Titel:
Erfolglose Klage der Nachbarn gegen Studentenwohnheim
Normenketten:
BauGB § 30 Abs. 3, § 34
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls bzw. eine weiter zunehmende Verschattung sind in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation auch am Maßstab des Rücksichtnahmegebots hinzunehmen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Rücksichtnahmegebot verbürgt kein Recht für den Nachbarn auf Erhaltung einer auf dem Nachbargrundstück bestehenden begrünten Ruhezone. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Vorschriften einer naturschutzrechtlichen Baumschutzverordnung sind nicht nachbarschützend. Die Gewährleistung einer angemessenen innerörtlichen Durchgrünung oder die Förderung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts enthält keine nachbarschützenden Zwecke, sondern verfolgt allgemeine öffentliche Interessen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Studentenwohnheims, keine Verletzung des Gebieterhaltungsanspruchs, keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots, zulässiger Grenzanbau, Verringerung des Lichteinfalls, begrünte Ruhezone, Baumschutzverordnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22557
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen von der Beklagten für den Neubau eines Studentenwohnheims im rückwärtigen Teil des Grundstücks …str. 84, FlNr. … Gem. … (im Folgenden: Baugrundstück) erteilte Baugenehmigung.
2
Die Kläger sind Miteigentümer des Grundstücks …str. 79, FlNr. … Gem. … (im Folgenden: klägerisches Grundstück), das nördlich unmittelbar an das Baugrundstück angrenzt und an der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit einem zweigeschossigen Gebäude bebaut ist.
3
Das Baugrundstück und das klägerische Grundstück liegen im einem durch die …-, …-, …- und …straße gebildeten Geviert, in dem durch übergeleiteten Baulinienplan eine straßenbegleitende, vordere Baulinie festgesetzt ist; im Übrigen weisen sie keine Festsetzungen durch qualifizierten oder einfachen Bebauungsplan auf.
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Vgl. zur Lage der Grundstücke und ihrer Bebauung den anliegenden Lageplan im Maßstab 1 : 1000, der die Bestandssituation darstellt (nach dem Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht):
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Am 16. Mai 2019 erteilte die Beklagte der Beigeladenen einen Vorbescheid für den Neubau eines Rückgebäudes mit Studentenapartments oder eines Studentenwohnheims (8 Wohneinheiten). In Frage 1 wurde die Art der baulichen Nutzung (Ziff. 1a: Wohnen – Studentenapartments, Ziff. 1b Studentenwohnheim (gewerblich)) behandelt und hinsichtlich der Nutzungsart „Wohnen“ von der Beklagten positiv beantwortet. In Frage 2 wurde das Maß der baulichen Nutzung abgefragt und bejaht. Gegenstand der Planung war ein an der westlichen, nördlichen und östlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks grenzständig errichteter Baukörper mit Flachdach (E + 4). Der Baukörper sollte 14,2 m hoch (vermaßt), 8,07 m breit und (im ersten bis dritten Obergeschoss) 12 m tief sein. Der Vorbescheid wurde den Klägern jeweils am 21. Mai 2019 zugestellt.
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Am 26. Februar 2020 beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung für den Neubau eines Rückgebäudes für ein Studentenwohnheim mit 9 Apartments sowie die Errichtung eines Durchgangs beim Vordergebäude und die Verkleinerung einer Gewerbeeinheit nach PlanNr. … Der fünfgeschossige Baukörper soll Maße von 12,42 m (im 1. Obergeschoss) x 8,06 m x 14,75 m (Attika) haben und an der westlichen, nördlichen und östlichen Grundstücksgrenze grenzständig errichtet werden. Ausweislich eines als Betriebsbeschreibung bezeichneten Schreibens der Beigeladenen vom 17. Januar 2020 soll es sich um eine reine Wohnnutzung, genutzt als Studentenwohnheim handeln. Die neun Apartments sind jeweils mit Bad, Küche und Schlaf-/Wohnraum ausgestattet, im Erdgeschoss befindet sich zudem ein Gemeinschaftsraum.
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Die Beklagte erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 20. Oktober 2020 die beantragte Baugenehmigung nach PlanNr. … Den Klägern wurde die Baugenehmigung ausweislich von in den Behördenakten befindlichen Postzustellungsurkunden jeweils am 26. Oktober 2020 zugestellt.
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Mit Schriftsatz vom 20. November 2020, am selben Tag per Telefax und am 23. November 2020 im Original bei Gericht eingegangen, erhoben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen die Baugenehmigung vom 20. Oktober 2020 zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Sie beantragen,
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Die von der … … erteilte Baugenehmigung (Bescheid vom 20.10.2020 – AZ: …) wird aufgehoben.
