Titel:
Änderung einer Berufsbezeichnung auf dem Stimmzettel für die Bayerischen Landtagswahlen
Normenketten:
BayLWO § 31
BV Art. 33
VwGO § 123
Leitsätze:
1. In Wahlrechtsangelegenheiten können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, grundsätzlich nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Selbst wenn man ein subjektives Recht auf Änderung der Berufsbezeichnung auf dem Stimmzettel hier annimmt, liegt jedenfalls kein so offensichtlicher und gravierender Verstoß vor, der einen Eingriff in das Wahlverfahren vorab rechtfertigen würde. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtlicher Rechtsschutz im laufenden Wahlverfahren, Berufsbezeichnung auf Stimmzetteln, Landtagswahl, Stimmzettel, Wahlbewerber, Berufsbezeichnung, Änderung, Anspruch, subjektives Recht, Wahlrecht, Rechtsschutz, nachträglich
Fundstelle:
BeckRS 2023, 22318
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
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Die Antragstellerin begehrt die Änderung ihrer Berufsbezeichnung auf dem Stimmzettel für die Bayerischen Landtagswahlen 2023.
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Die Antragstellerin absolvierte bei der Stadt … ein duales Studium, das sie mit dem Diplomgrad einer Dipl. Verwaltungswirtin (FH) erfolgreich abgeschlossen hat. Im Anschluss daran war sie über mehrere Jahre in der Verwaltung tätig. Seit 2014 leitet sie das Theater „…“ in … Sie engagiert sich darüber hinaus für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), ist seit 2008 die 2. Bürgermeisterin der Gemeinde … und seit Mai 2014 die Vorsitzende der SPD-Fraktion im Kreistag … Die Antragstellerin wurde von der SPD (als Wahlvorschlagsträgerin), nach 2018 erneut, als Kandidatin für die Landtagswahl 2023 aufgestellt. Als Stimmkreisbewerberin des Stimmkreises Nr. …, …, auf Platz ... sowie als Wahlkreisbewerberin des Wahlkreises … auf Platz ... des Wahlkreisvorschlags Nr. ...
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Die Antragstellerin fragte vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit den Landtagswahlen 2018 bereits im Frühjahr beim Landeswahlleiter nach, ob einer Bezeichnung der Antragstellerin auf dem Stimmzettel mit „…, Dipl. Verwaltungswirtin (FH), Theaterleiterin“ Hindernisse im Wege stünden. Der Landeswahlleiter verwies die Antragstellerin auf den Wahlkreisleiter bei der Regierung von Mittelfranken.
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Die Beteiligten hatten im vorgerichtlichen Verfahren Kontakt zur Frage der Berufsbezeichnung. Die Antragsgegnerin führte aus, dass grundsätzlich die Angabe eines Diplomtitels möglich sei, dieser allerdings mit dem derzeit ausgeübten Beruf in Verbindung stehen müsse. Die Entscheidung werde letztlich im Wahlkreisausschuss getroffen. Am 11. August 2023 beschloss der Wahlkreisausschuss der Regierung von Mittelfranken die Zulassung der eingereichten Wahlkreisvorschläge. Die Berufsbezeichnung der Antragstellerin wurde demnach mit „Theaterleiterin“ angegeben.
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Mit Schriftsatz vom 22. August 2023 lässt die Antragstellerin Klage erheben und beantragt zugleich, den Antragsgegner im Wege des § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten,
- 1.
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auf dem Stimmzettel für die Wahl zum 19. Bayerischen Landtag im Stimmkreis …, Nr. …, die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Stimmkreiskandidatin der SPD, Wahlkreisvorschlag Nr., als „Dipl. Verwaltungswirtin (FH) … Theaterleiterin“ zu bezeichnen, hilfsweise als „…, Dipl. Verwaltungswirtin (FH), Theaterleiterin“,
- 2.
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auf dem Stimmzettel für die Wahl zum 19. Bayerischen Landtag im Wahlkreis … die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Wahlkreiskandidatin der SPD, Wahlkreisvorschlag Nr., Platz, als „Dipl. Verwaltungswirtin (FH) … Theaterleiterin“ zu bezeichnen, hilfsweise als „…, Dipl. Verwaltungswirtin (FH), Theaterleiterin“.
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Die Antragstellerin lässt im Wesentlichen vortragen, die Ungleichbehandlung ihres akademischen Grades einer Dipl.-Verwaltungswirtin (FH) im Vergleich zu dem akademischen Titel „Doktor“ sei nicht mehr zeitgemäß. Der Umstand, dass der Doktor ein anerkannter Namenszusatz sei, rechtfertige die Unterscheidung zu anderen akademischen Titeln nicht. Das gelte umso mehr als das Bundesverfassungsgericht die Gleichrangigkeit von Universitäten und Fachhochschulen festgestellt habe.
