Titel:
Zulässigkeit des Antrages auf anwaltsgerichtliche Entscheidung: Einreichung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach – Berechnung des Fristendes
Normenketten:
BRAO § 37, § 74a
StPO § 43 Abs. 2, § 137
BGB § 193
Leitsätze:
§ 74a BRAO erklärt nur einzelne Bestimmungen der Strafprozessordnung für das Verfahren über die anwaltsgerichtliche Entscheidung für anwendbar. Ein Rückgriff auf – den nicht genannten – § 43 II StPO, wonach eine Frist mit Ablauf des nächsten Werktages endet, wenn „das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend“ fällt, ist daher nicht vorgesehen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach eingereicht, so fehlt es an einer formgerechten Einreichung, wenn der vom Antragsteller selbst nur einfach signierte Schriftsatz über das Postfach eines anderen Rechtsanwalts heraus versandt wurde oder wenn der Antrag aus dem Postfach desjenigen Anwalts versandt wurde, der das Dokument zwar mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen hat, dieses aber nicht verantwortet. (Rn. 27 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Aufzählung der auf das Verfahren über anwaltsgerichtliche Entscheidungen anwendbaren Vorschriften der Strafprozessordnung in § 74a BRAO ist abschließend, sodass ein Rückgriff auf § 43 Abs. 2 StPO für die Bestimmung des Ablaufs der Antragsfrist ausscheidet. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, nach dem eine Frist stets erst mit Ablauf des nächsten Werktages endet, wenn ihr Ende auf einen Samstag, Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
anwaltsgerichtliches Verfahren, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Formerfordernis, besonderes persönliches Anwaltspostfach, qualifizierte elektronische Signatur, Versendung aus eigenem Postfach, Übernahme der Verantwortung für Schriftsatz, Antragsfrist, Fristende, Samstag, Sonntag, Feiertag
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2023, 418
BeckRS 2023, 22623
LSK 2023, 22623
DStRE 2024, 892
NJW-RR 2023, 1354
Tenor
I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Rügebescheid der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München vom 13.04.2021 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 25.03.2022, Gesch.-Nr. B/125/2021, wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen.
Gründe
1
Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer für den Bezirk des Oberlandesgerichtsbezirks München, Abt. I, hat gegenüber dem Antragsteller wegen Verstoßes gegen § 12 BORA eine Rüge erteilt. Der Rügebescheid vom 13.04.2021 wurde dem Antragsteller am 14.04.2021 zugestellt. Der Antragsteller hat hiergegen mit Schreiben vom 10.05.2021, eingegangen bei der Rechtsanwaltskammer München am 10.05.2021, fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen begründet.
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Der Vorstand hat in seiner Sitzung vom 25.03.2022 die Zurückweisung des Einspruchs beschlossen. Die Zurückweisung wurde dem Antragsteller mit Schreiben vom 10.05.2022 durch Zustellung am 11.05.2022 bekanntgemacht.
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Der Antragsteller hat bei dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München mit Schreiben vom 13.06.2022, das am selben Tag über das elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht wurde, Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung gemäß § 74a BRAO gestellt.
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Der Antrag wurde aus dem Postfach des Herrn Rechtsanwalts EEE übersandt, der den Antrag auch qualifiziert elektronisch signiert hatte. Im Übrigen ist der Antrag mit einer einfachen Signatur des Antragstellers versehen (digitale Druckbuchstaben, keine handschriftliche Unterschrift), ist unter Bezugnahme auf den Antragsteller in der Ich-Form geschrieben und verweist auch auf der ersten Seite oben rechts auf den Antragsteller als die den Schriftsatz verantwortende Person.
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In Folge eines Hinweisbeschlusses hat Rechtsanwalt EEE mit Schreiben vom 19.12.2022 mitgeteilt, der Antragsteller habe Herrn Rechtsanwalt EEE als Wahlverteidiger bestellt; diese Bestellung wurde dem Gericht mit dem Schreiben vom 19.12.2022 angezeigt. Mit Schriftsatz vom 19.12.2022 wurde zudem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, die am 12.06.2023 stattfand.
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Mit Schriftsatz vom 29.03.2023 hat der Antragsteller trotz der zuvor erfolgten Bestellung des Verteidigers EEE eigenständig einen Prozessantrag gestellt.
