Titel:
Unwirksame Rücknahme des Einspruchs gegen Strafbefehl durch Verteidiger
Normenketten:
StPO § 206a, § 407, § 408b, § 410, § 411 Abs. 2 S. 1
StGB § 78, § 78c
Leitsätze:
1. Ist der Verteidiger ohne Vollmacht nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO im Hauptverhandlungstermin anwesend, ist eine von ihm erklärte Rücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl unwirksam. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens damit bislang nicht erfolgt und sind seit Anberaumung der Hauptverhandlung keine weiteren verjährungsunterbrechenden Maßnahmen iSd § 78c StGB erfolgt, ist nach Ablauf der Verjährungsfrist (hier: § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB) Verjährung eingetreten, so dass ein Verfahrenshindernis gem § 206a StPO besteht, das zur Einstellung des Verfahrens führen muss. (Rn. 4 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ist der Verteidiger ohne Vollmacht nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO im Hauptverhandlungstermin anwesend, ist eine von ihm erklärte Rücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl unwirksam. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafbefehl, Einspruch, Rücknahme, Verteidiger, Vollmacht, Verjährung, Einstellung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22729
Tenor
1. Das Verfahren wird hinsichtlich des Angeklagten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 206a StPO eingestellt.
2. Der Beschluss nach § 111a StPO des Amtsgerichts Regensburg vom 08.01.2020 wird aufgehoben. Die Fahrerlaubnis ist wieder an den Angeklagten herauszugeben – soweit diese sich aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Regensburg vom 08.01.2020 noch in amtlicher Verwahrung befindet.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Der Angeklagte hat seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen.
Gründe
1
Gegen den Angeklagten erging am 08.01.2020 unter dem Aktenzeichen 31 b Cs 126 Js 27714/19 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ein Strafbefehl durch das Amtsgericht Regensbürg, der eine Freiheitsstrafe von vier Monaten enthielt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde die Fahrerlaubnis dem Angeklagten im Rahmen eines Beschlusses gleichlautenden Datums nach § 111 a StPO vorläufig entzogen. Der Strafbefehl enthielt neben dem Entzug der Fahrerlaubnis eine Wiedererteilungssperre von 8 Monaten. Dem Strafbefehl vorangegangen war eine formlose Anfrage vom 16.12.2019 an den Angeklagten, im Rahmen derer dem Angeklagten Gelegenheit gegeben wurde, einen Pflichtverteidiger zu benennen. Nachdem sich der Angeklagte nicht geäußert hat, wurde gemäß § 408 b StPO ein Pflichtverteidiger vom Gericht bestimmt und der Strafbefehl sodann an diesen – unter formloser Übermittlung an den Angeklagten – zugestellt. Nach form- und fristgerechter Einspruchseinlegung durch den Pflichtverteidiger wurde dieser sowie der Angeklagte zum Hauptverhandlungstermin am 13.07.2020 geladen. Dem Angeklagten ging die Ladung nachweislich am 19.06.2020 zu. Im Hauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht. Der Verteidiger war ohne eine Vollmacht nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO anwesend und selbiges im Termin auch festgestellt. Trotzdem erklärte der Verteidiger eine Einspruchsrücknahme für den Angeklagten. Der Strafbefehl wurde daraufhin mit dem 13.07.2020 rechtskräftig geschrieben. Am 18.12.2020 erließ das Amtsgericht Regensburg sodann einen Gesamtstrafenbeschluss und führte die o.g. Strafe mit der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Erlangen vom 10.03.2020 (Az: Cs 915 Js 145923/19) auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten unter Aufrechterhaltung der Bewährung samt zugehörigem Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Regensburg aufrecht. Der Beschluss wurde dem Angeklagten am 22.12.2020 nachweislich zugestellt. Das Verfahren wurde sodann an das für den Wohnort des Angeklagten zuständige Amtsgericht Leverkusen abgegeben.
2
Mit Schreiben vom 05.12.2022 beantragte der nunmehrige Pflichtverteidiger nunmehr im Zuge eines zwischenzeitlich erfolgten, rechtskräftigen Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung 19.07.2022 durch das Amtsgericht Leverkusen (Az. 53 AR10/20), beim Amtsgericht Regensburg die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Hinweis auf die fehlenden Übersetzungen der zuzustellenden Schriftstücke an den Angeklagten und mangels Vertretungsvollmacht im Termin vom 13.07.2020 vor dem Amtsgericht Regensburg. Mit Schreiben vom 07.08.2023 beantragte er zudem die Einstellung des Verfahrens und legte Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis am 08.01.2020 ein.
3
Nach Prüfung der beigezogenen Akten des Amtsgerichts Erlangen sowie des Amtsgerichts Regensburg war eine Wiedereinsetzung mangels Übersetzung nicht zu gewähren, da der Angeklagte zur Überzeugung des Gerichts über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Aus den beiden Akten ergeben nicht eine Vielzahl von Polizeikontakten bis zum Widerruf, ohne dass sich den Akten Vermerke zu Sprachschwierigkeiten entnehmen lassen. Insofern wird auf die beigezogenen Akten Bezug genommen.
4
Allerdings war festzustellen, dass der Angeklagte mangels Vollmacht im Termin nicht wirksam vertreten war, so dass die Einspruchsrücknahme durch den Pflichtverteidiger im Termin nicht wirksam erfolgen konnte. Ein rechtskräftiger Abschluss des Verfahrens ist damit bislang nicht erfolgt. Seit Anberaumung der Hauptverhandlung am 17.06.2020 sind keine weiteren verjährungsunterbrechenden Maßnahmen im Sinne des § 78 c StPO erfolgt. Mithin ist die dreijährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB am 16.06.2023 abgelaufen.
5
Es besteht damit ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Angeklagten, § 206a StPO, das zur Einstellung des Verfahrens führen muss.
6
Ferner wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis nicht wirksam entzogen. Aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitablaufs war der Beschluss zum vorläufigen Entzug gemäß § 111 a StPO vom 08.01.2020 aufzuheben und die Aushändigung der Fahrerlaubnis anzuordnen, soweit sich diese aufgrund des genannten Beschlusses noch in amtlicher Verwahrung befindet.
7
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO.
8
Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.