Inhalt

VG München, Urteil v. 19.04.2023 – M 28 K 20.2852
Titel:

Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag - ordnungsgemäße Straßenentwässerung

Normenketten:
BayKAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b
BauGB § 125 Abs. 2, § 128 Abs. 1, § 131 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für eine Staßenentwässerung erforderlich sind Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Rinnen, durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet wird. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorteilslage tritt bei einer Anbaustraße dann (und erst dann) ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, frühere erstmalige endgültige Herstellung (verneint), Herstellungsmerkmal Straßenentwässerung, planersetzender Abwägungsbeschluss, beitragsfähiger Aufwand (korrigiert), Vorteilslage (verneint), Anbaustraße, Ausschlussfrist
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22548

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2020 wird aufgehoben, soweit darin ein höherer Erschließungsbeitrag als 25.040,98 € festgesetzt wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
 II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks FlNr. 1665 (nachfolgend stets: Gemarkung … ), …straße …, im Gebiet der Beklagten.
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Die …straße erlangte – insoweit unstreitig zwischen den Beteiligten – Erschließungsfunktion erst nach dem Jahr 1961. Nach Angabe der Beklagten wurden im Jahr 1969 Straßenbaumaßnahmen an der …straße im Rahmen eines „Kreisprogramms“ durchgeführt (nach einem Vermerk der Beklagten von der Abzweigung von der … Straße „bis zum Grundstück …“ auf einer Länge von über 600 m).
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Die Beklagte beschloss im Jahr 2015, verschiedene Gemeindestraßen in den Folgejahren „auszubauen“, darunter die …straße. Am 26. Januar 2017 traf die Beklagte einen „Abwägungsbeschluss gemäß § 125 Abs. 2 BauGB“, ergänzt durch Beschluss vom 22. Juni 2017. Im Laufe des Jahres 2017 führte die Beklagte Straßenbaumaßnahmen an der …straße (von der Abzweigung … Straße bis zur Westgrenze des Grundstücks FlNr. 1671) tatsächlich durch. Im Jahr 2019 wurde die bislang als Gemeindeverbindungsstraße gewidmete Straße vom Abzweig von der … Straße bis zur Westgrenze der FlNr. 1671 zur Ortsstraße umgestuft.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2020 wurde für das Grundstück FlNr. 1665 für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „…straße“ ein Erschließungsbeitrag in Höhe von 25.179,22 € festgesetzt. Auf Grund einer geleisteten Vorausleistung in Höhe von 28.632,88 € (dieser Bescheid vom 17. Mai 2018 erging gegenüber den Eltern der Klägerin) ergebe sich eine Gutschrift in Höhe von 3.453,66 €, die „in den nächsten Tagen“ überwiesen werde.
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Am 29. Juni 2020 erhob die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,
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den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 2. Juni 2020 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsätzen vom 15. September 2020, 31. August 2021, 20. Oktober 2021 und 16. Februar 2023 umfassend zur Sach- und Rechtslage vorgetragen. Im Kern wurde geltend gemacht, der Gemeinderat der Beklagten habe vor den Baumaßnahmen ausdrücklich den Ausbau – nicht etwa die Herstellung – der …straße beschlossen, die Ausschreibung sei nur für eine Straßensanierung – nicht für eine komplette Neuerrichtung – erfolgt. Die Straße habe vor den Baumaßnahmen eine Asphaltdecke, Sinkkästen für die Straßenentwässerung und eine Straßenbeleuchtung und damit spätestens in den 1980er Jahren alle erforderlichen Herstellungsmerkmale aufgewiesen. Randabgrenzungen seien etwa in der … Straße auch nicht vorhanden gewesen und deshalb von der Beklagten nicht als Herstellungsmerkmal gehandhabt worden. Jedenfalls habe aber spätestens in den 1980er Jahren die Vorteilslage bestanden. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen sei deshalb ausgeschlossen. Beanstandet wurde ferner der planersetzende Beschluss der Beklagten. Bei der Verteilung seien die Grundstücke FlNrn. 1670 und 202 zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Gerügt wurden weiter verschiedene Aufwandspositionen in den Rechnungen der bauausführenden Firmen, die erheblich von der Ausschreibung und der Leistungs- und Baubeschreibung abwichen, die das notwendige Maß überschritten hätten oder bei denen Aufwandspauschalen nicht zwischen den abrechnungsfähigen und den nicht abrechnungsfähigen Maßnahmen aufgeteilt worden seien. Man habe die gesamte …straße einer „Luxussanierung“ unterzogen, obwohl die eigentliche Motivlage für die Baumaßnahme nur die bessere Erreichbarkeit des Kindergartens an der …straße gewesen sei.