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Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
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1. Der Antragsteller ist Partner bei FFF Rechtsanwälte in M. und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie promovierter Bauingenieur.
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2. Der Antragsteller vertrat ein Bauunternehmen, das mit der Errichtung eines Einfamilienhauses in G. beauftragt war. Auftraggeber des Bauunternehmens war RA GGG.
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3. Am 22.12.2020 fand ein (Abnahme-)Termin auf dem Grundstück von RA GGG statt, bei dem unter anderem der Antragsteller und RA GGG zugegen waren. RA GGG führt hierzu – vom Antragsteller bestritten – aus, er habe den Antragsteller dort „mündlich und schriftlich“ von „der vollumfassenden Vertretung in dieser Angelegenheit“ durch RA HHH informiert; der Antragsteller habe sich allerdings geweigert, diese Information entgegenzunehmen und zum Ausdruck gebracht, dass ihn dies nicht interessiere.
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4. Mit per beA und per Fax übersandtem Schreiben vom 23.12.2020 hat RA HHH gegenüber der Kanzlei des Antragstellers die Vertretung von RA GGG angezeigt und als Anlage eine Vollmacht von RA GGG beigefügt.
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5. Mit Schreiben vom 24.12.2020 hat der Antragsteller sich an RA HHH gewandt und inhaltlich ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer angeführten Mängel nicht bestehen bzw. einer Abnahme des Werkes nicht entgegenstehen würden; zudem wurden das Schreiben vom 23.12.2020 „und die darin vorgenommen [sic!] Erklärung wegen der nicht im Original nachgewiesenen Vollmacht“ zurückgewiesen.
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6. Mit Schreiben vom 12.01.2021 wandte sich die Kanzlei des Antragstellers direkt an RA GGG, erklärte die Kündigung des Bauvertrages und setzte eine Zahlungsfrist. Das Schreiben ist unterzeichnet von RAin JJJ (die zu diesem Zeitpunkt erst seit drei Monaten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war und das Schreiben auf Weisung des Antragstellers verschickte).
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7. Mit Schreiben vom 19.01.2021 wandte sich RA HHH an die Kanzlei des Antragstellers und wies darauf hin, dass die Vollmacht per beA übersandt worden war und er unabhängig davon „in standesrechtlich nicht zu beanstandender Form angezeigt hatte, dass ich die rechtlichen Interessen von Herrn GGG vertrete“.
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8. Mit E-Mail vom 05.02.2021 übersandte RAin JJJ direkt an RA GGG ein weiteres und allein vom Antragsteller unterschriebenes Schreiben, in dem erneut das Fehlen einer Originalvollmacht moniert und sodann auf die einzelnen behaupteten Baumängel eingegangen wurde. RA HHH war bei der E-Mail nicht einkopiert, erhielt das Schreiben aber laut Briefkopf im Nachgang postalisch.
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9. RA GGG hat bei der Rechtsanwaltskammer Beschwerde gegen den Antragsteller eingereicht, da unter Umgehung des von ihm mandatierten RA HHH durch den Antragsteller wiederholt Druck unmittelbar auf ihn ausgeübt worden sei.
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10. Im Rahmen der schriftlichen Anhörung hat der Antragsteller vor Ausspruch der Rüge gegenüber der Rechtsanwaltskammer mit Schreiben vom 24.02.2021 behauptet, die auf der Vollmacht befindliche Unterschrift sei „nicht zu entziffern“ gewesen und habe „nicht der Unterschrift des Beschwerdeführers auf dem uns vorliegenden Werkvertrag“ entsprochen. Der Antragsteller habe nicht von einer ordnungsgemäßen Mandatierung ausgehen können; RA HHH hätte eine Kündigung womöglich mangels Empfangsvollmacht zurückweisen können. Zudem greife der Schutzzweck von § 12 BORA nicht, da RA GGG nicht überrumpelt worden sei.