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Die angefochtene Baugenehmigung verletze das drittschützende Rücksichtnahmegebot. Bereits die zahlreichen zu Gunsten der Bauherrin erteilten Befreiungen zeigten, dass vorliegend zu Lasten der Nachbarn die Nachverdichtung einer begrenzt vorhandenen Fläche bewilligt worden sei. Die Beklagte stelle in dem gegenständlichen Bereich selbst fest, dass die Grundstückssituation beengt sei und folglich ein Dispens von der Mindestspielplatzgröße erforderlich sei. Um das Bauvorhaben zu genehmigen, sei darüber hinaus auf dem ohnehin beengten Areal die Schaffung von Fahrradstellplätzen angeordnet worden. Prägender Baumbestand müsse gefällt werden. Es bestünden erhebliche arten- und denkmalschutzrechtliche Bedenken. Bei der Frage der Verletzung des Rücksichtnahmegebots spiele es auch eine nicht unerhebliche Rolle, dass ausweislich des streitgegenständlichen Bescheids Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger nicht berücksichtigt worden seien. Die Beklagte gehe von einer Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO aus. Beachtlich sei hier jedoch, dass das auf dem Grundstück der Kläger bestehende Rückgebäude lediglich eine Höhe von ca. 7 m aufweise, wohingegen das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben ca. 15 m hoch sei. Das streitgegenständliche Bauvorhaben beeinträchtige die Kläger zudem in ihrem Eigentumsrecht, soweit es um die Aufstockung ihres Rückgebäudes ginge. Der Gebietserhaltungsanspruch sei verletzt. Die nähere Umgebung entspreche der eines Allgemeinen Wohngebiets. Das Studentenwohnheim sei vergleichbar mit gewerblicher Beherbergung und derartige Nutzungen seien im Allgemeinen Wohngebiet nur ausnahmsweise zulässig.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Baugenehmigung verletze keine nachbarschützenden Rechte. Hinsichtlich der Argumente der Größe von Kinderspielplätzen sowie der Auflagen zu Ersatzpflanzungen komme eine Verletzung drittschützender Rechte nicht in Betracht. Gleiches gelte für die vorgebrachten artensowie denkmalschutzrechtlichen Bedenken. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs scheide aus. Der Vorbescheid vom 16. Mai 2019 entfalte insoweit Bindungswirkung. Zudem sei die nähere Umgebung als Gemengelage anzusehen. Weiter handele es sich bei dem genehmigten Vorhaben um eine Wohnnutzung, da die Apartments für die eigenständige Haushaltsführung ausgestaltet seien. Auch das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt. Es handele sich um einen dicht bebauten innerstädtischen Bereich, in dem grenzständige Bebauung planungsrechtlich zulässig sei. Unzumutbare Beeinträchtigungen lägen nicht vor. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sei die Einhaltung von Abstandsflächen nicht erforderlich. Auf Grund der im Geviert auch im rückwärtigen Bereich vorhandenen, geschlossenen Bebauung sei es im vorliegenden Fall zulässig, ohne Einhaltung von Abstandsflächen an die jeweils bebauten Nachbargrenzen auch im rückwärtigen Bereich anzubauen.
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Die Beigeladene beantragt,
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Die Regelungen bezüglich Ersatzpflanzungen und Spielplätzen, angebliche Verstöße gegen umwelt- und artenschutzrechtliche Vorschriften sowie die Anordnung von Fahrradabstellplätzen seien nicht drittschützend. Drittschützendes Abstandsflächenrecht sei nicht verletzt, da die Einhaltung von Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht erforderlich sei. Auch die Kläger hätten ihr Grundstück in geschlossener Bauweise bebaut. Es erschließe sich nicht, inwiefern die künftige Bebauung der Kläger durch das Bauvorhaben beeinträchtigt werde. Der Gebietserhaltungsanspruch sei nicht verletzt. Es handele sich um eine Wohnnutzung, da die Nutzer unter Verrichtung der wohntypischen Tätigkeiten ihren Lebensmittelpunkt fänden und ausübten. Die Tatsache, dass die Nutzung aufgrund der Dauer des Studiums beschränkt sei, spiele keine entscheidende Rolle. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt.
