) den Schaden reguliert und dem Kläger die ermittelten Reparaturkosten netto erstattet. Auch wenn der Kläger anschließend sein Fahrzeug tatsächlich repariert haben sollte, ändert dies an der zunächst vorgenommenen fiktiven Abrechnung durch die Beklagte nichts. Es wurde auch nicht vorgetragen, dass der Kläger nachträglich seine Abrechnungsmodalität umgestellt hätte und nunmehr anhand konkret angefallener Reparaturkosten abgerechnet hätte.
15
Darüber hinaus war die Verarbeitung der Daten über die fiktive Abrechnung im HIS rechtmäßig, da ein berechtigtes Interesse der Versicherung gegeben ist.
16
Seitens der Versicherungswirtschaft besteht ein Interesse daran, Versicherungsmissbrauch bei der mehrfach Abrechnung im Falle fiktive Schadensberechnung zu verhindern. Durch die Speicherung der Daten kann die Aufdeckung missbräuchlichen Verhaltens durch eine wiederholte Geltendmachung desselben Schadens an einem Fahrzeug, erleichtert werden. Dabei kann es dahinstehen, ob die Betreibergesellschaft ein eigenes berechtigtes Interesse an der Speicherung hat, da es genügt, Belange Dritter wahrzunehmen. Denn bei diesen Fällen besteht die Möglichkeit eines Missbrauchs dadurch, dass ein Fahrzeug, dass fiktiv abgerechnet wurde, zum Schrottpreis von einem Dritten übernommen, von diesem erneut in einem Unfall verwickelt und dann der Schaden erneut abgerechnet wird.
17
Die Speicherung der Daten des Versicherten sind auch zur Wahrung der Vermeidung von Straftaten bzw. der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit – zu der eben auch Individualrechtsgüter gehören – erforderlich, da keine milderen gleich effektiven Mittel als zur Verfügung stehen.
18
Darüber hinaus ist die Eintragung auch deshalb gerechtfertigt, um die Höhe eines bei einem weiteren Verkehrsunfall entstandenen Schadens zutreffend zu beurteilen und die Abrechnung eines zu hohen Schadensersatzanspruchs zu Lasten der Versichertengemeinschaft verhindern zu können. Dabei können auch andere Personen außerhalb der Versichertengemeinschaft von einer solchen Meldung profitieren, da sich auch ein Geschädigter als Eigentümer des Fahrzeugs über einen Vorschaden aus der Vorbesitzzeit informieren und gegebenenfalls Informationen zu dem Vorschaden erhalten kann.
19
Demgegenüber ist die Beeinträchtigung des Klägers durch Speicherung der Daten im Rahmen einer Gesamtgüterabwägung als geringfügig einzustufen.
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II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Löschung der gemeldeten Daten aus Art. 17 Abs. 1 a) DSGVO.
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Gem. Art. 17 Abs. 1 a) DSGVO sind personenbezogene Daten zu löschen, sobald diese nicht mehr für die Zwecke notwendig sind, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet worden sind. Dies ist namentlich dort der Fall, wo ein der Datenerhebung bzw. -speicherung zu Grunde liegendes Prüfverfahren hinsichtlich der aufgenommenen Daten endgültig abgeschlossen worden ist (EuGH, NJW 2018, 767).
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Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn die Beklagte hat weiterhin ein schutzwürdiges Interesse an einer Speicherung, während schutzwürdigen Belange des Klägers nicht beeinträchtigt werden.
23
Zwar ist die Klägerseite der Auffassung, es läge eine schutzwürdige Beeinträchtigung der Belange des Klägers vor, da das Klägerfahrzeug mittlerweile repariert worden sei.
24
Allerdings trägt die Klägerseite nicht vor, dass das Klägerfahrzeug entsprechend dem vorgelegtem Kostenvoranschlag sach- und fachgerecht repariert worden sei. Auch wird nicht dargelegt, welche konkreten Schäden vorhanden waren und welche Reparaturmaßnahmen mit welchen Ersatzteilen und welchen Arbeitsschritten durchgeführt wurden. Trotz eines entsprechenden Vortrags der Beklagtenseite und eines Hinweises des Gerichts hat die Klägerseite lediglich Lichtbilder eines instandgesetzten Klägerfahrzeugs vorgelegt. Ein weiterer Vortrag erfolgte nicht. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage ist nicht veranlasst, weil ein solches Gutachten mangels weiterer Angaben des Klägers auf eine reine Ausforschung hinausliefe.
25
Darüber hinaus ist selbst im Falle einer sach- und fachgerechten Reparatur bei einer Güterabwägung nach Art. 6 der DSGVO ein fortbestehendes Interesse der Versicherung an der Meldung bzw. den entsprechenden Daten zu bejahen.
26
Denn auch bei einer fachgerechten und umfassenden Reparatur bleibt der Umstand erhalten, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit einen nicht unerheblichen Schaden erlitten hatte, was im Verkaufsfall eine aufklärungspflichtige Information darstellt und in der Regel zu einem dauerhaft verbleibenden Minderwert des Fahrzeugs führt, insbesondere wenn keine konkreten Nachweise über eine Reparatur vorliegen. Um eine solche Bewertung vornehmen zu können, bleibt ein Interesse an der Speicherung der Daten in HIS vorhanden, unabhängig von der Qualität der durchgeführten Reparatur (so auch AG Düsseldorf, Urt. v. 23.02.2023, 40 C 226/22).
27
Insofern ist die Einmeldung auch deshalb gerechtfertigt, um die Höhe eines bei einem weiteren Verkehrsunfall entstandenen Schadens zutreffend beurteilen und die Abrechnung eines zu hohen Schadensersatzanspruchs zu Lasten der Versichertengemeinschaft verhindern zu können. Es geht also nicht nur um Fälle einer gezielten Täuschung, sondern es sind auch Konstellationen denkbar, bei denen der Anspruchssteller selber keine Kenntnis von einem Vorschaden hat oder den Umfang des Schadens bzw. die Qualität der durchgeführten Reparaturmaßnahmen selber nicht richtig beurteilt – auch in diesen Fällen muss zugunsten der Versichertengemeinschaft eine Prüfung ermöglicht werden, ob und in welchem Umfang ein neuer Schaden eingetreten ist und welche Reparaturkosten zu seiner Beseitigung erforderlich sind. Auch die Höhe eines Wiederbeschaffungswertes wird dadurch beeinflusst.
28
Soweit das LG Schweinfurt in seiner Entscheidung vom 12.04.2021, Az. 23 O 809/20 einen Löschungsanspruch bejaht, ist diese Entscheidung nicht auf die vorliegende Konstellation übertragbar. Denn entgegen dem der Entscheidung des LG Schweinfurt zugrunde liegenden Sachverhalt hat der Kläger im vorliegenden Fall keine Reparaturbestätigung vorgelegt. Auch kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht allein darauf an, dass eine doppelte Abrechnung vermieden wird, sondern dass ein selbst reparierter Vorschaden sich möglicherweise auf die Bemessung weiterer Schäden und insbesondere des Wiederbeschaffungswertes auswirken kann. Dieses Interesse besteht weiter fort.
Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
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Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Ersatz der als Nebenforderung geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
31
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert
32
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite ist der Streitwert mit EUR 1.000,00 anzusetzen. Zwar geht es um die Eintragung eines höheren Reparaturschadens. Allerdings ist eine entsprechende Reduzierung vorzunehmen, da nicht der Reparaturschaden geltend gemacht wird, sondern nur eine sich darauf beziehende Eintragung. Diese ist deutlich unter dem Reparaturschaden oder eines entsprechenden Fahrzeugswertes zu bemessen.