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Ferner habe die Antragstellerin bei zutreffender Würdigung ihrer beruflichen Tätigkeit einen Anspruch auf Nennung des Diploms aus § 31 LWO. In den Verantwortungsbereich der Antragstellerin als Theaterleiterin fallen vielfältige Verwaltungstätigkeiten wie Zuwendungsanträge und Verwendungsnachweise, Verträge mit Verlagen und Künstlern, Gagenabrechnungen, Buchhaltung und Controlling, Spielplanung, Kalkulationen, mietrechtliche Belange, Personalfragen, u.ä. Die zuständige Landesbehörde bewerte das Theater der Antragstellerin im Übrigen als einem kommunalen/staatlichen Theater gleichwertig im Sinne des § 4 Nr. 20a UStG. Der Antragsgegner verorte den Beruf der Antragstellerin zu Unrecht im künstlerischen Bereich. Erst mit der Titel-Bezeichnung werde deutlich, worin der Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit liege. Zur Vermeidung eines ähnlichen Fehlers bei den Wählern sei die Angabe des Titels unerlässlich. Bei einem anderen Wahlbewerber sei im Übrigen neben dem Beruf Personalentwickler auch der Titel M.A. angegeben und es sei unklar, woraus sich diese Differenzierung ergebe. Die Antragstellerin habe bei richtiger Auslegung des § 31 LWO einen Anordnungsanspruch. Sie habe ferner auch einen Anordnungsgrund, da es offensichtlich sei, dass mit der anstehenden Durchführung der Briefwahl der Antragstellerin irreversible Nachteile drohen.
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Mit Schreiben vom 24. August 2023 erwidert der Antragsgegner und beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abzulehnen.
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Der Antragsgegner führt aus, dass gegen Entscheidungen von Wahlorganen kein Verwaltungsgerichtsweg gegeben sei. Die gleichzeitige und termingerechte Durchführung einer Wahl bedinge, dass die Rechtskontrolle während des Wahlablaufs begrenzt werde und im Übrigen einem Prüfungsverfahren nach der Wahl vorbehalten bleibe. Dabei trete die sofortige Verfolgung subjektiver verfassungsmäßiger Rechte einzelner gegenüber der Notwendigkeit zurück, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzuführen. Das Landeswahlrecht habe die Möglichkeit der Rechtsbehelfe abschließend in Art. 34 Abs. 2 LWG geregelt. Die SPD als Wahlvorschlagsträgerin habe sich in der maßgeblichen Frist nicht geäußert.
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Der Antrag sei im Übrigen auch unbegründet. Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 LWO sei neben den in Art. 27 LWG genannten Angaben auch die Angabe des Berufes oder Standes aller Stimmkreis- und Wahlkreisbewerber erforderlich. Dies diene der eindeutigen Identifikation der Bewerber und müsse den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Eine wahlwerbende Wirkung dürfe damit nicht verbunden sein. Eine Diplombezeichnung sei nur nach dem Namen zulässig und nur dann, wenn sie mit der Berufsangabe im Zusammenhang stehe und damit der näheren Spezifizierung diene. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Diplomtitel nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Antragstellerin als Theaterleiterin stehe. Die Hochschule für den öffentlichen Dienst vermittele Kenntnisse, die auf die Erfordernisse der öffentlichen Verwaltung abgestellt seien. Die Antragstellerin führe, unabhängig von der steuerlichen Einordnung, ein privatrechtliches Unternehmen.
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Der von der Beauftragten der SPD eingereichte Wahlvorschlag habe ausschließlich die Berufsangabe „Theaterleiterin“ enthalten. Nach Art. 30 Abs. 2 Satz 1 LWG sei diese Erklärung verbindlich. Die Zulassung des Wahlvorschlags der SPD sei antragsgemäß erfolgt.
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Zum Anordnungsgrund sei zu sagen, dass die Stimmzettel bereits vollständig gedruckt und zur Versendung an die Stimmkreise vorbereitet seien. Ein Neudruck würde die Auslieferung der Stimmzettel an die Stimmkreise erheblich verzögern und es bestehe das Risiko, dass die Durchführung der Landtagswahl im Wahlkreis … gefährdet werde. Überdies würde ein Neudruck der Stimmzettel für die Landtagswahl Kosten in voraussichtlich sechsstelliger Höhe nach sich ziehen. Die Bekanntmachung der Wahlkreisvorschläge im Bayerischen Staatsanzeiger sei für den 1. September 2023 vorgesehen, letzte Korrekturen könnten seitens der Antragsgegnerin bis zum 25. August 2023, 12 Uhr gemacht werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Behördenakte verwiesen.
Gründe
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Die Antragstellerin dringt mit ihrem Begehren nicht durch.
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Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden.
