Titel:
Keine wegemäßige Erschließung durch ein bestehendes Geh- und Fahrtrecht bei qualitativer Nutzungsintensivierung
Normenketten:
BayBO Art. 71
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 1, Abs. 2
BGB § 242
Leitsätze:
1. Fehlt es für ein Vorhaben, für das ein Vorbescheid beantragt worden ist, an einer gesicherten Erschließung, kann offen bleiben, ob das Vorhabengrundstück zum Innen- oder Außenbereich rechnet. Die Erschließung wird – bauplanungsrechtlich – sowohl im Rahmen des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB als auch im Rahmen des § 35 Abs. 1 und 2 BauGB vorausgesetzt, wobei § 35 BauGB nur eine ausreichende Erschließung verlangt und damit bei Außenbereichsvorhaben tendenziell geringere Anforderungen stellt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine qualitative Nutzungserweiterung des Vorhabengrundstücks nicht mehr von einem bereits (hier: im Jahr 1951) eingeräumten Geh- und Fahrtrecht abgedeckt (vorliegend: Vorbescheid bezüglich einer erstmaligen Wohnnutzung, gegenüber einem Geh- und Fahrtrecht, welches erteilt wurde, als es sich sowohl beim maßgeblichen dienenden, als auch beim herrschenden Grundstück um landwirtschaftlich genutzte Flächen handelte), mangelt es dem Vorhabengrundstück an einer wegemäßigen Erschließung. (Rn. 28 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid zur Neuerrichtung eines Mehrfamilienhauses, (ausreichende) Erschließung verneint, Anpassung eines eingetragenen Geh- und Fahrtrechts an veränderte Umstände (hier: qualitative Veränderung aufgrund Nutzungsintensivierung), Gehrecht, Fahrtrecht, Erschließung, Vorbescheid, Nutzung, Nutzungsintensivierung, Wohnnutzung, landwirtschaftliche Fläche, Nutzungserweiterung, qualitativ, Weg, wegemäßige Erschließung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22542
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … (Vorhabengrundstück).
2
Das Vorhabengrundstück ist in der Nähe der westlichen Grundstücksgrenze mit drei kleineren, teils aneinandergebauten Nebengebäuden bebaut. Östlich des Vorhabengrundstücks und von diesem durch eine schmale, als öffentlicher Fußweg gewidmete Wegefläche (Fl.Nr. …*) getrennt, befindet sich eine größere Freifläche (Fl.Nr. **); im Norden findet sich Wohnbebauung. Der westlich unmittelbar an das Vorhabengrundstück angrenzende Bereich der im Eigentum der Gemeinde stehenden Fl.Nr. … wird als Parkplatz genutzt, der von der weiter westlich verlaufenden … Straße aus über die Fl.Nrn. … und … angefahren wird. Südlich des Vorhabengrundstücks und des Parkplatzes, befindet sich auf der Fl.Nr. … ein heute als Rathaus genutztes, ehemaliges Schulgebäude (Gebäude Nr. **) mit einem gepflasterten Vorplatz. Zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Rathausgebäude beginnt die Wegefläche Fl.Nr. …, welche in Nord-Süd-Richtung entlang der östlichen Grenzen des Vorhabengrundstücks zu der weiter nördlich gelegenen Straße „Am …“ führt.
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Im Grundbuch wurde im Jahre 1951 zulasten des Grundstücks Fl.Nr. … (das damals auch die Wegefläche … umfasste) zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers des Vorhabengrundstücks (damalige Fl.Nrn. … und … *), ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen, wonach das Grundstück Fl.Nr. … in nordöstlicher Richtung von dem vom Schulgebäude vorbeiführenden Weg aus mit Fahrzeugen aller Art überquert werden darf.
