Titel:
Feuerwehraufwendungsersatz, Abgrenzung Ausrücken / Einsatz, keine lückenlose Erstattung sämtlicher angefallener Kosten und Aufwendung, Notwendigkeit Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren
Normenketten:
BayFwG Art. 28
VwGO § 162 Abs. 2 S. 2
Schlagworte:
Feuerwehraufwendungsersatz, Abgrenzung Ausrücken / Einsatz, keine lückenlose Erstattung sämtlicher angefallener Kosten und Aufwendung, Notwendigkeit Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22547
Tenor
I. Der Bescheid der Gemeinde … vom 17. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Eichstätt vom 14. Oktober 2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger, ein Bewohner der Gemeinde …, wendet sich mit seiner Klage gegen seine kostenmäßige Inanspruchnahme seitens der Beklagten für ein Tätigwerden der Freiwilligen Feuerwehr …
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Am 13. August 2019 betrieb der Kläger auf seinem Grundstück in der Hauptstraße 46 in … von 16:00 Uhr bis gegen 22:00 Uhr ein Lagerfeuer. Hierbei kam es zeitweise zu stärkerer Rauchentwicklung.
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Um 21:13 Uhr ging bei der Integrierten Leitstelle Ingolstadt (ILS) ein telefonischer Notruf eines Einwohners der Gemeinde … wegen eines Wohnungsbrandes im Bereich der Hauptstraße 45 ein. Die ILS alarmierte daraufhin um 21:16 Uhr die Freiwillige Feuerwehr … (Meldebild: Brand 3, Rauchentwicklung im Gebäude, mit Personengefährdung), welche hieraufhin mit einem Führungsfahrzeug, zwei Löschfahrzeugen sowie siebzehn mit Atemschutzmasken ausgestatteten Einsatzkräften in Richtung …straße, Bereich um die Hausnummer Nr. …, ausrückte.
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Bei Haus Nr. … angekommen, sperrte die Feuerwehr die Hauptstraße an zwei Stellen auf einer Länge von circa hundert Metern, um einen ungestörten Einsatz sicherzustellen, insbesondere die Einsatzfahrzeuge dort abstellen und auf den sich dort befindlichen Hydranten zugreifen zu können.
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Nach einer kurzen Erkundung identifizierten die Einsatzkräfte als Quelle für die Rauchentwicklung das auf dem Grundstück des Klägers betriebene Lagerfeuer, betraten das Grundstück und wurden dort vom Kläger in Empfang genommen, welcher ihnen das Lagerfeuer zeigte.
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Da nach Ansicht des Einsatzleiters keine Gefahr in Verzug bestand, forderte er den Kläger lediglich auf, das Lagerfeuer nicht weiter zu betreiben, erkundigte sich noch, ob ausreichend Löschmaterial vorrätig sei, was vom Kläger bejaht wurde, verließ anschließend auf Aufforderung des Klägers einstweilen das Grundstück und ordnete das Abrüsten der Atemschutzmasken sowie einen Teilabzug der eingesetzten Kräfte und Fahrzeuge an. Auch eine ebenfalls durch die ILS alarmierte, anrückende weitere Feuerwehreinheit wurde abbestellt.
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Nach dem Eintreffen der ebenfalls durch die ILS informierten Polizei betrat der Einsatzleiter zusammen mit der Polizei erneut das klägerische Grundstück. Nachdem die Polizei angeordnet hatte, die um das Lagerfeuer herum angeordneten Buchsbaumzweige aus dem unmittelbaren Bereich des Lagerfeuers zu entfernen, was auch befolgt wurde, und ein Verbrennen von Buchsbaumzweigen untersagt hatte, sowie aus Sicht der Feuerwehr ein Ablöschen des Lagerfeuers nicht mehr erforderlich war, rückten daraufhin auch die verbliebenen Einsatzkräfte und Fahrzeuge um 21:50 Uhr ab.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 17. Oktober 2019 setzte die Beklagte nach Anhörung des Klägers für das o.g. Tätigwerden einen Aufwendungsersatz in Höhe von 494,64 EUR fest.
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Nachdem der hiergegen am 11. November 2019 erhobene Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Eichstätt vom 14. Oktober 2020 zurückgewiesen wurde, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 17. November 2020, bei Gericht am selben Tage eingegangen, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
den Bescheid der Gemeinde … vom 17. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes Eichstätt vom 14. Oktober 2020 aufzuheben.
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Die Begründung der Klage erfolgte mit Schriftsätzen vom 15. Februar 2021 und 29. Mai 2023 sowie in der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2023.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem beantragen lassen,
die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 19. April 2021
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung sowie auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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Die Beklagte hat in Ermangelung einer einschlägigen Anspruchsgrundlage gegen den Kläger bereits dem Grunde nach keinen Anspruch auf Erstattung der ihr infolge des Tätigwerdens ihrer Feuerwehr am 13. August 2019 entstandenen Aufwendungen. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 Bayerisches Feuerwehrgesetz (BayFwG).
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(1) Aufwendungs- und Kostenersatz für ein Tätigwerden der Feuerwehr kann nur in den in Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 – Nr. 8, Abs. 3 BayFwG geregelten Fällen verlangt werden. Eine lückenlose Erstattung sämtlicher angefallener Kosten und Aufwendungen sieht das Bayerische Feuerwehrkostenrecht nicht vor (BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – KommJur 2017, 59).