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Die Kammer hat am 22. Mai 2023 Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der baulichen und örtlichen Verhältnisse auf dem klägerischen Grundstück und der Umgebung. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Augenscheins und der anschließenden mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
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Wegen der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da durch die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 20. Oktober 2020 keine drittschützenden Rechte der Kläger verletzt werden, die im Genehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO zu prüfen waren, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung von Normen beruht, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren und zumindest auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch den angefochtenen Bescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
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Die Baugenehmigung verletzt keine Nachbarrechte der Kläger, insbesondere kein drittschützendes Bauplanungs- (1.) oder Bauordnungsrecht (2.).
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1. Die Baugenehmigung verletzt weder den Gebietserhaltungsanspruch (1.1.) noch ist sie zu Lasten der Kläger rücksichtslos (1.2.).
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Da sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit vorliegend im Hinblick auf das vorhandene, gemäß § 173 BBauG und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitete Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen nach § 34 BauGB richtet, ist bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz aus dieser Vorschrift herzuleiten. Drittschutz wird im unbeplanten Innenbereich auch nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m BauNVO gewährt (sog. Gebietserhaltungsanspruch). Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im Innenbereich wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (stRspr, BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12, ZfBR 2014, 257, m.w.N.). Ob sich das Bauvorhaben darüber hinaus objektiv in die maßgebliche Umgebung einfügt, ist nicht entscheidend.
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Es kann dahinstehen, ob der Vorbescheid vom 16. Mai 2019 – auch nach den überschaubaren Änderungen der Planung im Baugenehmigungsverfahren – Bindungswirkung für das beantragte und mit Bescheid vom 20. Oktober 2020 genehmigte Bauvorhaben entfaltet (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85; BayVGH, B.v. 7.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris; B.v. 29.4.2019 – 9 ZB 16.2606 – juris Rn. 6), weil die Baugenehmigung zumindest keine drittschützenden Rechte verletzt.
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1.1. Das Bauvorhaben verstößt nicht gegen den Gebietserhaltungsanspruch.
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Der Gebietserhaltungsanspruch des Nachbarn setzt voraus, dass das Grundstück in einem festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) liegt und gewährt dem Grundstückseigentümer einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet bzw. der maßgeblichen Umgebung, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht. Der Gebietserhaltungsanspruch ist generell drittschützend, d.h. unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung den Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht. Er ist verletzt, wenn das Vorhaben im faktischen oder festgesetzten Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. BauNVO) weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris Rn. 13). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kann daher das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des (faktischen) Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindert werden (BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – ZfBR 2012, 378).
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Dies zugrunde gelegt, scheidet eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs aus. An der Qualifizierung des Studentenwohnheims als Wohnnutzung bestehen bei Heranziehung der Grundrisse in den Bauplänen und des Schreibens der Beigeladenen vom 17. Januar 2020, in dem klargestellt wird, dass keine Beherbergung, sondern eine Wohnnutzung zur Genehmigung gestellt wird, keine Zweifel, sodass sich das Bauvorhaben nach seiner Art in die nähere Umgebung einfügt. Unabhängig davon, ergibt sich auch nach dem Vortrag der Klagepartei kein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch. Auch wenn man unterstellt, dass die genehmigte Nutzung als Betrieb des Beherbergungsgewerbes zu qualifizieren ist, ist sie im Allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO). Ein Grundstücksnachbar hat auch keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO (vgl. BVerwG, U.v. 29.3.2022 – 4 C 6/20 – juris Rn. 19 ff.).
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1.2. Das Bauvorhaben ist auch nicht rücksichtslos.
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Es kann dahinstehen, ob sich das Gebot der Rücksichtnahme im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (BayVGH, B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351).
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Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbar als objektiv-rechtliche Anforderung nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn dieser qualifiziert und individualisiert betroffen ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 28). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. statt vieler: BVerwG, U. v. 18.11.2004 – 4 C 1.04). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (BVerwG, B. v. 6.12.1996 – 4 B 215.96). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351). Das Rücksichtnahmegebot ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22). Am Maßstab des Rücksichtnahmegebots sind nur solche Auswirkungen zu berücksichtigen, die einen Bezug zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung des Gebiets haben.