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Die Beklagte beantragte am 17. August 2020,
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die Klage abzuweisen
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und erwiderte mit Schriftsatz vom 9. November 2020, E-Mail vom 27. August 2021 und Schriftsatz vom 16. Dezember 2021. Ausgeführt wurde insbesondere, dass die …straße vor den durchgeführten Baumaßnahmen nicht die Merkmale der erstmaligen endgültigen Herstellung erfüllt habe, dies gelte hinsichtlich Fahrbahn, Straßenentwässerung, Beleuchtung und Grunderwerb, und dass deshalb rechtmäßig Erschließungsbeiträge erhoben worden seien. Der planersetzende Beschluss entspreche den Maßgaben des § 125 Abs. 2 BauGB, die Gemeinde habe sich umfassend mit den privaten und öffentlichen Belangen auseinandergesetzt. Auch die Verteilung sei nicht zu beanstanden, insbesondere handle es sich bei FlNr. 1670 um ein Außenbereichsgrundstück.
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Am 1. September 2021 fand eine erste mündliche Verhandlung statt. Den Beteiligten wurde danach Gelegenheit gegeben, ihren Vortrag bezüglich der Einzelposten des beitragsfähigen Erschließungsaufwands weiter zu substantiieren. Am 19. April 2023 fand eine weitere mündliche Verhandlung statt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist ganz überwiegend nicht begründet.
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Der auf Art. 5a KAG i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten (i.d.F. der Änderungssatzung vom 20. November 2019) beruhende Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2020 ist lediglich rechtswidrig, soweit darin für das Grundstück der Klägerin FlNr. 1665 ein höherer Erschließungsbeitrag als 25.040,98 € festgesetzt wurde (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Der Erhebung eines Erschließungsbeitrags steht nicht entgegen, dass die Erschließungsanlage …straße bereits zeitlich vor der Durchführung der Straßenbaumaßnahmen im Jahr 2017 aber zeitlich nach In-Kraft-Treten des erschließungsbeitragsrechtlichen Teils des Bundesbaugesetzes (weil die …straße unstreitig erst nach 1961 Erschließungsfunktion erlangte) erstmalig endgültig hergestellt gewesen wäre und deshalb kein weiterer Erschließungsbeitrag mehr erhoben werden dürfte (vgl. zum Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung: BayVGH, B.v. 3.2.2020 – 6 ZB 19.2115 – juris Rn. 11; VG München, U.v. 17.7.2019 – M 28 K 18.1741 – juris). Denn vor diesen Baumaßnahmen bestand in der …straße – unbeschadet weiterer Voraussetzungen wie etwa der Rechtmäßigkeit der Herstellung, § 125 BauGB – jedenfalls keine ausreichende Straßenentwässerung:
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a) Nach In-Kraft-Treten des erschließungsbeitragsrechtlichen Teils des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 ist eine Anbaustraße erschließungsbeitragsrechtlich erstmalig endgültig hergestellt, wenn sie erstmals die nach dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm und dem (dieses bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen ergänzenden) Bauprogramm erforderlichen Teileinrichtungen aufweist und diese den jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogrammen entsprechen (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13/94 – juris Rn. 19; Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Auflage 2022, § 11 Rn. 61, § 19 Rn. 1 ff.), wobei die Gemeinde das Bauprogramm im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 125 BauGB, Anforderungen nach dem Landesstraßenrecht) frei gestalten kann (Driehaus, a.a.O., § 13 Rn. 60). Allein diese Programme – nicht etwa technische Regelwerke – bilden den Maßstab, um zu beurteilen, ob die Herstellung schon abgeschlossen, die Erschließungsanlage also nicht nur provisorisch angelegt, sondern schon – programmgemäß – fertiggestellt ist (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 8 Rn. 23 f. m.w.N.).