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11. Im Rahmen seiner Einspruchsbegründung führte der Antragsteller Folgendes aus:
„Es ist auch nicht hinnehmbar, dass der Rechtsanwalt sanktioniert wird, der gesetzlich geregelte Tatbestände zu einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung einfordert. Es ist schlicht absurd, dass einem Rechtsanwalt nach Auffassung des Kammervorstands hinterher telefoniert werden soll, der es über Wochen nicht schafft, seine Bevollmächtigung ordnungsgemäß nachzuweisen. Zur Rettung des Rufes der Anwaltschaft wäre es vielmehr richtig und geboten, dass Rechtsanwälten, die es nicht besser wissen, von der Kammer erklärt wird, wie man sich ordnungsgemäß gemäß den Vorgaben des BGB bestellt und bevollmächtigt. Offenkundig bestehen hier bei den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer München Wissenslücken.“
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Der Antragsteller meint weiter:
„Doch selbst wenn man in den Schreiben vom 12.01.2021 und 05.02.2021 Verstöße gegen das Umgehungsverbot nach § 12 BORA erkennen will, würden diese allenfalls formale Verstöße gegen das Umgehungsverbot darstellen, die eine Rüge nicht rechtfertigen würden.“
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Der Vorstand habe „offensichtlich der Frage nach der Schwere des Verstoßes gegen die BORA keine Bedeutung zugemessen“.
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Er beruft sich sodann unter Verweis auf Art. 12 GG auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der freien Advokatur, der einer staatlichen Kontrolle und Bevormundung grundsätzlich entgegenstehe. Die Berufspflichten seien daher restriktiv auszulegen, was auch für das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts gelte, mit der Folge, dass
„nicht in jedem Fall die strikte Einhaltung des Verbots sachlich sinnvoll, geschweige denn zwingend geboten erscheinen kann“.
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Der Antragsteller hält den Schutzzweck von § 12 BORA nicht für eröffnet, zumal RA GGG über Monate hinweg direkt mit der Kanzlei des Antragstellers kommuniziert habe. Ferner sei nicht erkennbar, wodurch eine Übervorteilung von RA GGG zu befürchten sein sollte.
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12. Im Rahmen der Antragsbegründung wiederholt der Antragsteller im Wesentlichen seine vorangegangene Argumentation und meint, er habe auch keine Freigabe seines Mandanten gehabt, telefonisch Kontakt mit RA HHH aufzunehmen, um Bestand und Umfang von dessen Vollmacht in Erfahrung zu bringen, und befürchtete einen Haftungsfall, falls RA HHH die ausgesprochene Vertragskündigung zurückgewiesen hätte. Der Antragsteller beschuldigt weiterhin RA HHH, falsch gehandelt zu haben, da dieser keine Vollmacht im Original vorgelegt habe.
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Der Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung ist unzulässig, da er jedenfalls nicht fristgerecht gestellt worden ist.
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1. Zunächst ist aus Sicht der Kammer aufgrund der nachfolgenden Erwägungen bereits zweifelhaft, ob der Antrag auf gerichtliche Entscheidung formgerecht gestellt worden ist, wobei dies im Ergebnis offenbleiben kann.
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Der Antrag ist nach § 74a Abs. 2 S. 1 BRAO schriftlich einzureichen. Ist nach der Bundesrechtsanwaltsordnung für die Abgabe einer Erklärung die Schriftform vorgeschrieben, so kann gemäß § 37 S. 1 BRAO die Erklärung auch über das besondere elektronische Anwaltspostfach abgegeben werden, wenn – wie hier – Erklärender und Empfänger über ein solches verfügen. Ist die Erklärung von einer natürlichen Person abzugeben, so ist nach § 37 S. 2 BRAO das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der Person zu versehen oder von ihr zu signieren und selbst zu versenden.
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Diesen Anforderungen wird der Antrag nicht gerecht. Zwar wurde der Antrag vom Antragsteller in einfacher Form signiert (indem in der Unterschriftenzeile der Name des Antragstellers gedruckt steht); der Antragsteller hat den Antrag jedoch sodann nicht selbst aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach heraus versendet. Vielmehr geschah dies über das Postfach von Herrn Rechtsanwalt EEE.
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Der Antrag wurde vor Versand nicht von dem Antragsteller qualifiziert elektronisch signiert, sondern von Rechtsanwalt EEE. Es fehlt damit an einer formgerechten Einreichung. Der vom Antragsteller einfach signierte Schriftsatz hätte über sein eigenes Anwaltspostfach versendet werden müssen (§ 37 S. 2 Alt. 2 BRAO), was nicht geschehen ist.
