Inhalt

VG München, Beschluss v. 04.07.2023 – M 30 E 23.2746
Titel:

Einstellung des Verfahrens: Einstweilige Verfügung auf Erhebung einer Anklage

Normenkette:
VwGO § 92 Abs. 3 S. 1
Leitsätze:
1. In Ausnahmefällen kann eine bloße Nichtbearbeitung eines Rechtsbehelfs und schlichtes Austragen in Betracht kommen, wenn es an einem sinnhaften und ernst zu nehmenden Rechtsschutzbegehren fehlt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein sinnhaftes und ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren kann beispielsweise bei völlig wirrem oder stereotyp wiederholtem Vorbringen fehlen oder wenn das „Rechtsmittel“ unter Anlegung eines strengen Maßstabs offensichtlich haltlos ist, was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Ersuchen, das kein sinnhaftes und ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren enthält, ist von vornherein unbeachtlich; eine förmliche Abweisung oder Verwerfung durch Prozessentscheidung erfolgt nicht. Ist das Ersuchen zunächst unzutreffend als förmlicher Rechtsbehelf behandelt worden, so sind die Regelungen über die deklaratorische Einstellung bei Klagerücknahme entsprechend anzuwenden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verfahrenseinstellung, Nicht wirksam erhobener Eilantrag, Rechtsmissbräuchlich, Verwaltungsrechtsweg, Strafrechtspflege, Veranlassung von Strafverfolgungsmaßnahmen, Vielzahl von Anträgen, drohender und beleidigender Inhalt, Bescheidlosstellung, ernstzunehmendes Rechtsschutzbegehren, Rechtsmissbrauch
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22549