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Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS und auch den entsprechenden Bestimmungen aller bis in das Jahr 1961 zurückreichenden früheren Erschließungsbeitragssatzungen der Beklagten (vgl. die in der ersten mündlichen Verhandlung übergebenen Satzungen) gehört eine „Straßenentwässerung“ jeweils zu den satzungsmäßigen Merkmalen der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage.
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Eine Straßenentwässerung stellt dabei schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung genügt hierfür nicht. Dies gilt erst recht, wenn wegen des ungezielten („wilden“) Abfließens des Oberflächenwassers für die Entwässerung notwendig Privatgrundstücke in Anspruch genommen werden müssen und die Beklagte sich dadurch möglichen Abwehransprüchen der Anlieger, die diese Beeinträchtigung ihres Privateigentums nicht hinzunehmen haben, aussetzt (BayVGH, B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – juris Rn. 9). Erforderlich sind vielmehr Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Rinnen, durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet wird (BayVGH, U.v. 5.11.2007 – 6 B 05.2551 – juris Rn. 33; VG München, U.v. 29.10.2019 – M 28 K 16.4687, BeckRS 2019, 28964 Rn. 31 – 35; VG München, U.v. 12. Mai 2015 – M 2 K 14.4608 – juris Rn. 31; Driehaus/Raden, a.a.O., § 19 Rn. 3 jeweils m.w.N.).
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b) Gemessen hieran verfügte die …straße vor der Durchführung der Straßenbaumaßnahmen im Jahr 2017 nicht über eine ausreichende Straßenentwässerung.
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Zwar muss sich die Beklagte vorhalten lassen, dass sie den Zustand der Erschließungsanlage vor der Ausführung der streitgegenständlichen Straßenbaumaßnahmen nicht in der gebotenen Weise dokumentierte (vgl. E-Mail der Beklagten vom 27.8.2021). Eine Entscheidung nach den Grundsätzen von Darlegungs- und Beweislast bedarf es indes nicht, weil sich die Kammer auch ohne ausreichende Dokumentation durch die Beklagte im Rahmen der Amtsermittlung die erforderliche volle Überzeugung von den maßgeblichen Tatsachen verschaffen konnte (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 18.8.2022 – 6 ZB 22.264 – juris Rn. 9).
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So lassen bereits die zum Gegenstand der (ersten) mündlichen Verhandlung gemachten Luftbilder (aus dem „Bayernatlas“, Befliegung aus dem Jahr 2012) auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage eine Abgrenzung der asphaltierten Straßenoberfläche zu den Anliegergrundstücken nicht erkennen. Auch wenn allein diese Luftbilder eine rechtssichere Entscheidung noch nicht gewährleistet hätten, werden die sich daraus ergebenden Anhaltspunkte zweifelsfrei bestätigt durch die ebenfalls in der (ersten) mündlichen Verhandlung besprochenen Fotoaufnahmen. Sie belegen, dass die Straßenoberfläche der …straße nördlich wie südlich der Fahrbahn vor den streitgegenständlichen Baumaßnahmen nicht durch Randsteine, Entwässerungsrinnen, o.ä., von den unmittelbar beidseits der Fahrbahn angrenzenden Privatgrundstücken abgegrenzt war (Gegenteiliges hat im Übrigen auch die Klägerseite in ihren Schriftsätzen nicht behauptet). Auch ist auf Grund des baulichen Zustands der früheren Straße und der Topographie vor Ort auszuschließen, dass die Straße seinerzeit über eine derart gezielte Querund/oder Längsneigung verfügt haben könnte, dass dadurch das auf der Straße auftreffende Oberflächenwasser gezielt den nur sporadisch (die Beklagte gab an: fünf) vorhandenen Straßensinkkästen hätte zugeführt und eine Inanspruchnahme der unmittelbar angrenzenden Privatgrundstücke durch „wild“ abfließendes Regenwasser hätte vermieden werden können.