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Es kann auch nicht auf die qualifizierte elektronische Signatur von Herrn Rechtsanwalt EEE abgestellt werden; diese weicht von der einfachen Signatur ab und steht im Widerspruch zu dem sonstigen Auftreten des Antragstellers. Zwar könnte es für eine wirksame Einreichung ausreichend sein, wenn überhaupt irgendein Rechtsanwalt eine qualifizierte elektronische Signatur angebracht hat, sofern davon ausgegangen werden könnte, dass er die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen habe (so möglicherweise BGH, NJW 2022, 2415). Eine solche Rechtsmeinung lässt sich nach Ansicht der Kammer jedoch vor allem dann vertreten, wenn es an einer einfachen Signatur und sonstigen Hinweisen auf die verantwortende Person fehlt. Im vorliegenden Fall fehlt es daran jedoch nicht, sondern die übrigen Angaben stehen vielmehr im Widerspruch zu der qualifizierten elektronischen Signatur. So ist auf der ersten Seite der Antragsschrift vom 13.06.2022 oben rechts der Antragsteller persönlich als verantwortliche Person und Ansprechpartner genannt. Der gesamte Schriftsatz ist sodann bis auf vereinzelte Ausnahmen in der Ich-Form gehalten und nimmt Bezug auf den „Unterzeichner“ („gegen die Zurückweisung des Einspruches des Unterzeichners […] beantrage ich hiermit Entscheidung des Anwaltsgerichts“; „Es liegt kein Verstoß des Unterzeichners […] vor“; „Der Unterzeichner hatte hierzu keine Freigabe durch eigene Mandantschaft.“; „Tatsache, dass dem Unterzeichner der Nachweis einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung bis heute nicht vorgelegt wurde, war der Unterzeichner vielmehr berechtigt“; „Rügebeschluss […] greift […] in verfassungswidriger Weise in die Berufsausübungsfreiheit des Unterzeichners ein“).
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Mit „Unterzeichner“ kann damit nur der Antragsteller selbst gemeint sein; denn allein er hat in dem baurechtlichen Mandat gehandelt und allein seine Berufsausübungsfreiheit kann vorliegend betroffen sein. Konsequenterweise endet der Schriftsatz in der Unterschriftenzeile sodann auch mit dem Namen des Antragstellers. Der Antragsteller sieht sich also selbst als „Unterzeichner“ des Schriftsatzes; dies hat zur Folge, dass er den Schriftsatz auch über sein eigenes Anwaltspostfach hätte einreichen müssen (§ 37 S. 2 Alt. 2 BRAO).
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Daran ändert auch die qualifizierte elektronische Signatur eines anderen Rechtsanwaltes nichts. Dessen Auftreten steht im Widerspruch zu dem gesamten Inhalt des Schriftsatzes. Auch die nachträglich erhobene Behauptung, es habe sich bei diesem Rechtsanwalt um den Wahlverteidiger des Antragstellers gehalten, vermag diese Zweifel nicht auszuräumen. Selbst wenn man trotz fehlender Verweisung § 137 StPO auf das Verfahren nach § 74a BRAO anwenden würde, so hätte spätestens mit der Antragsschrift auch eine entsprechende Vertretungsanzeige erfolgen müssen; aus dem Schriftsatz geht hingegen noch nicht einmal ansatzweise hervor, dass ein Verteidiger für den Antragsteller auftritt, weshalb auch eine konkludente Erklärung ausscheidet; der Verteidiger müsste dann zudem als der „Unterzeichner“ angesehen werden, was inhaltlich keinen Sinn ergibt. Entgegen der Behauptung im Schriftsatz vom 19.12.2022 wurde die Verteidigerbestellung mit diesem Schriftsatz auch nicht „hiermit noch einmal angezeigt“. Nicht überzeugend ist die Behauptung des Rechtsanwalts EEE in seinem Schriftsatz vom 19.12.2022, wonach er als „Wahlverteidiger des Antragstellers […] die Antragsschrift vom 13.06.2022 erstellt“ habe; denkbar ist zwar, dass er den Schriftsatz für den Antragsteller vorbereitet hat; erkennbar hat er jedoch nie vorgehabt, den Schriftsatz auch als Verteidiger und verantwortender Rechtsanwalt beim Anwaltsgericht einzureichen; ansonsten hätte er nicht in der Ich-Form geschrieben und sich damit auf den Antragsteller bezogen.