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Unter dem 12. Juli 2019, beim Landratsamt … … … (Landratsamt) eingegangen am 25. September 2019, beantragten die Kläger die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung eines Vierfamilienhauses mit Doppelgarage auf dem Vorhabengrundstück. Abgefragt wurde, ob auf dem Vorhabengrundstück ein Vierfamilienhaus, wie dargestellt, errichtet werden könne. Ausweislich der Eingabeplanung soll die Erschließung des Grundstücks über eine Zufahrt im Bereich der südlichen Grundstücksecke erfolgen; näheren Angaben zur Erschließung des Vorhabengrundstücks sind in den Antragsunterlagen nicht enthalten.
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Der Gemeinderat der Beigeladenen versagte mit Beschluss vom 18. September 2019 aufgrund fehlender Erschließung das gemeindliche Einvernehmen zu dem Vorhaben.
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Im Nachgang dieses Gemeinderatsbeschlusses regte der Bevollmächtigte der Kläger unter dem 30. September 2019 beim Landratsamt die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens an. Entgegen der Auffassung der Gemeinde sei die wegemäßige Erschließung und auch die sonstige Infrastruktur vorhanden. Hierzu wurde die Historie des Vorhabengrundstücks und der Grundstücke in der näheren Umgebung näher erläutert. Sowohl das Flurstück … als auch der Parkplatz würden als öffentliche Verkehrsfläche genutzt und seien voraussichtlich auch entsprechend gewidmet. Zumindest liege eine faktische Widmung vor, da der Parkplatz seit vielen Jahren als öffentlicher Parkplatz genutzt werde; offensichtlich seien auch Stellplätze in diesem Bereich von der … Bank angemietet. Unter Vorlage eines entsprechenden Grundbuchauszugs wurde auf das Geh- und Fahrtrecht aus dem Jahre 1951 verwiesen.
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Auf Bitte des Landratsamts befasste sich der Gemeinderat der Beigeladenen am 5. Februar 2020 erneut mit dem Vorhaben, sah jedoch keine Veranlassung, den Beschluss vom 18. September 2019 zu ändern.
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Mit weiteren Schreiben stellte der Klägerbevollmächtigte gegenüber dem Landratsamt im März 2020 klar, dass das Geh- und Fahrtrecht am ehemaligen Schulgebäude beginne und die Dienstbarkeit von dort über das heutige Flurstück … zum Vorhabengrundstück führe.
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Unter dem 16. April 2020 teilte das Landratsamt dem Klägerbevollmächtigten mit, dass die Erschließung des Vorhabengrundstücks nicht gesichert sei. Ferner spreche einiges dafür, dass das Grundstück dem Außenbereich zuzurechnen sei.
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Unter dem 28. April und 4. Mai 2020 nahm der Klägerbevollmächtigte daraufhin erneut gegenüber dem Landratsamt Stellung.
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Mit Bescheid vom 4. Juni 2020, lehnte das Landratsamt den beantragten Vorbescheid ab. Das geplante Vorhaben liege im planungsrechtlichen Außenbereich, was eingehend auf die örtlichen Gegebenheiten näher erläutert wurde. Als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB könne das Bauvorhaben nur zugelassen werden, wenn öffentliche Belange des § 35 Abs. 3 BauGB nicht beeinträchtigt würden und die Erschließung gesichert sei. Zwar widerspreche das Vorhaben nicht den Darstellungen des Flächennutzungsplans, der ein Dorfgebiet vorsehe. Jedoch sei die Erschließung des Grundstücks nicht gesichert. Bei einem Grundstück, das dem Außenbereich zugerechnet werde, genüge eine befahrbare, gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesicherte Zufahrt zu einem befahrbaren öffentlichen Weg. Für das Vorhabengrundstück sei im Grundbuch ein Geh- und Fahrtrecht zulasten der Fl.Nrn. … und … bestellt worden, das jedoch den Ansprüchen des Art. 4 Abs. 3 BayBO nicht genüge. Mit der Fl.Nr. … (vormals Fl.Nr. **) liege das Vorhabengrundstück ausweislich des Bestandsverzeichnisses der Gemeinde und der Eintragungsverfügung vom 19. Dezember 1971 nur an einem öffentlich beschränkten Weg mit der Widmungsbeschränkung „nur für Fußgängerverkehr“. Das Grundstück Fl.Nr. … sei von Südosten über die Fl.Nr. … erreichbar. Wie aus Roteinträgen