Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 27.07.2023 – Au 2 M 23.1119
Titel:

Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss – Fahrtkosten für die Benutzung der Deutschen Bahn AG

Normenketten:
GKG § 66 Abs. 1, Abs. 6 S. 1
VwGO § 162 Abs. 1
Leitsätze:
1. Reisekosten der Beteiligten – auch des Behördenvertreters – für die Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung sind regelmäßig erstattungsfähig. Dies gilt auch dann, wenn das persönliche Erscheinen des Beteiligten vom Gericht nicht ausdrücklich angeordnet worden ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Berechtigte Interessen eines Beteiligten müssen nicht hinter Kostenerwägungen zurücktreten; zu den berechtigten Interessen jedes Verfahrensbeteiligten gehört es, orientiert an einem abstrakt-generalisierenden Maßstab, unabhängig vom konkreten Einzelfall ohne zeitliche Zugbindungen zu einem Gerichtstermin an- und danach wieder abzureisen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Behörde kann nicht von vornherein verpflichtet werden, ihre innere Organisation maßgeblich daran auszurichten, dass bei Rechtsstreitigkeiten das Risiko von Prozesskosten anderer Verfahrensbeteiligter möglichst gering bleibt; vielmehr obliegt es grundsätzlich ihrem Organisationsermessen, darüber zu entscheiden, wen sie ausgehend von dem Ziel effektiver Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unter sachlichen Gesichtspunkten für eine Entsendung als Terminsvertreter für geeignet hält und die Zuständigkeit entsprechend festzulegen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Recht der Bundesbeamten, Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung (außergerichtliche Parteiaufwendungen), Reisekosten der Behördenvertreterin, Sparpreise der Deutschen Bahn AG, Fahrtkosten für die Benutzung der Deutschen Bahn AG, Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss, außergerichtliche Parteiaufwendungen, Reisekosten, Reisekostenaufwand, Flexpreisticket, Sparangebot
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22495

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Der Erinnerungsführer hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gebühren werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Kläger (Erinnerungsführer) wendet sich mit seinem durch Schreiben vom 10. Juli 2023 gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. Juni 2023. Darin wurden die der beklagten Bundesrepublik Deutschland vom Kläger (Erinnerungsführer) im Zusammenhang mit dem kostenmäßigen Vollzug der zulasten des Klägers ergangenen Kostenentscheidung im Verfahren Au 2 K 22.1935 zu erstattenden Fahrtkosten für die Benutzung der Deutschen Bahn zur Teilnahme der Vertreterin der Beklagten an der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 25. Mai 2023 in Höhe von 475,75 EUR für erstattungsfähig erklärt. Die zu erstattenden Übernachtungskosten wurden mit 92,00 EUR, das Tagesgeld mit 22,40 EUR, somit insgesamt 610,15 EUR festgesetzt. Der Kläger bestreitet die Rechtmäßigkeit des Kostenfestsetzungsbeschlusses im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit von Fahrtkosten, Tagegeld und Übernachtungskosten. Ferner rügt er, dass eine vorherige Anhörung nicht durchgeführt worden sei.
2
Da die Kostenbeamtin der Erinnerung des Klägers nicht abgeholfen hat, legte diese dessen Antrag auf Entscheidung des Gerichts mit Schreiben vom 17. Juli 2023 vor. Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Äußerung hierzu gegeben. Der Kläger äußerte sich hierauf mit Schreiben vom 19. Juli 2023, die Beklagte mit Schreiben vom 20. Juli 2023.
3
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Gerichtsakten und auf die Verfahrensakte Au 2 K 22.1935 Bezug genommen.
II.
4
Das Gericht entscheidet über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der Besetzung, in der die zu Grunde liegende Kostenlastentscheidung getroffen wurde, hier durch die Kammer (vgl. § 66 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 GKG).
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Die Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist nicht wegen der vor Erlass des Beschlusses unterlassenen Anhörung des Erinnerungsführers rechtsfehlerhaft.
7
Dem Schuldner eines Kostenfestsetzungsbeschlusses ist grundsätzlich vor Erlass des Beschlusses durch schriftliche oder mündliche Anhörung rechtliches Gehör zu gewähren. Eine Ausnahme kommt nur in ganz einfach gelagerten Fällen, in denen das Ergebnis feststeht, in Betracht. Der Mangel des rechtlichen Gehörs ist jedoch im Zusammenhang mit dem Erinnerungsverfahren geheilt worden. Denn es ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Rechtsmittelverfahren geheilt werden kann, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelzug gewährt wird und das Rechtsmittelgericht in der Lage ist, das Vorbringen zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 14.12.1982 -
2 BvR 434/82 – juris Rn. 20; OLG Düsseldorf, B.v. 26.4.2011 – I-24 W 29/11 – juris Rn. 7; VG Augsburg, B.v. 13.3.2023 – Au 9 M 22.1539 – juris Rn. 22). Die Nachholung des rechtlichen Gehörs entspricht auch rechtsstaatlichen Grundsätzen, wie der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anhörungsrüge nach § 321a ZPO zu entnehmen ist (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – juris Rn. 16).