31
Dies berücksichtigend, ergibt sich weder aus der behaupteten Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse noch unter dem Gesichtspunkt einer erdrückenden Wirkung eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Es finden sich in der näheren Umgebung, insbesondere im rückwärtigen Bereich, Gebäude, die das Bauvorhaben in seiner Höhenentwicklung überragen (bspw. das Rückgebäude der FlNr. …) oder dieser entsprechen (FlNrn. …, …, …). Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins ist das Geviert durch überwiegend in geschlossener Bauweise errichtete, mehrgeschossige Gebäude im vorderen und rückwärtigen Teil der Grundstücke geprägt, die zueinander gar keinen oder einen geringen Abstand einhalten. Eine grenzständige Bebauung im Geviertsinneren ist vorliegend üblich. Ein Ausnahmefall, in dem trotz Einfügens des Baukörpers in die nähere Umgebung ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gegeben ist, liegt nicht vor. Eine erdrückende Wirkung (vgl. bspw. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnanwesen), die von der Rechtsprechung regelmäßig nur bei in Höhe und Volumen überdimensionierten Baukörpern zu benachbarten Wohnbebauung angenommen wird (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5), scheidet vorliegend aus. Das Vordergebäude der Kläger wird durch das Bauvorhaben schon aufgrund des erheblichen Abstands von mind. 22 m nicht tangiert. An das Rückgebäude der Kläger grenzten bereits vor Verwirklichung des Bauvorhabens auf den FlNrn. … und … diesem in der Höhenentwicklung entsprechende Baukörper an. Durch das Bauvorhaben wird eine Baulücke geschlossen, die durch den städtebaulichen Rahmen vorgegeben war. Aufgrund des Umstands, dass die Fenster des Rückgebäudes nach Norden ausgerichtet sind, ist auch eine besondere Beeinträchtigung nicht ersichtlich. Das Gebäude wird von Norden belichtet. Allein der Umstand, dass das Bauvorhaben das klägerische Grundstück deutlich überragt, reicht nicht, um anzunehmen, dass es rücksichtslos ist. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls bzw. eine weiter zunehmende Verschattung sind in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation auch am Maßstab des Rücksichtnahmegebots hinzunehmen (BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 19). Das Rücksichtnahmegebot verbürgt kein Recht für den Nachbarn auf Erhaltung einer auf dem Nachbargrundstück bestehenden begrünten Ruhezone. Inwieweit die streitgegenständliche Bebauung eine zukünftige Bebauung auf dem klägerischen Grundstück entgegenstehen soll, erschließt sich dem Gericht nicht und wurde auch nicht näher erläutert.
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2. Auch grundsätzlich drittschützendes Abstandsflächenrecht wird nicht verletzt. Der streitgegenständliche Baukörper muss gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück einhalten. Nach dieser Vorschrift ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf.
33
Der Baukörper fügt sich auch – dahingestellt, ob dies für eine Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2011 – 2 B 11.762 – juris Rn. 34; U.v. 5.7.2017 – 2 B 17.824 – juris Rn. 56) – nach allen Kriterien in die nähere Umgebung ein. Das Bauvorhaben ist nach der Art der Nutzung zulässig (vgl. 1.1.), gleiches gilt für das Baukörpervolumen (vgl. 1.2.). Die nähere Umgebung ist unzweifelhaft durch geschlossene Bauweise geprägt und weist keine Beschränkungen i.S. einer prägenden Bebauungstiefe o.ä. auf.
34
3. Unberücksichtigt bleiben muss auch das Vorbringen der Klagepartei, dass für die Errichtung des Vorhabens erhaltenswerte Bäume gefällt werden mussten. Dies spielt weder im Rahmen des Einfügensgebots gem. § 34 Abs. 1 BauGB eine Rolle noch werden hierdurch Nachbarrechte verletzt.
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Auch die übrigen Einwände der Klagepartei verfangen nicht.
36
Die Vorschriften einer naturschutzrechtlichen Baumschutzverordnung sind nicht nachbarschützend (vgl. bspw. BayVGH, B.v. 15.3.2004 – 2 CS 04.581 – juris Rn. 2 m.w.N.). Die Gewährleistung einer angemessenen innerörtlichen Durchgrünung oder die Förderung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, enthält keine nachbarschützenden Zwecke, sondern verfolgt allgemeine öffentliche Interessen (VG München, B.v. 8.2.2011 – M 8 SN 11.110 – BeckRS 2011, 54391). Gleiches gilt für Belange des Denkmalrechts (vgl. zu dem Schutzanspruch eines Eigentümers des Kulturdenkmals: BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 4 C 3.08 – juris Rn. 9 ff.). Dass durch die Schaffung von Fahrradabstellplätzen auf dem Baugrundstück möglicherweise beengte Umstände auf dem Baugrundstück entstehen und eine Abweichung von der erforderlichen Kinderspielplatzgröße erforderlich ist, berührt die Kläger in keiner Weise.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass die Kläger auch ihre außergerichtlichen Kosten tragen, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wird gestützt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.