der Flurkarte bis 1959 zu entnehmen sei, sei am südwestlichen Teil der Fl.Nr. … das Grundstück Fl.Nr. … abgeteilt worden. Nach der Flurbereinigung sei es zur Fl.Nr. … verschmolzen worden. Eine Übernahme des Geh- und Fahrtrechts auf die Fl.Nr. … lasse sich nicht erkennen. Die Fl.Nr. … sei im Grundbuch als „Gebäude und Freifläche, Verkehrsfläche“, die Fl.Nr. … als „Verkehrsfläche“ eingetragen; jedoch nicht als „öffentliche Verkehrsfläche“. Auf der Fl.Nr. … befinde sich ein Parkplatz im Eigentum der Gemeinde. Bis zur Verschmelzung mit der Fl.Nr. … im Jahr 2018 habe dieser Parkplatz die Fl.Nr. … gehabt. Beide Flächen seien nicht für den öffentlichen Verkehr gewidmet. Der Bereich des Parkplatzes liege nicht direkt am Vorhabengrundstück, da ein Grünstreifen beide Bereiche trenne. Auch wenn man davon ausgehe, dass der Parkplatz seit Jahren öffentlich genutzt werde, scheide eine faktische oder konkludente Widmung aus. Das Verwaltungsgericht München habe mit Urteil vom 17. Januar 2018 entschieden, dass das Bayerische Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) keine faktische oder konkludente Widmung kenne, sondern lediglich eine tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche vorliegen könne, mit der Folge, dass der Grundstücksberechtigte keine Verkehrshindernisse errichten dürfe. Die als tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche in Anspruch genommene Teilfläche gelte nicht nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG als gewidmet. Maßgeblich für die Eigenschaft einer Wegefläche als öffentliche Verkehrsfläche sei die Eintragung im Zuge der Erstanlegung im Bestandsverzeichnis der Gemeinde nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG. Liege eine solche Eintragung vor, gelte die Zustimmung als erteilt und die Widmung als verfügt. Sei eine Straße demgegenüber nicht in das Bestandsverzeichnis aufgenommen, gelte sie nach Art. 67 Abs. 5 BayStrWG nicht als öffentliche Straße. Die Gemeinde lasse zudem nicht erkennen, dass sie auf den Grundstücken Fl.Nr. … und … gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde eine rechtlich gesicherte Zufahrt zu einem befahrbaren öffentlichen Weg schaffen wolle.
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Der Kläger ließ durch seinen Bevollmächtigten am 27. Juni 2020 Klage erheben. Er beantragt,
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den ablehnenden Bescheid des Landratsamts vom 4. Juni 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den beantragten Vorbescheid zu erteilen.
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Zur Begründung wurde der bereits im behördlichen Verfahrens erfolgte Vortrag wiederholt und weiter vertieft. Mit Schriftsatz vom 27. September 2020 wurde insbesondere vorgetragen, dass auf dem Gelände des Schulgebäudes noch ein weiteres Gebäude gestanden und der Fußweg zwischen Schulgebäude und diesem weiteren Gebäude hindurchgeführt habe. Über diesen öffentlichen Weg habe der damalige Eigentümer des heutigen Vorhabengrundstücks das damals noch einheitliche Flurstück … gequert, um zum Vorhabengrundstück zu gelangen. Übertragen auf den aktuellen tatsächlichen Bestand bedeute dies, dass das Vorhabengrundstück über die öffentliche Verkehrsfläche (Fl.Nr. **) und die Fl.Nr. … erschlossen sei. Bei den beiden im Eigentum der Gemeinde stehenden Fl.Nrn. … und … handele es sich um öffentlichen Verkehrsflächen, die entweder gewidmet seien oder für die eine faktische Widmung vorliege. Eine Verweigerung der Zuwegung über die öffentliche Verkehrsfläche durch die Gemeinde sei rechtswidrig. Offensichtlich sei die Gemeinde davon ausgegangen, dass die Erschließung über den Fußweg von der Straße „Am …“ über die Fl.Nr …, also von nördlicher Richtung erfolgen solle. Zum einen handele es sich hierbei um einen Fußweg, zum anderen sei die Erschließung problemlos und grundbuchlich gesichert über die Flurstücke … und … möglich. Die Zulässigkeit des Vorhabens richte sich nach § 34 BauGB. In den Darstellungen des Flächennutzungsplans sei die Fläche als zum Innenbereich gehörend eingezeichnet. Die im Bescheid angeführte Topographie stelle keine optische Abgrenzung dar, was näher ausgeführt wurde. In den Gründen des Bescheids