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c) Auch der Vortrag der Klägerin, dass die … Straße nach diesen Maßstäben ebenfalls nicht über eine ausreichende Straßenentwässerung verfügt habe, die Beklagte bei der … Straße aber von einer früheren endgültigen Herstellung ausgegangen sei (vgl. z.B. die Übersichtskarte vom 23. März 1992 in der Behördenakte), verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Eine insoweit möglicherweise unzutreffende Rechtsauffassung der Beklagten könnte eine Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids schon vor dem Hintergrund der Beitragserhebungspflicht der Beklagten (vgl. Schmitz, a.a.O., § 3 Rn. 10) nicht begründen.
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Gleiches gilt für die Ausführungen der Klägerseite, die Beklagte sei bei ihren Beschlussfassungen und Entscheidungen über die Durchführung und Vergabe der Baumaßnahmen von einem „Ausbau“ i.S. einer ausbaubeitragspflichtigen Maßnahme ausgegangen.
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d) Auf die Frage weiterer Herstellungsmerkmale (Straßenunterbau und -oberfläche, Straßenbeleuchtung) kommt es deshalb nicht mehr an.
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2. Die Rügen der Klägerin hinsichtlich der Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands führen nur in geringem Umfang zu einer teilweisen Rechtswidrigkeit der Beitragsfestsetzung. Bezüglich der zuletzt noch (im Schriftsatz der Klägerin vom 20. Oktober 2021, vgl. den diesbezüglichen Hinweis in der ersten mündlichen Verhandlung vom 1. September 2021 auf die gebotene Zusammenfassung und Substantiierung der diesbezüglichen Rügen) beanstandeten Posten ergibt sich:
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a) Nicht zu beanstanden ist die Beitragsfähigkeit der Rechnungsposition 48 „Zuschlag kontaminiertes Material – 130,98 to.“ in der Schlussrechnung der den Straßenausbau ausführenden Firma Strohmaier vom 20. Dezember 2017.
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Dem Einwand der Klägerseite, es sei nicht ersichtlich, welches kontaminierte Material hier einem Zuschlag unterworfen worden sei, ist die Beklagte schlüssig mit dem Vortrag begegnet, dass der Zuschlag im Zusammenhang mit dem Ausbau und der ordnungsgemäßen Entsorgung der alten Asphaltdecke der …straße berechnet wurde (vgl. auch Pos. 17 und 18 der als Anlage K3 vorgelegten Leistungsbeschreibung). Die Kammer folgt jedenfalls im vorliegenden Einzelfall bei Berücksichtigung der konkreten Kostenrelation zwischen dem gerügten Aufwandsposten und dem beitragsfähigen Gesamtaufwand der Auffassung, dass derartiger Mehraufwand für die ordnungsgemäße Beseitigung und Entsorgung eines bisher vorhandenen Straßenprovisoriums unter dem Gesichtspunkt der Freilegung zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand zählt (VG Münster, U.v. 27.5.2019 – 3 K 4425/16 – juris Rn. 39; Driehaus/Raden, a.a.O., § 13 Rn. 55).