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(2) Art. 28 BayFwG unterscheidet hierbei, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf den Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 BayFwG klargestellt hat (BayVGH, U.v. 8.7.2016, a.a.O. unter Verweis auf: BayVGH, U.v. 27.6.2012 – 4 BV 11.2549 – Juris), zwischen zwei Phasen des Tätigwerdens: Der Phase des „Ausrückens“, wozu nicht nur das Verbringen von Einsatzkräften, Fahrzeugen und sonstigem Material zum eigentlichen Einsatzort zählt, sondern etwa auch eine vor Ort durchgeführte Erkundung der Lage zum Zweck der Gefahrerforschung (BayVGH, U.v. 8.7.2016, a.a.O.), und der Phase des „Einsatzes“.
Der Zeitpunkt, an dem ein „Ausrücken“ in einen „Einsatz“ (im kostenrechtlichen Sinne) umschlägt, liegt im Beginn des unmittelbar der Brandbekämpfung oder Hilfeleistung dienenden Personal- und Geräteeinsatzes, nicht dagegen schon in einer vor Ort durchgeführten Erkundung der Lage zum Zwecke der Gefahrenerforschung (BayVGH, U.v. 8.7.2016, a.a.O.).
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In einigen der in Art. 28 Abs. 2 BayFwG genannten Tatbestände können entstandene Kosten und Aufwendungen selbst dann ersetzt verlangt werden, wenn es zu keinem „Einsatz“, sprich zu keinen unmittelbar der Gefahrenabwehr dienenden Maßnahmen gekommen ist, sondern das Tätigwerden der Feuerwehr sich lediglich in der Phase des Ausrückens abgespielt hat (siehe z.B. Nrn. 5, 6 und 7). Andere Tatbestände wiederum erfordern, dass das Tätigwerden der Feuerwehr bereits in die Phase des Einsatzes eingetreten ist, sprich unmittelbar (!) der Gefahrenabwehr dienende Maßnahmen vorgenommen worden sind (siehe z.B. Nrn. 1, 2 oder 4).
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(2) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das o.g. Tätigwerden der Feuerwehr die Phase des Ausrückens noch nicht überschritten, dienten die ergriffenen Maßnahmen doch nur dem Transport von Personal und Material zu einem potentiellen Einsatzort, der Gefahrerforschung sowie der Vorbereitung eines etwaigen Einsatzes (Absperren der Straße, Abstellen Einsatzfahrzeuge, Vorbereiten Hydrant etc.). Unmittelbare Maßnahmen der Gefahrenabwehr (sei es in Bezug auf die zunächst angenommene, tatsächlich jedoch nicht gegebene Gefahr eines Gebäudebrandes oder im Hinblick auf etwaige Gefährdungen infolge des später als Quelle der Rauchentwicklung identifizierten Lagerfeuers) wurden vorliegend gerade nicht ergriffen.
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(1) Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Aufwendungsersatzanspruch der Beklagten auf keine der Tatbestände des Art. 28 BayFwG stützen, die einen „Einsatz“ im kostenrechtlichen Sinne erfordern, insbesondere nicht auf Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 BayFwG.
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Gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 BayFwG kann Kostenersatz verlangt werden für Einsätze (!), die durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässig herbeigeführte (auch ex post betrachtet: real bestehende oder: eine zwar ex post betrachtet nicht bestehende, ex nunc betrachtet seitens der Feuerwehr zu Recht bzw. schuldlos (irrtümlich) angenommene Anscheins-) Gefahr veranlasst wurden.
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Art. 28 Abs. 2 Nr. 4 BayFwG erfordert damit (wie u.a. auch Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 Nr. 2 sowie Nr. 4 BayFwG), dass das Tätigwerden der Feuerwehr bereits die Phase des „Einsatzes“ erreicht hat. Dies war vorliegend jedoch wie oben dargestellt nicht der Fall, so dass ein Anspruch hierauf nicht gestützt werden kann.
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(2) Auch die Tatbestände des Art. 28 Abs. 2 BayFwG, bei denen bereits ein Ausrücken der Feuerwehr genügt (s.o.), sind vorliegend nicht einschlägig.
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Insbesondere sind die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 Alt. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BayFwG nicht erfüllt, da es nicht der Kläger war, der die Feuerwehr (gezielt falsch) alarmierte.
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Einen Tatbestand, bei dem von Personen auch dann Ersatz der Kosten und Aufwendungen nur für die Phase des Ausrückens verlangt werden kann, wenn diese zwar nicht durch gezielte Falschalarmierung, aber durch anderes grobfahrlässiges Verhalten eine Anscheinsgefahr (hier: Gebäudebrand mit Personengefährdung) erzeugt haben, enthält Art. 28 BayFwG nicht, so dass vorliegend dahinstehen kann, ob der Kläger durch den Betrieb des Lagerfeuers (grob fahrlässig) eine starke Rauchentwicklung hervorgerufen und damit für die Feuerwehr grob fahrlässig den Anschein eines Gebäudebrandes erzeugt hat.
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(3) Da, wie oben ausgeführt, eine lückenlose Erstattung sämtlicher angefallener Kosten und Aufwendung nicht vorgesehen ist (s.o.), fehlt es vorliegend seitens der Beklagten an einer erforderlichen Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren war im konkreten Fall nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, weil es dem Kläger unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 17.12.2001 – 6 C 19/01 – NVwZ-RR 2002, 446; BayVGH, B.v. 29.4.2016 – 5 C 16.576 – NVwZ 2016, 1110; nämlich: schwierige Rechtsfragen des feuerwehrrechtlichen Kostenrechts mit seinen verschiedenen Beurteilungszeiträumen und Gefahrenbegriffen; stark juristisch geprägte Abgrenzung zwischen den Phasen „Ausrücken“ und „Einsatz“ unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung; komplexe Sach- und Beweislage vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei) nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.*