werde eingeräumt, dass das Vorhaben nicht den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspreche und der maßgebliche Bereich als Dorfgebiet dargestellt sei. Der Beklagte versuche, sich in den Bereich der Nichterschließung des Grundstücks zu retten. Es bestehe ein grundbuchlich gesichertes und eingetragenes Geh- und Fahrtrecht. Unbeachtlich sei, ob die Gemeinde später einen Fußweg angelegt und diesen entsprechend ausgewiesen habe. Die Beigeladene sei als Rechtsnachfolgerin der Voreigentümer an die grundbuchlichen Belastungen bei und nach Erwerb gebunden. Die spätere Ausweisung eines Fußwegs könne die grundbuchlich gesicherten Rechte der Kläger nicht beseitigen. Darüber hinaus sei die Erschließung als solche noch über die öffentliche Verkehrsfläche des Parkplatzes gegeben, der in voller Breite an das klägerische Grundstück angrenze. Höchstvorsorglich werde darauf hingewiesen, dass den Klägern jedenfalls ein sog. Notwegerecht (§ 917 BGB) zustehe, sollte durch die Widmungstätigkeit der Beigeladenen ein gefangenes Grundstück entstanden sein.
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Der Beklagte beantragt,
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Hierzu wurden mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2020 im Wesentlichen die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids zur Außenbereichslage des Vorhabens und zur Beeinträchtigung öffentlicher Belange wiederholt und ergänzt. Es wurde klargestellt, dass die Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht maßgeblich seien. Das Vorhaben lasse durch das Ausufern des Ortsrandes die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten. Zur fehlenden Erschließung wurde auf die Ausführungen des Bescheids verwiesen.
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Mit Schriftsätzen vom 22. Januar und 15. April 2021 nahm der Klägerbevollmächtigte ergänzend Stellung und wies darauf hin, dass die Beigeladene zwischenzeitlich die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen habe, wobei das Vorhabengrundstück bewusst und in rechtswidriger Weise ausgenommen worden sei.
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Die Beigeladene äußerte sich schriftsätzlich nicht und stellte keinen Antrag.
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Die Kammer hat am 20. April 2023 Beweis über die örtlichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der beim Augenschein getroffenen Feststellungen und des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids.
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Nach Art. 71 Satz 1 BayBO ist vor Einreichung des Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Im vorliegenden Fall zielt der Vorbescheidsantrag der Kläger nach der Klarstellung des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung darauf ab, dass über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens vorab verbindlich entschieden werden soll. Das Landratsamt hat dies im streitgegenständlichen Bescheid im Ergebnis zu Recht verneint. Die bauordnungsrechtliche Erschließung wurde mit dem Vorbescheid demgegenüber nicht abgefragt.
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Der Bescheid des Landratsamts vom 4. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem streitgegenständlichen Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 BayBO).
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1. Das Vorhabengrundstück liegt – unstrittig – nicht im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans, sodass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB bzw. § 35 BauGB richtet. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage der Zuordnung des Vorhabengrundstücks zum Innen- oder Außenbereich kann vorliegend offen bleiben, da es in beiden Fällen an der gesicherten Erschließung des Vorhabens fehlt. Diese wird – bauplanungsrechtlich – sowohl im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB als auch im Rahmen des § 35 Abs. 1 und 2 BauGB vorausgesetzt, wobei § 35 BauGB nur eine ausreichende Erschließung verlangt und damit bei Außenbereichsvorhaben tendenziell geringere Anforderungen stellt, als im Falle der von Klägerseite angenommenen Innenbereichslage.