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b) Zu korrigieren war der beitragsfähige Aufwand jedoch, soweit die Beklagte pauschale Kostenpositionen in der Schlussrechnung der den Straßenausbau ausführenden Firma in Höhe von gesamt 19.151,44 € (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 20.10.2021, Seite 4), z.B. für Verkehrsampel und Baustelleneinrichtung, nicht um denjenigen Anteil (von der Beklagten mit 9,7062% angesetzt) kürzte, um den die Beklagte im Übrigen den beitragsfähigen Aufwand für den Straßenbau kürzte, weil er auf die als nicht beitragsfähig beurteilten Maßnahmen für den Wendehammer, die Sedimentationsanlage und die Längsparker entlang des Kindergartens entfiel. Bei entsprechender Kürzung ergibt sich die in der (zweiten) mündlichen Verhandlung dargelegte und letztlich tenorierte Beitragsreduzierung von 138,24 €.
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3. Die Rügen der Klägerin hinsichtlich der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke greifen nicht durch.
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Bei dem – unstreitig – nicht überplanten Grundstück FlNr. 1670 handelt es sich zweifelsfrei um eine Fläche im Außenbereich (§ 35 BauGB), die – auch wenn sich darauf und/oder auf dem westlichen Nachbargrundstück Anlagen für die kommunale Trinkwassergewinnung (Gartenhütte, Zufahrt zum Hochbehälter o.ä.) befinden sollten – deshalb nicht der Beitragspflicht unterliegt (Schmitz, a.a.O., § 13 Rn. 21).
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Das gerügte Grundstück FlNr. 202 wird in Teilen für die Erschließungsanlage selbst und als Straßenbegleitgrün genutzt, im Übrigen stellt es Außenbereich dar; die nördlich angrenzende Fläche wurde, soweit sie als Parkplatz genutzt wird, von der Beklagten in die Verteilung einbezogen, so dass es einer näheren Charakterisierung dieser Parkplatzfläche nicht bedarf.
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4. Der rechtmäßigen Herstellung der Erschließungsanlage und damit der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten steht auch nicht entgegen, dass bezüglich der Anlage die Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB nicht gewahrt wären.
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Nach § 125 Abs. 2 BauGB dürfen, wenn – wie hier – die Erschließungsanlage nicht durch einen Bebauungsplan festgesetzt ist, Anlagen nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7 bezeichneten Anforderungen entsprechen. Die gegen die bebauungsplanersetzende, grundsätzlich formlos mögliche Abwägungsentscheidung der Beklagten, dokumentiert im Beschluss des Gemeinderats vom 26. Januar 2017 (ergänzt durch Beschluss vom 22. Juni 2017), erhobenen Einwände der Klägerin greifen nicht durch. Aus dem Beschluss wird hinreichend deutlich, dass die Beklagte die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander in gerichtlich nicht zu beanstandender Weise abgewogen hat. Die gerichtliche Überprüfung hat dabei die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinden zu beachten, die jedoch die Grenzen der Gestaltungsfreiheit nicht überschreiten dürfen. Das wäre der Fall, wenn einer der Belange in einer Weise berücksichtigt worden wäre, die zu seinem objektiven Gewicht außer Verhältnis steht, wenn ein Belang und sein Gewicht einfach verkannt worden wären, so dass das Abwägungsergebnis nicht akzeptabel ist (Schmitz, a.a.O., § 7 Rn. 12 m.w.N.; insgesamt zur Prüfungsmaßstab: BayVGH, B.v. 27.11.2014 – 6 ZB 12.2446 – juris Rn. 7). Dies ist indes bei Berücksichtigung der konkreten Umstände der vorliegenden Erschließungsmaßnahme und der von der Klägerin erhobenen Einwände nicht der Fall.