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Nicht verkannt wird, dass Herr Rechtsanwalt EEE in der mündlichen Verhandlung tatsächlich als Verteidiger aufgetreten ist. Allerdings ist schon der Verlegungsantrag vom 29.03.2023 erneut vom Antragsteller selbst verfasst und (einfach) signiert worden. Wäre Herr Rechtsanwalt EEE tatsächlich als Verteidiger bestellt gewesen, wäre zu erwarten gewesen, dass er selbst als Verteidiger den Verlegungsantrag stellt und diesen nicht seinen Mandanten stellen lässt.
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Danach bestehen erhebliche Zweifel, ob der Antrag auf gerichtliche Entscheidung dem Formerfordernis des § 37 S. 2 BRAO genügt. Es steht auf Grund der zahlreichen Widersprüche nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass Rechtsanwalt EEE die Antragsschrift verantwortet hat.
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2. Letztlich kann diese Frage aber offenbleiben, da der Antrag jedenfalls nicht fristgerecht gestellt wurde.
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Ein Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung ist nach § 74a Abs. 1 S. 1 BRAO innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Bescheids über die Zurückweisung des Einspruchs gegen den Rügebescheid zu stellen.
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Der Bescheid über die Zurückweisung des Einspruchs gegen den Rügebescheid wurde dem Antragsteller am 11.05.2022 zugestellt. Die Monatsfrist lief damit grundsätzlich am 11.06.2022 ab. Der Antrag auf anwaltsgerichtliche Entscheidung ging jedoch erst am 13.06.2022 beim Anwaltsgericht ein.
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Der Tag des Fristablaufs, der 11.06.2022, war allerdings ein Samstag. Es stellt sich daher die Frage, ob die Einreichung am darauffolgenden Montag noch fristwahrend erfolgte. Die BRAO selbst enthält keine § 193 BGB vergleichbare Regelung, wonach im Falle eines Fristablaufs an einem Sonnabend oder Sonntag an deren Stelle der nächste Werktag träte. Entscheidend ist daher, ob eine Norm aus einer anderen Verfahrensordnung analog anzuwenden ist. Insoweit werden unterschiedliche Ansichten vertreten, ob und, wenn ja, in welchem Umfang Vorschriften aus einem Allgemeinen Teil beispielsweise der StPO oder der VwGO oder des VwVfG anzuwenden sind (hierzu Ott, BRAK-Mitt. 2021, 145).
38
Entgegen der früheren Fassung von § 74a BRAO erklärt die Norm seit dem 18.05.2017 nur noch einzelne Vorschriften der Strafprozessordnung für das Verfahren über die anwaltsgerichtliche Entscheidung für anwendbar, namentlich die §§ 308, 309 und 311a StPO (§ 74a Abs. 1 S. 2 BRAO). Ein Rückgriff auf § 43 Abs. 2 StPO, wonach eine Frist mit Ablauf des nächsten Werktages endet, wenn „das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend“ fällt, ist damit nicht vorgesehen. Dessen ungeachtet seien die §§ 22 ff. StPO nach Weyland (BRAO, 10. Aufl. 2020, § 74a Rn. 15) weiterhin entsprechend anwendbar, weil der Gesetzgeber die Folgen der gegenteiligen Auffassung „schlichtweg übersehen“ habe. Ganz im Gegenteil hierzu betont die Gesetzesbegründung indessen, dass mit der neuen Regelung in § 74a Abs. 2 S. 2 BRAO „ausdrücklich klargestellt wird, dass andere Normen der StPO von der Verweisung in § 74a II 2 […] nicht erfasst werden“ (BT-Drs. 18/9521 vom 09.05.2016, S. 129). Angesichts dieser eindeutigen Formulierung wäre eine etwaige Lücke keinesfalls planwidrig, so dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung anderer Normen nicht erfüllt sind. In der Literatur wird daher überwiegend vertreten, dass eine entsprechende Anwendung anderer Vorschriften der StPO ausgeschlossen ist (Kleine-Cosack, BRAO, 9. Aufl., 2022, § 74a, Rn. 3; Lauda, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 74a BRAO Rn. 4). Dem schließt sich die Kammer auf Grund des klaren Gesetzeswortlauts und der eindeutigen Gesetzesbegründung an.