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2. Das Vorhabengrundstück grenzt vorliegend nicht unmittelbar an eine öffentliche Straße an, was zwischen den Beteiligten unstrittig ist. Dahinstehen kann, ob in Hinblick auf die gestellte Fragestellung und die fehlenden Angaben zur Erschließung (vgl. § 5 i.V.m. § 3 Nr. 6 BauVorlV) ursprünglich überhaupt ein genehmigungsfähiger Vorbescheidsantrag eingereicht wurde. Die Klagepartei hat jedenfalls noch im Rahmen des behördlichen Verfahrens nähere Angaben gemacht und hierzu auch einen entsprechenden Grundbuchauszug vorgelegt. Soweit in der geänderten Fragestellung des Vorbescheidsantrags eine Klageänderung gesehen würde, wäre eine solche jedenfalls sachdienlich im Sinne des § 91 VwGO.
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2.1 Soweit sich die Klagepartei hinsichtlich der angenommenen wegemäßigen Erschließung auf ein im Jahr 1951 eingetragenes Geh- und Fahrtrecht beruft, verkennt sie, dass ein solches gerade auch in Hinblick auf das von ihr begehrte Vorhaben zur Neuerrichtung eines Vierfamilienhauses bestehen müsste. Letzteres ist nicht der Fall.
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2.1.1 Zur Ermittlung des ursprünglichen Inhalts einer Dienstbarkeit ist vorrangig auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt; Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen insoweit mit herangezogenen werden, als sie nach den Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Hierzu gehören die tatsächlichen Verhältnisse der beteiligten Grundstücke, insbesondere die Lage und Verwendungsart des herrschenden Grundstücks (vgl. Mohr in MüKo, 9. Aufl. 2023, BGB, § 1018, Rn. 18 f. m.w.N. zur Rspr.)
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Zum Zeitpunkt der Eintragung der Grunddienstbarkeit im Jahr 1951 handelte es sich unter Zugrundelegung des unbestrittenen Vortrags der Klagepartei sowohl bei dem dienenden als auch bei dem herrschenden Grundstück um landwirtschaftlich genutzte Flächen der Landwirte D. bzw. A.. Die Klägerseite hat sich dabei nicht dazu geäußert, inwieweit die Flächen des heutigen Vorhabengrundstücks (damalige Fl.Nrn. … und … *) im Zeitpunkt der Dienstbarkeitsbestellung bereits bebaut waren. Die in den Akten enthaltenen historischen Kartenauszüge (vgl. Bl. 28 d.BA zum Stand 1960; Bl. 109 d.BA zum Stand 1976) legen nahe, dass die Flächen damals unbebaut waren und die heute vorhandene Bebauung mit drei Nebengebäuden erst nachträglich errichtet wurde. Auch wenn der Wortlaut der Dienstbarkeit nicht einschränkend formuliert wurde bzw. „Fahrzeuge aller Art“ umfasst, spricht nach den örtlichen Verhältnissen einiges dafür, dass die Grunddienstbarkeit dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks lediglich ermöglichen sollte, auf den Fl.Nrn. … und … * Landwirtschaft zu betreiben. Letztlich kann der genaue Umfang der ursprünglich eingeräumten Grunddienstbarkeit indes offenbleiben, da jedenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass seinerzeit bereits eine Wohnbebauung des Vorhabengrundstücks in Rede gestanden hätte.
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2.1.2 Mit dem streitgegenständlichen Vorhaben soll auf dem Vorhabengrundstück nunmehr erstmals eine Wohnbebauung ermöglicht werden. Dies stellt eine qualitative Erweiterung der Nutzung des herrschenden Grundstücks dar, die von dem eingetragenen Geh- und Fahrtrecht nicht umfasst wird.