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1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Bayerischen Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit, dass in Wahlrechtsangelegenheiten Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, grundsätzlich nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können (vgl. BayVerfGH, E.v. 2.3.199 – Vf. 23 – VI/90; BVerfG, B.v. 1.9.2009 – 2 BvR 1928/09 und 2 BvR 1937/09 – juris Rn. 3; BVerfGE 83, 156, (158); VG Würzburg, B.v. 14.8.2003 -W E 03.919 – juris Rn. 4; VG Regensburg, B.v. 1.10.2018 – RN 3 18.1548 – juris Rn. 14).
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Diese Rechtsschutzkonzeption ist in der Natur des Wahlrechts angelegt. Wahlen sind der absolute Kernbereich jeder verfassten Demokratie, ihr reibungsloser Ablauf dementsprechend von grundlegender Bedeutung. Der reibungslose Ablauf der Wahl kann nur gewährleistet werden, wenn die Rechtskontrolle der zahlreichen Einzelentscheidungen der Wahlorgane während des Wahlverfahrens begrenzt und im Übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren (in Bayern nach Maßgabe des Art. 33 BV sowie der §§ 51 ff. LWG) vorbehalten bleibt. Wären diese Einzelentscheidungen, die sich unmittelbar auf die Vorbereitung und Durchführung der Wahl beziehen, bereits vor dem Wahltermin mit Rechtsmitteln angreifbar, käme es in dem Wahlorganisationsverfahren, das durch das Zusammenspiel zahlreicher einzelner Wahlorgane mit zahlreichen zu beachtenden Terminen und Fristen geprägt ist, zu erheblichen Beeinträchtigungen. Umfangreichere Sachverhaltsermittlungen und die Klärung schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen wären kaum ohne erhebliche Auswirkungen auf den Ablauf des Wahlverfahrens möglich. Daher ist die Beschränkung der Rechtskontrolle auf die nachträgliche Wahlprüfung verfassungsrechtlich gerechtfertigt (so zur Bundestagswahl: BVerfG, B.v. 1.9.2009 – 2 BvR 1928/09 und 2 BvR 1937/09 – juris Rn. 4; zur Übertragbarkeit auf die Rechtslage in Bayern insbesondere VG Regensburg, B.v. 1.10.2018 – RN 3 18.1548 – juris Rn. 15).
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2. Auch wenn man neben dem in Art. 33 der Bayerischen Verfassung vorgesehenen Wahlprüfungsverfahren mit Blick auf die Wahl insgesamt Individualrechtsschutz im Einzelfall zugunsten eines einzelnen Wahlbewerbers (und dessen passiven Wahlrechts nach Art. 14 Abs. 2 BV) oder einer Partei bzw. einer Wählergruppe durch die Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtsbarkeit annimmt (so SächsVerfGH, E.v. 25.7.2019 – Vf. 77-IV-19, Vf. 82-IV-19), käme das Gericht zu keinem anderen Ergebnis.
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Denn auch in diesem Fall müsste eine gerichtliche Entscheidung die besondere Natur des Wahlverfahrens berücksichtigen. Dementsprechend käme aus Sicht der Kammer ein Eingreifen im Wegen des Eilrechtsschutzes allenfalls dann in Betracht, wenn ex ante absehbar, die Integrität der rechtmäßigen Durchführung der Wahl insgesamt in Gefahr steht (für die Kommunalwahl vgl. OVG RP, B.v. 12.5.2014 – 10 B 10454/14 – juris Rn. 6 m.w.N.). Das ist vorliegend nicht der Fall.
20
Die Stimmzettel für … sind nach Vortrag des Antragsgegners bereits gedruckt und die nach dem Wahlgesetz vorgesehenen nächsten Termine stehen unmittelbar an. Bestehende Stimmzettel müssten vernichtet und ausreichend neue Stimmzettel hergestellt und teilweise an Briefwähler versendet werden. Gegebenenfalls wäre dies nicht mehr termingerecht möglich, was zu Ungleichbehandlungen in der Wählerschaft führen könnte. Den Wählern steht ein angemessener Zeitraum zu, sich über die Bewerber zu informieren.
21
Demgegenüber steht die Rechtsfrage im Raum, ob der Beruf der Antragstellerin korrekt auf dem Stimmzettel bezeichnet wurde. Das Gericht kommt auch insoweit zu dem Ergebnis, dass, selbst wenn man ein subjektives Recht der Antragstellerin hier annimmt, jedenfalls kein so offensichtlicher und gravierender Verstoß vorliegt, der einen Eingriff in das Wahlverfahren vorab rechtfertigen würde.
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3. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über den Streitwert basiert auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Da eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt wurde, war vorliegend von einer Halbierung des Streitwertes abzusehen (vgl. Nr. 1.5 Streitwertkatalog 2013).