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe

I.
1
Der im Saarland wohnhafte Antragsteller begehrt in der Sache den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegner dazu veranlasst werden soll, Anklage gegen Herrn … … zu erheben.
2
In diesem Zusammenhang hat der Antragsteller eine Vielzahl von Anträgen bei dem Verwaltungsgericht München gestellt, jeweils mit dem Ziel, dieses möge dem Generalbundesanwalt hinsichtlich jeweils unterschiedlicher Amtsträger, Behörden und Privatpersonen im Wege des Eilverfahrens aufgeben, Anklage zu erheben.
3
Mit Schreiben vom 9. Juni 2023 teilte das Verwaltungsgericht München dem Antragsteller mit, dass der Verwaltungsrechtsweg in Sachen der Strafrechtspflege nicht eröffnet sei und eine Verweisung an das zuständige Gericht der Strafgerichtsbarkeit in Betracht komme. Der Antragsteller stimmte einer Verweisung an das Oberlandesgericht … zu; gleichzeitig erhob er aber fortlaufend weiter Eilanträge mit gleich gelagerten Begehren.
4
Bereits mit Beschluss vom 24. Januar 2023 – 3 K 3955/22 – hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Antragsteller darauf hingewiesen, dass die Begehren des Antragstellers, den Generalbundesanwalt zu Strafverfolgungsmaßnahmen zu veranlassen, „keine ansatzweise Grundlage im Verwaltungsrecht aufweisen“.
5
Mit Schreiben vom 16. Juni 2023 regte der Generalbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof eine Verfahrenseinstellung an und verwies zur Begründung auf eine seit geraumer Zeit erhobene Vielzahl von Eingaben des Antragstellers, die u.a. auf eine Bestrafung der seine Verfahren bearbeitenden Bediensteten gerichtet seien und zum Teil drohenden und beleidigenden Inhalt hätten. Teilweise sei er bescheidlos gestellt. Allein bei den saarländischen Gerichten seien wohl mehrere hundert Klagen, Anträge und sonstige Eingaben des Antragstellers anhängig gemacht worden. Außerdem gebe es eine Vielzahl von Eilrechtsschutzanträgen an verschiedenen Verwaltungsgerichten, um den Antragsgegner zu einer Anklageerhebung gegen unterschiedlicher Amtsträger, Behörden und Privatpersonen zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht Stuttgart habe in zwölf Verfahren solchen Inhalts die Anträge als unzulässig abgelehnt. Ebenso das Verwaltungsgericht Karlsruhe und das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Die Verwaltungsgerichte Freiburg und Mainz hätten Einstellungsbeschlüsse erlassen. All dies belege, dass der Antragsteller verfahrensfremde Zwecke verfolge.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
7
Das Verfahren ist von Amts wegen einzustellen, weil das Ersuchen des Antragstellers nicht als wirksam erhobener und damit nach der Prozessordnung zu bearbeitender Eilantrag zu bewerten ist.
8
Das Verwaltungsgericht Freiburg hat in einem weiteren Verfahren des Antragstellers gegen denselben Antragsgegner, in dem es ebenfalls um die Verpflichtung des Antragsgegners zur Veranlassung von Strafverfolgungsmaßnahmen ging, mit Beschluss vom 17. Februar 2023 (Az: 10 K 319/23) Folgendes ausgeführt:
9
„In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass in Ausnahmefällen eine bloße Nichtbearbeitung eines Rechtsbehelfs und schlichtes Austragen in Betracht kommen kann, wenn es an einem sinnhaften und ernst zu nehmenden Rechtsschutzbegehren fehlt (VGH Bad.-Württ, Beschluss vom 11.07.2016 -I S 294/16 – Juris; vgl. auch LSG Bad.Württ, Beschluss vom 10. 08. 2015 – L 12 AS 2359/15 – Justiz 2016, 40; BayVGH, Beschluss vom 14. 03. 1990 – 5 B 89.3542 – NJW 1990, 2403; BFH, Beschluss vom 27. 11. 1991 – IIIB 566/90 – BFH/NV 1992, 686). Ein sinnhaftes und ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren kann beispielsweise bei völlig wirrem oder stereotyp wiederholtem Vorbringen fehlen oder wenn das „Rechtsmittel“ unter Anlegung eines strengen Maßstabs offensichtlich haltlos ist (vgl. BSG, Urt. v. 28.05. 1957 – 3 RJ 98.54 -BSGE 5, 176), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (vgl. BSG, Urt. v. 15. 11. 2012 -B 8 SO 23/11 R –, SozR 4-1500 § 72 Nr. 2, und Beschluss vom 25. 09.2014 -B 8 SO 50/14 B –, Juris). Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass unter anderem offensichtlich wiederholende Eingaben nicht beschieden werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 19. 04.2021 -1 BvR 2552/18 –, juris). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Antragsteller macht dasselbe materielle Anliegen – die Veranlassung von Strafverfolgungsmaßnahmen hinsichtlich verschiedener Privatpersonen sowie Amtsträger und Behörden aus dem Bereich der saarländischen Polizei und Justiz, aber auch des Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof – immer wieder erneut zum Gegenstand zahlreicher (verwaltungsgerichtlicher) Verfahren, obgleich ihm bekannt ist, dass der Verwaltungsrechtsweg hierfür offensichtlich nicht gegeben ist und zudem jedenfalls teilweise eine entgegenstehende Rechtshängigkeit oder Rechtskraft gegeben ist. Dabei ist zu beachten, dass der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg den Antragsteller bereits mit Beschluss vom 24. 01.2023 – 3 K 3955/22 – darauf hingewiesen hatte, dass die Begehren des Antragstellers „keine ansatzweise Grundlage im Verwaltungsrecht aufweisen“. Der Antragsteller räumt sein wiederholtes Vorgehen vor verschiedenen Verwaltungsgerichten selbst ein und begründet es letztlich damit, dass er vor anderen Verwaltungsgerichten mit seinen Anträgen keinen Erfolg gehabt habe. Dass er selbst, wie er geltend macht, seine Anträge als ernsthaft begreift, steht der Annahme eines Ausnahmefalles nicht entgegen, denn es kommt insoweit auf ein objektiv ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren an. Danach ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Ein Ersuchen, das kein sinnhaftes und ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren im oben aufgezeigten Sinn enthält, ist von vornherein unbeachtlich; eine förmliche Abweisung oder Verwerfung durch Prozessentscheidung erfolgt nicht. Ist das Ersuchen zunächst – wie hier durch Anlage eines entsprechenden Verfahrens – unzutreffend als förmlicher Rechtsbehelf behandelt worden, so sind die Regelungen über die deklaratorische Einstellung bei Klagerücknahme entsprechend anzuwenden (VGH Bad. -Württ., Beschluss vom 11. 07. 2016-1 S294/16-, juris Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 14. 03. 1990-5B 89. 3542-JurisRn. 11).“
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Das erkennende Gericht hält die vorstehend zitierten Ausführungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg für überzeugend und schließt sich ihnen unter eigenständiger Prüfung und Würdigung des vorliegenden Falls an. Der Antragsteller hat trotz der ihm auch hier mehrfach eingeräumten Möglichkeit nichts vorgetragen, was auch nur ansatzweise für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sprechen würde. Aus den Darlegungen des Antragsgegners zum Prozessverhalten des Antragstellers wird deutlich, dass dieser vorliegend kein ernstzunehmendes Rechtsschutzbegehren verfolgt. Das Verfahren war daher aus Gründen der Rechtsklarheit analog § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen (vgl. dazu auch VG Neustadt, Beschluss vom 17. November 2017, – 5 K 777/17. NW-Juris).
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Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil kein gerichtliches Verfahren vorliegt, das eine Kostenfolge auslösen könnte (vgl. VG Freiburg a. a. o., VG Neustadt, a.a.O.).