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Zwar stehen Inhalt und Umfang einer – zumal zeitlich unbegrenzten – Dienstbarkeit nicht in jeder Beziehung von vornherein für alle Zeiten fest, sondern sind nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gewissen Veränderungen in Hinblick auf die wirtschaftliche und technische Entwicklung unterworfen. Entscheidend ist der allgemeine, der Verkehrsauffassung entsprechende Charakter des betroffenen Grundstücks sowie das Bedürfnis, von dem bewilligten Recht in einem bestimmten Umfang Gebrauch zu machen (vgl. Mohr, a.a.O., Rn. 60 f m.w.N.). Steht – wie vorliegend – eine Erweiterung der Nutzung des herrschenden Grundstücks im Raum, gilt als „Faustformel“, dass im Rahmen der sonstigen Voraussetzungen „quantitative“ Erweiterungen der Nutzung zulässig sind, qualitative Erweiterungen hingegen nicht (vgl. Mohr, a.a.O., Rn. 60 ff. m.w.N.).
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Daran gemessen stellt der Übergang zu einer erstmaligen Wohnnutzung eine „qualitative“ Bedarfssteigerung des herrschenden Grundstücks dar, die sich nicht mehr in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung dieses Grundstücks hält und auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht vorhersehbare Benutzungsänderung zurückzuführen ist. Eine derartige qualitative Nutzungserweiterung des Vorhabengrundstücks ist nicht mehr von dem im Jahr 1951 eingeräumten Geh- und Fahrtrecht abgedeckt.
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2.2 Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die heutige Wegefläche … -ebenso wie die „Verkehrsfläche“ der Fl.Nr. … – im gemeindlichen Eigentum steht.
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Zwar kann es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur (ausreichenden) Erschließung – in bauplanungsrechtlicher Hinsicht – ausnahmsweise genügen, wenn ein Baugrundstück über ein im Gemeindeeigentum stehendes Wegegrundstück, das dem allgemeinen Verkehr jedenfalls tatsächlich zur Verfügung steht, erreichbar ist, und die Gemeinde trotz Fehlens einer förmlichen Widmung auf Dauer rechtlich gehindert ist, den Anliegerverkehr zu dem Baugrundstück zu untersagen (vgl. BVerwG, U.v. 31.10.1990 – 4 C 45/88 – juris Rn. 19). Eine gemeindliche Duldungspflicht kann sich dabei aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben (z.B. in dem Fall, dass der Weg als Zugang zu anderen ähnlich bebauten und genutzten Grundstücken dient) oder aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (z.B. frühere vorbehaltlose Zustimmung der Gemeinde zur Bebauung). Auch wenn eine Gemeinde demnach zwar gehalten sein kann, einen beschränkten Verkehr (z.B. Fußgängerverkehr oder Anliegerverkehr mit land- und forstwirtschaftliche Fahrzeugen) zuzulassen, darf sie eine Intensivierung des Verkehrs jedoch verhindern.
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Vorliegend ist die Wegefläche …, über welche die in der Eingabeplanung dargestellte Erschließung erfolgen müsste, lediglich beschränkt gewidmet für den öffentlichen Fußgängerverkehr. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich zudem nicht feststellen, dass eine Benutzung dieser schmalen und unbefestigten Wegefläche von Seiten der Beigeladenen trotz fehlender unbeschränkter Widmung für den öffentlichen Verkehr geduldet werden müsste. Einer Wohnbebauung des Vorhabengrundstücks hat die Beigeladene unter Verweis auf die fehlende Erschließung gerade nicht zugestimmt. Ebenso ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beigeladene die Wegefläche Fl.Nr. … vergleichbaren Wohnbauten zumindest faktisch als Zuwegung zur Verfügung stellen würde und eine entsprechende Benutzung den Klägern daher nicht verwehren könnte.
37
Entsprechendes gilt für die Verkehrsflächen der Fl.Nr. … und der Fl.Nr. …, welche zur wegemäßigen Erschließung des Vorhabengrundstücks ebenfalls überfahren werden müssten.