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Auf Grund der lex specialis in § 74a Abs. 2 S. 2 BRAO verbietet sich auch ein Rückgriff auf den für anwaltsgerichtliche Verfahren die ergänzende Anwendbarkeit von GVG und StPO anordnenden § 116 Abs. 1 S. 2 BRAO (AGH Celle, Beschluss vom 18.11.2014, Az. AGH 1/14, Rn. 11; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 25.02.2016, Az. 1 BvR 1042/15, Rn. 20).
40
§ 112c Abs. 1 S. 1 BRAO erklärt die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung für entsprechend anwendbar, soweit die Bundesrechtsanwaltsordnung keine abweichenden Bestimmungen über das gerichtliche Verfahren enthält; ausweislich der systematischen Stellung im Fünften Teil, Vierter Abschnitt der BRAO, gilt § 112c BRAO allerdings nur für gerichtliche Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen vor dem Anwaltsgerichtshof; nach § 112a Abs. 1 BRAO sind Streitigkeiten anwaltsgerichtlicher Art gerade keine verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen. Ein Rückgriff auf § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO ist daher nicht möglich.
41
§ 32 Abs. 1 S. 1 BRAO erklärt für Verwaltungsverfahren nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ergänzend die Verwaltungsverfahrensgesetze für anwendbar; bei dem anwaltsgerichtlichen Verfahren handelt es sich jedoch um kein Verwaltungsverfahren, so dass auch nicht auf Art. 31 Abs. 3 S. 1 BayVwVfG zurückgegriffen werden kann.
42
Schließlich existiert entgegen der vom Antragsteller aufgestellten Behauptung kein allgemeiner Rechtsgrundsatz, wonach eine Frist stets erst mit Ablauf des nächsten Werktages endet, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt. Wenn dem so wäre, bedürfte es schon keiner gesonderten Regelungen in den einzelnen Verfahrensordnungen. Zudem ist es in der Rechtsprechung beispielsweise für § 517 2. Alt. ZPO (OLG Frankfurt, NJW 1972, 2313) und § 72b Abs. 1 ArbGG (BAG, NJW 2022, 3732) anerkannt, dass u.a. Rechtsmittelfristen an einem Sonnabend oder einem Sonn- oder Feiertag ablaufen können.
43
Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, Vorschriften aus anderen Verfahrensordnungen analog anzuwenden. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Reform des § 74a Abs. 2 S. 2 BRAO zum 17.05.2017 bewusst – wenn auch in der Sache womöglich unbefriedigend – nur noch einzelne Normen der Strafprozessordnung für anwendbar erklärt. Ob dies in anderen Fällen dazu führen könnte, dass Rechte eines Antragstellers unzumutbar und unter Verletzung des Rechtsstaatsprinzips beeinträchtigt werden und daher eine analoge Anwendung von Vorschriften geboten wäre, kann offenbleiben. Im vorliegenden Fall liegt eine elementare Verfahrensgrundrechte betreffende Beeinträchtigung jedenfalls nicht vor. Dem Antragsteller war bekannt, dass er seinen Antrag innerhalb eines Monats zu stellen hat. Der Antragsteller hat auch nicht vorgetragen, dass er an der Wahrung der Frist unverschuldet verhindert gewesen wäre; der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Erfordernisse ist regelmäßig ohnehin nicht unverschuldet, zumal von einem Rechtsanwalt zu verlangen ist, bei zweifelhafter Rechtslage den sicheren Weg zu wählen (BGH, Beschluss vom 30.03.2022, Az.: XII ZB 311/21). In der wortlautgetreuen Beschränkung der Monatsfrist auf genau einen Monat kann daher keine Verletzung von Verfahrensgrundrechten liegen.
44
Die Frist zur Antragstellung ist damit am 11.06.2022 und somit zwei Tage vor Eingang des Antrags bei Gericht abgelaufen.
45
Der Antrag des Antragstellers auf anwaltsgerichtliche Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen den Rügebescheid war somit als unzulässig zu verwerfen.
46
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs. 1 Satz 1, 197 Abs. 1 Satz 1 BRAO.
47
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 74a Abs. 3 Satz 4 BRAO.