8
Das Fehlen des rechtlichen Gehörs wurde dadurch geheilt, dass der Erinnerungsführer seine Einwände im Rahmen des Erinnerungsverfahrens vorbringen konnte und die Urkundsbeamtin Gelegenheit hatte, die Einwände im Rahmen der Abhilfe-/ bzw. Nichtabhilfeentscheidung (§ 165 Satz 2, § 151 Satz 3 VwGO) zu berücksichtigen.
9
2. Die Erstattungsfähigkeit der durch die Benutzung der Deutschen Bahn angefallenen Fahrtkosten der Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 25. Mai 2023 (Hin- und Rückfahrt) steht mit den maßgeblichen (kosten-)rechtlichen Vorgaben in Einklang. Der festgesetzte Betrag von 475,75 EUR ist der beklagten Partei als Reisekostenaufwand zu ersetzen.
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Die Kostenbeamtin ist im angefochtenen Beschluss vom 30. Juni 2023 zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Reisekosten von Oberregierungsrätin * dem Grunde nach um zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen eines Beteiligten handelt, die gemäß § 162 Abs. 1 VwGO zu den Kosten des Verfahrens zählen, die der Kläger auf der Grundlage des Kostenlastausspruchs im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. Mai 2023 – Au 2 K 22.1935 – zu tragen hat. Die Notwendigkeit einer Aufwendung muss aus der Sicht einer verständigen Partei beurteilt werden. Dabei ist jeder Beteiligte aus dem Prozessrecht im rechtlichen Verhältnis heraus verpflichtet, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, soweit sich dies mit der Wahrung seiner berechtigten Belange vereinbaren lässt.
11
Reisekosten der Beteiligten – auch des Behördenvertreters – für die Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung sind regelmäßig erstattungsfähig. Dies gilt auch dann, wenn das persönliche Erscheinen des Beteiligten vom Gericht nicht ausdrücklich angeordnet worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2019 – 2 KSt 1.19 – juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 3.7.1990 – 8 S 2212/87 – juris Rn. 2; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 162 Rn. 11 f. m.w.N.).
12
Die Höhe der zu erstattenden Auslagen der Beteiligten und insbesondere die Frage, welches Beförderungsmittel und in welcher Höhe dessen Kosten als notwendig anzuerkennen sind, ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht geregelt. Unabhängig davon, ob sich die Reisekostenerstattung nach § 173 VwGO, § 91 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 ZPO i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes/JVEG oder nach den einschlägigen beamtenrechtlichen Rechtsvorschriften richtet, hat die Beklagte im vorliegenden Fall Anspruch auf volle Erstattung der beantragten Reisekosten für die Fahrkarten der Deutschen Bahn (§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BRKG bzw. § 5 Abs. 1 JVEG). Nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen werden notwendige Kosten, die für Fahrten auf dem Landweg mit regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln entstanden sind, erstattet. Während für Bahnfahrten – wie hier – von einer Dauer von mindestens zwei Stunden nach dem Bundesreisekostengesetz die entstandenen Fahrtkosten der nächsthöheren Klasse erstattet werden können (§ 4 Abs. 1 BRKG), sieht § 5 Abs. 1 JVEG die Erstattung der tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks vor. Mögliche Fahrpreisermäßigungen sind nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich nur nach dem Bundesreisekostenrecht zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BRKG). Daraus folgt unter anderem, dass die Beteiligten gehalten sind, die Wahrnehmung von Gerichtsterminen rechtzeitig unter der Berücksichtigung konkreter Einsparmöglichkeiten zu planen und durchzuführen. Dem genügt es indes, bei der Buchung von Bahntickets auf die von der Deutschen Bahn AG angebotenen sog. Flexpreistickets zuzugreifen. Deshalb musste sich die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers nicht auf die oft wechselnden „Super-Sparpreis-Fahrkarten“ der Deutschen Bahn AG verweisen lassen. Denn berechtigte Interessen eines Beteiligten müssen nicht hinter Kostenerwägungen zurücktreten. Zu den berechtigten Interessen jedes Verfahrensbeteiligten gehört es, orientiert an einem abstrakt-generalisierenden Maßstab, unabhängig vom konkreten Einzelfall ohne zeitliche Zugbindungen zu einem Gerichtstermin an- und danach wieder abzureisen (vgl. BGH, B.v. 18.12. 