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Die Klägerin beanstandet insoweit vor allem, der Gemeinderat der Beklagten sei – wie vor allem durch die Beschlussfassung vom 2. Juli 2015 belegt werde – von einer Sanierungs-/Ausbaumaßnahme hinsichtlich der …straße ausgegangen und habe dann bei der vermeintlichen Abwägung mit keinem Wort berücksichtigt, dass bereits eine geteerte und in ihrem Ausmaß gegenüber der erfolgten Sanierung unveränderte Erschließungsanlage vorhanden gewesen sei; der Beschluss sei so gefasst, als ob in einem Neubaugebiet eine Straße bislang völlig gefehlt habe. Auch sei anzunehmen, dass dem Gemeinderat die durch die Maßnahme ausgelösten enormen Kosten nicht bewusst und deshalb nicht in die Abwägung eingeflossen seien.
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Soweit die Klägerin für Ihre Argumentation die – durchaus mehrfache – Erwähnung des Begriffs „Ausbau“ / “ausgebaut“ durch die Beklagte heranzieht, überzeugt dies die Kammer nicht. Die Dokumentation der – grundsätzlich formlos möglichen – Abwägungsentscheidung der Beklagten muss nicht gleichsam in jedem Wort der exakt korrekten juristischen Terminologie – hier i.S.d. Abgrenzung zwischen Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht – entsprechen und sich daran messen lassen, vielmehr ist das tatsächlich Gemeinte zu ergründen (zumal sich genauso auch ausreichende Hinweise auf eine Erschließungsmaßnahme zitieren ließen, vgl. etwa die Bezeichnung des Tagesordnungspunkts der Sitzung vom 26.1.2017: „…straße, erstmalige Herstellung, Abwägungsbeschluss gemäß § 125 Abs. 2 BauGB“). Im Übrigen ist aus den Unterlagen der Beklagten auch schlüssig nachvollziehbar, dass die Beklagte zunächst im Jahr 2015 ein – notwendig – allgemein gehaltenes Programm bezüglich mehrerer Straßen im Gemeindegebiet hinsichtlich des „ob“ und „wann“ von Straßenbaumaßnahmen an diesen Straßen aufstellte (Beschluss vom 2.7.2015: „…die nachfolgenden Gemeindestraßen wie folgt auszubauen und die hierfür notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten…“), das sich in der Folge durch die erforderlichen technischen Untersuchungen, Planungen, etc., hinsichtlich einzelner Straßen durchaus auch als Erschließungsmaßnahme entwickeln konnte. Weiter muss berücksichtigt werden, dass es sich bei der Beklagten um eine eher kleine Gemeinde handelt und dass die …straße nicht etwa in einem abgelegenen Ortsteil des Gemeindegebiets, sondern unweit des Gemeindezentrums gelegen ist. Es wäre eine lebensfremde Annahme, die an der Abstimmung am 26. Januar 2017 beteiligten 15 Gemeinderäte hätten von der jahrzehntelangen Existenz und dem tatsächlichen Zustand der …straße im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht ausreichend Kenntnis gehabt. Gleiches gilt für die Annahme, den Gemeinderäten seien die durch die Baumaßnahme ausgelösten Kosten nicht bewusst gewesen, zumal vorangehend (am 15. September 2016) im Gemeinderat die vom Planungsbüro „vorgelegte Planung zur erstmaligen Herstellung der …straße“ beraten und beschlossen wurde. Schließlich weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Belastung der Straßenanlieger durch Erschließungsbeiträge ein der Abwägung i.S.v. § 125 Abs. 2 BauGB ohnehin allenfalls eingeschränkt zugänglicher (privater) Belang ist, denn die Pflicht zur Zahlung von Erschließungsbeiträgen ist eine beitragsrechtliche Folge der Planung, nicht dagegen eine die Planung selbst determinierende Frage (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand April 2023, Rn. 90, Blatt 16/13 m.w.N. aus der Rechtsprechung; vgl. auch Driehaus/Raden, a.a.O., § 7 Rn. 27 a.E.). Vorliegend ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass der Erschließungsvorteil der Anlieger in einem – ggf. ausnahmsweise zu berücksichtigenden – außergewöhnlich krassen Missverhältnis zur Beitragsbelastung stehen könnte, insbesondere ist die klägerische Behauptung einer „Luxussanierung“ (z.B. Schriftsatz vom 15.9.2020) unhaltbar.