38
Soweit in der Klagebegründung ausgeführt wurde, dass der Parkplatz „in voller Breite“ an das klägerische Grundstück grenze, bleibt zunächst klarzustellen, dass die Kammer den Darstellungen der maßgeblichen Eingabeplanung nicht entnehmen kann, dass eine Zufahrt (auch) unmittelbar vom Bereich des benachbarten Parkplatzes aus geplant wäre, welcher – wie auch der gerichtliche Augenschein bestätigt hat – bis auf eine Zufahrt von Süden von einem Grünzug umgeben ist. Nach der Eingabeplanung und den Ausführungen der Klagepartei im behördlichen Verfahren soll die Erschließung über die südliche Grundstücksecke des Vorhabengrundstücks erfolgen und zwar unter Querung der Fl.Nrn. … und …; bezogen auf die südliche Grundstücksecke des Vorhabengrundstücks bedeutet dies auf der Fl.Nr. … allerdings nur eine Querung des gepflasterten Zufahrts-/ Vorplatzbereichs. Die ferner zu querende Fl.Nr. … wurde von Klägerseite offenbar gänzlich übersehen.
39
Die Kammer hat nur über das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zu entscheiden, nicht aber etwaige spätere Planungsvarianten mit Zufahrten, die in der maßgeblichen Eingabeplanung keinen Niederschlag gefunden haben. Dessen ungeachtet gelten die folgenden Ausführungen ebenso für die Annahme einer Zufahrt unmittelbar vom Bereich des Parkplatzes aus, wobei das Vorhandensein des Grünzugs noch ein zusätzliches Anspruchshindernis darstellen dürfte.
40
Hinsichtlich der Fl.Nrn. … und … fehlt es nach den Angaben des Beklagten an einer förmlichen Widmung für den öffentlichen Verkehr. Soweit der Parkplatz bzw. der Zufahrtsbereich dorthin faktisch als „Verkehrsfläche“ genutzt werden, folgt daraus nicht, dass die Beigeladene eine Inanspruchnahme dieser Grundstücke auch für die vorliegend begehrte Nutzungsintensivierung des Vorhabengrundstücks durch eine erstmalige Wohnbebauung hinnehmen müsste. Die von Klägerseite vorgetragene Parkplatznutzung, welche sich schon nach den örtlichen Gegebenheiten und der vergleichsweise geringen Größe des Parkplatzes im Wesentlichen auf Mitarbeiter und Besucher des Rathauses sowie ggf. der unmittelbar östlich gelegenen … Bank beziehen dürfte, beinhaltet insoweit lediglich einen beschränkten Fußgänger- bzw. Besucher-/ Kundenverkehr (insbes. Besucher und Mitarbeiter des Rathauses oder der …-Bank sowie ggf. sonstiger umliegender Gewerbebetriebe) des Parkplatz-/ Zufahrtsbereichs, der im Übrigen nicht über den Bereich der Fl.Nr. … hinausführt und insofern gerade keine „Zuwegung“ zu weiter östlich gelegenen Flächen darstellt. Eine von der Beigeladenen zugelassene oder zumindest geduldete Inanspruchnahme der Fl.Nrn. … und … für andere Wohnnutzungen in der Umgebung, geschweige denn als „Zuwegung“ zu solchen, ist demgegenüber nach den Feststellungen des Augenscheins aufgrund der örtlichen Gegebenheiten weder ersichtlich, noch wurde eine derartige Inanspruchnahme von Klägerseite behauptet.
41
2.3 Schließlich können sich die Kläger hinsichtlich des geplanten Vorhabens nicht auf ein etwaiges Notwegerecht (§ 917 BGB) berufen. Für die begehrte Nutzungsintensivierung des Vorhabengrundstücks fehlt es – ungeachtet der hier nicht gegenständlichen Frage der bauordnungsrechtlichen Erschließung – aus den o.g. Gründen an einer (ausreichenden) planungsrechtlichen Erschließung. Auf die seit der Grunddienstbarkeitsbestellung im Jahre 1951 durchgeführte Neuordnung der Grundstücke kommt es dabei ebenso wenig an wie auf die Widmungstätigkeit der Gemeinde.
42
Aufgrund der ungesicherten planungsrechtlichen Erschließung ist das abgefragte Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig.
43
II. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.