2012 – X ZB 11/12 – GRUR 2013, 427). Für die Abreise ergibt sich dies schon aus dem Umstand, dass die zeitliche Dauer eines Gerichtstermins nicht vorab sicher voraussehbar ist, so dass die Wahl eines Sparangebots mit fester Zugbindung zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeschlossen ist. Aber auch für die Anreise zu einem Gerichtstermin mit einem regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittel – hier der Bahn – darf jeder Beteiligte sein berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung seiner Belange erforderlichen Vorkehrungen treffen. Ihn trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (BGH, B.v. 10. 7.2012 − VI ZB 7/12 – NJW 2012, 2734). Flexpreistickets und „Super-Spar-Angebote“ der Deutschen Bahn sind aber nicht gleichartig und auch nur bedingt gleichwertig, weil die Sparangebote den Reisenden von vornherein in der Wahl des Beförderungsmittels einschränken. Darüber hinaus folgt im Fall unvorhergesehener kurzfristiger Terminsaufhebungen durch das Gericht bei der Inanspruchnahme von Sparangeboten der Deutschen Bahn mit Zugbindung, dass diese – anders als Flexpreistickets – nicht stornier- und umtauschbar sind. Sie können sich im Ergebnis mithin als teurere Variante darstellen, weil sowohl das nicht umtauschbare Ticket für den aufgehobenen Gerichtstermin als auch die weitere Fahrkarte für den neuen Gerichtstermin als notwendige Reisekosten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BRKG oder § 5 Abs. 1 JVEG erstattungsfähig wären (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 27.6.2019 – 2 KSt 1.19 – juris Rn. 6).
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3. Die Beklagte war auch nicht gehalten, einen Vertreter aus den Standorten Kaufbeuren, Landsberg oder München zum Termin zur mündlichen Verhandlung zu entsenden. Die Anforderungen an die Belange einer aus der objektiven Sicht eines verständigen Beteiligten sachdienlichen Prozessführung und den der Vorschrift des § 162 Abs. 1 VwGO ebenfalls zu entnehmenden Geboten einer sparsamen Prozessführung und der prozessualen Rücksichtnahme auf den Gegner dürfen nicht überspannt werden. So kann die Behörde nicht von vornherein verpflichtet werden, ihre innere Organisation maßgeblich daran auszurichten, dass bei Rechtsstreitigkeiten das Risiko von Prozesskosten anderer Verfahrensbeteiligter möglichst gering bleibt. Vielmehr obliegt es grundsätzlich ihrem Organisationsermessen, darüber zu entscheiden, wen sie ausgehend von dem Ziel effektiver Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unter sachlichen Gesichtspunkten für eine Entsendung als Terminsvertreter für geeignet hält und die Zuständigkeit entsprechend festzulegen. Sie muss in diesem Zusammenhang insbesondere nicht aus weitreichender Rücksichtnahme auf den Prozessgegner Risiken eingehen, welche objektiv die Gefahr eines Unterliegens erhöhen können (OVG NW, B.v. 21.09.2016 – 1 E 474/16 – juris Rn. 4 m.w.N.; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 162 Rn. 51). So liegen die Dinge hier. Da sich der Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt, war davon auszugehen, dass sich nur am Standort Münster hinreichend qualifiziertes und spezialisiertes Fachpersonal befindet, das zu den Gerichtsterminen zu entsenden ist, wenn andere Behördenvertreter nicht annähernd so vertraut mit den jeweiligen Verfahren sind.
14
4. Auch die Übernachtungskosten wurden zu Recht von der Kostenbeamtin als zu erstattende notwendige Kosten angesehen. Übernachtungskosten im Zusammenhang mit einer Reise sind erstattungsfähig, wenn der zu erwartende Zeitaufwand für Hin- und Rückfahrt zwischen Dienst- bzw. Wohnsitz und Gerichtsort zehn Stunden überschreitet (OVG NW, B.v. 5.9.1994 – 11 E 166/94 – NVwZ-RR 1995, 123; Olbertz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 162 Rn. 18). Da bereits die einfache Fahrt vom Wohnort der Behördenvertreterin in * zum Gerichtsort Augsburg über sieben Stunden dauerte, ist dies nicht zu bezweifeln. Damit einhergehend ist der Ansatz des Tagesgelds in Höhe von 22,40 EUR nicht zu beanstanden (dazu BVerwG, B.v. 20.8.2014 – 9 KSt 3.14 – juris Rn. 3)
15
5. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung im Übrigen haben sich auch aus den Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 10. und 19. Juli 2023 nicht ergeben. Gegenstand des Erinnerungsverfahrens ist allein die Richtigkeit des Kostenfestsetzungsansatzes (BayVGH, B.v. 24.8.2011 – 10 M 11.1966 – juris Rn. 6; VG München, B.v. 5.3.2013 – M 7 M 12.6344 – juris Rn. 10).
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Die Erinnerung war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
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Gründe, die Beschwerde zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 66 Abs. 2 Satz 2 GKG).