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5. Der Beitragserhebung steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Ausschlussfrist von 20 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage verstrichen wäre.
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Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. bb) Doppelbuchst. bb) Spiegelstrich 1 KAG ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragspflicht spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gewährleistet Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG eine bestimmbare zeitliche Obergrenze in Gestalt einer Ausschlussfrist, die durch den Eintritt der Vorteilslage ausgelöst wird und nach deren Ablauf eine Beitragserhebung zwingend und ausnahmslos ausscheidet, auch dann, wenn die Beitragsschuld noch nicht entstanden ist und deshalb auch noch nicht hätte festgesetzt werden dürfen und verjähren können (zur verfassungsrechtlichen Herleitung im Übrigen vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 – 6 ZB 21.2279 – juris Rn. 15 f.). Der Begriff „Eintritt der Vorteilslage“ knüpft an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld, wie die Widmung der Anlage, die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihrer Herstellung, die Wirksamkeit der Beitragssatzung oder den vollständigen Grunderwerb als Merkmal der endgültigen Herstellung außen vor. Ob eine Erschließungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt und die Vorteilslage folglich eingetreten ist, beurteilt sich nicht nach – kaum greifbaren – allgemeinen Vorstellungen von einer „Benutzbarkeit“ und „Gebrauchsfertigkeit“ der Anlage oder einer „ausreichenden Erschließung“ der angrenzenden Grundstücke. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage. Die Vorteilslage tritt bei einer Anbaustraße dann (und erst dann) ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (BayVGH, B.v. 4.11.2020 – 6 ZB 20.1569 – juris Rn. 11; U.v. 16.11.2018 – 6 BV 18.445 – juris Rn. 23).
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Vorliegend konnte eine Vorteilslage in diesem Sinne vor Ausführung der Straßenbaumaßnahmen im Jahr 2017 nicht eintreten. Wie oben (1. a)) dargelegt, gehörte eine Straßenentwässerung stets zu den satzungsmäßigen Herstellungsmerkmalen einer Erschließungsanlage im Gebiet der Beklagten. Welchen konkreten technischen Anforderungen diese Teileinrichtung genügen muss, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in der Satzung nicht näher umschrieben. Das ist auch nicht erforderlich. Herstellungsmerkmale sollen es den Beitragspflichtigen ermöglichen, durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, ein Bild darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf Laien abstellenden Zielrichtung wäre es nicht zu vereinbaren, das Merkmal Straßenentwässerung in dem Sinn zu verstehen, dass es um Ausbaustandards unter Beachtung bestimmter technischer Regelwerke ginge. Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des BayVGH – unabhängig von der Einhaltung der jeweils gültigen technischen Regelwerke – von einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung im Sinn der Satzungsbestimmung nur dann auszugehen, wenn eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Straßenentwässerung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 14; B.v. 29.06.2016 – 6 ZB 15.2786 – juris Rn. 7). Das bedeutet, dass dies Teileinrichtung grundsätzlich durchgehend auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage vorhanden sein muss. Dies war, wie oben (1. b)) dargelegt, in der …straße vor den streitgegenständlichen Baumaßnahmen für den objektiven Betrachter erkennbar nicht der Fall.
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Weitere Aspekte, welche die – ggf. teilweise – Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids begründen könnten, sind der Kammer nicht ersichtlich. Sie ergaben sich insbesondere nicht hinsichtlich der Abgrenzung der maßgeblichen Erschließungsanlage sowie, soweit nicht bereits ausdrücklich gerügt, der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands und der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten im Übrigen.
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Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO im tenorierten Umfang stattzugeben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).